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Text

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[Anlage.]

I.

Die Preußische Staatsregierung beantragt in erster Linie:

1.

Aufhebung der Verordnung vom 20. Juli 1932, weil die besonderen Umstände, die nach der Ansicht des Staatsgerichtshofs am 20. Juli („in jenem Zeitpunkt“) weitgehende Maßnahmen gerechtfertigt erscheinen lassen konnten, mindestens jetzt nicht mehr vorliegen, auch sonst die Voraussetzungen des Artikel 48 Abs. 2 nicht mehr gegeben sind und der Wunsch, eine politische Einheit zwischen Reich und Preußen herbeizuführen, für sich allein die Anwendung des Artikels 48 nicht rechtfertigt, sondern auf anderen Wegen verfolgt werden muß.

2.

[135] Eventuell Beschränkung auf diejenigen Maßnahmen, die mit der Aufgabe der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung unmittelbar zusammenhängen, unter gleichmäßiger Behandlung der anderen Länder, mindestens Norddeutschlands.5

II.

Unbeschadet dieser weitergehenden Anträge erhebt die Preußische Staatsregierung folgende Forderungen, auf deren Erfüllung sie nach ihrer Ansicht auf Grund der Entscheidung des Staatsgerichtshofs einen rechtlichen Anspruch hat:

1.

Änderung der Verordnung vom 20. Juli 1932, soweit der Wortlaut nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs mit der Reichsverfassung nicht in Einklang steht, insbesondere: Streichung des Hinweises auf Artikel 48 Abs. 1; Streichung des Satzes „Er ist in dieser Eigenschaft ermächtigt, die Mitglieder des Preußischen Staatsministeriums ihres Amtes zu entheben“; Ersetzung der folgenden Sätze durch eine der Gerichtsentscheidung entsprechende Fassung6.

2.

Zurverfügungstellung der alten Arbeitsräume im Dienstgebäude Wilhelmstraße 63, mindestens aber des Gebäudes Wilhelmstraße 64, für den Ministerpräsidenten, sowie der Arbeitsräume im ersten Stock oder im Erdgeschoß des Dienstgebäudes Unter den Linden 73 für den Minister des Innern. Vergl. die Ausführungen eines der Richter des Staatsgerichtshofes, Reichsgerichtsrat Schwalb, im Reichsverwaltungsblatt vom 26. November 1932, S. 491 ff. unter Nr. 6 (S. 943)7.

3.

Anerkennung des Rechtes der Preußischen Staatsregierung, ihre Erlasse, Verfügungen usw. im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger und den übrigen Publikationsorganen der Länderregierung nach eigenem Ermessen ohne vorherige Zensur zu veröffentlichen, unbeschadet des Rechts des Reichskommissars, gegen wirkliche oder vermeintliche Übergriffe, welche die Staatsregierung selbstverständlich zu vermeiden suchen wird, Vorstellungen zu erheben und nötigenfalls Gegenmaßnahmen zu treffen.

4.

[136] Anerkennung des Rechts der Preußischen Staatsregierung, selbständig und nach eigenem Ermessen unter ausschließlicher Verantwortung gegenüber dem Landtag und Staatsrat über die erforderlichen personellen, sachlichen und finanziellen Hilfsmittel für ihre Aufgaben zu verfügen. Zu vergl. Schwalb, a.a.O.

5.

Unterlassung jeder irreführenden Bezeichnung der Reichskommissare und ihrer Amtshandlungen, die geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, als ob es sich um Mitglieder der Preußischen Staatsregierung, Preußische Minister, preußische Dienststellen oder Ersatzorgane für sie handele; insbesondere Unterlassung von Amtshandlungen „im Namen der Landesregierung“ oder der „kommissarischen Landesregierung“, Unterlassung der Veröffentlichung von Erlassen in den Ministerialamtsblättern unter irreführender Bezeichnung, Unterlassung der Herausgabe eines „Amtlichen preußischen Pressedienstes“ usw.

Hierher gehört auch die Wiederaufhebung der Ziffer 1 des Erlasses des Herrn Reichspräsidenten vom 18. November 19328 über die Verwendung von Kopfbögen mit der Bezeichnung „Der Preußische Ministerpräsident“ oder „Der Preußische . . . . Minister“, die nach Ansicht der Preußischen Staatsregierung mit der Reichsverfassung nach den Grundsätzen der Firmenwahrheit nicht in Einklang steht. Zu vergl. Schwalb, a.a.O. unter Nr. 2. In diesem Sinne haben sich auch der Staatsrat und der Landtag ausgesprochen9.

