2.36 (vsc1p): Nr. 36 Rundfunkrede des Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung Gereke. 23. Dezember 1932

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Nr. 36
Rundfunkrede des Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung Gereke. 23. Dezember 1932

R 43 II /539 , Bl. 23–24a Druck1

[Sofortprogramm zur Arbeitsbeschaffung.]

Der Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung Dr. Gereke hielt Freitag abend im Rundfunk eine Rede, die über alle deutschen Sender verbreitet wurde. Er führte u. a. aus:

Immer klarer hat sich in diesem Jahre herausgestellt, daß wir zu außergewöhnlichen Mitteln greifen müssen, um die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. Dazu zwingt uns ebenso das Elend der Erwerbslosen, wie[157] die Notlage der privaten Wirtschaft. Die Ausgaben für die gesamte Arbeitslosenfürsorge sind auf mehr als drei Milliarden Mark im Jahr gestiegen. Sie haben die Haushalte der öffentlichen Körperschaften auf das Stärkste erschüttert, denn diese Mehrausgaben mußten besonders verhängnisvoll wirken, weil infolge des Schrumpfungsprozesses der Wirtschaft die Steuereinnahmen ständig zurückgegangen sind. Sinkenden Einnahmen der öffentlichen Körperschaften stehen steigende zwangsläufige soziale Ausgaben gegenüber. Um den Zusammenbruch der öffentlichen Haushalte zu verhindern, sind infolgedessen überall einschneidende Abstriche auf der Ausgabenseite vorgenommen: Von 1929 bis 1932 hat sich der Gesamtbetrag der öffentlichen Haushalte von 20,8 Milliarden Mark auf 14,8 Milliarden Mark vermindert! Von dem Unterschied entfällt aber ein sehr erheblicher Teil, und zwar mehr als die Hälfte, auf die Sachausgaben der öffentlichen Hand, und das bedeutet wiederum, daß auch die private Wirtschaft entsprechend weniger Aufträge von der öffentlichen Hand bekommen hat. Dadurch ist die Arbeitslosigkeit weitergestiegen, die Steuereingänge sind zurückgegangen, die sozialen Lasten haben sich erhöht. Aus diesem verhängnisvollen Kreislauf müssen wir herauskommen.

Der Herr Reichspräsident von Hindenburg hat bereits bei der Berufung der Regierung von Papen dieser zur Pflicht gemacht, Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durchzuführen. Er hat in seiner Neudecker Botschaft2 betont, daß diese Maßnahmen die Lebenshaltung der deutschen Arbeiterschaft gewährleisten und dem sozialen Frieden dienen müssen. Aus der Rundfunkrede des Herrn Reichskanzlers von Schleicher3 wissen Sie, daß er als Hauptpunkt seines Programms bezeichnet hat: „Arbeit schaffen!“. Das bedeutet, daß das im Sommer begonnene Werk der Wiederbelebung der Wirtschaft und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgebaut und ergänzt werden muß. Um eine beschleunigte und nach einheitlichen Richtlinien erfolgende Arbeitsbeschaffung zu ermöglichen, hat der Herr Reichspräsident einen besonderen Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung berufen. Ich bin mir der ungeheuren Verantwortung wohl bewußt, die ich mit der Übernahme dieses Postens auf mich genommen habe. Wenn ich nicht den festen Glauben an die Leistungsfähigkeit und den Selbstbehauptungswillen des deutschen Volkes hätte, der sich in der Geschichte immer wieder gezeigt hat, würde ich diese Verantwortung nicht auf mich nehmen können.

