2.67 (vpa1p): Nr. 67 Bericht des Regierungspräsidenten in Schleswig Abegg an den Preußischen Innenminister Severing. 19. Juli 1932

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[248] Nr. 67
Bericht des Regierungspräsidenten in Schleswig Abegg an den Preußischen Innenminister Severing. 19. Juli 19321

R 43 I /2283 , Bl. 260–270 Abschrift

Betrifft: Blutige Ausschreitungen der Kommunisten in Altona am 17. d. M.

Die schweren Zusammenstöße und Kämpfe in Altona am 17. Juli habe ich gestern persönlich in Begleitung des politischen Dezernenten und des mir beigegebenen Sachbearbeiters für die Schutzpolizei an Ort und Stelle mit dem Polizeipräsidenten in größerem Kreise beteiligter Beamten und Polizeioffiziere erörtert. Das Ergebnis ist:

[249] I. Politische und polizeiliche Lage vor dem 17. Juli:

1. Im Regierungsbezirk allgemein:

Die politische Lage im Regierungsbezirk war in der Woche vor den blutigen Unruhen in Altona am 17. d. M. allgemein außerordentlich gespannt. Insbesondere hatte der Überfall der Nationalsozialisten auf das Gewerkschaftshaus in Eckernförde in den Reihen der Eisernen Front und der KPD starke Erregung und Erbitterung hervorgerufen. Aus verschiedenen Teilen des Regierungsbezirks kamen Nachrichten, daß die Kommunisten bei sich bietender Gelegenheit versuchen wollten, „Rache für Eckernförde“ zu nehmen. Bereits in der Nacht von Freitag [15. 7.] auf Sonnabend kam es zu einem kleineren Zusammenstoß zwischen Kommunisten, die von der Beerdigung eines Kommunistenführers in Marne kamen, und Nationalsozialisten in Wacken bei Rendsburg, bei dem zwischen den Parteien auch Schüsse fielen. Ferner wurde gemeldet, daß Hamburger und Altonaer Kommunisten versuchen wollten, bei einer für Sonntag geplanten kommunistischen Veranstaltung in Eckernförde Gewalttätigkeiten zu verüben.

Angesichts dieser Lage habe ich durch Verfügung vom 13. d.M. die Polizeipräsidenten, die Landräte und die Ortspolizeibehörde in Neumünster ersucht, sich mit allem Nachdruck, gesteigerter Umsicht und persönlichem Einsatz der erhöhten polizeilichen Anforderungen anzunehmen und mit allen Kräften sich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angelegen sein zu lassen. Um Anforderungen von Schutzpolizei für die nicht mit Schutzpolizei belegten Orte rechtzeitig übersehen zu können, habe ich ferner die Landräte ersucht, mir von allen zugelassenen politischen Veranstaltungen bedeutenderer Art in ihrem Bezirk sofort Meldung zu erstatten. Die Polizeipräsidenten waren mit Rücksicht auf die ihnen zur Verfügung stehenden Polizeikräfte von dieser Meldung entbunden und hatten selbständig über die Zulassung oder ein Verbot der beabsichtigten Veranstaltungen zu befinden2.

Als sich am Freitag, dem 15., übersehen ließ, daß die Zahl der mir von den Landräten gemeldeten größeren Veranstaltungen am Sonntag, 17. Juli, einen außerordentlichen Umfang hatte, so daß ausreichender polizeilicher Schutz für alle Veranstaltungen nicht gewährleistet werden konnte, erging von hier eine weitere Verfügung an die Landräte. In dieser wurde darauf hingewiesen, daß am 17. Juli an größeren Veranstaltungen die NSDAP-Kundgebungen in Heide, Flensburg und Altona, ferner die Kundgebungen der Eisernen Front in Kiel und Itzehoe, sowie eine Kundgebung der KPD in Neumünster stattfänden. Alle anderen[250] politischen Veranstaltungen, bei denen ein Einsatz von Schutzpolizei von vornherein notwendig sei oder im Laufe der Veranstaltung voraussichtlich erforderlich werden würde, seien von den Landräten zu verbieten. Es wurden daraufhin drei nationalsozialistische Kundgebungen in Rendsburg, im Kreise Herzogtum Lauenburg und in Kappeln, eine Veranstaltung der SPD (Rundfahrt durch den Kreis Schleswig), eine der Einheitskommission (Eiserne Front und KPD) in Schleswig, zwei Veranstaltungen der KPD in Eckernförde und Wesselburen und drei Umzüge im Kreise Stormarn, die von der SPD, der NSDAP und der KPD veranstaltet werden sollten, verboten.

