2.122.2 (vpa1p): 2. Notverordnung zur Durchführung der Wirtschaftspolitik.

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2. Notverordnung zur Durchführung der Wirtschaftspolitik.

Der Reichsminister der Finanzen vertrat den Standpunkt, daß die Reichsregierung zur Durchführung ihrer wirtschaftspolitischen Pläne keiner weiteren Kreditermächtigung bedürfe. Sie sind nach seiner Auffassung durch die geltenden Bestimmungen11 gedeckt.

11

Durch das „Gesetz über Schuldentilgung und Kreditermächtigungen“ vom 12.5.32 (RGBl. I, S. 191 ).

In eingehender Aussprache wurde die Frage des Reichsministers der Finanzen geklärt, ob es nicht möglich sei, die Herausgabe der 700 Millionen12 bei Einstellung von weiteren Arbeitskräften bereits am 1. September beginnen zu lassen. Der Reichsarbeitsminister hatte schwerste Bedenken. Er trat für den 1. Oktober als Anfangstermin ein. Vorher werde es nicht möglich sein, die zahlreichen noch offenstehenden Punkte zu klären, mit Reichsbank, Reichspost, Parteien, Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Einzelheiten zu verhandeln.

12

In Form von Steuergutscheinen (zunächst auch „Steueranrechnungsscheine“ genannt), vgl. Dok. Nr. 116.

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich dieser Auffassung an.

Der Reichsminister der Finanzen stellte seine Anregung daraufhin zurück.

Weiter wurde die Frage besprochen, ob der Mehreinstellung von Arbeitern der Durchschnitt der letzten drei Monate oder der Vergleichsmonate des Vorjahres zugrunde gelegt werden solle13. Im letzteren Falle würde Mehreinstellung erst angenommen werden können, nachdem etwa 15 bis 18% der gegenwärtig beschäftigten Arbeiterzahl wieder in die Betriebe eingestellt wären. Dies wurde nicht für möglich gehalten. Im übrigen sollen die Einzelheiten der Durchführung der Maßnahmen, insbesondere die Berücksichtigung der Saisonbetriebe, die gerechte Behandlung der Betriebe, die noch ungewöhnlich lange Arbeitszeiten hätten, sowie die Behandlung der Landwirtschaft zwischen den zuständigen Reichsministerien geklärt werden.

13

Der dem Protokoll dieser Ministerbesprechung beiliegende, wahrscheinlich erst in der Sitzung verteilte Entwurf der Notverordnung – es handelt sich um eine gegenüber der Vorlage vom 27. 8. (Dok. Nr. 116) wesentlich geänderte bezw. ergänzte Fassung – bestimmte hierzu u. a.: Wer in der Zeit vom 1.10.32 bis zum 30.9.33 „in seinem Betriebe im Durchschnitt mehr Arbeitnehmer beschäftigt als im Durchschnitt der Monate Juni, Juli und August 1932, erwirbt einen Anspruch auf Steuernachlaß“. Der Steuernachlaß „wird in der Weise gewährt, daß Steueranrechnungsscheine ausgegeben werden, die in der Zeit vom 1. April 1934 bis 31. März 1939 bei der Entrichtung von Reichssteuern in Zahlung genommen werden“ (R 43 I /1457 , S. 413–423).

Der Reichsminister der Justiz gab Anregungen wegen der Formulierungen, insbesondere von Artikel 1. Zu klären ist auch die Frage, wie die Verordnung bezeichnet werden soll und welche Bezeichnung der Steueranrechnungsschein endgültig erhalten wird.

In der Frage, ob der Schein nur gegeben werden soll, wenn der volle[484] Steuerbetrag bezahlt wird, vertrat Staatssekretär Dr. Zarden den Standpunkt, daß das Finanzamt ermächtigt sein solle, den Gutschein bei nicht vollständiger Steuerzahlung14 zurückzuhalten. Wenn der überwiegende Teil der Steuern gezahlt sei und wenn nicht böser Wille vorläge, dann solle der Schein gegeben werden.

14

Gemeint ist die Steuerzahlung in dem vom 1.10.32 bis 30.9.33 reichenden Zeitraum. Vgl. unten Anm. 15.

