2.48.1 (ma31p): Fürstenabfindung und politische Lage.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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RTF

Fürstenabfindung und politische Lage1.

1

Am Nachmittag des 2. 7. sollte im RT die entscheidende 3. Lesung des GesEntw. über die Fürstenabfindung stattfinden. Vgl. Dok. Nr. 47, Anm. 1.

Der Reichskanzler berichtete über den in der vergangenen Nacht gefaßten Beschluß der Sozialdemokraten, dem Fürstenkompromiß nicht zustimmen zu können2. Nach seiner Auffassung könne jetzt von einer Auflösung des Reichstags keine Rede mehr sein3. Fraglich sei aber, wie das Kabinett sich zu verhalten habe. Nach seiner Meinung sei eine Demission erforderlich, auch wenn sie nur eine Geste sei. Sollte der Herr Reichspräsident die Demission nicht annehmen, so müsse eventuell die Regierung als geschäftsführendes Kabinett weiterarbeiten. In diesem Falle sei allerdings zweifelhaft, ob das Zentrum nicht seine Minister aus dem Kabinett zurückziehe. Er könne jedenfalls im Augenblick noch keine Gewähr dafür übernehmen, daß nach dieser Richtung hin nichts geschähe.

2

In einer Sitzung am 1. 7. abends hatte die sozialdemokratische Fraktion des RT mit 73 gegen 38 Stimmen beschlossen, den GesEntw. über die Fürstenabfindung abzulehnen, obwohl die sozialdemokratische Fraktion des PrLT und die sozialdemokratischen Mitglieder der Preußenregierung die Annahme des GesEntw. empfohlen hatten. Vgl. Politisches Jahrbuch 1926, S. 526; Egelhaaf, S. 137; Tagebucheintragung Stresemanns vom 3. 7., in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. II, S. 406.

3

Vgl. hierzu den in der Ministerbesprechung vom 1. 7. gefaßten Beschluß (Dok. Nr. 47).

Reichsminister Dr. Brauns erklärte gleichfalls eine Auflösung des Reichstags für unmöglich, ist aber auch gegen eine Demission des Kabinetts, da dies nur eine Geste sei.

Reichsminister Dr. Külz ist der gleichen Ansicht und bezeichnet einen etwaigen Rücktritt der Reichsregierung für eine Kapitulation vor der Unvernunft. Nach seiner Meinung müßte die Regierung mit einer Erklärung, sei es im Reichstag oder in der Presse, an die Öffentlichkeit treten.

Reichsminister Dr. Stresemann schließt sich den Vorrednern an und ist gleichfalls gegen Reichstagsauflösung und Demission des Kabinetts. Er hebt insbesondere hervor, daß ein geschäftsführendes Kabinett die bevorstehenden außenpolitischen Verhandlungen nicht führen könne.

[109] Staatssekretär Dr. Meissner teilt mit, daß der Herr Reichspräsident keine Demission erwarte und eine etwa erfolgende Demission zweifellos nicht annehmen werde.

Reichsminister Dr. Brauns erörterte den Gedanken, ob es nicht zweckmäßig sei, daß die Reichsregierung und der Reichstag das Fürstenabfindungsproblem jetzt völlig beiseite liegen lassen sollen. Wenn die Sozialdemokratie den vorliegenden Kompromißentwurf zum Scheitern gebracht habe, müsse eben die preußische Regierung, die doch im wesentlichen von der Sozialdemokratie getragen werde, die Folgen tragen, und es müsse ihr überlassen bleiben, sich jetzt ihrerseits mit den Hohenzollern zu einigen.

Der Reichskanzler und andere Reichsminister äußerten gegen diesen Gedanken lebhafte Bedenken, da er einmal den feierlichen Erklärungen der Reichsregierung und verschiedener Parteien widerspreche und zum anderen in diesem Falle zweifellos ein neuer Volksentscheid drohe. Der Gedanke wurde daher nicht weiterverfolgt.

Nachdem in dieser Aussprache die Fragen der Reichstagsauflösung und einer etwaigen Demission der Reichsregierung eine vorläufige Klärung erfahren hatten, wurden Beschlüsse nicht gefaßt, um der weiteren Aussprache mit dem Interfraktionellen Ausschuß der Regierungsparteien um 1 Uhr mittags4 nicht vorzugreifen.

4

Eine Aufzeichnung über diese Besprechung mit dem Interfraktionellen Ausschuß war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

[Ministerbesprechung um 14 Uhr.]

Nachdem diese Besprechung der Reichsregierung mit dem Interfraktionellen Ausschuß stattgefunden hatte, fand um 2 Uhr nachmittags eine erneute kurze Ministerbesprechung statt.

