1.52 (vpa2p): Nr. 181 Sitzung der Kommissarischen Preußischen Staatsregierung vom 28./29. Oktober 1932, 23.15 Uhr

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 2Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 181
Sitzung der Kommissarischen Preußischen Staatsregierung vom 28./29. Oktober 1932, 23.15 Uhr

R 43 I /2288 , Bl. 283–286 Abschrift

Anwesend: v. Papen; RKomPrIMin. Bracht; StS Mussehl, Schleusener, Lammers, Hölscher, Scheidt, Nobis; MinDir. Marcks, Ernst, Landfried, Schütze, Loehrs; MinR Gritzbach, Neumann, Krauthausen; ORegR v. Carlowitz; LandR Gramsch; Protokoll: RegAss. Westerkamp.

Herr Reichskanzler von Papen eröffnete die Sitzung um 23.15 Uhr. Inhalt und Ergebnis der eingehenden Beratungen ist folgendermaßen festzustellen:

1. Dem vorliegenden Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung1 wird zugestimmt mit folgenden Maßgaben:

a)

zu § 4: Die Tierärztlichen Hochschulen werden statt dem Ministerium des Innern dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zugewiesen.

Herr Staatssekretär Mussehl gab seinen Widerspruch zu Protokoll2.

[…]3

[829] 2. Herr Staatssekretär Professor Dr. Scheidt stellte die Rechtsfrage, ob die Auflösung des Wohlfahrtsministeriums mit dem Urteil des Staatsgerichtshofs vereinbar sei, zur Erörterung.

Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht erklärte, daß nach dem Ergebnis eingehender Prüfung im Reichsinnen- und Preußischen Innenministerium diese Frage zu bejahen sei. Es handele sich um einen Ausfluß der Organisationsgewalt, die nicht zur Funktion der dem geschäftsführenden Staatsministerium vorbehaltenen „Vertretung“ im Sinne des Urteils des Staatsgerichtshofs gehöre, sondern unzweifelhaft der kommissarischen Staatsregierung zustehe. Dieser Auffassung stimmte Herr Staatssekretär Hölscher zu, der darauf hinwies, daß die Prüfung der Frage in dem Preußischen Justizministerium4 im wesentlichen[830] zu dem gleichen Ergebnis geführt habe, da die Auflösung des Wohlfahrtsministeriums in die dem geschäftsführenden Preußischen Staatsministeriums vom Staatsgerichtshof zuerkannten Rechte nicht eingreife.

Auf eine Frage des Herrn Staatssekretärs Schleusener wurde noch besonders festgestellt, daß die Eigenschaft des Herrn Volkswohlfahrtsministers als Staatsminister durch die Auflösung nicht berührt werde. Die Frage, inwieweit er zur „Vertretung“ in den bisherigen Zuständigkeiten des Wohlfahrtsministeriums berufen sei, sei eine Angelegenheit der Geschäftsverteilung innerhalb des geschäftsführenden Staatsministeriums. Widerspruch gegen diese Auffassung wurde nicht erhoben.

Herr Staatssekretär Professor Dr. Scheidt gab zu Protokoll, daß er sich der Stimme enthalte.

3. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Verordnungsentwurfs wurden noch folgende Beschlüsse gefaßt:

a)

Die Besetzung der Stellen der Regierungsdirektoren bei den Provinzialbehörden erfolgt durch das Staatsministerium.

b)

Der Minister des Innern hat dem Ministerpräsidenten vor Abgang zur Einverständniserklärung vorzulegen die Verfügungen über

1. die Ernennung,

2. die Versetzung,

3. die Versetzung in den Ruhestand

bei den Regierungsräten und Oberregierungsräten der allgemeinen und inneren Verwaltung.

[…]

4. Außerhalb der Tagesordnung brachte Herr Reichskommissar Dr. Ing. Bracht auf Wunsch des Reichskanzlers die Rechtslage hinsichtlich der vielbeobachteten Straßensammlungen zu politischen Zwecken zur Sprache. Danach bestehe nur die Möglichkeit, aus allgemeinen polizeilichen Gründen, z. B. zur Verhinderung einer durch die Sammlung entstehenden Verkehrsbehinderung, einzuschreiten. Eine weitergehende Rechtsgrundlage erscheine an sich erforderlich, könne aber nicht mehr in den letzten acht Tagen vor den Wahlen5 geschaffen werden. Zudem seien die Straßensammlungen nur ein Ausschnitt aus dem ganzen Fragenkreis der Beschaffung von Geldern für politische Zwecke. Unerträglich seien[831] z. B. die Zustände, nach denen Kaufleute unter dem Druck von Boykottdrohungen und sonstigen Terrormaßnahmen dazu angehalten werden, beträchtliche Summen für politische Parteien herzugeben. Die Frage bedürfe näherer Prüfung in Gemeinschaft mit dem Reichsministerium des Innern6.