Der Reichsbankpräsident hatte Bedenken, daß der Kurswert der Scheine leiden könnte, wenn der Steuerzahler ihn zu jedem Preis verkaufen würde, um restliche Steuern abzudecken. Er hielt es für zweckmäßig, grundsätzlich die volle Steuerzahlung zu fordern und die Entscheidung über Ausnahmen dem Finanzamt zu überlassen. Die Formulierung auch dieser Bestimmung wird vom Reichsfinanzministerium im Benehmen mit der Reichsbank gefunden werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, für die Landwirtschaft habe der Steuerschein nur mittelbar Bedeutung. Wenn die Realsteuer nur zu einem Viertel erlassen würde, so bedeute das für die Landwirtschaft eine Senkung der Steuer um insgesamt 110 Millionen RM. Bei der Umsatzsteuer würden auf die Landwirtschaft an Entlastung etwa 210 Millionen entfallen15. Ein Gut von 40 Morgen würde damit im Jahre einen Vorteil von 25 RM haben. Eine fühlbare Entlastung träte damit nicht ein. Mit der zu erwartenden Schreibarbeit stände sie kaum im rechten Verhältnis.

15

Bezieht sich auf Art. 2 des vorliegenden Entwurfs (Anm. 13): „Steueranrechnungsscheine werden ausgegeben: 1. bei der Umsatzsteuer in Höhe der Hälfte, 2. bei der Gewerbesteuer […] in Höhe von zwei Fünfteln, 3. bei der Grundsteuer […] in Höhe von einem Viertel, 4. bei der Beförderungssteuer in voller Höhe der in der Zeit vom 1. Oktober 1932 bis 30. September 1933 fällig gewordenen und entrichteten Beträge.“ Zur Änderung dieses Art. in der Ministerbesprechung am 3. 9. s. Dok. Nr. 123, P. 2.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß die Steuerentlastungen unter Berücksichtigung der voraussichtlichen zukünftigen Entwicklung eintreten sollten. Es würde erhofft, daß die Entlastungen später effektiv gestaltet werden könnten. Deswegen sei es nicht möglich, die Realsteuern stärker als vorgesehen zu senken, zumal sie in den einzelnen Ländern außerordentlich verschieden seien. Er bat, an dem vorgesehenen Schlüssel nichts mehr zu ändern. Die Landwirtschaft würde von einer geringen Erhöhung der Ermäßigung der Realsteuern auch keinen fühlbaren Nutzen haben. Sie sei dadurch schon stark entlastet worden, daß ihr Einkommen bis 6 000 RM freigestellt worden sei.

Der Reichswirtschaftsminister hielt die Entlastung der Landwirtschaft durch Rückzahlungen auf die Umsatzsteuer für immerhin merklich. Er berichtete von einer Unterredung, die er wegen der Grundsteuer mit Stadtrat Humar gehabt habe. Tatsächlich sei der Reparaturbedarf beim Hausbesitz sehr groß. Das würde nur von den Gewerkschaften bestritten, weil diese für öffentliche Aufträge eintreten. Die Regierung müsse darauf vertrauen, daß jeder bestrebt sei, seine Vermögensobjekte zu verbessern. Allerdings hänge das weitgehend von einer ruhigen Gesamtentwicklung ab. Beim Hausbesitz könne nicht über die Hauszinssteuer16 an die Reparaturen herangegangen werden. Zinsverbilligung und Wechselkredite hätten bei ihm keine durchgreifende Wirkung. Es sei zu erwägen,[485] ob nicht der Grundbesitz noch weiter entlastet würde mit der Auflage, daß er Reparaturen ausführt17.

16

Vgl. Anm. 19 zu Dok. Nr. 97.

17

In die Endfassung der NotVO (RGBl. 1932 I, S. 425 , 428 ) wurde eine Vorschrift aufgenommen, die den RFM ermächtigte, „für Instandsetzungsarbeiten an Wohngebäuden, zur Teilung von Wohnungen und für den Umbau gewerblicher Räume zu Wohnungen bis zu fünfzig Millionen Reichsmark auszugeben“ und nähere Bestimmungen über die Verwendung dieser Mittel zu erlassen.

Der Reichsminister des Innern hielt bei der Landwirtschaft auch kleinere Rückvergütungen für nicht unwirksam. Die Umsatzsteuerrückvergütungen wirken sich allerdings bei den kleinen Bauern gering aus, da der größte Teil der Erzeugnisse im eigenen Betrieb verwendet würde. Bei größeren Betrieben, etwa von 15 000 Morgen, könne die Entlastung von Grundsteuer auf etwa 1000 RM im Jahre beziffert werden. Bei einem Gesamtbetrage der Grundsteuer von 1250 Millionen und der Gewerbesteuer von 650 Millionen wäre die Wirkung der Ankurbelung bei Gewerbesteuer stärker als bei der Grundsteuer.

