1.9 (feh1p): Außenpolitik

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   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

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Außenpolitik

In der Außenpolitik war dem Kabinett Fehrenbach nur ein sehr geringer Spielraum gegeben. Sie verlief im wesentlichen in den engen Bahnen, die ihr durch den Friedensvertrag gesetzt wurden. Dieser Vertrag war so konzipiert, daß die außenpolitische Selbständigkeit des Reiches auf lange Zeit zugunsten der Alliierten eingeschränkt und nur mit ihrer Zustimmung erweitert werden sollte. Hauptziel der deutschen Politik war daher die Revision des Friedensvertrages, um die materiellen Belastungen zu mildern und die außenpolitische Freiheit wiederzugewinnen.

Durch den Vertrag wurden jedoch nicht nur die deutsch-alliierten Beziehungen, sondern mittelbar auch die deutsche auswärtige Politik gegenüber den Neutralen bestimmt. So hatten sich die Alliierten vor allem auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet eine Reihe von Rechten vorbehalten, die im Falle einer Gewährung an dritte Staaten gleichzeitig auch für sie gelten sollten (Meistbegünstigung). Jede deutsche Außenpolitik gegenüber nichtalliierten Staaten war daher an den Friedensvertrag gebunden, wie sie gleichzeitig auch auf das Vertragssystem von Versailles zurückwirkte. Hier waren Abhängigkeitsverhältnisse, die eine eigenständige deutsche Außenpolitik mit der Möglichkeit, gemäß ihren Interessen unter den Staaten zu differenzieren, nicht zuließen.

Auf deutscher Seite kam jedoch noch eine freiwillige Selbstbeschränkung hinzu. In der Hoffnung auf alliierte Erleichterungen bei der Ausführung des Friedensvertrages war das Reich bereit, sich zunächst eng an die außenpolitische Haltung der Alliierten anzuschließen. Dies galt sowohl für die alliierte Außenpolitik gegenüber dritten Staaten als auch für die deutsch-alliierten Beziehungen[LXV] selbst295. Erst im Laufe der Jahre 1920 und 1921 erkannte man auf deutscher Seite, daß eine solche Politik von den Alliierten nicht honoriert wurde, und begann nun, in den vom Friedensvertrag gesteckten Grenzen eine eigene Außenpolitik zu treiben.

295

So versuchte z. B. die deutsche Seite durch ein Wohlverhalten in der Südtirolfrage Zugeständnisse Italiens in der Frage des Ausgleichsverfahrens zu erhalten. Siehe dazu Dok. Nr. 133, P. 2.

Eine Sonderstellung im Rahmen der deutschen Außenpolitik nahm das Verhältnis zu Sowjetrußland ein. Nach der Ermordung des Grafen Mirbach im Juli 1918 waren die diplomatischen Beziehungen im November 1918 abgebrochen worden. Zwar hatten die Russen mehrfach versucht, die Verbindung wiederaufzunehmen, doch hatte die deutsche Seite diese Werbungen stets zurückgewiesen. Die deutsche Außenpolitik hatte sich vielmehr eng an die Haltung der Alliierten angeschlossen, die unter Führung Englands im Begriffe waren, ihr Verhältnis zu Sowjetrußland zu revidieren. Die deutsche Auffassung war, sich nicht vorschnell gegenüber Sowjetrußland festzulegen, sondern sich in seinem Verhalten ganz der Politik der Alliierten anzupassen. Jeder Schritt auf dem Wege der Aufnahme der Beziehungen zu Rußland sollte von einem gleichen Schritt der Alliierten abhängig gemacht werden. Der Grund für diese Zurückhaltung war, daß man durch ein Wohlverhalten in der internationalen Politik Zugeständnisse der Alliierten in Fragen des Friedensvertrages zu erhalten hoffte296.

296

Siehe dazu H.-G. Linke, Deutsch-sowjetische Beziehungen bis Rapallo, Köln 1970.

