1.231.1 (mu22p): Finanzfragen.

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Finanzfragen.

Der Abgeordnete Brüning berichtete, daß im Anschluß an die Parteiführerbesprechung vom 26. März nachmittags der Anregung des Reichskanzlers entsprechend, in den Abendstunden nochmals versucht worden sei, innerhalb der Parteien zu einer Einigung über die Sicherung der Arbeitslosenversicherung zu[1603] kommen. In dieser Besprechung habe er einen Vermittlungsvorschlag gemacht, der in der Anlage 1) formuliert ist. Über diesen Vermittlungsvorschlag sei sehr lange von den Sachverständigen der Fraktionen diskutiert worden, ohne indessen eine Einigung der Sachverständigen auf diesen Vorschlag zu erreichen. Er sei jedoch ermächtigt, den Vorschlag heute vorzutragen, damit versucht werde, in dem erweiterten Kreise unter Beteiligung der Fraktionsführer zu einem Ergebnis zu kommen.

Der Reichskanzler stellte durch eine ergänzende Anfrage fest, daß an dem in der Regierungsvorlage enthaltenen Vorschlag über die Bildung eines Notstocks für die Reichsanstalt aus der Industrieaufbringungsumlage für 1930 nichts geändert werden solle.

Auf Grund der nachfolgenden weiteren Aussprache wurde die Ziffer 4) der Anlage 1) in der aus Anlage 2) ersichtlichen Form geändert.

Die Vertreter des Zentrums, der Demokraten und der Bayerischen Volkspartei erklärten, daß sie sich mit dieser Fassung abfinden wollten.

Die Vertreter der Sozialdemokratischen Fraktion blieben auch diesem Vorschlage gegenüber bei ihrer früheren Haltung, daß sie die Regelung in Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Vorbereitung der Finanzreform1 für die bessere Lösung hielten, und daß sie deshalb zu dem neuen Vorschlag ihre Zustimmung nicht erklären könnten.

1

Siehe Dok. Nr. 462.

Ebenso äußerten die Vertreter der Deutschen Volkspartei Zweifel, ob die Fraktion die neue Fassung für ausreichend erklären würde, da der Zwang zur Nachprüfung, ob ein weiterer Abbau der Arbeitslosenversicherung möglich sei, nicht genügend stark zum Ausdruck komme.

Angesichts dieses negativen Ergebnisses wurde die Verhandlung auf Wunsch des Reichskanzlers ohne Sachverständige nur mit den anwesenden Führern der 5 Koalitionsparteien fortgesetzt.

Der Reichskanzler richtete an die Fraktionsführer die Frage, ob sie bereit seien, unter dem Druck der politischen Notwendigkeiten zu einer Einigung zu kommen.

Nach kurzer Aussprache wurde beschlossen die Fraktionen nochmals zu befragen. Den Fraktionen soll aufgegeben werden, zu dem bisher erreichten Verhandlungsergebnis in den 3 Fragenkomplexen, nämlich

a) Sicherung der Arbeitslosenversicherung,

b) Steuersenkung und Ausgabenersparnis,

c) Deckungsvorlagen

mit Ja oder Nein Stellung zu nehmen.

Als Verhandlungsergebnis zum Fragenkomplex der Arbeitslosenversicherung wurde die Anlage 2) erklärt.

[1604] Zum Verhandlungsergebnis für den Fragenkomplex b) Steuersenkung wurde die in den vorhergegangenen Parteiführerbesprechungen festgelegte Formulierung der Anlage 3) erklärt2.

2

Siehe Anlage III zu Dok. Nr. 484.

Bezüglich der Frage, welche Gesetzesvorschläge zum Deckungsprogramm gehören, bestanden keine Meinungsverschiedenheiten.

Der Reichskanzler wiederholte die in den früheren Besprechungen abgegebene Erklärung, daß die Reichsregierung auf die Mineralwassersteuer kein ausschlaggebendes Gewicht lege, sofern andere äquivalente Deckungsvorschläge gemacht würden. Der Reichskanzler forderte, daß die Entscheidung der Parteien vor der auf 5 Uhr nachmittags anberaumten Kabinettssitzung vorliegen müsse.

Hiermit waren die Fraktionsführer einverstanden.

Anlage I [Durchschrift]

Das Gesetz über Arbeitsvermittlung usw. wird nach Maßgabe der folgenden Richtlinien geändert:

1. Kann der Bedarf der Reichsanstalt aus den Beiträgen und aus dem Notstock nicht völlig gedeckt werden, obwohl der Beitrag rechtzeitig einheitlich für das Reichsgebiet festgesetzt ist, so gewährt das Reich Zuschüsse, deren Höhe alljährlich im Reichshaushaltsplan festgesetzt wird.

2. Der Reichszuschuß für das Rechnungsjahr 1930 beträgt 150 Millionen Reichsmark, die Höhe der Beiträge beträgt 3½%.

3. Um den Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben der Reichsanstalt zu erleichtern, soll der Vorstand der Reichsanstalt die erforderlichen Maßnahmen auf dem Wege der Verwaltung treffen. Zum gleichen Zweck soll er der Reichsregierung Vorschläge zur Reform des Gesetzes unterbreiten.

4. Übersteigt der Bedarf der Anstalt infolge unvorhergesehener Verschlechterung des Arbeitsmarktes die eigenen Mittel der Anstalt und den Zuschuß des Reichs, so tritt die Darlehnspflicht nach § 163 AVAVG ein, jedoch mit der Maßgabe, daß die Reichsregierung durch ein alsbald vorzulegendes Gesetz entweder durch Beitragserhöhung und Rückzahlung der Darlehen ermöglicht oder zur Deckung der für die Darlehen aufzuwendenden Beträge dem Reiche die notwendigen Einnahmen sicherstellt.

Anlage II [(Durchschrift) in Ziffer 1–3 wie Anlage I]

4. Übersteigt der Bedarf der Anstalt infolge unvorhergesehener Verschlechterung des Arbeitsmarktes die eigenen Mittel der Anstalt und den Zuschuß des Reiches, so tritt die Darlehnspflicht nach § 163 AVAVG ein, jedoch mit der Maßgabe, daß die Reichsregierung nach Prüfung weiterer Ersparnismöglichkeiten auf dem Wege der Gesetzgebung alsbald ein Gesetz vorzulegen hat, das entweder durch Beitragserhöhung die Rückzahlung der Darlehen ermöglicht oder durch eine Reform des Gesetzes über AVAVG den Ausgleich zwischen[1605] Einnahmen und Ausgaben herstellt oder zur Deckung der für die Darlehen aufzuwendenden Beträge dem Reiche die notwendigen Mittel zuführt.

Anlage III [= Anlage III zu Dok. Nr. 484]

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