1.102 (str2p): Nr. 216 Reichsminister für Wiederaufbau Robert Schmidt, Reichsjustizminister Gustav Radbruch, Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann an den Reichskanzler, 2. November 1923

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[954] Nr. 216
Reichsminister für Wiederaufbau Robert Schmidt, Reichsjustizminister Gustav Radbruch, Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann an den Reichskanzler, 2. November 1923

R 43 I /1305 , Bl. 211

[Betrifft: Demission der sozialdemokratischen Minister.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Politische Ereignisse der letzten Zeit haben zu schweren Meinungsverschiedenheiten im Kabinett geführt. Die Unterzeichneten hatten deshalb bereits am 29. Oktober ihre Absicht ausgesprochen, aus der Reichsregierung auszutreten1. Sie haben die endgültige Entscheidung ihrer Fraktion anheimgestellt. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat in Überinstimmung mit uns bestimmte Voraussetzungen formuliert2, ohne deren Erfüllung unsere Mitarbeit im Kabinett unmöglich wäre. Da diese Voraussetzungen nicht erfüllt worden sind, erklären wir im Einverständnis mit der sozialdemokatischen Fraktion hiermit unseren Rücktritt3.

1

Vgl. Anm. 5 zu Dok. Nr. 192.

2

Vgl. Anm. 26 zu Dok. Nr. 212.

3

In der Fraktionssitzung am 2.11.23, 15.30 Uhr hatten die Abg. David und H. Schulz vor der Auflösung der Koalition gewarnt, während Breitscheid und Wissell die Ansicht vertreten hatten, daß ein weiteres Verbleiben in der Großen Koalition die SPD schädigen werde angesichts der Politik gegenüber Bayern. Dazu hatte Wissell gemeint: „Wir müssen natürlich große Verschlechterung in Aussicht nehmen. Ich sehe schwarz, aber es gibt keinen Ausweg. R. Schmidt: Annahme unserer Forderungen war für Stresemann unmöglich. Für uns ist jetzt nichts anderes möglich, als Austritt. Für die Partei wird die Sache nicht so schlimm. Die politischen Folgen sind schwer. Geschichte wird uns anklagen. Schlußwort Müller: Lösung des bayer. Konflikts durch RReg. mit Soz. nicht möglich. Ebenso Revision der Reichsverfassung mit diesem Reichstag nicht möglich. Frage Rheinland: Lieber Rheinland oder Bayern verlieren? Lieber das Letzte. Position in den Ländern, auch Sachsen u. Thüringen verloren. Dazu sozialpol. Rückschritte. Trotzdem gibt’s keine andere Möglichkeit“ (Arch.soz.Dem.: NL Keil  II/24). Der Abg. Giebel schloß seine stichwortartige Aufzeichnung der Fraktionssitzung mit dem Satz: „Viele hörten nur den Lärm der Versammlung“ (Arch.soz.Dem.: NL Giebel, Kass. II, Mappe III, Bl. 268 ff.). Die Fraktion der Sozialdemokraten faßte den Rücktrittsbeschluß am 2.11.23 um 17 Uhr. Die drei Minister überreichten ihr Gesuch auf Demission um 18 Uhr (s. Vermächtnis I, S. 193). Die Entlassungsurkunden wurden den ehemaligen Ministern am 3.11.23, 18.15 Uhr vom Büro des RPräs. zugestellt (R 43 I /1305 , Bl. 212–215). Die BVP-Korrespondenz vermutete, wie StS v. Haniel am 6.11.23 berichtete, daß sich Stresemann noch nicht endgültig von den Sozialdemokraten gelöst habe. Ein Wechsel oder eine Milderung der Opposition werde „von den kommenden Taten seiner sozialistenfreien Politik abhängig“ gemacht (R 43 I /2234 , Bl. 20). S. a. G. Arns, Regierungsbildung und Koalitionspolitik in der Weimarer Republik 1919–1924, S. 172 ff.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Robert Schmidt

Dr. Gustav Radbruch

Wilhelm Sollmann

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