2. In Altona im besonderen:

Durch die Nachbarschaft Hamburgs war in Altona die Lage in der letzten Woche besonders gespannt. Bei der Entscheidung der Frage, ob mit Rücksicht auf diese Lage der von der NSDAP für Sonntag, den 17., angemeldete Werbemarsch zuzulassen sei oder nicht, haben den Polizeipräsidenten in Altona nach Erklärungen, die er mir gestern in einer eingehenden Besprechung der gesamten Vorfälle im Beisein des Herrn Oberpräsidenten und der beteiligten Herren des Polizeipräsidiums und des Kommandos gemacht hat, folgende Erwägungen geleitet: Die NSDAP habe im Reiche mit allem Nachdruck darauf gedrängt, daß das Demonstrationsverbot aufgehoben oder zum mindesten wesentlich gemildert würde. Diesem ihrem Verlangen sei von der Reichsregierung nachgegeben worden. Wenn er, der Polizeipräsident, die beabsichtigte Veranstaltung verboten hätte, so hätte er erwarten müssen, daß die Nationalsozialisten auf entsprechende Beschwerde bei den maßgebenden Reichsstellen doch Recht bekommen hätten.

Um einen reibungslosen Verlauf der von den politischen Organisationen für die Woche vor dem 17. und den 17. selbst geplanten politischen Veranstaltungen zu erreichen, habe er, der Polizeipräsident, zwei Besprechungen mit den Vertretern der NSDAP und eine Besprechung mit Vertretern der Eisernen Front gehabt. Hierbei sei von ihm auch darauf hingewiesen worden, daß die einzelnen Organisationen gut daran täten, Ortsteile, in denen Andersdenkende in größerer Masse wohnten, zu meiden.

Er habe geglaubt, nach dieser Lage den Umzug der NSDAP für den 17. zulassen zu müssen.

Als bekannt geworden war, daß der geplante Werbemarsch am Sonntag stattfinden würde, sprach am Sonnabend, 16. Juli, bei dem Regierungsrat Andritzke, als Vertreter des an diesem Tage abwesenden Polizeipräsidenten, eine Delegaton der kommunistischen-antifaschistischen Aktion vor und verlangte das Verbot der Veranstaltung, andernfalls die Aktion zur Selbsthilfe greifen würde. Eine Forderung dahin, daß der Umzug bestimmte Straßenzüge nicht berühren solle, ist dabei nicht gefallen. Ein Verbot wurde von dem Vertreter des Polizeipräsidenten abgelehnt.

Darauf erließ die antifaschistische Aktion in ihren Zeitungen und durch Handzettel die unmißverständliche Aufforderung an ihre Anhänger, den Demonstrationszug der NSDAP unmöglich zu machen. Die Photokopie eines solchen Handzettels wird vom Polizeipräsidenten direkt nach dort eingereicht werden.

[251] Die politische Polizei erhielt am Sonnabend, dem 16., die Meldung, daß besonders Hamburger Kommunisten am Sonntag etwas gegen den Umzug unternehmen würden. Weiter wurde ihr am Sonntagvormittag von der Hamburger Polizei fernmündlich mitgeteilt, daß die Kommunisten in Hamburg alarmiert seien und sich in der Breiten Straße in Altona, die in der Nähe Hamburgs liegt, treffen sollten. Für besondere Fälle halte die Hamburger Polizei zwei Bereitschaften zur Verfügung.

