2.25 (mu11p): Nr. 25 Bericht über die Besetzung Frankfurts. 8. April 1920

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Nr. 25
Bericht über die Besetzung Frankfurts. 8. April 19201

R 43 I /175 , Bl. 309-315 Abschrift

In den Abendstunden des 5. April wurde im besetzten Gebiet und daher auch bald in Frankfurt bekannt, daß die Franzosen die Absicht hatten, Frankfurt, Hanau, Dieburg und Darmstadt zu besetzen. Schon frühzeitig rollten die Truppen von Mainz aus strahlenförmig nach den zu besetzenden neuen Gebieten ab. Die Besetzung Frankfurts, die an sich das Wesentlichste an der ganzen Besetzung darstellt, erfolgte in den frühesten Morgenstunden des 6.4.20 um 4 Uhr 40, die Inbesitznahme der öffentlichen Gebäude beispielsweise des Polizeipräsidiums [!], in das eine Wache von 30 Schwarzen kam, die Hauptpost wurde mit 3 Offizieren und 70 Mann belegt, die Eisenbahn [wurde] sofort unter militärischer Kontrolle genommen, mit starker Wache versehen und mit Posten auf den einzelnen Bahnsteigen, alles mit aufgepflanzten Seitengewehren. An Truppen sind schätzungsweise etwa eine Division eingezogen mit dem gesamten dazugehörigen Pack. Die Truppen selbst sind hauptsächlich in Kasernen untergebracht, für Offiziere wurden 1000 Quartiere bestellt. Die Sicherheitspolizei, die nicht abgerückt war, sondern als Sicherheitstruppe den Deutschen Behörden zur Verfügung stehen mußte, wurde entwaffnet und in Stärke von etwa 500 Mann gefangen gesetzt und in das Internierungslager nach Griesheim abtransportiert2. Das mit der Bahn ankommende Publikum wurde bezüglich[63] des Gepäcks einer Revision unterworfen. Wie mir persönlich Wachmannschaften erklärten, hatte sie Befehl, das Gepäck nach Waffen zu durchsuchen. Ferner wurde in der Stadt sofort nach politisch Verdächtigen gefahndet und insbesondere in der Zentrale des Heimatdienstes, Hohenzollernstr. 4, Durchsuchungen vorgenommen. Die Franzosen waren außerordentlich gut informiert über die diensttuenden Persönlichkeiten (besonders Herr Groger wurde gesucht) und über die Räumlichkeiten, in welchen der Heimatdienst für Frankfurt untergebracht war. Alle dortselbst vorgefundenen Schriftstücke sind beschlagnahmt worden mit Ausnahme der Kassenbücher, die den Franzosen entgangen sind. Der Kulturreferent Dr. Schulz-Henke, der sich zufällig nach der Zentrale, Hohenzollernstr. 4, begab, ist verhaftet worden. […] Der Führer der französischen Besatzungstruppe ist der Divisionsgeneral de Metz, Stadtkommandant Oberst Duvigne, beides sind ausgesprochene Chauvinisten. Dem Polizeipräsidenten ist sofort verboten worden, ebenso dem Oberbürgermeister, mit den vorgesetzten Stellen in Kassel, Wiesbaden und Berlin direkt zu korrespondieren. Sie erhielten den Befehl, alle Sachen zunächst der französischen Kontrolle vorzulegen. Die Presse wurde sofort stillgelegt, den Behörden war damit die Möglichkeit genommen, sich in beruhigenden Aufrufen an die Bevölkerung zu wenden, die mit größter Erbitterung die Besetzung sich vollziehen sah. Der General ließ den Oberbürgermeister, den Polizeipräsidenten und den Regierungsrat Cossmann kommen, und machte sie für die Ruhe persönlich haftbar. Herr Cossmann war in seiner Eigenschaft als stellvertretender Regierungspräsident anwesend. Als ihm Regierungsrat Cossmann erklärte, das sei im Hinblick auf das Verbot, sich mit Aufrufen an die Bevölkerung zu wenden, eine sehr schwere Aufgabe, antwortete ihm der General, von dem das Verbot ausgegangen war: „Machen Sie das durch Ihre Beamten, dafür haben Sie Ihre Beamten.“ Der Bevölkerung hat sich mittlerweile eine sehr starke Erregung bemächtigt, die sich noch besonders verstärkte, als bekannt wurde, daß die Bevölkerung schon um 9 Uhr abends in den Häusern sein mußte. […] Die Erregung steigerte sich auch im Laufe des 7. April und gelangte auf den Siedepunkt, als bekannt wurde, daß die Besatzungstruppen Rückzugbefehl erhalten hätten. Das Gerücht hatte sich mit Blitzesschnelle in Frankfurt verbreitet, daß die Franzosen abends um 6 Uhr wieder abrücken würden. Eine Bestätigung dieses Gerüchtes war nicht zu erhalten, Tatsache aber ist, daß im Laufe der vorgeschrittenen Nachmittagsstunden die Eisenbahnkontrolle zurückgezogen, d. h. nicht mehr ausgeübt wurde. Als gegen 3 Uhr die alte Wache abzog und[64] von der neuen Wache abgelöst wurde, kam es von Seiten des Publikums zu Verhöhnungen und Beschimpfungen, weil der