Es ist nach meiner Ernennung in der Öffentlichkeit eine lebhafte Auseinandersetzung darüber gewesen, was denn nun so ein Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung tun soll4. Der Herr Reichskanzler hat in seiner Rundfunkrede meinen Auftrag dahin erläutert, daß er das volkstümliche Bild vom „Schäferhund“ gebrauchte, der wachsam alle Arbeitsmöglichkeiten aufspüren und alle[158] Beteiligten zur beschleunigten Arbeit anhalten soll. Wohlmeinende Kritiker haben daraufhin erklärt, es sei vielleicht besser, wenn der Schäferhund etwas an die Leine genommen würde und sogar einen Beißkorb erhielte, damit er sich nicht allzusehr tummeln könne. Nun, meine verehrten Hörerinnen und Hörer, ich bin gerade der Meinung, daß ich im Interesse der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mich recht tummeln muß, um alle Schwierigkeiten zu überwinden, die mir manchmal von freundlichen Mitmenschen in den Weg gestellt werden.

Nun, meine verehrten Damen und Herren, ist Ihnen ja allen bekannt, daß das September-Programm der früheren Reichsregierung eine Entlastung der Wirtschaft und daraus folgend eine Belebung erstrebt mit Steuergutscheinen. Außerdem war damals schon ein öffentliches Arbeitsbeschaffungsprogramm vorgesehen5. Und es wird jetzt eine der vordringlichsten Aufgaben sein, daß die bisher geplanten und eingeleiteten Arbeiten beschleunigt durchgeführt werden. Das sind zunächst die Arbeiten mit einem Aufwand von 342 Millionen Mark, die in der Hauptsache für Land- und Wasserstraßen, landwirtschaftliche Meliorationen und für einige andere Zwecke, dienen. Nebenher laufen die öffentlichen Notstandsarbeiten sowie die Sonderprogramme der Reichsbahn in Höhe von 280 Millionen Mark und der Reichspost in Höhe von 60 Millionen Mark. Außerdem wird der freiwillige Arbeitsdienst, der Anfang Dezember 285 000 Arbeitsdienstwillige beschäftigte, auch in den Wintermonaten im Rahmen des Möglichen weitergeführt werden.

Für vorstädtische Kleinsiedlungen und die Schaffung von Kleingärten sind in diesem Jahre 73 Millionen bereitgestellt und damit über 26 000 Siedlerstellen und über 74 000 Kleingärten geschaffen worden. Weitere 10 Millionen gelangen jetzt zur Verteilung und das Ziel ist, übersetzte Industriezentren aufzulockern und die bevölkerungspolitisch notwendige Umschichtung und Hinführung zum Lande zu fördern. Dabei denke ich an eine nebenberufliche Landsiedlung, die den Siedler befähigt, seinen Lebensunterhalt zum Teil aus seiner Lohnarbeit, zum anderen Teil aus seiner eigenen Scholle zu gewinnen. Diesem Ziele, möglichst viel[e] Dauerexistenzen zu schaffen, muß auch die verstärkte bäuerliche Siedlung dienen. Der Herr Reichskanzler hat ja in seiner Rundfunkrede bereits betont, welchen Wert die Reichsregierung auf die energische, beschleunigte Förderung der Siedlung legt. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, daß gerade auch im Interesse der Siedler und zwar der alten wie der neuen, alles getan werden muß, um die Rentabilität unserer schwer leidenden Landwirtschaft wiederherzustellen. Ich werde deshalb nach Kräften alle Maßnahmen unterstützen, die zur Erleichterung der Lage der Landwirtschaft führen, und ich glaube, daß ich dieser Aufgabe am besten damit dienen kann, daß ich bemüht bin, möglichst viele Erwerbslose wieder in dauernde Arbeit zu bringen und damit die Kaufkraft der Massen zu heben; jene unerläßliche Voraussetzung für die Verbesserung des Absatzes der Erzeugnisse von Landwirtschaft und Industrie.