Die Leitung des Polizeipräsidiums hatte am Freitag bis Sonntag nicht der Polizeipräsident, sondern am Freitag bis Sonnabend vorm. Oberregierungsrat Schabbehard, dann bis Sonntagabend der Regierungsrat Andritzke, Leiter des Polizeiamts Wandsbek. Diese innere Regelung der Geschäfte war der Regierung nicht bekannt.

Das Kommando der Schutzpolizei – in Vertretung des noch nicht dienstfähigen Kommandeurs – der Polizeioberstleutnant Kruse – war der Auffassung, die Veranstaltung polizeilich genügend schützen zu können.

II. Die polizeilichen Sicherungsmaßnahmen für den Umzug der NSDAP.

Da nach den vorstehend geschilderten Meldungen sicher mit Zusammenstößen und Ausschreitungen gerechnet werden mußte, traf das Kommando der Altonaer Schutzpolizei umfangreiche Maßnahmen, um den Umzug der NSDAP so umfassend wie möglich zu sichern. Es wurden nicht nur sämtliche verfügbaren Polizeibeamten in Altona – auch die im Bürodienst beschäftigten – aufgeboten, sondern man trat auch mit der Hamburger Polizei zwecks Stellung von Verstärkung in Verbindung. Die Hamburger Ordnungspolizei stellte darauf 60 Beamte für einen Einsatz auf Altonaer Gebiet zur Verfügung.

Außer der Durchführung genauer und umfassender Sicherungsmaßnahmen für den Anmarsch der Teilnehmer selbst waren für die Zugbegleitung 40 berittene Beamte vorgesehen, die auf den Gesamtzug verteilt worden sind, und zwar in der Weise, daß an der Spitze 10 berittene Beamte eingesetzt waren, während die übrigen in entsprechenden Abschnitten in einzelnen Kommandos zu je 4 Beamten folgten. Die seitliche Sicherung des Zuges übernahm eine Bereitschaft in Zusammenarbeit mit den Revieren. Eine weitere Bereitschaft stand als bewegliche Reserve zur Verfügung. Außerdem war die Kriminalpolizei mit 50 Beamten eingesetzt.

Das Kommando der Schutzpolizei hatte nach ihren mir gestern gemachten Erklärungen nach diesen Vorbereitungen und mit diesem Einsatz die feste Überzeugung, daß der Umzug damit ausreichend gesichert sei.

III. Der tatsächliche Verlauf des Umzugs und die Feuerüberfälle

[…]

2. Der Umzug selbst mit den Feuerüberfällen.

Der Werbeumzug der Nationalsozialisten setzte sich mit einer Teilnehmerzahl von insgesamt 7000 Personen um 15 Uhr in Marsch und durchzog ohne irgendwelche Störungen oder Zwischenfälle in ungefähr 2 Stunden die vorgesehenen Straßen des 8. und 7. Reviers.

[…]

[252] Um 16.45 Uhr lief dann bei dem Inspektionsführer die Meldung ein, daß in der Grünen- und Kirchstraße Polizeibeamte von Dächern und Balkonen beschossen worden seien. […]

Als dann der Zug um 16.55 Uhr, durch die Große Bergstraße und Johannisstraße kommend, in die Schauenburgerstraße einbog und bereits die Spitze mit etwa 1000 Personen passiert war, erfolgte plötzlich ein Feuerüberfall aus den Häusern, von den Dächern und den Balkonen der an der Ecke liegenden Häuser. Hierbei wurde ein Teilnehmer des Umzugs, der am Schlusse der Spitze marschierte, durch Brustschuß tödlich verwundet. Der ganze Zug kam hier zum Halten. Einige Umzugsteilnehmer versuchten, mit schnell abgeschnallten Schulterriemen in die Häuser einzudringen, was aber durch das energische Eingreifen des Inspektionsführers verhindert werden konnte. Nachdem diese Leute auf Anforderung des leitenden Polizeibeamten wieder in das Glied getreten waren, befahl der Inspektionsführer für die Polizeibeamten und auch für die Umzugsteilnehmer in der gefährdeten Gegend „volle Deckung!“ Das Feuer wurde von der Polizei mit Pistolen und Karabinern erwidert. Von den Nationalsozialisten ist, wie von den Polizeibeamten übereinstimmend ausgesagt wurde, nicht geschossen worden. Der Zug wurde hier getrennt. […]

