2.136 (bau1p): Nr. 134 Aufzeichnung über den Ausbau des Preußischen Staatskommissariats für die Überwachung der öffentlichen Ordnung zum Reichskommissariat. [19. Dezember 1919]

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[488] Nr. 134
Aufzeichnung über den Ausbau des Preußischen Staatskommissariats für die Überwachung der öffentlichen Ordnung zum Reichskommissariat. [19. Dezember 1919]1

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Die Aufzeichnung war vom RFMgez. Hemmer – dem UStSRkei mit Anschreiben vom 19. 12. übersandt worden. Hemmer bat darum, die Angelegenheit, wenn möglich, bereits am 20. 12. im RKab. zu besprechen. Der RFM werde „sich für die Verwirklichung der in dem beiligenden Schriftsatz gegebenen Anregungen einsetzen“. Dazu vermerkte GehRegR Wever hschr.: „M[eines] E[rachtens] müßte da mit den Ländern verhandelt werden; daß diese dem pr. Staatskommissar auch bei ihnen [sic] Befugnisse qua Reichskommissar einräumen werden, ist mir fraglich“ (R 43 I /2305 , Bl. 19).

R 43 I /2305 , Bl. 21–242

2

Bl. 21 trägt u. a. folgende Hinweise von Kanzleihand: „Eigenhändig, geheim“, „Kommt auf die TO“ sowie die mit dem Verteilungsplan vom 22. 12. (Bl. 25) übereinstimmenden Anweisungen: „Nur Minister, Riezler, Reinhardt, Trotha“.

Durch Beschluß des Preußischen Staatsministeriums vom 21. Juli 1919 ist ein besonderes Staatskommissariat für die Überwachung der öffentlichen Ordnung bei der Preußischen Staatsregierung eingerichtet3, und zum Staatskommissar der Geheime Oberregierungsrat v[on] Berger bestellt worden.

3

Vgl. Dok. Nr. 62, P. 9.

Die Aufgabe des Staatskommissars ist, für das Preußische Staatsgebiet alle Bestrebungen, die auf Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, auf wirtschaftliche Sabotage, auf illegale Aufwühlung der Volksleidenschaften gerichtet sind, zu überwachen, ihnen durch Maßnahmen der vollziehenden Gewalt entgegenzutreten und durch Aufklärung der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken.

Es erscheint angezeigt, eine gleiche Einrichtung auch für das gesamte Reichsgebiet zu treffen.

1) Bei der Unruhe der Zeiten, in denen wir leben, erfordert die Erfüllung der Obliegenheiten des Preußischen Staatskommissariats in der Bekämpfung der nicht nur über Preußen, sondern gleichmäßig über das ganze Reich ausgebreiteten Strömungen und Bewegungen der radikalen Kreise ein inniges Zusammenarbeiten mit den Regierungen der einzelnen Länder. Die hierzu bereits bestehenden Verbindungen des Preußischen Staatskommissars beruhen naturgemäß bisher allein auf internen Abmachungen, die somit dem Einblick und Einfluß der Reichsleitung entzogen sind. Ihre Nutzbarmachung für das Reichsinteresse empfiehlt sich, zumal ihre Zwecke innenpolitischen Fragen dienen, die das Reich wesentlich berühren.

2) Der Charakter wichtiger durch den Staatskommissar bekämpfter Bewegungen ist über die Reichsgrenze hinaus ein internationaler und erheischt daher weiter eine dauernde Verbindung des Staatskommissars auch mit den beim Deutschen Reich beglaubigten auswärtigen Missionen. Diese Verbindung ist bisher durch Vermittlung des Auswärtigen Amts aufrecht erhalten worden, das auch in Zukunft die vermittelnde Stelle zu den auswärtigen Missionen[489] wird bleiben müssen. Die enge Verbindung mit den auswärtigen Missionen ist jedoch in so hohem Maß Reichsangelegenheit, daß sie mit dem wünschenswerten Erfolge schwerlich durch eine andere Behörde gehalten und gewährleistet werden kann, die nicht zugleich Reichsbehörde ist4.

4

In seiner Rückäußerung auf das Schreiben vom 22. 12. (vgl. Anm. 2) nimmt der RAM dazu wie folgt Stellung: „[…] Im übrigen würde auch das Auswärtige Amt eine Vereinheitlichung der bisher dem Preußischen Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung übertragenen Aufgaben – namentlich zur Erleichterung der Überwachung der bolschewistischen Propaganda – im ganzen Reich für zweckmäßig halten. Gegen die Schaffung einer besonderen Reichsbehörde muß das Auswärtige Amt jedoch schwerwiegende Bedenken geltend machen.“ Einerseits werde die Schaffung neuer Reichsstellen, „die den Stempel weiterer Zentralisierung tragen“, bei den süddt. Ländern auf Widerstand stoßen, andererseits scheine es für die Arbeit des Reichskommissariats vorteilhafter zu sein, „wenn diese Stelle nach außen hin möglichst wenig in Erscheinung tritt. Es wäre daher wohl zweckmäßig, die geplante Stelle, falls die Landesregierungen ihrer Schaffung zustimmen, dem Reichsministerium des Innern in unauffälliger Weise anzugliedern“ (R 43 I /2305 , Bl. 26).

3) Zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben bedarf der Staatskommissar ferner des innigsten Zusammenarbeitens mit den militärischen Dienststellen. Diese ressortieren lediglich bei dem Reich. Es muß daher nur als wünschenswert bezeichnet werden, daß die sich der militärischen Dienststellen für ihre Zwecke bedienende Behörde zugleich eine Reichsbehörde ist.

4) Des engen Zusammenarbeitens mit den militärischen Dienststellen bedarf es vornehmlich bei allen Fragen des Eingreifens der vollziehenden Gewalt, und insbesondere dann, wenn Unruhen Gegenmaßnahmen zur Wiederherstellung der gefährdeten Sicherheit und Ordnung verlangen.

Bis zum Inkrafttreten der neuen Reichsverfassung vom 11. August 1919 fanden solche Gegenmaßnahmen ihre gesetzliche Unterlage in dem Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851. Durch die neue Verfassung ist dieses Gesetz außer Kraft getreten und durch die Bestimmungen des Artikels 48 der neuen Verfassung des Reiches ersetzt worden5.

5

Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 70.

Nach Artikel 48 der Reichsverfassung kann der Reichspräsident, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit erheblich gestört oder gefährdet ist, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Ordnung notwendigen Maßnahmen treffen, nötigenfalls mit der bewaffneten Macht einschreiten und zu diesem Zwecke vorübergehend die in der Verfassung gewährleisteten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.

Bei Gefahr im Verzuge ist die Landesregierung ermächtigt, für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen im Rahmen der vom Reichspräsidenten verliehenen Befugnisse zu treffen. Diese Maßnahmen unterliegen der Begutachtung des Reichspräsidenten, der sie genehmigen oder außer Kraft setzen kann. Letzten Endes entscheidet über die Aufrechterhaltung aller Maßnahmen der Reichstag.

Diese an die Stelle des aufgehobenen Gesetzes über den Belagerungszustand getretene Bestimmung der Reichsverfassung enthält bisher nur die allgemeine Verleihung von Rechten an den Reichspräsidenten. Die näheren Bestimmungen ihres Inhalts und der Form ihrer Ausübung und Ausführung ist einem späteren Reichsgesetz vorbehalten geblieben. Bis zum Erlaß dieses Reichsgesetzes ist[490] daher für jeden Fall, in dem der Reichspräsident oder die Landesregierung außerordentliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit treffen, zugleich eine nähere Bestimmung erforderlich, in der die einzelnen Maßnahmen nach Form und Inhalt ihrer Ausführung gekennzeichnet und festgestellt werden. Erst hiermit erhält die Anwendung der aus Artikel 48 fließenden Rechte im Einzelfalle greifbare Gestalt6.

6

Vgl. dazu die wiederholten Kabinettsberatungen über den Entw. einer sog. NormalVO des RPräs. betr. die Verhängung des Ausnahmezustands aufgrund Art. 48 RV, beginnend mit der Sitzung vom 26. 6., TOP 5. Die Arbeiten an dem in Art. 48 Abs. 5 RV vorgesehenen AusführungsGes., in dem Normen und Schranken für die Ausnahmegewalt des RPräs. festzulegen wären, ruhten demgegenüber. Nachdem der o. a. VOEntw. im wesentlichen fertiggestellt war (vgl. Dok. Nr. 82, P. 5), hatte der RIM dem UStSRkei am 21. 10. die Aufnahme der Arbeiten an dem GesEntw. angekündigt (R 43 I /2698 , Bl. 163). Antworten auf Rückfragen des RK beim RIM nach dem Stand der Angelegenheit sind in den das Kabinett Bauer betreffenden Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

Die tatsächlichen Geschehnisse, die die Verhängung von Ausnahmemaßnahmen im Sinne des Artikels 48 erforderlich machen, können verschiedenartigster Natur sein. Gerade diese Verschiedenartigkeit des äußeren Anlasses verlangt zur Einheitlichkeit der Handhabung die Bearbeitung aller den Artikel 48 betreffenden Angelegenheiten durch eine ein für allemal hiermit betraute Stelle.

In richtiger Erkenntnis der Notwendigkeit einer solchen Zentralstelle und Würdigung der dem Staatskommissar für die öffentliche Ordnung allgemein zufallenden Aufgaben hat die Preußische Landesregierung bereits diesem die ausschließliche Bearbeitung aller dieser Angelegenheiten anvertraut. Damit ist in Preußen erreicht worden, daß alle einschlägigen Anträge und Anfragen seitens der Provinzen und militärischen Stellen bei dem Staatskommissar zusammenfließen, der sie nach einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet und demnächst mit entsprechend vorbereiteten Vorschlägen dem Staatsministerium zur Beschlußfassung unterbreitet.

