1.8 (feh1p): Innenpolitik

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   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

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Innenpolitik

In der Innenpolitik hatte sich das Kabinett Fehrenbach mit einer ganzen Fülle von Aufgaben zu befassen. Nach einer ganz groben Einteilung handelte es sich hier einerseits um Aufgaben, die sich aus einem festen verfassungs- oder verwaltungsrechtlichem Auftrag herleiteten, andererseits um solche Aufgaben, die durch den Gang der Ereignisse selbst gestellt wurden. Da eine ausführliche Darstellung der innenpolitischen Gesamtentwicklung in diesem Rahmen zu weit führen würde, sollen hier nur einige Aufgabenbereiche kurz dargestellt werden.

Bei der Ausführung verfassungsrechtlicher Vorschriften beschäftigte sich das Kabinett zunächst mit der Reichspräsidentenwahl. Nachdem durch die Reichstagswahl vom 6. Juni 1920 alle verfassungsrechtlichen Bedingungen für diese Wahl erfüllt waren, hatte der Reichspräsident Ende Juni gebeten, den Reichstag zu verlassen, bald einen Termin für die Wahl zu bestimmen. Bei den folgenden Beratungen im Kabinett hatte sich jedoch bald ergeben, daß die geplante Wahl in den Abstimmungsgebieten problematisch sein würde, da die staatliche Zugehörigkeit dieser Gebiete noch nicht geklärt war. Das Kabinett beschloß daher, den Parteien zu empfehlen, die Wahl des Reichspräsidenten auf die Zeit nach der Abstimmung zu verschieben. Die Parteien erklärten sich im Laufe des Juli 1920 mit dieser Regelung einverstanden und auch der Reichspräsident stimmte ihr zu281. Erneut wurde die Reichspräsidentenwahl erst im Juni 1922 durch das Kabinett Wirth behandelt282.

281

Dok. Nr. 7, P. 5; 36, P. 6; 42, P. 2.

282

Siehe dazu den Band „Das Kabinett Wirth“ dieser Edition.

In diesen Bereich der Grundlegung des neuen Staates gehörte auch die Bildung eines neuen Staatsbewußtseins. Hier war nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches eine neue Tradition zu schaffen, die nun die Erfahrungen des Krieges und der Staatsgründung miteinzuschließen hatte. Insbesondere ging es dabei um die Festlegung eines Nationalfeiertages und eines allgemeinen Trauertages, an dem der Opfer des Krieges gedacht werden sollte.

Bisher hatte in dieser Frage eine allgemeine Unsicherheit geherrscht. In einigen Ländern war der 1. Mai, in anderen Ländern der 9. November als Feiertag begangen worden283. Die ganze Gebrochenheit des nationalen und staatlichen Bewußtseins in Deutschland wurde offenbar, als die Reichsregierung eine Beflaggung der öffentlichen Gebäude am 11. August ablehnte und dies mit der nationalen Erniedrigung Deutschlands nach dem Kriege begründete284. Auf[LXII] Wunsch der Preußischen Regierung befaßte sich das Kabinett schließlich Mitte Dezember mit der Frage eines Nationalfeiertages, doch wurde dieser Antrag bereits im Kabinett aufgehalten. Man beschloß, die weitere Beratung über diese Frage auszusetzen. Auch ein Gesetzentwurf über einen allgemeinen Trauertag, den der Reichsinnenminister bereits im November vorgelegt hatte, scheiterte. Bei den Beratungen im Reichsrat ließ sich über die Terminfestsetzung keine Einigung erzielen, und so zog das Kabinett den Gesetzentwurf zurück285. Erst 1925 wurde ein allgemeiner Volkstrauertag geschaffen.

283

Dok. Nr. 104, P. 3; 143, Anm. 7.

284

Dok. Nr. 42, P. 4.

285

Dok. Nr. 143, P. 4; 180, P. 2.