Nach Abrücken der Nationalsozialisten erfolgte um 18.45 Uhr ein erneuter heftiger Feuerüberfall auf die Polizeibeamten. Es wurde mit Waffen aller Kaliber (Pistolen, Teschings, Karabinern und Gewehren) und auch, wie die Polizeibeamten bestimmt erkannt haben wollen, mit Maschinenwaffen (Maschinenpistolen oder leichten Maschinengewehren) geschossen. Der Führer der 2. Polizeibereitschaft wurde nun mit der Befriedung des ganzen Unruheviertels beauftragt. Er ging mit zwei Stoßtrupps und einem MG vor, und nach 15 Minuten war das gegnerische Feuer zum Schweigen gebracht. […]

3. Tote und Verletzte.

Von den Polizeibeamten wurden zwei leicht verletzt, und zwar Angehörige der Hamburger Ordnungspolizei. Mehrere Beamte haben Einschüsse in ihren Uniformen, deren Gang klar und unzweifelhaft beweist, daß die Schüsse von oben abgegeben sein müssen.

Der Grund dafür, daß trotz der starken Feuerwirkung nur verhältnismäßig wenige Polizeibeamte verletzt sind, ist einmal darin zu suchen, daß die Beamten besonnen und umsichtig und unter möglichster Deckung mit starkem Feuerschutz vorgingen, zum anderen aber auch darin, daß die KPD-Schützen aus den Wohnungen, von den Balkonen und Dächern schossen, ohne genau Ziel zu nehmen. […]

Auf Seiten der Zivilpersonen sind bisher 15 Tote zu beklagen. Von diesen gehören eine männliche und eine weibliche Person der Nationalsozialistischen Partei, 4 männliche Personen der Kommunistischen Partei an. Die Parteizugehörigkeit der übrigen Toten ist noch nicht einwandfrei geklärt.

An Verletzten sind in die Krankenhäuser 64 Personen eingeliefert worden, davon 14 schwer, offenbar infolge von abgeprallten Querschlägern. Von den leichter Verletzten sind inzwischen 35 entlassen worden.

4. Festnahmen und Beschlagnahmen von Waffen.

Während der Feuerüberfälle und nachher sind, wie bereits erwähnt, eine[253] große Anzahl von Häusern durchsucht worden. Schußwaffen wurden jedoch bis auf 2 Pistolen nicht gefunden, aber eine Menge Stich- und Hiebwaffen. Der Grund dafür, daß nur so wenige Schußwaffen gefunden worden sind, ist wohl darin zu suchen, daß die Durchsuchungen der einzelnen Häuser von Grund auf geraume Zeit in Anspruch nahm, die Schützen inzwischen über die Dächer zum Teil entkommen konnten oder zum mindesten Zeit hatten, ihre Waffen zu beseitigen. Es ist den Polizeibeamten aufgefallen, daß in den Häusern und Wohnungen, aus denen geschossen wurde, verhältnismäßig viele Frauen sich aufhielten. Offenbar haben diese die Täter in der Waffenbeseitigung unterstützt.

