1.229.1 (bru2p): Lohnkonflikt im Ruhrbergbau.

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Lohnkonflikt im Ruhrbergbau.

Der Reichsarbeitsminister teilte mit, daß die Schlichtungsverhandlungen über Löhne und Arbeitszeit im Ruhrbergbau bisher ergebnislos verlaufen seien. Der Lohntarif1 und das Arbeitszeitabkommen laufe zum 1. Oktober gleichzeitig ab. Von seiten der Arbeitgeber werde eine 12%ige Lohnsenkung gefordert2. Diese Forderung werde von den Arbeitern rundweg abgelehnt. Sie sei, auch objektiv gesprochen, jedenfalls in dem vorgeschlagenen Ausmaß unerfüllbar angesichts der großen Zahl von Feierschichten, durch die das Einkommen der Belegschaft vielfach derart herabgemindert werde, daß es schon jetzt teilweise unter dem Satze der Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge liege. Wenn es zu keiner Einigung über die Arbeitszeit komme, trete auf Grund des Manteltarifvertrages die 7stündige Arbeitszeit ein gegenüber bisher 8½ Stunden. Bei einer derart verkürzten Arbeitszeit sei ein rationeller Bergbau in heutiger Zeit undenkbar. Die Arbeiterschaft beharre jedoch einstweilen auf der Forderung nach Einführung der 7stündigen Arbeitszeit. Der Schlichter für Westfalen3 sei angewiesen, die bisher ergebnislos verlaufenen Schlichtungsverhandlungen nicht als gescheitert zu bezeichnen, sie vielmehr nur als abgebrochen zu erklären und sich vorzubehalten, die Parteien zu erneuten Verhandlungen einzuladen. Er, Reichsminister Stegerwald, habe am heutigen Vormittage mit den Bergarbeitern verhandelt und habe ihnen eindringlich auseinandergesetzt, daß durch die Entwicklung der Dinge in England, insbesondere durch das Absinken des Pfundes4, die Lage auf dem Kohlenmarkt sehr stark beeinflußt werde, und daß daher unter keinen Umständen an eine Verteuerung des deutschen Kohlenbergbaus zu denken sei, daß vielmehr im Gegenteil eine Erleichterung der Selbstkosten des deutschen Kohlenbergbaus eintreten müsse.

1

Zu diesem Tarif s. Dok. Nr. 216, Anm. 3.

2

Der Zechen-Verband Essen hatte mit Schreiben vom 14.9.31 an den RArbM eine Lohnsenkung mit der verschlechterten Ertragslage des Ruhrbergbaus begründet (Abschrift in R 43 I /2178 , Bl. 305–315; beigefügt war die Abschrift eines Schreibens des Vereins für die bergbaulichen Interessen Essen an das RWiMin. vom 14.9.31 über die gestiegenen Selbstkosten: a.a.O., Bl. 316–320).

3

RegR Prof. Dr. Brahn.

4

S. Dok. Nr. 483, Anm. 1.

Angesichts der Lage seien folgende Möglichkeiten ins Auge zu fassen:

a) Entweder berufe der Reichskanzler die Parteien zu sich, um seinerseits zu versuchen, auf sie im Sinne einer Einigung einzuwirken. Er glaube jedoch, daß ein derartiger Versuch zu keinem Ergebnis führen werde. Einem Mißerfolg glaube er aber den Reichskanzler nicht aussetzen zu dürfen.

[1719] b) Oder es trete am 1. Oktober ein tarifloser Zustand ein. Die Arbeiter würden alsdann zu 7stündiger Arbeitszeit bereit sein. Die Unternehmer würden auf eine 12%ige Lohnsenkung bestehen. Ein derartiger Zustand werde die Lage praktisch den kommunistischen Agitatoren ausliefern.

c) Die letzte Möglichkeit sehe er in dem Erlaß einer neuen Notverordnung, die sich im wesentlichen mit der zu Beginn des Jahres aus ähnlichem Anlaß ergangenen Notverordnung über die Beilegung von Schlichtungsstreitigkeiten öffentlichen Interesses vom 9.1.19315 decken müßte.