[159] Auf Grund eines Beschlusses der Reichsregierung sind ferner noch zur Förderung des Eigenheimbaues in den Haushaltsjahren 1933/34 20 Millionen bereitgestellt worden, aus denen schon jetzt kleine Hypotheken zum Bau von Eigenheimen zugesagt werden können. Bei einem durchschnittlichen Darlehen von 1500 Mark werden etwa 13 000 Eigenheime gefördert. Durch den Zwang für den Bauherrn, die übrigen Kosten selbst zu tragen, wird ein Arbeitseffekt von rund 100 Millionen Mark erzielt. Um für Handwerk und Baugewerbe auch in den Wintermonaten weitere Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, werden die vom Reichsarbeitsministerium im September eingeleiteten Maßnahmen zur Instandsetzung von Wohngebäuden, Teilung von Wohnungen, Umbau gewerblicher Räume zu Wohnungen weitergefördert. Da über die bisherigen Reichszuschüsse in Höhe von 50 Millionen Mark in kurzer Zeit verfügt ist, habe ich sichergestellt, daß zunächst mindestens weitere 50 Millionen bereitgestellt werden6. Die Bestimmungen werden so gefaßt, daß die Arbeiten sofort einsetzen, wobei entsprechend der Jahreszeit die Innenarbeiten bevorzugt werden. Da der Hausbesitzer das Mehrfache des Reichszuschusses aus eigenem beitragen muß, wird auch hier der tatsächliche Arbeitseffekt vervielfältigt.

Nun aber, meine Damen und Herren, den Kern des von mir seit längerem vorgeschlagenen öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogramms.

Sie wissen, daß ich seit langem dafür eingetreten bin, eine möglichst umfassende Arbeitsbeschaffung durch die öffentliche Hand zu erreichen. Dabei bin ich von der Voraussetzung ausgegangen, daß es in einer so tiefgehenden Krise, wie der heutigen, nicht möglich sein wird, allein von der Privatinitiative her die Schwierigkeiten zu lösen. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß ein sehr namhafter Teil unserer Privatwirtschaft vornehmlich auf die Annahme und Durchführung von Arbeiten angewiesen ist, die von jeher von der öffentlichen Hand finanziert worden sind. Ich wies bereits darauf hin, wie stark die Ausgaben der öffentlichen Haushalte gekürzt worden sind. Gelingt es nicht, die[160] öffentlichen Arbeiten wenigstens teilweise wieder durchzuführen, dann werden wesentliche Zweige der Privatwirtschaft ohne Aufträge bleiben. Es besteht also keinerlei Gegensatz zwischen einem öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogramm und den Interessen der Privatwirtschaft; im Gegenteil, gerade die Privatwirtschaft muß das größte Interesse haben, wie früher von dem größten Auftraggeber, nämlich der öffentlichen Hand, wieder Aufträge zu erhalten. Jeder Anreiz zur Produktionssteigerung kann sich jedoch nur dann auswirken, wenn die wichtigste Frage, nämlich die des Absatzes, positiv geklärt ist. Gerade in Krisenzeiten wie den heutigen, ist es meines Erachtens Pflicht der öffentlichen Hand, der Privatwirtschaft auch durch Arbeitsaufträge neben der notwendigen steuerlichen Entlastung jede nur mögliche Unterstützung angedeihen zu lassen.

Auf diesem Grundsatz baut sich mein Programm auf. Dabei möchte ich vorausschicken, daß es im Augenblick nicht darauf ankommt, einen festen Plan auf Jahre hinaus festzulegen, wie es vielfach in der Öffentlichkeit gewünscht wird, sondern ganz real und nüchtern alle vorhandenen Möglichkeiten für den Augenblick auszuschöpfen. Die Not ist so groß, daß die mit der Festlegung eines solchen Planes unweigerlich verbundene Hinauszögerung des Beginns der öffentlichen Arbeiten nicht verantwortet werden kann. Daher bitte ich, meine weiteren Ausführungen unter dem Gesichtspunkt des Sofortprogramms zu betrachten, das zunächst einmal mit größter Beschleunigung durchgeführt werden muß. An der Auswirkung dieses Sofortprogramms werden sich später die entsprechenden Schlüsse um so leichter ziehen lassen.