Bei den Durchsuchungen und während des Feuerüberfalles wurden 91 Personen festgenommen. Unter diesen befinden sich nur 4 in Altona ansässige, während die übrigen Angehörige der Antifaschistischen Aktion aus Hamburg sind, die offenbar, nach ihren Wohnungen und nach ihrem gemeinsamen Antreffen bei den Verhafteten zu urteilen, in eingeteilten Gruppen von 5–6 Mann nach Altona gekommen sein müssen. Von den Festgenommenen sind nicht ganz 25% Jugendliche bis zu 18 Jahren.

Soweit sich gestern übersehen ließ, wird es möglich sein, den bei weitem größten Teil der Festgenommenen zu überführen.

IV. Beurteilung.

1. In politischer Hinsicht.

Die Beweggründe, die den Polizeipräsidenten veranlaßt haben, den angemeldeten Umzug der NSDAP zuzulassen, habe ich bereits in der Einleitung kurz gestreift. Nach den in der Besprechung im Beisein des Herrn Oberpräsidenten gegebenen Erklärungen, die sich mit den vom Polizeipräsidenten der Presse gegenüber gegebenen Ausführungen decken, ist der Polizeipräsident davon ausgegangen, daß nach der Aufhebung des allgemeinen Umzugsverbots3 kein Grund zum Verbot des S.A.-Werbemarsches bestanden habe. Zudem habe er geglaubt, daß selbst bei einem Verbot die Nationalsozialisten durch entsprechende Beschwerde doch den Umzug gestattet bekommen hätten. In zweimaligen Besprechungen mit den Nationalsozialisten auf dem Altonaer Polizeipräsidium sei von der Polizei der Wunsch ausgesprochen worden, daß der S.A.-Zug möglichst die Ortsteile vermeide, die von Politischandersdenkenden stark durchsetzt seien. Die Nationalsozialisten hätten jedoch Wert darauf gelegt, in allen Stadtteilen zu demonstrieren. Da sie außerdem zugesagt hätten, Ruhe und Ordnung zu halten, sei der Umzug in der beabsichtigten Weise und auf dem vorgesehenen Wege zugelassen worden. Hierzu darf ich zunächst folgendes bemerken:

Die Auffassung, daß nach Milderung des Demonstrationsverbots der Umzug der S.A. in jedem Falle hätte gestattet werden müssen, ist nicht richtig. Falls die politische Lage so bedenklich war, daß mit unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechnet werden mußte, konnte auch nach den geltenden Bestimmungen der Umzug verboten werden. Die Meinung, daß auf entsprechende Beschwerde den Nationalsozialisten der Umzug doch genehmigt worden wäre, entbehrt jeder näheren Begründung. Bei einem Verbot[254] des Umzugs durch den Polizeipräsidenten wäre die Beschwerde der Nationalsozialisten zunächst an mich gegangen. Von mir wäre ein genügend begründetes Verbot der Veranstaltung bestätigt worden, da die politische Lage in der vorigen Woche überaus ernst war. Namentlich traf dies für Altona und Hamburg zu. Auch in anderen Fällen – so auch in einem Falle, der den Bereich des Polizeipräsidenten in Altona betrifft –, in dem ein Aufmarsch des Stahlhelm in Altona im Juli v.J. vom Polizeipräsidenten verboten worden war, habe ich die dagegen eingelegte Beschwerde des Stahlhalm abgelehnt. Ich hätte dies im vorliegenden Falle mit Rücksicht auf die gegenwärtig viel schwierigere politische Lage umsomehr getan. Befremdlich ist aber vor allem, daß der Polizeipräsident – wenn er schon die Veranstaltung grundsätzlich zuließ – nicht von vornherein erkannte, daß der Weg durch die Altstadt nahe der Hamburgischen Grenze höchst gefährlich und deshalb zu verbieten war. Die richtige Beurteilung in dieser Hinsicht hätte den größten Teil der verbrecherischen Gegenwirkung voraussichtlich verhindert. Von der Tatsache der geplanten großen Veranstaltung in Altona habe ich dienstlich Kenntnis gehabt. Sie ist von der Landespolizeibehörde lediglich insoweit zu beurteilen, als sie die verfügbaren Polizeikräfte nicht über Gebühr abziehen darf. In dieser Beziehung ist das nötige Einvernehmen mit dem Polizeipräsidenten rechtzeitig hergestellt worden.