Zu den mehr praktischen Aufgaben des Kabinetts Fehrenbach gehörte die Neuordnung der Reichsverwaltung. Noch bestanden aus der Kriegszeit her eine ganze Reihe von Kriegsgesellschaften, deren Tätigkeitsfeld bei gleich großem Personalbestand jedoch immer kleiner wurde. Gleichzeitig waren neue Organisationen geschaffen worden, die sich mit der Abwicklung der Kriegsangelegenheiten und mit der Ausführung des Friedensvertrages befaßten. Die Reichsverwaltung war auf weiten Gebieten schwerfällig, kompliziert und wenig wirksam geworden und belastete mit ihren hohen Kosten den Haushalt des Reiches erheblich. In den finanzpolitischen Richtlinien vom 9. Oktober forderte der Reichsfinanzminister daher eine Verwaltungsbeschränkung und -vereinfachung, die die Reichsverwaltung transparenter, effektiver und vor allem billiger machen sollte. Mit der Ausarbeitung von Plänen wurde der zum Reichskommissar ernannte Präsident des Landesfinanzamtes Unterweser, Carl, beauftragt286.

286

Dok. Nr. 85, P. 1 und Anlage.

Mitte Dezember trug Carl seine Vorschläge zur Verwaltungsreform im Kabinett vor. Sie sahen die Auflösung und Zusammenlegung von Ministerien, die Neuordnung der unteren Behördenorganisation, eine teilweise Umschichtung der Aufgaben und die Schaffung der entsprechenden finanziellen Voraussetzungen vor. Carl stieß mit diesen Vorschlägen jedoch auf den Widerstand des Reichsinnenministers Koch, der die Reichsverwaltung im wesentlichen erhalten wollte und die Hauptaufgabe in der Dezentralisation sah. Es gelang Koch, den Reichskommissar im Kabinett zu isolieren und die Einsetzung eines gemischten Ausschusses zu erreichen287, der aus Mitgliedern der Reichsregierung, des Reichstages und des Reichsrates bestehen und dessen Vorsitz Minister Koch erhalten sollte. Reichskommissar Carl trat daraufhin von seinem Amt zurück288. Die Verwaltungsreform war damit zunächst an den unterschiedlichen Auffassungen und an den Kompetenzstreitigkeiten der Ministerien gescheitert.

287

Dok. Nr. 141, P. 2; 163, P. 3.

288

Dok. Nr. 179, P. 2; 194, P. 3.

Eine Aufgabe, der sich das Kabinett in der zweiten Hälfte des Jahres 1920 gegenübergestellt sah, war die Erhöhung der Beamtenbesoldung. Seit Mitte des Jahres war eine steigende Unruhe in der Beamtenschaft zu bemerken gewesen, die ihre Ursache in der schlechten Besoldung der Beamten bei gleichzeitig steigender Preisentwicklung hatte. Mitte November hatte sich der Deutsche Beamtenbund zum Sprecher der Beamtenschaft gemacht und hatte eine generelle Anhebung der Teuerungszuschläge und der Kinderzuschläge gefordert. Die Gesamtsumme dieser Forderungen belief sich auf 2,3 Milliarden Mark.

[LXIII] Die Reichsregierung erkannte die Notwendigkeit einer Erhöhung der Beamtenbesoldung zwar grundsätzlich an, doch ließ die angespannte Haushaltslage Mehrausgaben in dieser Höhe nicht zu. Auch die Finanzminister der Länder, die in dieser Angelegenheit gehört wurden, sprachen sich gegen eine Erhöhung aus. Um den berechtigten Forderungen der Beamten dennoch entgegenzukommen, entschloß sich das Kabinett, eine Teilerhöhung der Teuerungszuschläge vorzunehmen. So sollten lediglich die Teuerungszuschläge zu den Kinderzuschlägen, nach Ortsklassen gestuft, angehoben werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am 20. November im Kabinett verabschiedet und trat noch im Dezember 1920 in Kraft289. Damit glaubte das Kabinett, die Forderungen der Beamten zunächst aufgefangen zu haben.

289

Dok. Nr. 108; 109, P. 2; 116, P. 6.

