1.32.1 (vpa2p): 1. Bericht des Reichsministers des Auswärtigen über Genf.

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1. Bericht des Reichsministers des Auswärtigen über Genf1.

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In Genf fanden fast gleichzeitig Tagungen des Büros der Abrüstungskonferenz (21.–26. 9.), des Völkerbundsrats (23. 9.–3. 10.) und der Völkerbundsversammlung (26. 9.–17. 10.) statt. Zur Kabinettserörterung über die Genfer Tagesordnung s. Dok. Nr. 149, P. 3.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete, daß bei seiner Ankunft in Genf von den führenden Ministern der Großmächte nur noch der britische Außenminister2 anwesend gewesen sei. Der französische Ministerpräsident Herriot sei bereits abgereist. Sir John Simon habe ihn alsbald nach der Ankunft um eine Unterredung gebeten. Dabei habe er von sich aus erklärt, daß er den[720] Wunsch habe, über die Gleichberechtigungsfrage mit ihm zu sprechen. Er habe ihm geantwortet, daß er im Carlton-Hotel wohne, worauf sich Sir John Simon für den 24. September3 nachmittags bei ihm angesagt habe. Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete über den Verlauf dieser Unterhaltung in gleicher Weise, wie dies in seinem Telegramm aus Genf vom 24. September 1932 Nr. 7 niedergelegt ist4. Abschließend bemerkte er, daß die ganze Unterredung, die zwei Stunden gedauert habe, sachlich zu keinem Ergebnis geführt habe. Am folgenden Tage habe der Präsident der Abrüstungskommision Dr. Henderson vor Beginn der Ratssitzung am Saaleingang auf ihn gewartet und ihn gleichfalls um eine Unterredung gebeten. Da er Herrn Henderson persönlich sehr gut kenne, habe er ihn daraufhin in seinem Hotel aufgesucht. Bei dieser Gelegenheit habe Herr Henderson den lebhaften Wunsch geäußert, daß Deutschland sich an den Beratungen der Abrüstungskonferenz wieder beteiligen möge. Die Unterhaltung habe jedoch zu keinem Ergebnis geführt5. Am Montag, dem 26. September, sei der französische Ministerpräsident Herriot nach Genf zurückgekehrt. Er sei ihm keineswegs ausgewichen, habe andererseits aber auch keine Bemühungen gemacht, ihm zu begegnen. Zu einer Unterhaltung mit Herrn Herriot sei es nicht gekommen, zumal da er auch keine Möglichkeit gesehen habe, mit Herriot nach der Rede im Grammat6 am Sonntag, dem 25. September, sachlich weiterzukommen7. Nach ursprünglich anders lautenden Dispositionen hat die französische Delegation am Nachmittag des 27. September überraschend mitteilen lassen, daß Herr Herriot beabsichtige, in der öffentlichen Sitzung des Völkerbundes vom 28. September eine große Rede zu halten. Durch Anfrage bei der französischen Delegation habe er festgestellt, daß Herr Herriot in seiner Rede keine Deutschland besonders interessierenden Fragen berühren werde.[721] Daraufhin habe er sich entschlossen, an seinem vorher gefaßten Plan, am 28. September abzureisen, festzuhalten, ohne die Rede Herriots abzuwarten8. Infolgedessen könne er von der Tagung nur berichten, daß bei ihr nichts herausgekommen sei. Ob er noch mal nach Genf zurückfahren werde, müsse er sich vorbehalten. Zunächst wolle er einmal die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Zur Zeit scheine es ihm jedenfalls sehr unwahrscheinlich, daß seine Rückkehr nach Genf ratsam sei.

2

Simon.

3

Muß heißen: 23. September. Vgl. unten Anm 4.

4

Das am 24. 9. um 3 Uhr morgens in Berlin eingegangene Telegramm ist abgedr. in ADAP, Serie B, Bd. XXI, Dok. Nr. 70. Danach hatte Neurath in der eineinhalbstündigen Unterredung mit Simon am Abend des 23. 9. zunächst „in sehr nachdrücklicher Weise unser Befremden sowohl über den schulmeisterlichen Ton als auch über den sachlichen Inhalt des ersten Teils seiner [Simons] Note [vom 18. 9., vgl. Anm 9 zu Dok. Nr. 149] zum Ausdruck gebracht.“ Im weiteren Verlauf der Unterredung betonte der RAM unter Hinweis auf die dt. Note vom 29.8.32 (Anm 9 zu Dok. Nr. 132) erneut die dringende Notwendigkeit der Anerkennung der dt. Gleichberechtigungsforderung. Simon erklärte abschließend, „daß er sich von mir direkt zu Paul-Boncour begeben würde, um zu sehen, wie weit die Franzosen etwa bereit seien, uns entgegenzukommen“.

