1.66 (lut2p): Nr. 235 Aufzeichnung des Staatssekretärs Trendelenburg über die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen. 27. November 1925

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Nr. 235
Aufzeichnung des Staatssekretärs Trendelenburg über die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen. 27. November 19251

1

Unter diesem Datum von Trendelenburg an Rkei und AA als Material für die Londoner Konferenz (1. 12.) übersandt.

R 43 I /1119 , Bl. 155-161 Durchschrift

Bereits auf der Londoner Konferenz 1924 haben die deutschen Vertreter (Dr. Luther, Dr. Trendelenburg) das von Clémentel und Seydoux zum Ausdruck gebrachte Verlangen nach einem Handelsvertrag nach dem Muster des französisch-tschechoslowakischen Vertrages (d. h. unter starker Differenzierung des deutschen Exports, aber Gewährung der Meistbegünstigung seitens Deutschlands an Frankreich) abgelehnt. Seit Beginn der deutsch-französischen Wirtschaftsverhandlungen am 1. Oktober 1924 hat die deutsche Delegation den Grundsatz der gegenseitigen Meistbegünstigung stets als das unverrückbare Ziel in den Vordergrund gestellt. Nach langen Kämpfen und unter dauernden Schwankungen haben die Franzosen zwar dieses Ziel grundsätzlich auch ihrerseits anerkannt, in der praktischen Durchführung jedoch stets starke Differenzierungen Deutschlands in einem provisorischen Statut sowie auch Differenzierungen für eine gewisse Zeit in einem definitiven Vertrag verlangt, ohne ihrerseits die Forderung auf Einräumung der deutschen Meistbegünstigung de jure aufzugeben. Vor allem hatten sie sich stets geweigert, einen automatischen Übergang von einem Provisorium mit Diskriminierungen in ein Definitivum ohne Diskriminierung ins Auge zu fassen.

[907] Demgegenüber bedeutet der letzte französische Vorschlag vom 26./27. Oktober 19252 insofern einen Fortschritt, als die französische Delegation, ohne daß beim letzten Zusammensein der beiderseitigen Präsidenten hierüber gesprochen wäre, ihrerseits mit dem Vorschlage eines automatischen Übergangs vom Provisorium in den definitiven Zustand hervortritt. Eine solche automatische Umwandlung des Provisoriums in einen definitiven Vertrag ist, ganz abgesehen von den grundsätzlichen Vorteilen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen deshalb besonders notwendig, weil nur in einem längeren Vertrage ausreichende Sicherungen gegen die Gefahren eines weiteren Frankensturzes3 möglich sind. Alle deutschen Wirtschaftskreise sind über die Währungsentwicklung in Frankreich in den letzten Wochen mit wachsender Besorgnis erfüllt. Insbesondere ist es die Eisenindustrie, welche nicht nur auf dem Auslandsmarkt einer unerträglichen Konkurrenz der französischen Industrie begegnet, sondern auch auf dem Inlandsmarkt sich Preisangeboten aus Lothringen gegenüber sieht, welche kaum die Gestehungskosten der deutschen Werke decken. Es ist daher der französischen Delegation unter der Hand zu verstehen gegeben worden, daß wir dem Gedanken des automatischen Übergangs vom Provisorium ins Definitivum, wie sie die letzte französische Note vorschlägt, nach wie vor sympathisch gegenüberstehen. Voraussetzung dabei ist aber – und das wäre mit allem Nachdruck hervorzuheben – die Bereitwilligkeit der französischen Regierung, in geeigneter Form eine Sicherheit gegen die schädlichen Auswirkungen eines weiteren Abgleitens des Franken zu geben.

2

S. die Note des frz. Handelsministeriums vom 26.10.25, die durch Hoesch am gleichen Tage an das AA telegrafisch übermittelt wurde (Pol. Arch. des AA, Büro StS, Bfr, Dt.- Frz. Handelsvertrag, Bd. 2).

3

Der Wert des Franken war seit April 1925 um etwa 20% gesunken.

So sehr die deutsche Delegation hiernach mit den deutschen Wirtschaftskreisen die grundsätzliche Einstellung der Note vom 26. Oktober 1925 begrüßt, so entschieden muß sie sich allerdings gegen die praktische Ausgestaltung dieses Gedankens wenden, wie sie die franz. Note in Verbindung mit den überreichten Anlagen vorsieht. Denn diese Ausgestaltung wird den berechtigten deutschen Interessen in keiner Weise gerecht. Namentlich sind es zwei grundsätzliche Punkte, welche die deutsche Delegation unter keinen Umständen anerkennen kann, und ohne deren befriedigende Lösung ein langfristiger deutsch-franz. Handelsvertrag nicht denkbar ist:

Erstens verlangt der franz. Vorschlag für die ganze Dauer des Vertrages eine feste Bindung des deutschen Zollniveaus für alle wesentlichen Waren des franz. Exportinteresses. Auf der andern Seite aber lehnt Frankreich eine Bindung seines Zollniveaus mit der Begründung ab, daß die Französische Regierung in der Bestimmung des Schicksals der geplanten franz. Zolltarifrevision den gesetzgebenden Körperschaften nicht vorgreifen könne. Ohne die Schwierigkeiten verkennen zu wollen, welche der Französischen Regierung aus der Unkenntnis des Schicksals ihres künftigen Zolltarifs erwachsen, muß von uns mit aller Entschiedenheit betont werden, daß diese Schwierigkeiten, die nicht in unseren Verhältnissen liegen, keinen Anlaß geben können, entscheidende Belange[908] der deutschen Wirtschaft hintanzustellen. Ein Vertrag, in welchem Deutschland sein Zollniveau bindet, Frankreich aber in der Festsetzung seiner Zölle freie Hand behalten würde, würde (selbst wenn die Reichsregierung einen solchen Vertrag wollte) keinerlei Unterstützung im Reichsrat und Reichstag finden. Ein Kündigungsrecht bei unbilligen französischen Zollerhöhungen, wie es die Französische Regierung angeboten hat, genügt keinesfalls. Denn die Deutsche Regierung würde dann bei jeder französischen Zollerhöhung vor der Frage stehen, ob sie aus diesem Einzelanlaß heraus das Odium der Kündigung des ganzen Vertrages auf sich nehmen soll.

Der zweite grundsätzliche Übelstand in der Ausgestaltung des letzten französischen Vorschlages ist das Ausmaß der von Frankreich geforderten Diskriminierungen Deutschlands. Nicht nur im provisorischen Statut soll Deutschland auf allen wesentlichen Gebieten seines Exports gegenüber seinen Konkurrenten schlechter gestellt sein, sondern diese Diskriminierung soll auch im definitiven Zustand sich noch auf 18 Monate hinaus in großem Umfange auswirken. Dieses Ausmaß der Diskriminierung stellt eine unerträgliche Zumutung an die deutsche Wirtschaft dar, und es ist von ganz besonderem Interesse, daß offenbar auch in Frankreich die Erkenntnis wächst, daß derartige Forderungen gegenüber einem selbstbewußten Staate keinerlei Aussicht auf Annahme finden können, sondern den Verzicht auf Handelsverträge mit den großen Wirtschaftsstaaten überhaupt bedeuten. In den letzten Wochen sind die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen nicht nur Gegenstand wiederholter Erörterung in der französischen Presse gewesen, sondern haben auch zu erregten Debatten in der Kammer und im Senat geführt. Überall kommt der Unwille über die bisherige franz. Verhandlungsart zum Ausdruck. Namentlich sind es die Vertreter der Landwirtschaft (Wein, Frühgemüse, Obst, Schnittblumen), welche das bisherige Verfahren kritisieren und darauf hinweisen, daß es der Italienischen, Belgischen und Holländischen Regierung gelungen sei, auf dem Grundsatz der beiderseitigen Meistbegünstigung zu vernünftigen Handelsverträgen mit Deutschland zu gelangen. Hierdurch sei die französische Landwirtschaft mit ihren großen Ausfuhrinteressen nach Deutschland völlig vom deutschen Markt verdrängt, und es bestehe auch offensichtlich keine Hoffnung, diesen Zustand zu ändern, wenn man an der bisherigen Auslegung des französischen Gesetzes von 1919 (es ist das das Gesetz, welches angeblich die Gewährung der Meistbegünstigung verbietet) festhielte. Sogar Clémentel, welcher sich bei der Londoner Besprechung4 gegenüber Herrn Dr. Luther als Vater des Gesetzes von 1919 bezeichnete, hat in der Senatsdebatte eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß man dieses Gesetz auch anders als bisher auslegen könne, und daß einer Gewährung der Meistbegünstigung an Deutschland ein gesetzliches Hindernis nicht entgegenstünde.

4

S. oben.

Die Deutsche Regierung ist trotz der großen Bedenken, welche sich aus der Entwicklung des französischen Franken ergeben, nach wie vor bereit, der politischen Verständigung die notwendigen wirtschaftlichen Abmachungen folgen[909] zu lassen. Sie hat daher der Französischen Regierung mitgeteilt, daß der Präsident der Deutschen Delegation dem Präsidenten der Französischen Delegation zu einer zunächst orientierenden Besprechung zur Verfügung stünde, sobald die französische Kabinettsbildung erfolgt sei5.

5

Diese erfolgt am 28.11.25 durch Briand, der auch wieder das Außenministerium übernimmt.

Von Spezialfragen sind es namentlich zwei Punkte, welche Briand anschneiden könnte: Elsaß-Lothringen und die Saar. Was das Spezialinteresse Elsaß-Lothringens angeht, so ist bereits auf der Londoner Konferenz das Verlangen von Clémentel nach einer Fortdauer des Zustandes, wie er im Versailler Vertrag für 5 Jahre festgelegt war6, abgelehnt worden. Im Laufe der Wirtschaftsverhandlungen ist es auch gelungen, die Forderung der Franzosen auf Spezialkontingente auf ein für uns erträgliches, bescheidenes Maß zurückzudrängen. Insbesondere haben die Verhandlungen im Sommer beiderseitig Kontingente für Lothringer Eisen und Elsässer Textilien nicht vorgesehen. Es wäre aber nicht ausgeschlossen, daß Frankreich auf diesen Gebieten mit seinen alten Wünschen wieder hervortritt. Demgegenüber müßte unsere Entschiedenheit in der Ablehnung erneut betont werden. Den berechtigten Wünschen Elsaß-Lothringens betreffs Textilien kann durch eine vernünftige Ausgestaltung von Expositionen aus den in Frage kommenden Tarifnummern Rechnung getragen werden. Der Eisenfrage ist durch Festsetzung von zollfreien oder zollbegünstigten Kontingenten in keinem Falle beizukommen, zumal der Frankensturz gerade auf diesem Gebiete verheerend wirkt.