5

S. RGBl. 1931 I, S. 1 .

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß die Marktlage durch die Entwicklung der Dinge in England völlig unklar sei. An der Tatsache des Absinkens des englischen Pfundes könne man nicht vorbeigehen. Das Preisniveau für die englische Kohle werde sicherlich nicht unerheblich absinken. Die Reichsregierung müßte es daher wohl oder übel auf die bei einem tariflosen Zustand eintretenden Schwierigkeiten ankommen lassen. Die 7stündige Arbeitszeit werde sich ohne weiteres alsbald als undurchführbar herausstellen.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther meinte, daß durch das Absinken des Pfundes eine ganz bestimmte neue Lage eingetreten sei. Der deutsche Kohlenbergbau müsse das Preisniveau weiter herunterbringen, sonst verhungere das Volk.

Der Reichsarbeitsminister machte sodann ähnliche Ausführungen über das gegenwärtige Preisniveau. Es seien drei verschiedene Preise zu unterscheiden:

1.

Der Preis für Exportkohle. Diese würde unter Selbstkostenpreis abgegeben.

2.

Der Preis für die Kohle, die in das sogenannte bestrittene Gebiet abgesetzt werde, d. h. in das Gebiet, wo der Absatz mit Auslandskohle konkurriere. Auch hier liege der deutsche Preis teilweise unter dem Selbstkostenpreis.

3.

Der Preis für das nichtbestrittene Gebiet. Dieser Preis sei zweifellos auf Kosten der vorgenannten 2 Preisgebiete über den Selbstkostenpreis erhöht.

Die Rückwirkung des Absinkens des englischen Pfundes auf die deutschen Verhältnisse könne nur gesamtwirtschaftlich gelöst werden, nicht aber für den Ruhrkohlenbergbau allein.

Der Reichskanzler meinte, daß man versuchen müsse, für eine gewisse Übergangszeit, etwa für 2 Monate, den alten Zustand aufrechtzuerhalten mit der Begründung, daß man zunächst die Entwicklung der Dinge in England und die Rückwirkungen auf Deutschland abwarten müsse.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg empfahl, die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes auf gütlichem Wege herbeizuführen.

Der Reichsarbeitsminister war gleichfalls der Meinung, daß man heute unter keinen Umständen eine Regelung auf lange Sicht treffen dürfe. England gehe nach seiner Meinung den Weg bewußter Inflation. Dem Versuch einer gütlichen Einigung wolle er nicht widersprechen. Er empfehle jedoch, daß Staatssekretär Dr. Trendelenburg zunächst mit der Arbeitgeberseite verhandeln möge. Er wolle den Reichskanzler nicht in die Lage bringen, einen Mißerfolg zu erleiden.

[1720] Ministerialdirektor Dr. SitzlerSitzler meinte, es sei besser, auf dem Wege einer neuen Notverordnung für 2–3 Monate durchzuhauen, etwa auf der Basis einer 6%igen Lohnsenkung.

Der Reichsarbeitsminister hielt es für richtiger, eine Neuregelung zu treffen, die über Weihnachten hinweg helfe. Nach den Erfahrungen des Vorjahres müßte unter allen Umständen vermieden werden, daß wiederum unmittelbar vor Weihnachten der Ausbruch eines großen Konflikts drohe6.

6

S. Dok. Nr. 215, Anm. 1.

Die Besprechung wurde einstweilen abgeschlossen mit dem Beschluß, zunächst abzuwarten, ob am kommenden Donnerstag und Freitag auf gütlichem Wege mit den Parteien weiterzukommen ist. An diesem Tage werden Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Berlin erwartet.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg solle alsdann mit der Arbeiterseite verhandeln7.

7

Zur weiteren Beratung im Rkab. s. Dok. Nr. 483.

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