1.110 (str2p): Nr. 224 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 5. November 1923

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Nr. 224
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 5. November 1923

R 43 I /2193 , Bl. 86

[Betrifft: Ausweisung der Juden in Bayern.]

Die von dem Herrn Generalstaatskommissar Dr. v. Kahr verfügten Ausweisungen jüdischer Personen aus Bayern1 haben erhebliche Rückwirkungen auf andere deutsche Länder, insbesondere auf Preußen. Soweit es sich um preußische Staatsangehörige handelt, habe ich von mir aus das zunächst Erforderliche veranlaßt, die große Menge der Ausgewiesenen sind aber Nichtdeutsche, in[975] der Mehrzahl polnische Staatsangehörige. Die Polnische Regierung hat daher schon mit der Ergreifung von Repressalien gedroht2. Da Preußen das einzige deutsche Land ist, das an Polen grenzt, ist es ohne weiteres klar, daß von solchen Repressalien Preußen in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, betroffen werden würde. Es kommt weiter in Betracht, daß, wie schon jetzt feststeht, sich die Ausgewiesenen fast sämtlich nach Preußen, insbesondere nach Berlin, begeben und hier das schon in reichlichem Maß vorhandene ostjüdische Element vermehren. Die Preußische Regierung beabsichtigt zwar nicht, den Ausgewiesenen, solange sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, das Asyl zu verweigern, erwünscht ist dieser Zuzug aber nicht, da dadurch auch in Preußen vorhandene Stimmungen und Strömungen, die solchem Zuzug feindlich gegenüberstehen, neue Nahrung erhalten, was zur Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, zumal in politisch gespannten Zeiten wie augenblicklich, führen kann.

1

S. Anm. 4 zu Dok. Nr. 215 sowie Dok. Nr. 221.

2

S. Anm. 4 zu Dok. Nr. 211.

Ich halte es daher für dringend geboten, daß seitens der Reichsregierung mit aller Beschleunigung ernstliche Vorstellungen bei der Bayerischen Staatsregierung erhoben werden, und bitte ergebenst um eine baldgefällige Mitteilung Ihrer Entschließung3.

3

Nachdem StS von Haniel am 6.11.23 über die Form der Ausweisungspraxis an Rkei und AA berichtet hatte, stützte RReg. v. Stockhausen hierauf seinen Antwortentwurf an den PrMinPräs., der vom StSRkei am 11.11.23 abgesandt wurde. Für die bayer. Ausweisungen bestünden keine festen Richtlinien, sondern sie erfolgten nach freiem Ermessen des Generalstaatskommissars. Ausgewiesen würden im allgemeinen Personen, die gegen Gesetz und gute Sitten verstoßen oder die in der Rätezeit die Kommunisten finanziell unterstützt hätten. Einige Ausweisungen seien zurückgenommen worden. Geschäftsinhabern werde freigestellt, ihre Betriebe durch Angestellte weiterführen zu lassen (R 43 I /2193 , Bl. 87–89). Am 6.11.23 übersandte das AA der Rkei einen Bericht des Jüdischen Korrespondenz-Büros zur Kenntnisnahme, wonach von der polnischen Regierung erklärt worden sei, sie werde alle in Polen lebenden Bayern ausweisen, wenn Bayern die Ausweisungsverfügungen nicht zurücknehme (R 43 I /2193 , Bl. 90–91). Daß er die Beschwerden des PrMinPräs. im bayer. StMin. d. Äußern zur Sprache gebracht habe, berichtete StS von Haniel der Rkei am 15.11.23; dabei sei ihm nochmals versichert worden, „daß grundsätzlich keine Ausweisungen ohne triftigen, völkerrechtlich vertretbaren Grund, also nicht etwa bloß wegen fremder Staatsangehörigkeit oder jüdischer Konfession, erfolgten“. Soweit mit bayerischen Belangen vereinbar, wolle man Repressalien gegenüber Auslandsdeutschen zu verhindern suchen. „Andererseits aber könne man nicht verhindern, daß die unter Beachtung obiger Grundsätze aus Bayern Ausgewiesenen nach Preußen abwanderten, und müsse der Preußischen Regierung anheimstellen, sich dieses unerwünschten Zuzuges ihrerseits zu entledigen“ (R 43 I /2193 , Bl. 107).

Braun

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