1.230.2 (ma32p): 2. Mitteilungen über die bevorstehende Ratstagung in Genf.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

Extras:

 

Text

RTF

[1469]2. Mitteilungen über die bevorstehende Ratstagung in Genf.

Staatssekretär v. Schubert erläuterte zunächst die Tagesordnung der bevorstehenden Ratstagung6. Keiner der zur Beratung kommenden Punkte sei von besonderer politischer Wichtigkeit. Folgende Punkte seien erwähnenswert:

1. Der ungarisch-rumänische Optantenstreit, der zur Zeit ruhiger beurteilt werde. Es werde vielleicht möglich sein, eine Lösung auf finanziellem Gebiet zu finden.

2. Der Bericht über die Sz[ent] Gotthard-Affaire, der für Ungarn recht günstig ausgefallen sei. Hierbei werde möglicherweise die Erweiterung der Funktionen des Ratspräsidenten während der Beratungspausen erörtert werden.

3. würde vielleicht das litauisch-polnische Verhältnis zur Sprache kommen.

4. würde voraussichtlich die oberschlesische Schulfrage besprochen werden.

An der Tagung werde Herr Chamberlain persönlich teilnehmen. Frankreich werde vermutlich nur durch Paul-Boncour und Loucheur abwechselnd vertreten sein. Hochpolitische Unterhaltungen außerhalb der Tagesordnung seien demnach nicht zu erwarten. Wahrscheinlich werde unverbindlich vom Kellogg-Pakt gesprochen werden, wobei auch die Juristen der verschiedenen Länder vielleicht ganz unformell und unter sorgfältiger Beachtung der amerikanischen Ablehnung einer Juristenkonferenz7 Fühlung nehmen könnten.

Staatssekretär Dr. v. Schubert erklärte, daß er Gelegenheit nehmen werde, mit dem polnischen Außenminister8 über die wenig erfreulichen Vorgänge bei den deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen zu sprechen.

Weitere vertrauliche Mitteilungen machte Staatssekretär v. Schubert über seine Unterhaltung mit Herrn Benesch bei dessen Berliner Besuch9. Benesch habe seine Eindrücke aus London dahin zusammengefaßt, daß ihm die englische Politik zur Zeit besonders ausgeglichen und friedliebend erscheine.

Er (Staatssekretär v. Schubert) habe Gelegenheit genommen, Deutschlands Mißvergnügen über den Verlauf der Sicherheits- und Abrüstungsverhandlungen stark zu betonen, was seinen Eindruck auf Herrn Benesch nicht verfehlt habe.

Herr Benesch habe des weiteren von seinen Ideen einer wirtschaftlichen Annäherung der kleinen Staaten von Ost-Mitteleuropa untereinander gesprochen, die er sich letzten Endes in Form einer Zollgemeinschaft dieser Staaten vorstelle. Er habe dabei erklärt, daß Deutschland als einzige Großmacht schwer in diesen Rahmen passe, daß damit aber keineswegs eine Spitze gegen Deutschland gegeben sein solle.

Insgesamt hatte Staatssekretär v. Schubert den Eindruck, daß Benesch eine gewisse Annäherung an Deutschland suche.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß die Ausführungen des Herrn Benesch bei ihm eine gewisse Besorgnis etwas verstärkten, die sich auf seine Gespräche[1470] mit Herrn Seipel über die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Donauföderation10 gründe.

Staatssekretär v. Schubert bezweifelte die praktische Durchführbarkeit dieser Pläne. Auch sei England dagegen eingenommen.

Dieser Auffassung schloß sich Staatssekretär Dr. Trendelenburg an.

Der Reichsminister der Justiz bat, die Deutsche Delegation möge besonders in der oberschlesischen Schulfrage den bisherigen deutschen Standpunkt nicht aufgeben. Er machte auf die von Staatssekretär v. Schubert bereits erwähnte Gefahr aufmerksam, durch wenn auch lose juristische Besprechungen über den Kellogg-Pakt eine Verstimmung in Amerika hervorzurufen11.

Fußnoten

6

50. Tagung des Völkerbundsrats vom 4. bis 9.6.28.

7

Siehe hierzu: ADAP, Serie B. Bd. VIII, Dok. Nr. 257; Bd. IX, Dok. Nr. 4 und 7.

8

Zaleski.

9

Siehe die Aufzeichnungen Schuberts über seine Besprechungen mit Benesch am 21., 22. und 23.5.28, in: ADAP, Serie B, Bd. IX, Dok. Nr. 26, 27, 30, 32, 33 und 34; dazu Dok. Nr. 39, 41, 42 und 60.

10

Gemeint sind offenbar die Besprechungen von Marx und Stresemann mit Seipel am 14.11.27 in Wien; siehe ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 106.

11

Eine Berichterstattung im Kabinett über das Ergebnis der Tagung des Völkerbundsrats vom 4. bis 9.6.28 hat nach Ausweis der Kabinettsprotokolle nicht stattgefunden. Zum Verlauf dieser Ratstagung siehe: Schultheß 1928, S. 448 ff.; Aufzeichnung des AA vom 23. 6. (R 43 I /494 , Bl. 99–108); ADAP, Serie B, Bd. IX, Dok. Nr. 61, 65–68, 76, 82 und 83.

Extras (Fußzeile):