Um 1 Uhr schloß Herr Reichskanzler von Papen die Sitzung.

Fußnoten

1

Der Entwurf befindet sich in GehStArch. Rep. 84 a/2056, Bl. 68–81. Seine Hauptbestimmung: Aufhebung des Ministeriums für Volkswohlfahrt, dessen Aufgaben und Zuständigkeiten auf andere pr. Ressorts übertragen werden sollten. Darüber hinaus sah der Entwurf eine Reihe von Zuständigkeitsverschiebungen zwischen den pr. Ministerien vor.

2

Zu den im VOEntwurf (§§ 3 und 4) vorgesehenen Vereinfachungen gehörte die Übertragung sämtlicher Fachhochschulen und Fachschulen auf das Kultusministerium, und zwar vom Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten u. a. die landwirtschaftlichen Hochschulen und Schulen, vom Ministerium für Handel und Gewerbe (nach § 4 des Entwurfs künftig: „Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr“) die Handelshochschulen sowie u. a. sämtliche Gewerbe- und Fachschulen für Frauenberufe. – Die Zuständigkeitsübertragungen stießen auf z. T. entschiedenen Widerspruch nicht nur von seiten der betroffenen Ressorts. Vgl. z. B. den Briefwechsel v. Winterfeld-Bracht vom 26./30.10.32 (Anm 2 zu Dok. Nr. 175). Gegen die Übertragung der Berliner Handelshochschule auf das Kultusministerium protestierte deren Rektor, Prof. Bonn, in einer Rede zur Immatrikulationsfeier am 31.10.32 („Berliner Tageblatt“ Nr. 517 vom gleichen Tage, Ausschnitt in GehStArch. Rep. 84 a/2056, Bl. 104).

3

Die hier noch folgenden Beschlüsse hatten Formulierungsfragen zum Gegenstand, berührten aber den sachlichen Inhalt der VO nicht. – Die VO wurde von der Kommissariatsregierung mit der Unterschrift „Preußisches Staatsministerium“ am 29. 10. erlassen (Pr. Gesetzsammlung, S. 333). – Gegen die VO nahm die PrStReg. Braun in einer öffentl. Erklärung am 29. 10. folgendermaßen Stellung: „1. Eine Verringerung der Zahl der preußischen Ministerien war von der Preußischen Staatsregierung für den August dieses Jahres in Aussicht genommen; an der Durchführung dieser Pläne ist sie durch die Einsetzung des Reichskommissars am 20. Juli verhindert worden. Trotz der Bereitschaft der Staatsregierung zu einer Verständigung über diese Frage haben die Reichsregierung und der Reichskommissar die heutige Verordnung ohne Fühlungnahme mit der Staatsregierung erlassen. Die betreffende Nummer der Preußischen Gesetzsammlung wurde zur gleichen Zeit ausgedruckt, in der die Unterhaltung zwischen dem Reichskanzler und dem Ministerpräsidenten Braun beim Reichspräsidenten [vgl. Dok. Nr. 182] stattfand. Damit hat die Reichsregierung nach Auffassung der Preußischen Staatsregierung nicht nur die vom Staatsgerichtshof ausdrücklich gewünschte loyale Zusammenarbeit mit der Staatsregierung außer Acht gelassen, sondern in ein Hoheitsrecht der Preußischen Staatsregierung eingegriffen, nämlich in das früher dem Träger der Krone zustehende Organisationsrecht hinsichtlich der Bestimmung der preußischen Ministerien. Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist ein solches Vorgehen des Reichskommissars keineswegs erforderlich. 2. Der Reichskommissar hat die Verordnung auf Grund der sogenannten Dietramszeller Ermächtigungsverordnung des Reichspräsidenten vom 24.8.31 [vgl. Anm 7 zu Dok. Nr. 17] erlassen. Diese Verordnung gibt aber nicht dem Reichskommissar, sondern ‚der Landesregierung‘ das Recht, Notverordnungen zu erlassen. Nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs ist die Landesregierung nur die Preußische Staatsregierung. Wie es in den Gründen der Entscheidung wirklich heißt, kann ‚an die Stelle der Landesregierung kein anderes Organ gesetzt werden‘. Es war daher auch aus diesem Grunde unzulässig, die Verordnung auf Grund der Dietramszeller Verordnung, noch dazu mit der Unterschrift ‚Preußisches Staatsministerium‘ zu erlassen.“ („Berliner Tageblatt“ Nr. 516 vom 30.10.32, Ausschnitt in GehStArch. Rep. 84 a/2056, Bl. 103).

