1.189 (lut2p): Nr. 358 Vermerk des Ministerialdirektors Pünder über eine Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses und über verschiedene Besprechungen mit Vertretern der Koalitionsparteien zur Flaggenfrage am 7. Mai 1926

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Nr. 358
Vermerk des Ministerialdirektors Pünder über eine Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses und über verschiedene Besprechungen mit Vertretern der Koalitionsparteien zur Flaggenfrage am 7. Mai 19261

1

Der Vermerk ist datiert vom 7. 5.

R 43 I /1028 , Bl. 121-124 Durchschrift

Auf Antrag der Demokraten sollte im Interfraktionellen Ausschuß heute über das Fürstenkompromiß gesprochen werden2. Als Abgeordneter Koch das Wort bekam, sagte er, es sei zu solchen Besprechungen im Augenblick ein ungünstiger Moment, da andere wichtigere Dinge im Vordergrund des Interesses stünden; in der Flaggenfrage sehe er keine Lösung, und er habe auch die Regierung vergeblich gebeten, eine solche Lösung zu suchen. Der Reichstag fühle sich durch die Regierung und namentlich den Reichskanzler stark brüskiert. Am Dienstagabend [4. 5.] habe er noch Luther gebeten, Maßnahmen zur Vermeidung einer Krisis zu ergreifen3. Noch gestern habe er mehrmals dem Reichskanzler gesagt, wenn die Dinge so blieben, müsse die Demokratische Fraktion unbedingt für das sozialdemokratische Mißtrauensvotum stimmen. Der Reichskanzler habe es aber vorgezogen, unbekümmert um solche Mahnungen Berlin zu verlassen. Am Dienstag nächster Woche [11. 5.] sei es zu weiteren Verhandlungen zu spät4. Im übrigen sei es ihm gar nicht recht klar, ob tatsächlich die Initiative zu der Flaggenverordnung beim Herrn Reichspräsidenten gelegen[1346] habe. Aus der Umgebung des Herrn Reichspräsidenten sei ihm jedenfalls die Sache dauernd so dargestellt worden, als wenn der Reichspräsident nur recht gezwungen mitgemacht habe.

2

Im Einladungsschreiben des Ausschußvorsitzenden v. Guérard an die Rkei vom 6. 5. wurde als Tagesordnung dieser Sitzung (Beginn: 14.30 Uhr) mitgeteilt: „1. Fürstenkompromiß, 2. Börsenumsatzsteuer, 3. Garantie zu Gunsten der Reichsbahn.“ (R 43 I /1028 , Bl. 120).

3

Vgl. Anm. 1 zu Dok. Nr. 354.

4

Vgl. Anm. 4 und 5 zu Dok. Nr. 357.

Zunächst erwiderte Herrn Koch kurz und meines Erachtens ziemlich gut Herr Reichsminister Marx: Die Zurückziehung der Verordnung sei unmöglich. Auch eine Abstandnahme vom Erlaß der Verordnung am Mittwoch sei nicht tragbar gewesen, da der Rücktritt der Herrn Reichspräsidenten die unmittelbare Folge gewesen wäre und auch heute noch sein würde.

Abgeordneter Haas bemerkte, es gehe auf die Dauer nicht an, das Parlament fortgesetzt unter den Druck einer Parlamentskrise zu stellen. Auffallend sei auch, daß bei all diesen Anlässen ein solcher Druck stets seine Auswirkung nach links nehme; daß insbesondere der Reichskanzler auch einmal des Reichspräsidenten Druck ausnutze, um auf die Rechte zu wirken, sei bisher nicht erkennbar geworden.

Abgeordneter Scholz: Die Regierung habe zweifellos starke taktische Fehler gemacht, aber man müsse sich auf den Boden der Tatsachen stellen, und es müsse unbedingt erreicht werden, daß ähnliche Vorfälle sich nicht wieder zutrügen. Er empfehle daher, daß die Regierungsparteien geschlossen in energischster Form der Reichsregierung und namentlich dem Herrn Reichskanzler eine Warnung dahin erteilen sollten, daß die Regierung bei einem ähnlichen Falle künftig nicht mehr auf die Unterstützung der Regierungsparteien und der Herr Reichskanzler persönlich auch nicht mehr auf die Unterstützung selbst seiner nächsten Freunde werden rechnen können.