Die ortspolizeiliche Lage zu beurteilen oder nachzuprüfen, namentlich den Weg eines Umzugs, ist die Landespolizeibehörde weder berufen, noch in der Lage, da ihr die genügende Ortskenntnis fehlt. […]

Indes wird dem Polizeipräsidenten zugute gehalten werden müssen, daß zu dieser Zeit noch nichts genaueres über besondere Störungsabsichten der antifaschistischen Aktion in Altona bekannt war und daß das Kommando der Schutzpolizei der Auffassung war, zur Sicherung stark genug zu sein. Die Lage änderte sich jedoch völlig mit Sonnabend, dem 16. Juli. Hierfür sind folgende Ergebnisse von Bedeutung:

1. Das Verlangen der antifaschistischen Aktion gegenüber dem Vertreter des Polizeipräsidenten, Regierungsrat Andritzke, den Umzug zu verbieten, andernfalls man zur Selbsthilfe schreiten müsse;

2. die Meldung an die politische Polizei am 16. 7., daß insbesondere Hamburger Kommunisten eine planmäßige Störung der Veranstaltung am Sonntag versuchen würden;

3. die Meldung am Sonntag 17. 7. vormittags von der Hamburger Polizei, daß die Hamburger Kommunisten alarmiert seien und Anweisung erhalten hätten, sich in der Breiten Straße in Altona zu sammeln.

Diese drei Punkte zusammengenommen, schufen eine völlig veränderte Lage, die bezüglich der Zulassung des Umzuges selbst beim Polizeipräsidium zu ernsthaften Erwägungen, bestimmt aber zu dem Entschluß hätten führen müssen, den Umzug nicht auf den vorgesehenen Weg zu führen, sondern ihn in weniger gefährdete Ortsteile umzuleiten.

Wenn der Polizeipräsident demgegenüber sowohl in der Besprechung wie auch vor Vertretern der Presse ausgeführt hat, daß es nach den bisherigen Feststellungen unbedingt auch in anderen Stadtteilen zu den Schießereien gekommen wäre, daß diese von der antifaschistischen Aktion durchaus gewollt und[255] vorbereitet gewesen seien, so muß dem gegenübergehalten werden, daß in anderen Bezirken, in denen den Kommunisten nicht in gleichem Maße Häuser und Wohnungen Gleichgesinnter zur Verfügung standen, jedenfalls so schwere Ausschreitungen voraussichtlich vermieden worden wären.

Die Lage verschärfte sich dann noch weiter in der Zeit von 12 bis 15 Uhr und bis zum Eintreffen des Umzugs in dem gefährdeten Stadtbezirk. […]

Nunmehr war die Lage so bedenklich geworden, daß unter allen Umständen der Umzug jetzt abgestoppt und in andere weniger gefährdete Straßenzüge hätte geleitet werden müssen.

Es ist also nach Genehmigung des Umzuges usw. am 16. Juli wie auch am 17. Juli bis zu dem Eintreffen des Umzuges an dem Schauplatz der Ausschreitungen nicht mit der Umsicht und Vorsicht und der richtigen Beurteilung der Sachlage vorgegangen worden, die angesichts der sich immer bedrohlicher zuspitzenden Lage am Platze gewesen wäre.

Zu der Frage der Verantwortung für dieses schwere Säumnis werde ich weiter unten Stellung nehmen.

2. In taktisch-politischer Hinsicht.

Der Führer der Schutzpolizei hat alle ihm zur Verfügung stehenden Polizeikräfte zur Sicherung des Umzuges der NSDAP herangezogen und darüber hinaus noch Verstärkung durch die Hamburger Ordnungspolizei beantragt und auch erhalten.

