2.188.3 (feh1p): 3. Mitteilungen aus London.

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3. Mitteilungen aus London4.

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Dieser Protokollauszug findet sich in R 43 I /18 , Bl. 99.

Staatssekretär v. Haniel teilte den bisher vorliegenden Teil der Rede von Lloyd George mit und gab die von Lloyd George in Aussicht genommenen Sanktionen bekannt, die eintreten würden, falls nicht Deutschland bis Montag [7. 3.] sich bereit erklärt hätte, entweder die Pariser Beschlüsse anzunehmen oder Vorschläge zu unterbreiten, die auf anderem, in gleichem Maße befriedigendem Wege seine Verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles unter Berücksichtigung der in den Pariser Vorschlägen gemachten Zugeständnisse erfüllen würden5. Die Sanktionen ergeben sich aus der Anlage6. Über die einzelnen Sanktionen entspann sich eine längere Erörterung. 1. Besetzung der Städte Düsseldorf, Ruhrort, Duisburg auf dem rechten Rheinufer. Der Reichsverkehrsminister wies darauf hin, daß diese Städte von größter Bedeutung für die Kohlenversorgung Süd- und Westdeutschlands und die gesamte wirtschaftliche Entwicklung ganz Süddeutschlands seien. Die Eisenbahn allein würde im Falle einer Sperrung des Schiffsverkehrs in den genannten drei Orten nicht in der Lage sein, Süddeutschland und gleichzeitig das übrige Deutschland mit Kohle zu versorgen. Die von einer Seite gegebene Anregung, keine Kohlen mehr an die Entente zu liefern, wurde für unzweckmäßig gehalten, da bisher nicht feststünde, ob durch die Besetzung der Verkehr überhaupt unterbunden würde oder ob nicht[507] vielmehr lediglich eine Kontrolle stattfinden würde; außerdem würde es keine Rolle spielen, wenn wirklich 2 oder 3 Tage vor dem Inkrafttreten der Sanktionen die Kohlenlieferungen an die Entente gestoppt würden. Die Hauptsache sei, ruhig Blut zu bewahren. Vorauszahlungen von Gehalt an die Beamten sollten nicht erfolgen; überhaupt brauchte nichts veranlaßt zu werden, da nach Mitteilung des Reichsministers des Innern ja die besetzten bzw. die zu besetzenden Gebiete ihre Vorschriften für den Fall der Besetzung erhalten hätten7. Auch eine Benachrichtigung der genannten Orte von hier aus erschien unnötig, da diese vermutlich schon jetzt im Besitz dieser Androhungen wären. Es wurde sodann die Bedeutung der weiteren Sanktionen durchgesprochen. Im weiteren Verlauf der Erörterungen wurden mehrere Anregungen gegeben, die dahin gingen, sofort die Sachverständigen einzuberufen, ferner die Oberbürgermeister der besetzten und zu besetzenden Gebiete hierher zu berufen, desgleichen die Staatspräsidenten der Länder nach Berlin zu bitten und darauf hinzuwirken, daß der Reichstag keine Sitzungen abhalte, um irgendwelche Debatten zu vermeiden, die den Verlauf der Verhandlungen in London stören könnten; endlich wurde angeregt, auch die Parteiführer zu einer Sitzung zusammenzuberufen. Von anderer Seite wurde geltend gemacht, daß man vor weiteren Schritten abwarten müsse, bis der Text der Rede Lloyd Georges vollständig vorliege und eine Mitteilung über die Stellungnahme Simons’ hierher gelangt sei. Nach längerer Erörterung wurde über die einzelnen Vorschläge abgestimmt. Zu 1.): Die Einberufung der Sachverständigen wurde abgelehnt, nur dem Direktor Kraemer soll durch den Herrn Reichskanzler eine kurze Mitteilung gemacht werden8. 2. Die Einberufung der rheinischen Oberbürgermeister wurde abgelehnt, desgleichen die Einberufung der Staatspräsidenten der Länder. Dagegen wurde beschlossen: a) dem Seniorenkonvent durch Staatssekretär Albert davon Mitteilung zu machen, daß die Stellungnahme unserer Unterhändler zu der Rede Lloyd Georges und den Sanktionen noch nicht eingegangen sei, daß man die Parteiführer einladen wolle, sobald solche eingetroffen seien9; b) daß um 12 Uhr am nächsten Tage eine Kabinettssitzung im Reichskanzlerhause stattfinden solle10; c) daß auf 4 Uhr am nächsten Tage der parlamentarische Beirat für die besetzten Gebiete im Reichskanzlerhause eingeladen werden solle, dem der Vizekanzler und der Reichsminister Koch von der Lage Mitteilung machen sollten11.