6

S. dazu Dok. Nr. 13, Anm. 8.

Was die Saarfrage anlangt, so ist das Zustandekommen des Saarabkommens vom Juli d. J.7 bekanntlich von einer Vergütung der Saar-Eisenindustrie an die Lothringische Industrie abhängig. Bei dem gegenwärtigen Stande der internationalen Eisenwirtschaft kann eine Vergütung an die ganz überragend günstig dastehende Lothringer Industrie nicht mehr in Frage kommen8. Das Saarabkommen kann daher in seiner jetzigen Gestalt keinesfalls in Kraft[910] treten. Die Deutsche Delegation ist aber bereit, auch über eine Regelung dieses für beide Teile gleich wichtigen Problems alsbald erneut in Besprechungen einzutreten9. Im engen Zusammenhange mit dem Saarproblem steht die Eisenfrage, d. h. die Hereinnahme Lothringer Eisens durch die Ruhrindustrie in Verbindung mit einer internationalen Regelung über den Absatz von Eisenprodukten auf dem Weltmarkt. Die Deutsche Delegation steht nach wie vor auf dem Standpunkt, daß eine Regelung des Austausches von Eisenprodukten am besten nicht durch staatliche Vereinbarungen, sondern durch privatwirtschaftliche Verträge erfolgt, und die deutsche Eisenindustrie ist auch bereit, dementsprechend in erneute Verhandlungen mit der französischen Industrie einzutreten, sofern diese bereit ist, die Erörterungen auf die außerdeutschen Märkte zu erstrecken10.

7

S. Dok. Nr. 121, P. 1.

8

Nähere Einzelheiten hierzu in den Akten der Rkei nicht ermittelt. In einer gedruckten Aufzeichnung über die Sitzung des Hauptvorstandes des Vereins Dt. Eisen- und Stahlindustrieller vom 29.9.25 heißt es hierzu: „Das Schlimmste an dem Abkommen aber ist die Verkoppelung der Saarindustrie mit der Lothringens, denn die im Schlußprotokoll als Vorbedingung für die Ratifikation enthaltene Bestimmung über eine Abmachung zwischen der […] Industrie der Saar und der Frankreichs [s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 121] bedeutet nichts anderes, als daß die Saareisenindustrie mit der Lothringens einen Vertrag schließen soll über die Zahlung einer Abgabe für jede Tonne Eisen, die die Saarhütten nach Deutschland ausführen.“ Damit würde sich die Saareisenindustrie Lothringen gegenüber mit einem Betrag von 5 Mio RM jährlich belasten. „Mit diesen 5 Millionen hätte Frankreich die Möglichkeit, 200 000 Tonnen Eisen […] nach Deutschland hineinzuwerfen und sich den Zoll für diese Einfuhr von der Saareisenindustrie bezahlen zu lassen. Zieht man noch in Betracht, daß die lothringischen Produktionskosten etwa 20 v. H. unter den deutschen liegen und auch niedriger sind als die der Saar, daß ferner Frankreich infolge der Frankeninflation im Valutadumping besonders billige Ausfuhren tätigen kann, so ersieht man, daß Frankreich mit Leichtigkeit in der Lage wäre, unter Überspringung des deutschen Eisenzolls den deutschen Markt derart mit Material zu überschwemmen und die Preise zu verwüsten, daß die deutschen Werke mehr und mehr zum Erliegen kommen.“ (R 13 I /1100 )

9

Eine neue „Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich über den Warenaustausch zwischen Deutschland und dem Saarbeckengebiet“ wird am 5.8.26 in Paris unterzeichnet. Sie tritt durch VO der RReg. am 21.8.26 in Kraft (RGBl. II, S. 534 ).

10

Zur Bildung einer internationalen Rohstahlgemeinschaft kommt es erst am 30.9.26 in Brüssel. Von einer Gesamtproduktion von 27,5 Mio t werden Dtld. 43%, Frankreich 31%, dem Saargebiet 6%, Belgien und Luxemburg 20% zugebilligt („Tägliche Rundschau“, 1., 5. und 8.10.26). Wenig später wird zwischen den Eisenindustrien Dtlds., Frankreichs und Luxemburgs ein neues Kontingentabkommen geschlossen, das für Frankreich und Luxemburg in Dtld. einen Absatz in Höhe von 6,5% des dt. Inlandsabsatzes vorsieht („Tägliche Rundschau“ vom 23.11.26).

gez. Trendelenburg

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