5

Ein kurzer telegr. Bericht des RAM über diese Besprechung mit Henderson am Nachmittag des 24. 9. in ADAP, Serie B, Bd. XXI, Dok. Nr. 73. Henderson habe versichert, „er werde mit allen Mitteln bestrebt sein, unserem Wunsche auf Anerkennung der Gleichberechtigung zum Erfolg zu verhelfen und uns dadurch die Rückkehr zur Abrüstungskonferenz zu ermöglichen“.

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Richtig: Gramat.

7

Herriot hatte in der genannten Rede (Text ausführlich in Schultheß 1932, S. 302 f.) scharfe Angriffe gegen RWeM v. Schleicher wegen der kürzlich eingeleiteten Maßnahmen zur Wehrertüchtigung der dt. Jugend (vgl. Dok. Nr. 132, P. 5) gerichtet und Dtld. vorgeworfen, nicht Gleichberechtigung, sondern umfassende „Aufrüstung“ anzustreben. – Zur diesbez. Stellungnahme des RK in einem Interview mit WTB am 27. 9. s. Horkenbach 1932, S. 336 und Schultheß 1932, S. 168 ff. Hierzu StS v. Bülow in einem Aktenvermerk über Telefonate mit dem noch in Genf weilenden RAM am 28. 9. u. a.: „Ich fragte den Herrn Reichsminister nach der Wirkung des Kanzler-Interviews. Herr von Neurath selbst war mit dem Interview außerordentlich zufrieden und sagte, daß auch Henderson, der ständig eine Vermittlung in der Abrüstungsfrage zu betreiben suche, sich sehr glücklich über den Inhalt des Interviews geäußert habe. Selbst Herriot sei anscheinend nicht unzufrieden, wohl aber sehr erregt über den Sonntagsartikel von Theodor Wolff, der ihn anscheinend schwer gekränkt hat.“ (R 43 I /520 , Bl. 10–11).

8

Über diesbez. telefonische Mitteilungen v. Neuraths aus Genf am 28. 9. hatte Bülow unter dem gleichen Datum vermerkt: Nach frz. Erklärung wolle Herriot nur eine „allgemeine Friedensrede“ halten. „Die Abrüstungsfrage und andere Gegenstände, die uns peinlich sein könnten, würden nicht berührt werden. Der Herr Reichsminister hatte zunächst daran gedacht, wegen dieser Rede noch einen Tag länger in Genf zu bleiben. Er sei aber zu der Überzeugung gekommen, daß fanzösischerseits beabsichtigt sei, die Plattform der Abrüstungskonferenz zu verschieben und uns aus unserer günstigen Position herauszumanövrieren. Um derartigen Versuchen vorzubeugen, werde er, wie bereits geplant und bekanntgegeben, heute abend Genf verlassen und morgen mittag in Berlin eintreffen.“ (R 43 I /520 , Bl. 10).

Der Reichskanzler dankte dem Reichsminister des Auswärtigen für die von ihm in Genf eingenommene Haltung und stellte die Billigung des Reichskabinetts fest.

Der Reichsminister des Innern regte an, daß der Herr Reichsminister des Auswärtigen in absehbarer Zeit Gelegenheit nehmen möchte, über die deutsche Außenpolitik öffentlich zu sprechen. Es scheine ihm dies angezeigt, um die törichten Angriffe der nationalsozialistischen Presse gegen die deutsche Außenpolitik zu widerlegen.

Der Reichsminister des Auswärtigen sagte zu, daß er die Anregung weiter verfolgen wolle. Er halte es aber für richtiger, mit einer Kundgebung zu warten, bis die Genfer Tagung vorbei sei9.

9

Zum Fortgang in der Abrüstungsfrage s. Dok. Nr. 163, P. 3.

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