Wie sich aus den obigen Ausführungen über die im Artikel 48 RV getroffene Regelung ergibt, ist die entscheidende Stelle für alle derartigen Ausnahmemaßnahmen der Reichspräsident; ihm bzw. der Reichsregierung fällt daher aus der Verwaltung und Ausübung der Rechte nach Artikel 48 RV auch eine besondere Verantwortung insofern zu, als sie diejenigen Stellen sind, die nicht nur im Regelfalle die Verhängung außerordentlicher Maßnahmen zu verordnen, sondern auch die von der Landesregierung angeordneten Maßnahmen zu bestätigen oder aufzuheben haben und in diesen Aufgaben der Volksvertretung verantwortlich bleiben.

In weit höherem Maß als bei einer Landesregierung muß daher eine ähnliche Regelung wie sie von der Preußischen Landesregierung innerhalb ihrer Zuständigkeit für die einheitliche Bearbeitung des in Rede stehenden Gebiets bereits getroffen ist, für die Reichsregierung als geboten erachtet werden. Die Zusammenlegung aller den Artikel 48 betreffenden Angelegenheiten in eine Hand ist als umso dringender notwendig anzusehen, als in den einzelnen Ländern die Beurteilung der Frage, ob die Verhängung von Ausnahmemaßnahmen[491] erforderlich ist, und welche Maßnahmen zur Wahrung der bereits gestörten oder gefährdeten Ordnung am Platze sind, je nach der Verschiedenheit des Charakters der Bevölkerung oft weit auseinandergehen wird. Trotz dieser Verschiedenartigkeit und Beurteilung muß die gleichmäßige und einheitliche Handhabung und Ausübung der Rechte aus Artikel 48 gewährleistet bleiben. Dies wird allein und am besten dadurch geschehen, wenn ihre Bearbeitung in einer Zentralstelle erfolgt.

Für die Leitung dieser Zentralstelle wird der Staatskommissar für die öffentliche Ordnung als die geeignete Instanz zu gelten haben.

Durch die ihm von der Preußischen Staatsregierung bereits übertragenen Arbeiten ist er mit der ganzen Materie und insbesondere auch mit den Wirkungen der in einzelnen Fällen bereits angewandten Maßnahmen besonders vertraut. Zur Erfüllung der dem Staatskommissar außerhalb der Bearbeitung der Ausnahmemaßnahmen zufallenden eingangs näher umschriebenen Obliegenheiten ist von ihm eine weit verzweigte Nachrichtenorganisation geschaffen worden. Diese setzt ihn in den Stand am zuverlässigsten und genausten über die innere Lage nicht sowohl in Preußen und in seinen Provinzen, als auch in den einzelnen Ländern und Staaten eingehend unterrichtet zu sein. Ihm stehen die Mittel für eine zur zutreffenden Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse erforderliche Vergleichung der verschiedensten Nachrichten zur Verfügung.

Aus diesen Gründen erscheint es angezeigt, den Preußischen Staatskommissar für die öffentliche Ordnung in Erweiterung seiner bisherigen Zuständigkeit zugleich zum Reichskommissar für die öffentliche Ordnung zu ernennen, unbeschadet seiner bisherigen Eigenschaft als Preußischer Staatskommissar, die ihm zur weiteren Erfüllung seiner Aufgaben in Preußen und der hierzu erforderlichen unmittelbaren Verbindung mit den Preußischen Verwaltungs- und Polizeibehörden wie mit den Preußischen Gerichten erhalten bleiben muß.

Abgesehen von den oben dargelegten Gründen sprechen hierfür auch noch folgende Erwägungen:

Dem Preußischen Staatskommissar sind in letzter Zeit Aufgaben in Oberschlesien, sowie in den von den verbündeten Mächten besetzten und in den Abstimmungsgebieten übertragen worden. Auch diese Tätigkeit des Preußischen Staatskommissars berührt das Reichsinteresse so unmittelbar, daß die Erweiterung der Zuständigkeit im beregten Sinne für denmit der Wahrnehmung solcher Aufgaben betrauten Beamten nicht zu umgehen erscheint.

Für die Bestellung des Staatskommissars für die öffentliche Ordnung zugleich zum Reichskommissar unbeschadet seiner bisherigen Stellung als Preussische Behörde spricht schließlich nicht zuletzt die Tatsache, daß gerade mit Rücksicht auf die vom Staatskommissar zugleich für das Reich wahrzunehmenden Aufgaben die Hälfte der für seine Behörde erforderlichen Mittel bereits durch das Reich aufgebracht und bereitgestellt wird7.

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 62, P. 9. – Die Vorlage wird vom RKab. vorerst nicht behandelt. Zum Fortgang s. diese Edition: Das Kabinett Müller I, Dok. Nr. 24, P. 16.

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