In dieser wurde beschlossen, dem Herrn Reichspräsidenten die Auflösung des Reichstags nicht zu empfehlen, den Fürstenabfindungsgesetzentwurf vor ablehnender Schlußabstimmung zurückzuziehen und von einem offiziellen Rücktritt der Reichsregierung Abstand zu nehmen. Der Standpunkt der Regierung sollte in einer Erklärung des Herrn Reichskanzlers, die daraufhin im einzelnen formuliert wurde, niedergelegt werden. Ferner wurde unter Beteiligung des Herrn Staatssekretärs Dr. Meissner ein entsprechendes Schreiben des Herrn Reichspräsidenten an den Herrn Reichskanzler vereinbart.

Die Erklärung des Herrn Reichskanzlers in der nachfolgenden Plenarsitzung des Reichstags, 3 Uhr nachmittags, und der Brief des Herrn Reichspräsidenten an den Herrn Reichskanzler hatten den folgenden Wortlaut5:

5

Die Erklärung des RK sowie der Brief des RPräs. wurden am 2. 7. im Wortlaut durch WTB veröffentlicht. Diese WTB-Veröffentlichungen sind als Zeitungsausschnitte in das Protokoll eingeklebt.

[Erklärung des Reichskanzlers im Reichstag anläßlich der dritten Beratung des Gesetzentwurfs über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den deutschen Ländern und den vormals regierenden Fürstenhäusern am 2. 7.6:]

6

Siehe RT-Bd. 390, S. 7809  f.

[110] „Da nach den Darlegungen der beiden Herren Vorredner [Wels und Graf Westarp7] namens der beiden Flügelparteien feststeht, daß die beiden genannten Parteien das Gesetz in der Schlußabstimmung ablehnen werden, habe ich namens der Reichsregierung folgende Erklärung abzugeben:

7

Die von Wels für die SPD-Fraktion und von Graf Westarp für die DNVP-Fraktion abgegebenen Erklärungen in: RT-Bd. 390, S. 7803  ff. bzw. S. 7805 ff.

Die Reichsregierung legt auf die Weiterberatung des Gesetzentwurfes keinen Wert mehr und zieht den Gesetzentwurf zurück. Die Regierung sieht sich zu ihrem lebhaftesten Bedauern der Tatsache gegenüber, daß der Reichstag bisher nicht imstande gewesen ist, die außerordentlich wichtige und das Volk in allen seinen Teilen aufregende Frage der Auseinandersetzung zwischen den Ländern und den ehemaligen Fürstengeschlechtern gesetzgeberisch zu lösen. Sie erwartete auf das Bestimmteste, daß der vorliegende Entwurf aus den in ihm liegenden gewichtigen sachlichen Gründen doch schließlich mit Zweidrittelmehrheit Gesetz werden würde. Falls diese Erwartung infolge des Verhaltens nur einer der Flügelparteien sich nicht erfüllt hätte, hätte das Kabinett einstimmig beschlossen, vom Herrn Reichspräsidenten die Auflösung des Reichstages zu erbitten. Nachdem aber beide Flügelparteien gegen die Annahme des Gesetzentwurfes gestimmt haben, kann eine Auflösung des Reichstages keine Klärung mehr bringen.

Das Kabinett hat ferner die Frage der Demission eingehend erörtert und war zu dem Entschluß gekommen, dem Herrn Reichspräsidenten die Ämter zur Verfügung zu stellen. Von diesem Entschluß hat die Reichsregierung mit Rücksicht auf den ihr zugegangenen dringenden Wunsch des Herrn Reichspräsidenten Abstand genommen, der aus innen- wie außenpolitischen Gründen einen Rücktritt der Reichsregierung für untunlich erachtet. Die Reichsregierung kann ihrerseits die Initiative zur Regelung der Frage im Wege der ordentlichen Gesetzgebung nur dann wieder ergreifen, wenn die politische Lage die parlamentarischen Voraussetzungen dafür schafft.“

[Schreiben des Reichspräsidenten an den Reichskanzler vom 2. 7.:]

„Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Ich höre, daß das Kabinett angesichts des zu erwartenden Scheiterns der Gesetzesvorlage über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit den Fürstenhäusern über die Frage der Auflösung des Reichstages und die des Rücktritts der Reichsregierung berät. Ich möchte Ihnen hierzu meine Auffassung dahin kundtun, daß ich mich zu einer Auflösung des Reichstages aus innen- wie außenpolitischen Gründen zur Zeit nicht entschließen könnte, und daß ich aus denselben Gründen auch einen Rücktritt der Reichsregierung für untunlich erachte. Ich bitte Sie, Herr Reichskanzler, wie die anderen Herren der Reichsregierung daher, von dem Gedanken einer Demission Abstand zu nehmen.

Mit der Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener gez. v. Hindenburg.“

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