Die Anweisung des Polizeikommandos und die Sicherung der von dem Umzuge betroffenen Straßen sind nicht zu beanstanden. […] Ich habe bei der gestrigen Besprechung den Eindruck gewonnen, daß die Schutzpolizei bei den verschiedenen örtlichen Kampfhandlungen anläßlich der Feuerüberfälle durch die Kommunisten sehr besonnen, aber bestimmt und durchgreifend gehandelt hat und daß sowohl die Führer als auch die Polizeiwachtmeister in hohem Maße ihre Pflicht getan haben. Nur durch die überlegene Führung der Polizei und die richtige Anwendung der verschiedenen Waffen sowie durch die praktische Verwertung des theoretisch und im Gelände Erlernten war es der Schutzpolizei möglich, nach sehr kurzer Zeit den organisierten Aufstand ohne wesentliche eigene Verluste niederzuwerfen. Einen Bericht über die einzelnen Abschnitte des Kampfes werde ich alsbald einreichen.

V. Persönliche Verantwortlichkeit.

1. Des Polizeipräsidenten.

Der Polizeipräsident persönlich hat die Zulassung des Umzuges ausgesprochen. Ebenso hat auch er persönlich die vorerwähnten Besprechungen mit den Organisationen der NSDAP und der Eisernen Front geführt. Von Freitag bis Sonnabend vormittags hat die Leitung des Polizeipräsidiums in Abwesenheit des Präsidenten Oberregierungsrat Schabbehard, von Sonnabend vormittags bis Sonntag abends in Abwesenheit des Präsidenten und seines ständigen Vertreters Regierungsrat Andritzke geführt. Es ist zunächst erheblich zu beanstanden, daß der Polizeipräsident trotz der außerordentlich gespannten politischen Lage – die politischen Beamten waren von dem Herrn Minister des Innern vom 15. Juli ab in den Dienst zurückberufen – gerade während der kritischen Tage[256] nicht selbst die polizeilichen Geschäfte geführt oder wenigstens sichergestellt hat, daß ein ständiger Vertreter mit langjährigen polizeilichen Erfahrungen zur Verfügung stand. Auch insofern kann der Polizeipräsident von einem Verschulden an den traurigen Vorkommnissen nicht freigesprochen werden.

2. Des Vertreters des Polizeipräsidenten, Regierungsrat Andritzke.

Nach den oben geschilderten Meldungen und Erfahrungen, über die der Vertreter des Polizeipräsidenten sich ständig auf dem laufenden halten mußte, wäre es seine Pflicht gewesen, bereits nach den Meldungen, die am 17. bis 12 Uhr vormittags vorlagen, zum mindestens aber auf Grund der späteren Ereignisse, eine Umleitung des Umzugs anzuordnen. Der stellvertretende Führer der Schutzpolizei, Oberstleutnant Kruse, hat dem Regierungsrat Andritzke die oben geschilderten Vorfälle vor dem Einmarsch des Umzuges in den gefährdeten Stadtteil gemeldet und zugleich zur Erwägung gestellt, ob nicht eine Umleitung des Umzuges angebracht sei. Dabei hat er darauf hingewiesen, daß dies eine Entscheidung sei, die von dem politischen Beamten getroffen werden müßte, und er sich für die Entscheidung dieser Frage nicht als zuständig erachte. Ihm ist darauf von dem Vertreter des Polizeipräsidenten geantwortet worden, daß es bei dem einmal genehmigten Plan bleiben müsse und keine Änderung erfolge. Dieser von dem Vertreter des Polizeipräsidenten eingenommene Standpunkt ist in keiner Weise zu billigen und stellt eine grobe Verkennung der Sachlage und des Prestiges der Polizei dar. Gewiß kam nunmehr unter dem Druck der KPD ein völliges Verbot der ganzen Veranstaltung nicht mehr in Frage. Eine Umleitung auf weniger gefährdeten Weg wäre aber unbedingt nunmehr sachlich notwendig gewesen. Ein sehr wesentliches Verschulden an den bedauerlichen Vorkommnissen trifft deshalb auch den derzeitigen Vertreter des Polizeipräsidenten Andritzke.