Bewegung kam in die deutsche Rußlandpolitik, als sich im Sommer 1920 im Verlauf des russisch-polnischen Krieges sowjetische Truppen der deutschen Grenze näherten. Im Kabinett hielt man die aus dem Vormarsch resultierende militärische Gefahr für gering, wies aber auf die Möglichkeit innenpolitischer Unruhen hin297. Um allen Verwicklungen zu entgehen, erklärte Deutschland am 20. Juli im russisch-polnischen Krieg seine Neutralität und erließ wenig später eine Reihe von Verordnungen, um die Ausfuhr und Durchfuhr von Waffen und Kriegsmaterialien zu verhindern298. Gleichzeitig kam es unter dem Eindruck der Ereignisse auf dem östlichen Kriegsschauplatz zu einer deutsch-sowjetrussischen Annäherung, in deren Verlauf sogar die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der gegenseitigen Beziehungen erwogen wurde299. Da die deutsche Seite gegenüber den Alliierten jedoch nicht vorprellen wollte, behandelte das Auswärtige Amt die Angelegenheit dilatorisch. Die deutsch-sowjetrussische Annäherung blieb schließlich im Stadium der Vorberatungen stecken.

297

Dok. Nr. 13, P. 2.

298

Dok. Nr. 29, P. 1; 30, P. 11.

299

Dok. Nr. 122, P. 3.

Mit Beginn des Jahres 1921 änderte sich die außenpolitische Lage jedoch. Englisch-russische Verhandlungen schienen kurz vor dem Abschluß zu stehen, und nun suchte auch Deutschland die Verbindung zu Sowjetrußland wiederaufzunehmen. Deutsch-russische Besprechungen führten im Februar 1921 zu einem Protokoll, das Vorschläge zu einem Kriegsgefangenen- und einem Wirtschaftsabkommen[LXVI] enthielt300, doch zögerte man auf deutscher Seite den offiziellen Abschluß dieser Abkommen noch hinaus. Erst nachdem am 16. März ein englischrussischer Vertrag abgeschlossen worden war, war auch für die deutsche Seite der Weg frei. Ende März wurden die Abkommen im Kabinett beraten, doch beschloß man nach einem Einspruch des Reichsinnenministers Koch, die Beratungen über die Frage zu verschieben. Koch wies auf den gerade ausgebrochenen mitteldeutschen Aufstand hin und erklärte, daß es nicht verstanden werden würde, wenn die Reichsregierung mit einem Staat Abkommen schließe, der es gleichzeitig auf die Beseitigung der inneren staatlichen Ordnung in Deutschland abgesehen habe301.

300

Dok. Nr. 217, Anm. 1.

301

Dok. Nr. 217; 218, P. 1.

Das Auswärtige Amt ging daraufhin einseitig vor. Ohne noch einmal die Entscheidung des Kabinetts herbeizuführen und gegen den erklärten Willen des Reichspräsidenten unterzeichneten Vertreter des Auswärtigen Amts am 6. Mai 1921 die Abkommen. Gedeckt glaubten sie sich dabei durch das Londoner Ultimatum und durch den bereits am 4. Mai vollzogenen Rücktritt des Kabinetts. Die parlamentarische Durchsetzung der Abkommen blieb dem Kabinett Wirth vorbehalten302.

302

Dok. Nr. 251. Siehe dazu auch den Band „Das Kabinett Wirth“ dieser Edition.

Im Gegensatz dazu war das Verhältnis zu Polen gespannt. Streitpunkt zwischen beiden Staaten waren die ehemals zu Deutschland gehörenden Gebiete, die auf Grund des Friedensvertrages oder der durch ihn festgelegten Abstimmungen an Polen abgetreten worden waren. Während die polnische Seite die ihr zugesprochenen Gebiete unverzüglich in ihr Rechts-, Wirtschafts- und Militärsystem einzugliedern begann, gab die deutsche Seite ihre Ansprüche auf diese Gebiete nie auf und nutzte jede Gelegenheit zu einer Revision dieser Abtretungen. Da Polen in das Vertragssystem von Versailles miteinbezogen war und unter dem besonderen Schutz Frankreichs stand, verbot sich ein offenes militärisches Vorgehen von selbst. Die deutsche Seite versuchte daher vielmehr auf dem Wege der „stillen Revision“ ihren Anspruch auf diese Gebiete aufrechtzuerhalten und ihre Stellung dort zu stärken.