6.

[137] Herausgabe des großen preußischen Staatssiegels zur Verfügung des Preußischen Staatsministeriums, Unterlassung der Verwendung durch die Reichskommissare. Ebenso Unterlassung der Verwendung anderer preußischer Hoheitszeichen, die nach ihrer Natur oder nach der Art der Verwendung bestimmt oder geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, daß es sich um Akte der Staatsregierung handelt.

7.

Anerkennung des Begnadigungsrechts der Preußischen Staatsregierung10. Die hier über die Rechtslage bestehenden Zweifel können nicht dadurch beseitigt werden, daß die Preußische Staatsregierung auf die Ausübung des Gnadenrechts verzichtet, denn das Gnadenrecht ist, wenn es unübertragbar ist, auch nicht im Wege des Verzichts übertragbar. Die Zweifel können aber umgekehrt sofort dadurch beseitigt werden, daß das Reich davon absieht, das Begnadigungsrecht für Kommissare in Anspruch zu nehmen. Die Staatsregierung wird das Begnadigungsrecht mit der gleichen Sorgfalt ausüben, wie sie es stets getan hat. Daß ihr das Begnadigungsrecht zusteht, hat auch der Staatsrat angenommen.

8.

Anerkennung, daß die Preußische Staatsregierung berechtigt und verpflichtet ist, selbständig und unter eigener Verantwortung den Staatshaushalt für 1933 aufzustellen und dem Landtage vorzulegen. Hierüber ist ein besonderes Schreiben ergangen11.

9.

Laufende Unterrichtung der Staatsregierung über alle Geschäfte, und zwar bereits im vorbereitenden Stadium, damit die Staatsregierung insbesondere ihre Aufgaben gegenüber Staatsrat und Landtag erfüllen kann. Auch hierüber ist ein besonderes Schreiben ergangen12.

10.

Unterlassung der Öffnung von Briefen, die an den Preußischen Ministerpräsidenten oder das Preußische Staatsministerium oder den Preußischen Minister des Innern gerichtet sind, vorbehaltlich der Einigung über eine Öffnung der Briefe durch ein gemeinsames Büro nach Erfüllung der Forderung zu II 2. Jede andere Handhabung bedeutet nach Ansicht der Staatsregierung Verletzung des Briefgeheimnisses13.

Außerdem nimmt die Staatsregierung in Übereinstimmung mit dem Staatsrat an, daß Ziffer 2 des Erlasses vom 18. November 1932, wonach das Verordnungsrecht nur den Reichskommissaren zustehen soll, nicht in vollem Umfange mit der Rechtslage vereinbar ist, z. B. soweit es sich um Artikel 55 der Preußischen Verfassung handelt14.

[138] Sollten diese Ansprüche, nachdem bereits zwei Monate seit der Entscheidung des Staatsgerichtshofs verstrichen sind, nicht anerkannt werden, so würde sich die Staatsregierung zu ihrem Bedauern genötigt sehen, nochmals die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anzurufen.15

Berlin den 20. Dezember 1932.

Fußnoten

5

Die in Abs. 1 und 2 erhobenen Forderungen sind in engem Zusammenhang mit den von MinDir. Brecht entwickelten Reichsreformplänen der PrStReg. vom 9. bzw. 28.12.1932 zu sehen (Dok. Nr. 14 und 38).

6

Vgl. dazu den in Dok. Nr. 4, Anm. 1 zit. Tenor des Urteils.

7

Unter dem Titel „Zur Durchführung des Staatsgerichtshofsurteils in der Preußensache“ hatte sich der an der Entscheidung beteiligte, inzwischen aber in den Ruhestand getretene Schwalb zu Versuchen der RReg. geäußert, die ihr unangenehmen Teile des Urteils zu umgehen. Er ging dabei von folgender Feststellung aus: „Gegen das Urteil des StGH wird vielfach geltend gemacht, es habe die Mißstände, die sich aus dem Nebeneinander zweier selbständiger Regierungen des Reichs und Preußens ergeben und die die Reichsregierung im Juli durch die Einsetzung eines Reichskommissars (RKom.) in Preußen, wenigstens vorübergehend, habe beseitigen wollen, noch gesteigert, indem es neben der ‚Kommissarischen Landesregierung‘ das alte Staatsministerium (StMin.) wieder eingesetzt, den Dualismus zu einem Trialismus gemacht habe. Wären nach dem Urteil in der Tat neben der Reichsregierung zwei preußische Landesregierungen anzuerkennen, so wäre diese Dreiheit nicht vom StGH geschaffen, der nur die Bedeutung der VO vom 20. Juli 1932 innerhalb der Schranken der Verfassung festzustellen hatte und festgestellt hat, sondern von der Reichsregierung, die die Verantwortung für den Erlaß der VO trägt.

