2.123 (mu11p): Nr. 123 Der Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung an den Reichswehrminister. 31. Mai 1920

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[302] Nr. 123
Der Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung an den Reichswehrminister. 31. Mai 1920

R 43 I /2667 , Bl. 60-62 Abschrift

[Betrifft: Vorsorge gegen kommunistische Unruhen in Mecklenburg.]

Euer Hochwohlgeboren teile ich sehr ergebenst mit, daß der Generalleutnant a. D. Graf Waldersee mich im Auftrage von Gutsbesitzern und Bauern in Mecklenburg sowie im Namen einiger mehrheitssozialistischer Gauleiter, insbesondere des Herrn Krüger in Malchin, aufgesucht hat, um mich über die Lage auf dem flachen Lande zu unterrichten. Danach steht die gesamte ländliche Bevölkerung unter der größten Angst vor kommunistischen Anschlägen auf ihr Hab und Leben. Da ein Schutz durch die Regierung nicht vorhanden sei, da im Gegenteil die Regierungsmaßnahmen den ländlichen Besitzern die Mittel, die sie sich zu ihrem Selbstschutz verschafft haben, zu entreißen bestrebt sind, stehe das Land schutzlos den drohenden Plünderungen gegenüber1. Diese Zustände brächten verständlicherweise die Gefahr mit sich, daß in ihrer erdrückenden Mehrheit durchaus auf dem Boden der Verfassung stehende Bevölkerung schließlich in ihrer Verzweiflung in das Lager der Umstürzler getrieben werde.

1

Schon am 27. 5. hatte LegR v. Maltzan an MinR Brecht ein Schreiben gerichtet, in dem er über die Lage in Mecklenburg berichtet hatte, dort werde für die Wahlzeit mit einem kommunistischen Putsch gerechnet, der mit einem Landarbeiterstreik beginnen solle. An mehreren Orten seien Waffenlager festgestellt worden. „Beamte aller Partei-Richtungen im Schweriner Ministerium haben die Gefahr erkannt, stehen der Situation aber ratlos und passiv gegenüber und erklären, wegen Mangel an Soldaten nichts machen zu können“ (R 43 I /2710 , Bl. 164).

Nach den hier vorliegenden Nachrichten kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, daß die Angaben des Grafen Waldersee über die Stimmung in der Bevölkerung Mecklenburgs und auch wohl Pommerns zutreffen, und es liegen auch Anzeichen dafür vor, daß die Befürchtungen vor Plünderungen und Gewalttätigkeiten nicht ganz grundlos sind. Ich darf hierzu auf den N.-Bericht vom heutigen Tage (Überfall auf ein pommersches Gut) verweisen2 und auf eine Mitteilung aus dem Büro des Herrn Reichspräsidenten vom 30. d. Mts., die[303] von Gerüchten Kenntnis gibt, daß sich in der Gegend von Gnoien und Sonitz in Mecklenburg bewaffnete kommunistische Banden bilden, wodurch die besitzenden Bevölkerungskreise lebhaft beunruhigt würden.

2

Diese Meldung lautete: „Unsicherheit auf dem Lande in Pommern. – In der Nacht vom 28. und 29. Mai wurde das Rittergut Brotzen, Kreis Rummelsburg in Pommern durch eine bewaffnete Bande überfallen, welche die hinzueilenden Beamten beschoß und dann unter Mitnahme von geraubtem Geld unerkannt verschwand. Nach Mitteilung des OPräs. in Pommern hatten verschiedene Besitzer im Kreise Rummelsburg bereits seit einiger Zeit Befürchtungen wegen bevorstehender bolschewistischer Überfälle geäußert. Das Wehrkreiskommando Stettin, mit dem in Verbindung getreten worden war, hatte sich außerstande erklärt, Stoßtrupps in den Kreis Rummelsburg zur Sicherung der geängstigten Einwohner zu entsenden. Da die Einwohnerwehr aufgelöst und ihre Waffen eingezogen sind, das Land somit schutzlos räuberischen Überfällen ausgesetzt ist, betont das Oberpräsidium von Neuem die Unhaltbarkeit dieses Zustandes, seine unübersehbaren Folgen und die Notwendigkeit, schleunigst die Bereitstellung genügend starker Sicherheitspolizei für die Provinz durchzuführen“ (Bericht vom 31.5.20; R 43 II /398 , Bl. 43-47).

Eine Beruhigung der Bevölkerung auf dem flachen Lande in Mecklenburg und in der Provinz Pommern würde nur dadurch zu erreichen sein, daß der Bevölkerung Schutzmaßregeln der Regierung vor Augen geführt werden könnten, die die angeblich drohenden Anschläge von vornherein unmöglich machen. Die Verteilung von kleineren Trupps der Sicherheitspolizei kommt nicht in Frage, da die Sicherheitspolizei in ihrer heutigen Stärke nicht aus den Städten in dieser Aufgabe genügende Zahl herausgezogen werden kann. Die Entsendung militärischer Kräfte würde sich, selbst wenn sie an sich möglich wäre, wohl kaum empfehlen, wenn sie den Charakter einer Schutzmaßregel gegen linksputschistische Anschläge offen zur Schau trüge. Es würde dies in linkspolitisch gerichteten Kreisen starken Widerspruch und eine Erregung hervorrufen, die unmittelbar vor den Wahlen wohl unter allen Umständen vermieden werden muß. Ich erlaube mir aber sehr ergebenst, der Überlegung Eurer Hochwohlgeboren anheim zu stellen, ob es möglich ist, größere Kavallerieverbände zum Abhalten von Übungen im Gelände alsbald nach Mecklenburg und Pommern zu verlegen. Allein ihre Anwesenheit dort würde zweifellos die gewünschte Beruhigung der Bevölkerung herbeiführen und der Regierung hoch angerechnet werden. Die Ernteaussichten in Mecklenburg sind nach übereinstimmenden Meldungen so glänzende, wie sie seit Jahrzehnten nicht gewesen sind. Eine Vernichtung der Ernte würde daher auch für die Ernährung der Bevölkerung ein nicht gut zu machendes Unheil bedeuten3.

3

Der RWeM teilte dem RIM am 17.6.20 über die Lage in Mecklenburg zusammenfassend mit, dort sei „eine weitverzweigte, sehr gut bewaffnete linksradikale Organisation“ vorhanden. „Ein allgemeiner Aufstand in Deutschland wird hier eine nachdrückliche Unterstützung finden. Daß in Mecklenburg allein ein größerer und planmäßig vorbereiteter Aufstand ausbrechen sollte, ist unwahrscheinlich. Dagegen läßt es die starke kommunistische Verhetzung und die geringe politische Schulung der Landarbeiterschaft möglich erscheinen, daß bei wirtschaftlichen Kämpfen und Schwierigkeiten Unruhen auf dem Lande mit größeren Gewalttätigkeiten ausbrechen. Namentlich ist dies in der Erntezeit zu erwarten. – Die zunächst zur Aufrechterhaltung der Ordnung berufene Sicherheitspolizei kann dagegen infolge ihrer Durchsetzung mit linksradikalen Elementen, besonders in Rostock und Wismar, nicht durchweg als ein unbedingt sicheres Werkzeug der Staatsgewalt angesehen werden“ (R 43 I /2710 , Bl. 171).

gez. Weismann

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