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Nr. 116
Bericht des Reichsbankpräsidenten über eine Unterredung mit Owen D. Young. Paris, 20. Februar 1924
R 43 I/40, Bl. 451 f. Umdruck1
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Ein Anschreiben fehlt. Möglicherweise wurde der Bericht durch das AA der Rkei übermittelt. Nach einem hschr. Vermerk des Bürodirektors Ostertag erhielten RWiM Hamm, RFM Luther sowie StS Meissner je ein Exemplar des Berichts.
Vertraulich
Reichsbankpräsident Dr. Schacht berichtet über eine am Abend vor seiner Abreise von Paris2 mit Herrn Young geführte Unterredung folgendes:
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Am 18. und 19. 2. hatten in Paris Besprechungen zwischen dem Währungsunterausschuß des 1. Sachverständigenkomitees und Schacht stattgefunden, die nach Zeitungsmeldungen hauptsächlich dem von Schacht verfolgten Plan einer provisorischen Goldkreditbank (der späteren Golddiskontbank) galten; vgl. DAZ Nr. 84 vom 19. 2., Nr. 85 und 86 vom 20. 2.
Ich hatte soeben eine eineinhalbstündige Unterredung mit Mr. Young über den ganzen Fragenkomplex. Mr. Young bestätigte zunächst den guten Eindruck,[392] den er von den deutschen Stellen bekommen hätte3, betonte ferner, daß es in keiner Weise Absicht des Expertenkomitees sei, irgendwelche politischen Fallen für Deutschland bei seinem Bericht unterlaufen zu lassen und versicherte mir insbesondere auch, daß bei dem Plan für die Währungsbank alles vermieden werden würde, was die gesunde Handhabung der Geschäfte der Bank durch ihre deutschen Direktoren beeinträchtigen könnte.
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Gemeint ist wohl: bei den Arbeiten der all. Sachverständigenkomitees in Berlin Anfang Februar 1924.
Sein Wunsch ginge in erster Linie dahin, den Bericht so abzufassen, daß die Räumung der Ruhr und die Wiedereinbeziehung der Regiebahnen in das deutsche Eisenbahnnetz herbeigeführt werden. […]4
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Schacht referiert Vorschläge Youngs, wie die ausgegebenen Rentenbanknoten durch die zu errichtende dt. Währungsbank eingelöst und wie die dt. Reparationssachlieferungen an Frankreich während eines Übergangsmoratoriums finanziert werden könnten.
Was die Rückgabe der Regiebahnen anlange, so denke er sich die Ausgabe von etwa 10 Milliarden Mark Bons als erste Hypothek auf das gesamte deutsche Eisenbahnnetz. Die Eisenbahnen selbst könnten ruhig im Besitze des Reiches bleiben, aber es müsse eine Betriebsgesellschaft für den Betrieb der Eisenbahnen errichtet werden, in deren Verwaltung Kaufleute säßen und die damit den Betrieb der Eisenbahnen unabhängig von politischen und militärischen Einflüssen machten. In diese Betriebsgesellschaft könne man ähnlich wie bei der Währungsbank einen Kontrolleur setzen, der darüber zu wachen habe, daß die Ausschaltung des politischen Einflusses auch wirklich durchgeführt werde. Von den 10 Milliarden Bons könne man 52% an Frankreich aushändigen, was beim heutigen Kurse einem Frankenbetrag von ca. 26 Milliarden gleichkäme. Er glaube ferner, daß man England veranlassen könne, für seinen Teil hinsichtlich der Zinsen hinter den französischen Teil zurückzutreten. Wie weit dies bei den anderen Alliierten der Fall sein könnte, vermöge er nicht zu sagen. Die Bons, die Frankreich auf diese Weise bekäme, würden voraussichtlich sehr rasch marktfähig gemacht werden können, so daß Frankreich damit eine bald fließende Geldquelle erhielte. Was das taktische Vorgehen anlange, so möchte er unmittelbar, wenn der Expertenbericht herauskäme, eine Erklärung der Englischen, Belgischen und Italienischen Regierung veranlassen, worin dieselben zum Ausdruck brächten, daß sie die Vorschläge der Experten zwar nicht für allseitig befriedigend, aber doch für eine Lösung ansähen. Gleichzeitig wolle er in Amerika ein starkes Hervortreten der öffentlichen Meinung im Sinne des Expertenberichtes veranlassen und erwarte von den Deutschen, daß sie ihrerseits Erklärungen in der Öffentlichkeit herbeiführten, die zwar die Belastung für außerordentlich hoch erklärten, aber schließlich auch noch letzten Endes für tragbar, wenn dadurch die Befriedung Europas und die wirtschaftliche Wiederherstellung herbeigeführt würde. Einem solchen Druck von allen Seiten werde Frankreich nicht standhalten können, so daß er verhätnismäßig zuversichtlich sei. Er bat mich, die maßgebenden Herren in Berlin schon jetzt auf diese Dinge hinzuweisen und würde mir bei meiner Rückkehr nach Paris in etwa 8–10 Tagen Einblick in den bis dahin hoffentlich vorliegenden Berichtentwurf geben, damit ich darüber dann weiter in Berlin Fühlung nehmen könnte. Jedenfalls[393] beabsichtige er, mich nicht eher nach Paris telegraphisch zurückzubeordern, bevor nicht der Bericht in seinen Grundzügen fertiggestellt sei. Er hoffe im übrigen, daß dieser Bericht der Experten ein einstimmiger sein werde. Die politische Situation Poincarés sieht Mr. Young ebenfalls täglich schwächer werdend an und scheint seinerseits nicht unzufrieden zu sein, wenn die weitere Gestaltung des Frankenkurses in der Richtung seiner Bemühungen wirke.
Interessant war noch sein Urteil über Francqui, den er für sehr clever oder besser noch für sehr smart hält. Francqui habe aber das Gute, daß, wenn er mit einem Versuch, etwas durchzusetzen, nicht durchkomme, er dann ruhig zurückwiche. Dies schien sich insbesondere auch auf meine gestrige Diskussion mit Francqui im Komitee zu beziehen.
Paris, den 20. Februar 19245
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Der Bericht ist nicht unterzeichnet.