4

Das Ergebnis dieser Prüfung war von der Abt. III des PrJMin. in einer Ausarbeitung (27. 10.) niedergelegt worden, deren Inhalt von StS Hölscher in obiger Sitzung (s. seinen handschr. Vermerk in GehStArch. Rep. 84 a/2056, Bl. 67) „vorgetragen“ wurde. Die Ausarbeitung hatte folgenden Wortlaut: „Die Entscheidung dieser Frage ist zweifelhaft. Man kann folgende Auffassungen vertreten: a) Der Staatsgerichtshof hält es im Hinblick auf Art. 17 RV für unzulässig, einen Reichskommissar als Landesregierung einzusetzen und die verfassungsmäßig bestellten Minister ihrer Ämter zu entheben, weil Art. 17 RV jedem Lande den Bestand einer aus dem Lande hervorgehenden eigenen Landesregierung gewährleistet. Die Aufhebung des Volkswohlfahrtsministeriums als Behörde beeinträchtigt aber den Bestand der Landesregierung nicht. Auch nach Aufhebung des Volkswohlfahrtsministeriums bleibt der jetzige Volkswohlfahrtsminister noch Staatsminister. Die Landesregierung erleidet also keine Veränderung in ihrem Bestande. Insbesondere scheidet kein Minister aus der Landesregierung aus oder wird durch einen Reichskommissar ersetzt. Es handelt sich lediglich um eine Verwaltungsmaßnahme. Ebenso wie das alte Staatsministerium ohne Verletzung des Art. 17 RV die Auflösung eines Ministeriums beschließen konnte, kann dies auch die kommissarische Regierung. Der seines Ressorts entkleidete Minister behält auch in Zukunft die Vertretungsbefugnis in dem vom Staatsgerichtshof festgelegten Umfange. Tatsächlich mögen sich wegen der Auflösung des Ressorts hierbei Schwierigkeiten ergeben; diese tatsächliche Folge der Ressortauflösung berührt jedoch die rechtliche Beurteilung nicht. b) Die zweite Auffassung geht dahin: Nach der vom Staatsgerichtshof gegebenen Auslegung des Art. 17 RV ist es schlechterdings unzulässig, einen verfassungsmäßig bestellten Minister seines Amtes zu entheben und den Bestand der Landesregierung anzutasten. Die Auflösung des Volkswohlfahrtsministeriums bedeutet aber nicht nur die Auflösung einer Behörde, sondern auch die Beseitigung eines Ressorts. Der Volkswohlfahrtsminister wird also durch die Auflösung seines Ministeriums von seinem Amte als Ressortminister enthoben. Die Landesregierung bleibt mithin in ihrem Bestande nicht unverändert. Ob der Volkswohlfahrtsminister noch Staatsminister bleibt, ist dabei unerheblich. Selbst wenn ihm die Vertretung der zu seinem früheren Ressort gehörenden Angelegenheiten gegenüber dem Landtag usw. verbleiben sollte, hat er diese Vertretung doch nicht mehr als Ressortminister; denn eine Aufrechterhaltung des Ressorts insoweit kann wohl nicht in Frage kommen. Überdies hat die Beseitigung des Ressorts dauernden Charakter, während den Ministern nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs auf Grund des Art. 48 Abs. 2 RV nur vorübergehend Amtsbefugnisse entzogen werden dürfen.“ (Ebd., Bl. 66–67).

5

Reichstagswahl vom 6.11.32.

6

Hierzu nichts ermittelt.

Extras (Fußzeile):