Diese Besprechung, die nur wenige Minuten dauerte, mußte abgebrochen werden, da die Abgeordneten zu namentlichen Abstimmungen den Sitzungssaal verlassen mußten. Infolgedessen konnte auch ich, der ich mich bereits gemeldet hatte, nicht mehr das Wort ergreifen.

Ich habe aber nachher im Plenum und in der Wandelhalle noch mit verschiedenen Herren gesprochen: Leicht, Marx, Külz, Scholz, Koch und Kaas. Das Ergebnis ist meines Erachtens folgendes:

Wichtiger als die Verhandlungen am Dienstag und die Rede des Herrn Reichskanzlers ist der Montag und die unbedingt notwendigen vertraulichen Besprechungen des Herrn Reichskanzlers an diesem Tage. Sämtliche Regierungsparteien erwarten, daß die Regierung von sich aus die Initiative ergreift und Möglichkeiten zur Vermeidung einer Krise sucht. Daß die Demokraten ohne eine solche Initiative der Regierung gegen das sozialdemokratische Mißtrauensvotum stimmen sollten, ist mir nach meinen Feststellungen überaus zweifelhaft. Ihnen wäre sicher auch eine Krisis unangenehm, aber, wie die Stimmung bei den Demokraten ist, scheint es mir nicht ausgeschlossen, daß sie unbekümmert um alle Folgen sich evtl. dem Mißtrauensvotum der Sozialdemokraten anschließen könnten. Anders ist die Stimmung beim Zentrum, das zwar ebenfalls wütend schimpft, es aber bestimmt nicht zu einer Krisis kommen lassen will.

Der Abgeordnete Leicht denkt sich in Übereinstimmung mit dem Abgeordneten Kaas die Lösung dahin, daß am Montag in einer interfraktionellen Besprechung unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers und unter Beteiligung[1347] der maßgebenden Minister die Einsetzung einer Kommission beschlossen wird, in der das gesamte Flaggenproblem geprüft werden soll. Daß diese Kommission natürlich noch nicht am Montagabend zu einem Ergebnis kommen kann, ist allen klar. Im Gegenteil rechnet jeder mit einer Dauer einer solchen Enquête von Wochen und Monaten. Es wäre aber möglich, daß auf diese Weise der Streitpunkt von dem kleinen Spezialfall auf das große Problem abgedreht wird. Ich habe das Empfinden, daß die Demokraten eine solche Lösung mitmachen würden, wenn mit ihnen am Montag gleich gewisse Lösungsmöglichkeiten, die etwa als Richtlinien der Kommission gelten könnten, durchgesprochen werden könnten: Änderung der Reichskriegsflagge und der Kokarde, Vergrößerung der Gösch. Dieser Auffassung ist auch Herr Minister Külz, der eine eingehende Parteiführerbesprechung unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers am Montag für unbedingt erforderlich hält5, da er nicht mehr in der Lage sei, seine Leute zu halten. Diese Parteiführerbesprechung hält er auch schon aus dem äußerlichen Grunde für notwendig, weil für Montag, 2 Uhr nachmittags, der Reichsparteitag der Demokraten einberufen worden ist, wo der Abgeordnete Koch gern über die Verhandlungen mit ihm am Montagnachmittag berichten möchte.

5

Zu dieser Parteiführerbesprechung s. Dok. Nr. 360.

Mit dem Abgeordneten Koch habe ich vertraulich ziemlich eingehend gesprochen und, wie ich glaube, völlig überzeugend ausgeführt, daß dem Herrn Reichskanzler nichts ferner läge als eine Brüskierung des Reichstags, daß er umgekehrt trotz größter Schwierigkeiten die Reise so abgekürzt habe, daß er bereits am Montagvormittag und nicht erst am Dienstagvormittag in Berlin zurücksei. Ich habe Herrn Koch gegenüber auch nochmals unterstrichen, daß dem Herrn Reichskanzler nichts ferner gelegen habe als ein Vorstoß gegen Schwarz-Rot-Gold, daß es vielmehr sein lauterstes Bestreben gewesen sei, Kreise, die bisher der Verfassung und ihren Farben abseits gestanden hätten, zur Verfassung und zur verfassungsmäßigen Flagge hinzuführen. Herr Koch war für diese Mitteilung sehr dankbar, und ich hatte das Empfinden, daß die subjektive Animosität jetzt etwas nachgelassen hat.

Pünder

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