Nach diesem Sofortprogramm erhalten Träger öffentlicher Arbeiten zunächst bis 500 Millionen RM Darlehen7. Die Durchführungsbestimmungen werden in Kürze veröffentlicht8. Die Finanzierung dieser Summe ist gesichert. Die Reichsbank hat die vorgeschlagene Finanzierung gebilligt. Die Sicherheit der Währung ist auch für mich selbstverständliche Voraussetzung für jede Arbeitsbeschaffung. Als Darlehnsgeber sind die Gesellschaft für öffentliche Arbeiten und die Rentenbankkreditanstalt vorgesehen. Träger der Arbeit können zunächst nur Reich, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie gemischtwirtschaftliche Versorgungsbetriebe sein.

So sehr ich Wert darauf lege, daß die Arbeitsbeschaffung zentral überwacht wird, so sehr verfolge ich andererseits den Grundsatz gesunder Dezentralisation bei der Auswahl der Arbeitsprojekte. Alle öffentlichen Körperschaften sollen von sich aus die Initiative ergreifen und beschließen, welche Arbeiten sie für vordringlich und unentbehrlich halten. Die Laufzeit der Darlehen soll der voraussichtlichen Lebensdauer der zu erstellenden Anlagen angepaßt werden. Die Darlehen sind von den Darlehnsnehmern in gleichen Raten zu tilgen. Bei einer Tilgungszeit von beispielsweise 20 Jahren beträgt die Rente jährlich 6 Prozent des Darlehns. Bei längerer oder kürzerer Tilgungszeit tritt eine entsprechende Verminderung oder Erhöhung der Rente ein. Damit ist erreicht, daß[161] die Träger der Arbeit außer der Rückzahlung des Darlehns nur einen in der Rente enthaltenen Beitrag leisten, den man als Abgeltung für Verwaltungsunkosten ansehen kann. Die übrigen Kosten des Kapitaldienstes trägt das Reich. Außerdem werden noch zwei Freijahre vorgesehen, die in Ausnahmefällen um ein Jahr zugestanden werden. Für werbende Anlagen, z. B. Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke und dergl., werden dagegen die Kreditbedingungen so gestaltet, daß die Träger die normalen Zins- und Tilgungslasten aufzubringen haben.

Sämtliche Arbeiten müssen volkswirtschaftlich wertvoll und notwendig sein. Sie müssen auch möglichst im Laufe des Jahres 1933 beendet werden und vorwiegend der Instandsetzung und Verbesserung vorhandener Anlagen dienen, das schließt nicht aus, daß andere Arbeiten von dem durch das Reich eingesetzten Kreditausschuß zugelassen werden können. Es muß sich insbesondere um Arbeiten handeln, die von den Trägern bereits vorgesehen waren, aber aus Mangel an Geldmitteln bisher nicht ausgeführt werden konnten und auch in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht ausgeführt werden können. Es muß daher festgestellt werden, daß der Träger der Arbeit nicht aus eigener Leistungsfähigkeit in der Lage ist, die Arbeit zu finanzieren. Ist er hierzu teilweise in der Lage, so kann ihm für den Rest ein entsprechendes Darlehen gewährt werden. Luxusbauten und volkswirtschaftlich sinnlose Anlagen kommen für mich überhaupt nicht in Frage.

Ich gebe ja ohne weiteres zu, daß in den ersten Jahren nach der Stabilisierung der Mark die öffentliche Hand an manchen Stellen Investitionen vorgenommen hat, die volkswirtschaftlich nicht unbedingt notwendig, ja sogar verfehlt waren, noch dazu, wenn sie auf Grund teurer Auslandsanleihen gemacht wurden. Es ist aber gerade einer der Grundgedanken meines Programms, durch Überwachung der öffentlichen Arbeitsbeschaffung solche Fehlinvestitionen auszuschließen.