Zunächst begann Deutschland, seine wirtschaftliche Machtstellung gegenüber Polen auszuspielen. Im Mai 1920 hatte man daher eine Ausfuhrsperre gegen Polen verhängt, um die Polen zu Verhandlungen über ein umfassendes Wirtschaftsabkommen zu zwingen. Durch dieses neue Wirtschaftsabkommen sollte das alte Abkommen vom 22. Oktober 1919 mit seiner für Deutschland ungünstigen Regelung ersetzt werden. Schon bald zeigte sich jedoch, daß innerhalb der Reichs- und preußischen Behörden unterschiedliche Auffassungen über den Nutzen dieser Ausfuhrsperre bestanden. Während das Reichswirtschaftsministerium die Sperre für wirtschaftlich nachteilig und technisch undurchführbar hielt, erklärte das Preußische Landwirtschaftsministerium sie für unbedingt notwendig. Da es zu keiner Einigung kam, befaßte sich das Kabinett Anfang November mit dieser Frage und entschied, daß die Ausfuhrsperre mit Rücksicht[LXVII] auf bevorstehende deutsch-polnische Verhandlungen aufrechterhalten werden müsse303.

303

Dok. Nr. 93; 96; 106, P. 5. Siehe dazu auch Dok. Nr. 233; 234.

Eine andere in diesem Zusammenhang wichtige Aufgabe des Kabinetts war die Erhaltung des Deutschtums in den abgetretenen Gebieten. Hier handelte es sich vor allem um Posen und Westpreußen, wo auch nach der Abtretung starke deutsche Volksteile zurückgeblieben waren. Im Laufe des Jahres 1920 hatte eine immer stärkere Abwanderung der Deutschen aus diesen Gebieten eingesetzt, die dem Auswärtigen Amt aus außen-, wie aus innenpolitischen Gründen bedenklich schien. Im Frühjahr 1921 arbeitete das Auswärtige Amt daher eine ganze Reihe von Vorschlägen aus, mit denen der Abwanderung von deutscher Seite aus administrativ begegnet werden sollte. Das Kabinett stimmte wenig später diesen Vorschlägen zu304.

304

Dok. Nr. 182; 204, P. 6.

In den gleichen Aufgabenbereich gehörte auch die Kreditgewährung an den Staat und die Stadt Danzig. Danzig war im März 1921 in eine sehr schwierige finanzielle Lage geraten und benötigte dringend größere Kredite. Da ein Kreditgesuch an Polen zu einer Stärkung der polnischen Position in der Stadt geführt hätte, wandte sich der Danziger Senat an die Reichsbank und bat um einen Kredit von 100 Millionen Mark. Nach einer kurzen Auseinandersetzung zwischen der Reichsbank einerseits und dem Reichsfinanzministerium und dem Auswärtigen Amt andererseits über die Frage einer reichsinternen Kreditgarantie wurde entschieden, mit Danzig über den Kredit zu verhandeln. Mit der Führung der Verhandlungen wurde der Reichsfinanzminister beauftragt305.

305

Dok. Nr. 212.

Um die Unterstützung des Deutschtums ging es auch in Österreich. Hier handelte es sich jedoch nicht um eine deutsche Minderheit in einem abgetretenen Gebiet, sondern um eine nach Deutschland ausgerichtete Anschlußbewegung, die sich in der Großdeutschen Volkspartei organisiert hatte. Nachdem die Partei bei den Wahlen zum österreichischen Nationalrat im Oktober 1920 eine Niederlage hatte hinnehmen müssen, bestand die Gefahr, daß damit auch der Anschlußgedanke selbst Schaden nehmen würde. Das Auswärtige Amt regte daher an, daß von offizieller Stelle im Reichstag in unverbindlicher Form zur Anschlußbewegung Stellung genommen werden sollte, um die deutsch gesinnten Kräfte in Österreich zu stärken. Dieser Vorschlag fand Zustimmung, und so machte der Reichskanzler Ende Oktober im Reichstag entsprechende Ausführungen, ohne sich dabei jedoch genauer festzulegen306. Wie schwierig das Verhältnis zur Anschlußbewegung andererseits jedoch auch war, zeigte sich, als es wenig später mit der in Tirol sehr starken Bewegung zu einer Auseinandersetzung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols kam. Der Streit konnte jedoch bald beigelegt werden307.

306

Dok. Nr. 93.

307

Dok. Nr. 133, P. 2.

Schließlich bemühte sich die Reichsregierung auch, die während des Krieges und in den Jahren nach dem Kriege abgebrochenen internationalen Beziehungen[LXVIII] wiederherzustellen. Dazu gehörten das deutsch-holländische Kreditabkommen, das Abkommen mit Lettland, das als Vorstufe zu einem Abkommen mit Sowjetrußland dienen sollte, sowie die Abkommen mit Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei308.

308

Dok. Nr. 36, P. 4; 36, P. 10; 100, P. 3; 119, P. 1.

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