Bereits im November war es jedoch erneut zu Unruhen in der Beamtenschaft gekommen. Diesmal ging die Bewegung von den Beamten und Arbeitern der Eisenbahn und Post aus, die eine Anhebung ihrer Löhne und Gehälter und eine schnelle Verabschiedung der Besoldungsneuordnung forderten290. Mitte Dezember verschärfte sich der Konflikt, und schon wurden von den Eisenbahnerverbänden Abstimmungen durchgeführt, ob bei einem Scheitern der Lohnverhandlungen gestreikt werden sollte. Die Reichsregierung erkannte die Gefahr, die in dieser Entwicklung lag, und suchte, den Einfluß auf die Eisenbahner gegenüber den Verbänden wiederzugewinnen. Ein zur taktischen Vorbereitung eingesetzter Staatssekretärsausschuß empfahl, auf die Forderungen der Eisenbahner einzugehen, jedoch sollte zunächst nur eine Aussprache herbeigeführt und nicht eigentlich verhandelt werden.

290

Dok. Nr. 126.

Inzwischen hatte sich die Lage jedoch weiter verschärft. In den ersten Januartagen war aus dem besetzten Gebiet die Nachricht gekommen, daß die Irko einen Streik der Eisenbahner mit einer Übernahme der Bahnen durch das Militär beantworten würde. Da gleichzeitig die Streikbereitschaft unter den Eisenbahnern wuchs, entschloß sich das Kabinett, die Art seines Vorgehens zu ändern und den Forderungen der Beamten und Arbeiter der Eisenbahn und Post sofort entgegenzukommen291. Nach langen Verhandlungen mit den Gewerkschaften und dem Beamtenbund kam es schließlich am Abend des 14. Januar zu einer Einigung, nach der die Teuerungszuschläge zum Grundgehalt und zum Ortszuschlag wesentlich erhöht werden sollten. Gleichzeitig wurde ein Gesetzentwurf verabschiedet, nach dem die durch diese Regelung bedingten Mehrausgaben durch Steuererhöhungen und neugeschaffene Steuern gedeckt werden sollten292. Die Gefahr, die in dieser Bewegung gelegen hatte, war damit gebannt.

291

Dok. Nr. 140, P. 3; 146, P. 1.

292

Dok. Nr. 151, P. 4; 154; 155, P. 1.

Im Bereich der Innenpolitik gehörte auch das Bemühen des Kabinetts, links- und rechtsradikale Umsturzversuche auf den noch jungen demokratischen Staat abzuwehren. Das Kabinett Fehrenbach befand sich hier in einer günstigen Ausgangsposition. Während die rechtsextremen Gruppen sich durch den mißglückten[LXIV] Kapp-Putsch zunächst selbst ausgeschaltet hatten, waren die linksextremen Parteien mit ihrer ideologischen und organisatorischen Neuformierung im Zuge der Spaltung der USPD beschäftigt. Erst Mitte März 1921 hatte sich die innerparteiliche Entwicklung auf der Linken so weit geklärt, daß die VKPD, wie sich die aus dem Zusammenschluß des linken Flügels der USPD und der KDP entstandene Partei jetzt nannte, einen entscheidenden Schlag gegen die Reichsregierung führen zu können glaubte. Als Anlaß benutzte sie Unruhen unter der Arbeiterschaft des Halle-Merseburger Industriebezirks, die bereits länger andauerten293. Auf ihre Weisung hin kam es zu einem Aufstand der kommunistischen Arbeiterschaft, der jedoch durch preußische Polizeitruppen niedergeschlagen wurde. Die Hoffnung der Kommunisten, den Aufstand auch auf die anderen Industriezentren und auf die Großstädte ausdehnen zu können, scheiterte; auch ein Aufruf zum Generalstreik hatte keine Wirkung. Die revolutionäre Bewegung war von den Kommunisten überschätzt worden294.

293

Siehe dazu Werner T. Angress, Stillborn Revolution. The Communist Bid for Power in Germany 1921–1923, Princeton 1963, S. 123 ff.

294

Dok. Nr. 208; 219; 221; 222; 224.

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