3. Führung der Schutzpolizei.

Nach dem Vorgesagten bedarf es keiner näheren Erläuterung mehr, daß sowohl der Führer der Schutzpolizei wie auch die gesamten Offiziere und Wachtmeister, wobei ich das von der Hamburger Polizei gestellte Kommando nicht unerwähnt lassen möchte, in vollem Maße und durch restlose Einsetzung ihrer Persönlichkeit ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben. Gegen die Schutzpolizei kann auch nicht der geringste Vorwurf erhoben werden, was auch in der maßgebenden Presse wiederholt hervorgehoben worden ist.

[…]

gez. Abegg

Fußnoten

1

Der Bericht gehört zu den Anlagen einer von der RReg. am 25.8.32 beim Staatsgerichtshof in der Streitsache Preußen gegen das Reich eingebrachten Erwiderung auf eine von der PrStReg. am 10.8.32 dem Staatsgerichtshof vorgelegte Erklärung zu den Vorgängen des 20.7.32. – In der „Erwiderung“ (Unterschrift: v. Papen) heißt es zur Bedeutung des Falles Altona: „Die blutigen Vorgänge in Altona sind nur ein Symptom der Gesamtlage des Juli 1932 in Preußen. An der Staatsfeindlichkeit der kommunistischen Partei ist nicht zu zweifeln; in zahlreichen Urteilen des Reichsgerichts […] sind die revolutionären Ziele und die planmäßig auf Bürgerkrieg und gewaltsamen Aufstand gerichteten Bestrebungen der Partei nachgewiesen. Gerade diese Partei aber konnte vermuten, daß die damalige Preußische Regierung aus parlamentstaktischen wie aus anderen Gründen gegen die Kommunisten nicht mit der letzten Entschiedenheit vorgehen werde, sondern sich die Möglichkeit einer gemeinsamen Front („Einheitsfront“) gegen den Nationalsozialismus offenhalte und daß sie sich mit den Kommunisten in dem gemeinschaftlichen Gegensatz zu den Nationalsozialisten verbunden fühle. Die Tatsache der heftigen innerpolitischen Gegnerschaft gegen die Reichsregierung, aus der die damalige politische Leitung Preußens kein Hehl machte, mußte die Kommunisten in dieser Überzeugung bestärken. Die politische Leitung Preußens erweckte den Eindruck, daß sie nur unter dem Vorbehalt der Gleichsetzung von Nationalsozialisten und Kommunisten gewillt war, die kommunistische Gefahr so durchgreifend zu bekämpfen, wie es die Lage erforderte. Daß hier Gefahr im Verzuge war, läßt sich bei unvoreingenommener Beurteilung nicht abstreiten.“ (R 43 I /2283 , Bl. 216, 222). – Der „Erwiderung“ der RReg. ist ferner beigefügt eine offenbar im PrIMin. gefertigte Aufstellung aller politischen Zusammenstöße in Preußen in der Zeit vom 1. 6. bis 20.7.32. Danach belief sich die Gesamtzahl der Ausschreitungen auf 461 mit 82 Toten. Als „Angreifer“ werden bezeichnet: KPD in 281 Fällen, Reichsbanner in 23 Fällen, NSDAP in 108 Fällen; als „Angegriffene“ werden aufgeführt: KPD in 56 Fällen, Reichsbanner in 41 Fällen, NSDAP in 266 Fällen, Polizei in 45 Fällen (ebd., Bl. 274–275).

2

Vgl. den Erlaß des PrIM vom 12. 7. (Anm. 17 zu Dok. Nr. 60).

3

Vgl. die VOen des RPräs. vom 14. und 28.6.32 (RGBl. I, S. 297  und 339).

Extras (Fußzeile):