Aber der angebliche Trialismus besteht nach dem Urteil des StGH, wenn es richtig verstanden wird, in Wirklichkeit nicht. Er wäre vorhanden, wenn der RKom. und seine Unterkom. als eine Landesregierung anzusehen wären, die kraft ihrer Einsetzung durch den RPräs. den dem StMin. und dessen Mitgliedern verfassungsmäßig zustehenden Teil der Landesgewalt an dessen Stelle ausübt. Dann bestände in der Tat neben der Reichsregierung einerseits die vorübergehend eines Teils ihrer Befugnisse enthobene bisherige Landesregierung, andererseits die vorübergehend an deren Stelle gesetzte Ersatzregierung. Aber diese Auffassung, die das Reich im Rechtsstreite vertreten ließ, hat der StGH als unangängig bezeichnet. Nach ihm kann […] mit Rücksicht auf Art. 17 RVerf. an die Stelle der aus dem Lande selbst hervorgegangenen eigenwüchsigen Landesregierung kein anderes Organ, auch nur vorübergehend gesetzt werden; Mitglieder dieser Regierung können nach ihm weder dauernd noch vorübergehend ihres Amtes enthoben oder auch nur tatsächlich an der Ausübung ihres Amtes völlig verhindert werden, und eine Stelle, die wie der RKom. grundsätzlich von vornherein des Vertrauens der Volksvertretung nicht bedarf, kann nach ihm, selbst vorübergehend nicht Landesregierung sein.“

In seinen Schlußfolgerungen weist Schwalb darauf hin, daß „die Schwierigkeiten, die sich bei sinngemäßer Auslegung des Urteils vom 25. Oktober 1932 ergeben können, sich bei gutem Willen beider Parteien sehr wohl“ überwinden ließen. Man müsse sich vor allem darüber klar werden, daß sich eine „Aufhebung des Dualismus zwischen Preußen und dem Reich“ niemals lösen lasse „durch Maßnahmen aus Art. 48 RVerf., der ganz anderen Zwecken zu dienen bestimmt ist. Ein Versuch, mittels dieses Artikels, entgegen seiner Zweckbestimmung, Verfassungsänderungen durchzusetzen oder vorwegzunehmen, kann die bestehende Verwirrung und Unsicherheit nur steigern. Aufgabe des StGH ist es, die Verfassung sinngemäß auszulegen und zu hüten, nicht Akte zu decken, die sich, ohne die für Verfassungsänderungen vorgeschriebene Form zu beobachten, inhaltlich als Änderungen oder Durchbrechungen der Verfassung darstellen.“

8

Einzelheiten s. in dieser Edition: Das Kabinett v. Papen; vgl. in diesem Bd. auch Dok. Nr. 4, Anm. 3.

9

Die hier erhobene Forderung war zum Teil durch ein noch von RIM v. Gayl vorbereitetes Schreiben an die obersten Reichsbehörden vom 5.12.1932 erfüllt worden (R 43 I /2281 , S. 405 f.).

10

Vgl. dazu Dok. Nr. 21, Anm. 10.

11

Vgl. dazu Dok. Nr. 28.

12

Vgl. dazu Dok. Nr. 27.

13

Vgl. hierzu das in Anm. 9 zit. Schreiben des RIM vom 5.12.1932.

14

Art. 55 lautet: „Wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert, kann, sofern der Landtag nicht versammelt ist, das Staatsministerium in Übereinstimmung mit dem in Art. 26 vorgesehenen ständigen Ausschusse Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen. Diese Verordnungen sind dem Landtage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Genehmigung vorzulegen. Wird die Genehmigung versagt, so ist die Verordnung durch Bekanntmachung in der Gesetzsammlung alsbald außer Kraft zu setzen.“ In Art. 26 ist die Einsetzung eines „ständigen Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung“ geregelt, der gegenüber dem Staatsministerium für die Zeit außerhalb der Tagungen oder zwischen zwei Wahlperioden die Rechte des LT wahrzunehmen hat.

15

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 37.

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