Wachhabende der alten Wache die Menschenmenge vor der Hauptwache geduldet, der neue Wachhabende aber die Menschenmenge zum Auseinandergehen auffordern ließ. Als er bei der Menge auf Widerstand stieß, ließ er feuern, und es blieben 6 Tote und etwa 30 Verwundete, darunter Schwerverletzte, auf dem Platze liegen3. Der Polizeipräsident hat sich in Begleitung eines französischen Offiziers auf eine dienstliche Fahrt begeben. Als er am Roßmarkt wieder mit den Franzosen in das Auto einstieg, wurden sie beide von der Menge, die sich angesammelt hatte, beschimpft, mit Unrat beworfen und mit Schirmen und Stöcken geschlagen. Als die Erregung in der Stadt einen weiteren bedrohlichen Umfang annahm, ließen die Franzosen starke Patrouillen, Tanks, Panzerfahrzeuge und Kraftfahrzeuge mit Gewehren bewaffneten Mannschaften durch die Straßen fahren. An einer Stelle wurden auch 3 Soldaten und ein Offizier von der wütenden Menge geschlagen4. Sie hatten, wie mitgeteilt wird, versucht, eine Festnahme durchzuführen. Andere bereits Festgenommene wurden auf dem Wege zur Kaserne von der Menschenmenge befreit und die Wachmannschaften schwer mißhandelt. Mit Rücksicht auf die bedrohliche Haltung der in den Straßen auf und ab gehenden Menschenmenge hat der französische Kommandant dem Polizeipräsidenten gestern abend gegen 4 Uhr erklärt, wenn bis 6 Uhr die Straßen nicht ruhig seien, so übernähme er die Straßenpolizei; um weiteren Zuzug und Verkehr des Publikums zu verhindern, hat daraufhin der Polizeipräsident den Straßenbahnverkehr einstellen lassen. Diese Beruhigungsmaßnahme des Polizeipräsidenten wirkte im gegenteiligen Sinne auf die Franzosen, und sie zogen den Polizeipräsidenten zu persönlicher Verantwortung wegen dieses Befehls. Der General hat ihm erklärt, derartige Maßnahmen treffe nur er selbst. Zu einem Zwischenfall kam es auch anläßlich des Abzuges, Ablösung der Wache in dem Hauptpostgebäude. Als die Wache sich zum Abrücken fertig machte und[65] das Gewehr übernahm, strömten die Postbeamten an die Fenster und an die Türen, es sammelte sich auch eine Menschenmenge vor dem Hauptpostgebäude an. Der kommandierende Offizier, der bereits Abmarschkommando gegeben hatte, kehrte mit Rücksicht auf die bedrohliche Haltung der Menge, – die Postbeamten höhnten, lachten und schrien Hurra – und rief Verstärkung telefonisch herbei. Erst nach Eintreffen der Verstärkung gelang es ihm, abzurücken. Der Bahnhofsplatz in Frankfurt war abends mit 5 Tanks mit Maschinenkanonen und einer stärkeren Wache besetzt. Bis um 9 Uhr hat sich das Gerücht, die Franzosen müßten zurückrücken, nicht bestätigt. Ein französischer Offizier von der Mission in Mainz sagte mir aber, daß der General Degoutte Befehl erhalten habe, die Truppen aus den neu besetzten Gebieten zurückzuziehen. Der Befehl sei auf Einspruch der Engländer und Amerikaner zurückzuführen. Es ist mir wiederholt von diesem Offizier, der sich nach Kattowitz zu der Besatzungstruppe nach Oberschlesien begeben hat, die Richtigkeit dieser Tatsachen bestätigt worden, und es darf nicht angezweifelt werden, daß der Befehl tatsächlich ergangen ist. Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß das ganze pretenziöse Auftreten der Franzosen die allgemeine Erbitterung gegen sie noch gesteigert hat. Frankreich hat nicht als Mandaten [!] der alliierten Mächte, sondern auf eigene Faust gehandelt5, und hierin ist wohl zur Hauptsache der Widerstand der Bevölkerung in Frankfurt zu erblicken. Dieser Meinung bin ich wiederholt in Frankfurt begegnet. Die Eisenbahnkontrolle wurde in Hanau vorgenommen, von Frankfurt fahren beispielsweise folgende Züge hintereinander ab: 9.10 Uhr und 9.55 Uhr nach Berlin. Alle deutschen Reisenden, die mit dem Zuge 9.10 Uhr fuhren, wurden in Hanau von der französischen Bahnhofswache aus dem Zuge herausgeholt. Die französischen Staatsangehörigen durften aber weiterfahren. Einzelnen Deutschen ist es trotzdem gelungen, sich wieder in den Zug einzuschmuggeln. Die Empörung derselben war derart groß, daß Tätlichkeiten gegen die im Zuge befindlichen französischen Soldaten in Zivil befürchtet werden mußten. Neuerdings haben die Franzosen für ihre Zwecke die Universität, sämtliche Kasernen und das Schumann-Theater requiriert. Es darf daraus geschlossen werden, daß sie vorerst nicht daran denken, Frankfurt wieder zu verlassen und dem Abmarschbefehl Folge zu leisten6.

gez. Gropengiesser.

