2.8 (ma12p): Nr. 8 Aufzeichnung über eine Besprechung zwischen dem Reichskanzler und dem französischen Ministerpräsidenten in London am 14. August 1924, 14.30 Uhr

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[1333] Nr. 8
Aufzeichnung über eine Besprechung zwischen dem Reichskanzler und dem französischen Ministerpräsidenten in London am 14. August 1924, 14.30 Uhr1

1

Die undatierte, nicht unterzeichnete Aufzeichnung stimmt offenbar von MinR Kiep.

R 43 I /268 

Anwesend: Marx, MinR Kiep; Herriot, ein Dolmetscher.

[Ruhrräumung]

Der Reichskanzler der sich beim Ministerpräsidenten Herriot angemeldet hatte, teilte mit, daß ihm daran läge, in einer offenen Aussprache von Mensch zu Mensch nochmals die Lage bezüglich der Ruhrräumung zu erörtern und festzustellen, ob nicht eine Brücke zur Verständigung sich finden lasse.

Der Reichskanzler legte alsdann dar, aus welchen Gründen, insbesondere politischer Art, die Annahme der einjährigen Frist für die Räumung des Ruhrgebiets für die Deutsche Delegation nicht tragbar sei und regte an, ob nicht eine Verkürzung der Frist durch Zurückdatierung des Anfangs der Frist sich ermöglichen lassen könne.

Der Reichskanzler wies ferner darauf hin, von welch großer psychologischer Bedeutung es sein würde, wenn sich vor Ablauf des Jahres eine etappenweise Räumung ermöglichen ließe. Insbesondere sei es für die Einstellung der deutschen öffentlichen Meinung zu dem Ergebnis der Londoner Konferenz von entscheidender Bedeutung, daß in möglichst unmittelbarer Zukunft eine, wenn auch nur beschränkte, Räumung vollzogen würde, um dem deutschen Volke den Glauben daran zu ermöglichen, daß es mit der Räumungsabsicht ernst sei und daß auch die in Aussicht gestellte Vollräumung durchgeführt werden würde.

Der französische Ministerpräsident nahm mit Aufmerksamkeit und Verständnis die Darlegungen des Reichskanzlers entgegen und erklärte, daß er die Lage der Deutschen Delegation nach jeder Richtung hin würdige. Er wiederholte jedoch wie bei den vorhergehenden Besprechungen, daß es ihm infolge des bindenden Beschlusses seines Ministerrats schlechterdings unmöglich sei, von der einjährigen Räumungsfrist abzugehen. Schon die Datierung des Fristlaufs von der Unterzeichnung des Protokolls in London bedeute eine für ihn nicht leicht zu tragende Konzession. Ebenso sei eine etappenweise Räumung für ihn nicht denkbar, denn diese würde ebenfalls im Widerspruch zum Beschluß der französischen Regierung stehen und seine Vollmachten überschreiten. Das sei gerade der Gedanke seiner Formel2, welche auf das Vertrauen abgestellt sei, daß eine Bindung zu bestimmten Terminen nicht erfolge. Würde man terminmäßig einzelne Teilräumungen vorsehen, so sei das eben eine vertragsmäßige Bindung oder das Gegenteil zur Vertrauensregelung. Er wiederhole[1334] noch einmal, daß er den Beschluß seines Ministerrats nicht überschreiten könne. Um jedoch einen Beweis seines absolut ehrlichen Willens und seiner guten Absichten im Sinne der bereits mitgeteilten Formel zu geben, wolle er nunmehr dem Reichskanzler im strengsten Vertrauen und mit der Verpflichtung, als unbedingtes Geheimnis zu wahren, noch eine weitere Mitteilung machen. Er müsse jedoch zur Bedingung machen, daß der Inhalt dieser Mitteilung nur den drei deutschen Delegierten und dem Reichspräsidenten in Berlin bekanntgegeben werde, da jede vorzeitige Preisgabe in der Presse seine Stellung erledigen und die Londoner Konferenz zum Scheitern bringen würde.

2

S. hierzu Anhang, Dok. Nr. 1, Anm. 43.

(Der Inhalt der hierauf folgenden Mitteilung des Präsidenten Herriot ist in dem Drahtbericht Nr. 62 vom 14. August dem Herrn Reichspräsidenten gemeldet3.)

3

Das Telegramm Nr. 62 ist abgedr. in Dok. Nr. 275.

Der Reichskanzler sprach dem französischen Ministerpräsidenten seinen Dank für den damit gegebenen Beweis seines Vertrauens und seines guten Willens aus, wies jedoch darauf hin, daß es außerordentlich schwer sein werde, mit dieser Zusage zu operieren, da es sich darum handeln werde, in Berlin die Zustimmung des Kabinetts und der Parlamentsparteien zu erlangen und eben diese für deren Haltung wesentliche Tatsache dabei verschwiegen werden müsse.

Der französische Ministerpräsident führte darauf aus: „Ich bitte Sie, haben Sie Vertrauen zu mir, dann werden wir zu einer Verständigung kommen. Ich hätte geglaubt, daß Sie heute morgen bei unserer Zusammenkunft4 mir gesagt haben würden, Sie hätten zu mir Vertrauen, woraufhin ich die eben streng vertraulich in Aussicht gestellte Geste vorgenommen und öffentlich ausgesprochen hätte.“

4

S. Anhang, Dok. Nr. 7, Anm. 4.

Der Reichskanzler teilte sodann mit, daß die Deutsche Delegation beschlossen habe, mit Rücksicht auf die schwierige parlamentarische Lage in der Heimat sowie auf die ablehnende Haltung der deutschen Presse den Finanzminister Dr. Luther nach Berlin zu entsenden, um über die Lage zu berichten und die für die Delegation nach der Verfassung erforderliche Vollmacht zum Abschluß einzuholen.

Ministerpräsident Herriot zeigte ein gewisses Unbehagen bei diesem Vorschlage, erwiderte jedoch, daß er für diese Maßnahme durchaus Verständnis habe und daß es natürlich der Deutschen Delegation überlassen sei, nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. Er fragte, bis wann Dr. Luther zurückgekehrt sein werde und wann daher die endgültige Vereinbarung erfolgen könne, und erklärte, als ihm der Reichskanzler den Sonntag [17. 8.] als voraussichtliche Rückkehr des Ministers Luther bezeichnete, daß er unter diesen Umständen selber nach Paris fahren wolle, da er ja in der Zwischenzeit werde nichts tun können. Er sei bereits vier Wochen von seiner Hauptstadt fern, und es warteten seiner dort viele dringende Aufgaben.

Der Reichskanzler fragte alsdann, ob nach Auffassung des französischen Ministerpräsidenten es noch Zweck habe, die für 3 Uhr vorgesehene Zusammenkunft[1335] der deutschen, belgischen und französischen Delegationen abzuhalten, ebenso ob es Zweck habe, die für 5 Uhr vorgesehene Vollsitzung der Konferenz abzuhalten.

Ministerpräsident Herriot erwiderte, daß ihm alles recht sei, und es wurde alsdann vereinbart, daß der Reichskanzler sich nach 10 Downing Street begeben, die dort versammelten Delegationsmitglieder von der Vertagung benachrichtigen und den englischen Ministerpräsidenten bitten solle, die für 5 Uhr vorgesehene Vollsitzung der Konferenz zu vertagen.

Hiermit endete unter freundschaftlichem Händedruck die Unterredung.

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