Die Vergebung der Arbeiten soll auch grundsätzlich an Unternehmer erfolgen, wobei die Vergebung der Arbeiten an Generalunternehmer möglichst auszuschalten ist. Die mittleren und kleineren Betriebe in Handwerk und Gewerbe sind ausreichend zu berücksichtigen und eine Schwarzarbeit muß unterbunden werden. Im Rahmen des technisch Vertretbaren soll auch menschliche Arbeitskraft den Vorrang vor der Maschine haben. Außerdeutsche Baustoffe dürfen nur verwendet werden, wenn geeignete inländische Baustoffe nicht beschafft werden können, eine Selbstverständlichkeit für mich. Bei Neueinstellungen dürfen nur inländische Erwerbslose berücksichtigt werden, die durch die Arbeitsämter vermittelt werden. Vornehmlich sollen langfristig erwerbslose Familienernährer, vor allem kinderreiche, berücksichtigt werden. Die bei den Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer sind zu den geltenden Tarifsätzen zu entlohnen. Um möglichst vielen Deutschen Arbeit schaffen zu können, soll die Arbeitszeit 40 Stunden wöchentlich nicht überschreiten.

Sehr ernster Prüfung bedarf selbstverständlich die Frage, wie weit insbesondere die Gemeinden bei ihrer schwierigen Finanzlage überhaupt Anleihen aufnehmen und tilgen können. Die Bedingungen für die einzelnen Kredite müssen deshalb so gestaltet werden, daß sie auch den in schwerster Bedrängnis[162] befindlichen Kommunen die Möglichkeit geben, im Interesse der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Kredite aufzunehmen.

Wenn allerdings von der anderen Seite oft jetzt erklärt wird, erst müsse eine Sanierung der Haushalte erfolgen, müsse ein gerechter Finanz- und Lastenausgleich da sein, müsse die Umschuldung durchgeführt sein, dann glaube ich allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir in der heutigen Not der Arbeitslosen gar nicht warten können, bis all das durchgeführt ist. Wir müssen im Gegenteil im Rahmen dieses Arbeitsbeschaffungsprogramms durch entsprechende Maßnahmen die Wohlfahrtsausgaben der Gemeinden herabdrücken durch Schaffung von Lohn und Brot für die Arbeitslosen, damit die Gemeinden in die Lage kommen, einen Haushaltsplan aufzustellen, in dem der heutige Unsicherheitsfaktor der zwangsläufigen Wohlfahrtsausgaben möglichst ausgeschaltet und so der Weg zur Umschuldung frei wird. Ich weiß, daß zur Erreichung dieses Zieles auch noch andere Maßnahmen ergriffen werden müssen, die aber in die heutige Betrachtung nicht hineingehören.

Meine verehrten Damen und Herren! Ich bin mir wohl bewußt, daß man gegen das soeben skizzierte Programm Bedenken geltend machen kann. Mit der negativen Kritik kommen wir aber nicht weiter. Ich habe die dringende Bitte an alle Deutschen, daß jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten mithilft, unser deutsches Schicksalsproblem zu lösen. Wie schaffen wir Arbeit und Brot, wie erlösen wir Millionen von dem Fluch der Arbeitslosigkeit, wie machen wir sie wieder zu frohen Menschen, die nicht zur Untätigkeit verdammt sind und der Verzweiflung anheimfallen? Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ja nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ebenso ein staatspolitisches und soziales Problem. Sie bietet vielleicht die zur Zeit noch einzig vorhandene Möglichkeit zur Milderung der ungeheuren sozialen Spannungen, und sie kann wohl allein nur noch die Grundlage schaffen, von der aus man das von dem Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg erstrebte Ziel erreicht: Sicherung des sozialen Friedens und Schaffung einer deutschen Volksgemeinschaft.

Arbeit schaffen bedeutet Vertrauen schaffen. Wir brauchen beides, Arbeit und Vertrauen. Ich weiß, daß dieses Weihnachtsfest, vor dem wir stehen, für viele Millionen Deutsche kein Fest der Freude und des Lichterglanzes sein kann, daß alle Gedanken des Friedens und der Versöhnung, des Glaubens und der Hoffnung nur schwer ihren Einzug halten können. Aber gerade deshalb werde ich, mögen die Hindernisse auch noch so groß sein, alles daran setzen, daß eine große Offensive gegen die Arbeitslosigkeit beginnen kann, damit uns alle nicht nur die Hoffnung, sondern der feste Glaube an die deutsche Zukunft erfüllt!