Fußnoten

1

Der Bericht stammt von einem Vertrauensmann des Staatskommissars für öffentliche Ordnung (R 43 I /175 , Bl. 308).

2

Hierzu heißt es kritisch in einer weiteren Aufzeichnung: „Die Sicherheitspolizei hätte rechtzeitig restlos abrücken können, wenn die Führer insbesondere auch Polizeipräsident Erler, die Initiative dazu ergriffen hätten. Nur die politische Abteilung der Kriminalpolizei unter Leitung des Kriminalkommissars Schneider brachte rechtzeitig etwa belastendes Material in Sicherheit, besonders Spionage- und Fremdenlegions-Sachen. Beamte, die ihre persönliche Sicherheit durch den Einmarsch der Franzosen bedroht sahen, verließen Frankfurt, […]. Die im Polizeipräsidium befindliche Sicherheitspolizeiwache wurde, da sie von den Ereignissen nichts erfahren hatte, überrumpelt, entwaffnet und gefangengesetzt. Die in der nahen Westend-Mittelschule anwesende Sicherheitspolizei, etwa 50 Personen, verließ schleunigst, als sie die Vorgänge im Polizeipräsidium sahen, das Gebäude, erhielten in Nachbarhäusern von der Bürgerschaft Kleider und verschwanden. Später konnten von diesen in Zivil gekleideten Sicherheitspolizisten noch größere Mengen Wäsche und Ausrüstungsgegenstände sichergestellt werden. – Das Gros in der Gutleutkaserne verfiel der Festnahme und wurde nachmittags in einem Sonderzug angeblich nach dem Truppenübungsplatz Griesheim b. Darmstadt gebracht. Wo diese Leute in Wirklichkeit weilen, weiß man in Frankfurt bis jetzt (9. 4.) noch nicht. Noch von keinem der Fortgeführten ist bisher eine Nachricht eingetroffen“ (R 43 I /2728 ).

3

Über diesen Vorgang wird in einem anderen Bericht erklärt: „Die disziplinlose Menge, urteilslos und wahllos in ihren Zurufen, drängte sich gegen die Postenkette. Aus den Worten wurden Tätlichkeiten, vorerst leichterer Art, die aber von den Soldaten ruhig und gelassen hingenommen wurden. Als schließlich die Leidenschaften der Menge schärfere Formen annahmen und durch von allen Seiten kommende Zurufe höher wogten, die Soldaten gedrängt auch angegriffen wurden, – die Vorgänge spielten sich zuletzt mit blitzartiger Geschwindigkeit und Aufeinanderfolge ab, daß jede Beurteilung dieser entscheidenden Augenblicke schwierig, ja fast unmöglich ist – richtete ein Maschinengewehr bereits unter den Leuten seine beklagenswerten Wirkungen an. Nur Bruchteile von Sekunden genügten, unter diesem verheerenden, ohne jede vorherige Warnung abgegebenen Schnellfeuer, dann liefen die Massen wild auseinander und flüchteten in die angrenzenden Straßen. Nach kurzen Augenblicken erschienen die sofort alarmierten Sanitätskolonnen und schafften die Toten, Sterbenden und Verwundeten davon“ (R 43 I /176 , Bl. 26-28, hier: Bl. 27). In einer weiteren Darstellung heißt es zu diesen Vorgängen: „Die Tumulte an der Hauptwache wurden von der mehrheitssozialistischen ‚Volksstimme‘ als ‚alldeutsche nationalistische Hetze‘ gegen die Franzosen, zu wüsten Hetzereien gegen das gute Bürgertum benutzt“ (R 43 I /176 , Bl. 29-34, hier: Bl. 32). Für die Richtigkeit der Presseäußerung s. E. v. Salomon, Die Geächteten, S. 201 ff.

4

Dieser Vorfall scheint wesentlich ernster verlaufen zu sein; denn in einem anderen Bericht aus Frankfurt heißt es zu den Unruhen, die auf die Vorgänge an der Hauptwache am Kaiserplatz folgten: „Hierbei wurden nach Mitteilungen des Polizeipräsidenten Erler 3 französische Soldaten getötet und 1 Offizier durch einen Schuß schwer verletzt. Dieser Schuß durchschlug den Körper des Offiziers und tötete noch ein Kind“ (R 43 I /176 , Bl. 29-34, hier: Bl. 32).

5

S. hierzu auch Dok. Nr. 30, P. 10.

6

Demgegenüber hatte LegR Rieth aus Darmstadt an v. Prittwitz über die dortige Entwicklung mitgeteilt: „Die Franzosen sprechen von einer Besetzung von 3–4 Wochen“ (R 43 I /2271 , Bl. 57).

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