Der Reichsminister der Finanzen sagte zu, eine Anregung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft zu prüfen, nach der bei einem Umsatz bis zu 5000 RM im Jahre nicht bloß die Hälfte der Umsatzsteuer, sondern die gesamte Summe in Steuerscheinen vergütet werden solle.

Von den 1250 Millionen Grundsteuer entfielen auf den Hausbesitz zwei Drittel, auf die Landwirtschaft ein Drittel. Beim Hausbesitz werde es verwaltungsmäßig nicht möglich sein, die Bedingung der Verwendung für Reparaturen nachzuprüfen.

Staatssekretär Dr. Zarden wies darauf hin, daß vor 2 Jahren die Grundsteuer um 10%, die Gewerbesteuer um 20% gesenkt worden sei18. Die Grundsteuer sei aber vorher bei weitem nicht so stark erhöht worden wie die Gewerbesteuer, die teilweise den fünffachen Betrag der Vorkriegszeit ausmache.

18

Durch die NotVO des RPräs. vom 1.12.30 (RGBl. I, S. 517 , 582, 656).

Der Reichsbankpräsident sagte zu, daß die Steueranrechnungsscheine von der Reichsbank als Reichsschuldverschreibungen im Sinne des Bankgesetzes angesehen würden. Er bat den Reichsminister der Justiz, der Reichsbank das Gutachten über die Frage der Schuldverschreibungen zuzuleiten. Dies wurde zugesagt19. Weiter regte er an, daß die Steueranrechnungsscheine nach Ablauf der 5 Jahre nicht ohne weiteres verfallen sollten. Sie sollten in einer Ausschlußfrist noch auf die Steuern angerechnet werden können, allerdings ohne Zinsnutzen. Ähnlich solle es bei der verspäteten Verwendung von Steuerscheinen auch vorher geschehen.

19

Das Gutachten nicht ermittelt.

Damit war der Reichsminister der Finanzen einverstanden. Er sagte zu, daß die Frage der Barregulierung der sich aus den Scheinen ergebenden Verpflichtungen des Reiches gegen die Reichsbank nach Ablauf der 5 Jahre in einem Schriftwechsel zwischen beiden festgelegt werden würde.

Der Reichswirtschaftsminister hatte Bedenken gegen den Entwurf einer Verordnung über sozialpolitische Maßnahmen20. Er hielt ihn nicht für vereinbar mit Artikel 48, weil dadurch die gesamte Gesetzgebung auf Grund dieser Verfassungsbestimmung[486] auf die Reichsregierung delegiert würde. Insbeondere könne auf Grund der Vorschrift unter Ziffer 4 ein vollkommenes Bodenreformprogramm durchgeführt werden, zumal die Enteignung vorgesehen sei. Das würde eine ungeheuere Beunruhigung auf dem Grundstücksmarkte zur Folge haben. Dieser Auffassung schloß sich der Reichskanzler an.

20

Zum Inhalt (Ziffer 1–3) bezw. zum Text (der weiter unten erwähnten Ziffer 4) dieses Entwurfs s. Anm. 21 zu Dok. Nr. 116.

Dem widersprach der Reichsarbeitsminister. Der Zweck und die Begrenzung der Zuständigkeit seien so genau bestimmt, daß sich der Entwurf im Rahmen der Verfassung halte. Er sei mit Staatssekretär Zweigert durchgesprochen, weil das Reichsarbeitsministerium gezwungen sein könnte, rasche Entscheidungen zu treffen und durchzuführen.

Der Reichsminister der Justiz hielt dagegen den Entwurf für verfassungswidrig. Die Beschränkungen seien Selbstverständlichkeiten. Die Willensrichtung des Reichspräsidenten müsse stärker und klarer zum Ausdruck kommen.

Die Formulierung soll zwischen dem Reichsarbeitsminister, dem Reichsminister der Justiz und dem Reichsminister des Innern vereinbart werden21.

21

Zum Ergebnis vgl. die Ausführungen des RJM in der Ministerbesprechung am 3. 9. (Dok. Nr. 123, P. 2).

[…]

Der Reichskanzler übertrug die endgültige Redaktion der ganzen Notverordnung dem Staatssekretär im Reichsministerium der Finanzen22. Die letzten Entscheidungen wird das Kabinett in einer Sitzung am 3. September, vormittags 11 Uhr, treffen.

22

Zarden.

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