Fußnoten

1

Der Abdruck folgt der zu den Akten genommenen WTB-Nr. 2739, Erste Nachtausgabe vom 23.12.1932. Tonaufnahme im Dt. Rundfunkarchiv, Frankfurt a. M., Nr. C 910. – In seinen Memoiren geht Gereke nur floskelhaft auf diese Rede ein: Er habe auf Weisung des RK „die übliche Weihnachtsrede für die Reichsregierung halten“ müssen (Günther Gereke: Ich war königlich-preußischer Landrat. S. 218).

2

Gemeint ist wohl das Kommuniqué, das über den Empfang von RK v. Papen, RWeM v. Schleicher und RIM v. Gayl durch den RPräs. in Neudeck am 30.8.1932 veröffentlicht worden war (s. diese Edition: Das Kabinett v. Papen).

3

Siehe Dok. Nr. 25.

4

Zahlreiche Presseausschnitte dazu, auch über die Haltung der Rbk zu den Absichten Gerekes, sein ursprüngliches Arbeitsbeschaffungsprogramm zu finanzieren, im Nachl. Luther , Bde. 351 und 352.

5

Einzelheiten, auch zum folgenden, s. Dok. Nr. 3, insbesondere Anm. 5.

6

Um Hausbesitzern die Aufbringung der für derartige Arbeiten erforderlichen Beträge zu erleichtern, war der RArbM durch die VO des RPräs. vom 14.6.32 (RGBl. I, S. 273 , 284) zur Übernahme der Reichsbürgschaft für entsprechende Darlehen ermächtigt worden. Zusätzlich war im Rahmen des sog. Papenprogramms die Bereitstellung von 50 Mio RM zur Finanzierung von Zinszuschüssen vorgesehen (RGBl. 1932, I. S. 425, 428). Die Bereitstellung weiterer 50 Mio RM war zum Zeitpunkt der Gereke-Rede noch nicht gesichert: Die grundsätzlich zustimmende Stellungnahme des RFM in der Sitzung des Arbeitsbeschaffungsausschusses vom 21. 12. (s. Dok. Nr. 34) hatte der RArbM sofort zu einer eingehenden Darlegung aller Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus usw. genutzt und auf die bevorstehende Erschöpfung der dafür vorgesehenen Mittel hingewiesen (Der RArbM an den RFM, 23.12.32; R 43 I /2046 , Bl. 141–144). In seinem Antwortschreiben bestätigt der RFM seine frühere Zusage. Gleichzeitig schränkt er allerdings ein, daß der Beschluß, zur Fortsetzung der Instandsetzungsmaßnahmen weitere 50 Mio RM bereitzustellen, nicht so aufzufassen sei, daß die Mittel aus dem Reichshaushalt – weder für 1932 noch für 1933 – fließen könnten, „da eine Deckung für diese Ausgabe nicht vorhanden ist und nicht beschafft werden kann“. Er schlägt vor, die Mittel für Instandsetzungsarbeiten usw. sowie für vorstädtische Kleinsiedlungen im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms unter Verwendung der Steuergutscheine zu beschaffen und die für das kommende Rechnungsjahr 1933 vorgesehenen 20 Mio RM zur Förderung des Eigenheimbaus „als einmalige Aktion anzusehen“, deren Mittel, durch Reichsbürgschaften abgesichert, bei der Reichsversicherungsanstalt und privaten Versicherungsunternehmen beschafft werden sollten (Der RFM an den RArbM, 31.12.32; R 43 I /2046 , Bl. 185 f.). – Zur Klärung der Finanzierungsfrage s. Dok. Nr. 67, P. 2.

7

Einzelheiten, auch zum Folgenden, s. Dok. Nr. 32 und 34.

8

Vgl. Dok. Nr. 44.

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