5

Diese Rede hatte Lloyd George am Mittag des 3. 3. auf der Londoner Konferenz gehalten; sie war die Antwort der Alliierten auf die dt. Vorschläge vom 1.3.1921. Zu der Rede s. RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 153 –167 und DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 257–265.

6

Diese Anlage war in R 43 I nicht zu ermitteln.

Die von den Alliierten angedrohten Sanktionen sahen im einzelnen vor:

1. Die Besetzung der Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort;

2. Einbehaltung eines Teils der Erlöse der dt. Ausfuhr in die all. Länder zugunsten des Reparationskontos;

3. Beschlagnahme der Zölle im besetzten Gebiet und deren Bezahlung an die Repko;

4. Errichtung einer Zollgrenze zwischen dem besetzten und unbesetzten Gebiet.

Siehe dazu RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 165 .

7

Siehe dazu die „Richtlinien für den Fall der Besetzung weiteren deutschen Gebiets“ vom 1.3.1921; Dok. Nr. 186.

8

H. Kraemer, Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Ausschusses des RWiR, war der Vorsitzende der Sachverständigenkommission.

Zu den Sachverständigen s. Dok. Nr. 180, Anm. 2.

9

Zu der Parteiführerbesprechung s. Dok. Nr. 190.

10

Diese Kabinettssitzung fand zwar statt (R 43 I /1346 , Bl. 29), doch ließ sich ein Protokoll in R 43 I nicht ermitteln.

11

Der parlamentarische Beirat für die besetzten Gebiete faßte auf seiner Sitzung vom 4. 3. die Entschließung, daß die Sanktionen schwer, aber nicht unerwartet seien, daß die von der RReg. getroffenen Vorkehrungen gebilligt würden und daß die Sanktionen keinen Anlaß gäben, die Haltung der RReg. zu beeinflussen (Bericht über die Sitzung, Nachlaß Koch-Weser  27/407). Eine weitere Sitzung fand ebenfalls am 4. 3. zwischen zahlreichen Sachverständigen, Vertretern der Ministerien und der größeren Länder statt. Diese Besprechung war auf den am 3. 3. telegraphisch übermittelten Wunsch von RAM Simons einberufen worden und galt der Frage, welche wirtschaftlichen Wirkungen die von den Alliierten angedrohten Sanktionen haben würden. RIM Koch schreibt darüber in seinen „Aufzeichnungen“ unter dem Datum des 4. 3.: „Nun reitet der Teufel Simons, indem er drahtlich ersucht, die Sachverständigen über die Wirkung der angedrohten Repressalien zu hören und auch die Staatspräsidenten zu berufen. Dabei keinerlei sachliche Berichterstattung. Was soll man denn die Leute eigentlich beschließen lassen?“ (Nachlaß Koch-Weser 27, Bl. 407). Noch am 4. 3. sandte der RK ein Telegramm über diese Besprechung an den RAM, das folgenden Wortlaut hatte:

„Heutige Besprechung unter meinem Vorsitz mit zahlreichen Sachverständigen, Ressorts und größeren Ländern ergab folgendes: 1. Besetzung der Rheinhäfen kann zwar Erschwerung insbesondere süddt. Kohlenversorgung mit sich bringen, ist aber selbst bei etwaiger Unmöglichkeit der Heranziehung Oberschlesiens zu süddt. Belieferung zu ertragen.

2. Ausfuhrabgabe wird zwar direkten Handel mit all. Ländern zunächst beeinträchtigen, aber dort selbst auf die Dauer, ähnlich wie § 18 [der Anlage II zu Teil VIII VV], scharfen Widerstand auslösen. Handel wird sich über neutrale Länder umstellen. Bedeutung von 2 noch geringer als 1.

3. Einnahmeausfall infolge Abgabenbeschlagnahme an äußerer Zollgrenze wird auf 1,25 Mrd. Papiermark jährlich geschätzt, die wir ohnedies zahlen müßten.

Innere Zollgrenze ist bei weitem ernstester Punkt, da auf wirtschaftliche Abschnürung besetzten Gebietes eingestellt. Widerstreitet Art. 270 des Friedensvertrages. Handel wird aber andere Wege finden. Antwerpen wird schwer geschädigt werden. Auch diese Maßnahme kann unter keinen Umständen Anlaß sein, Ablehnung der Pariser Forderungen zu beeinflussen. Stellungnahme der Versammlung völlig einmütig und unbedingt fest. Fehrenbach.“ Das Telegramm war von StS v. Haniel gegengezeichnet (Telegramm Nr. 45 v. 4.3.1921, R 43 I /18 , Bl. 51).

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