2.187.1 (mu21p): [Anlage]

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RTF

[Anlage]

Berlin, den 27. April 1929

Unter der Voraussetzung, daß noch vor der Sommerpause ein die Arbeitslosenversicherung neu regelndes Gesetz erlassen wird und daß keine die Einnahmeschätzungen völlig verändernde Krise entsteht, läßt sich folgendes Bild der Etats- und Kassenlage für das Rechnungsjahr 1929 geben:

1) Einnahmen.

Die Steuereinnahmen werden voraussichtlich um 135 Mill. hinter dem Etatssoll zurückbleiben. Kassenmäßig wird sich dieser Ausfall, wenn die neue Lex Brüning angenommen wird, nur in Höhe von rd. 100 Mill. auswirken, da die Überweisung an die Invalidenversicherung bis Ende Mai 1930 in der Reichskasse bleibt.

Die übrigen etatsmäßig vorgeschlagenen Einnahmen würden voraussichtlich in der geschätzten Höhe eingehen.

2) Ausgaben.

Auf der Ausgabenseite werden Ersparnisse nicht zu erzielen sein. Bei der außerordentlichen Enge aller Fonds wird man mit Mehrausgaben rechnen müssen, die schätzungsweise auf 50 Mill. anzunehmen sind.

Es ist ferner damit zu rechnen, daß die Restausgaben in voller Höhe ausgegeben werden und daß neue Restausgaben nur in verschwindend geringem Umfang entstehen. Gegenüber dem Stande vom 31. März 1929 ist mit einer Verminderung des Restbestandes um 320 Millionen zu rechnen.

Endlich wird selbst für den Fall, daß die neue Arbeitslosenversicherung eine starke Entlastung des Reiches bringt, doch noch für diesen Winter mit einer vorübergehenden Inanspruchnahme des Reichs in Höhe von 150 Mill. über den durch Einnahmen gedeckten Etatsansatz hinaus gerechnet werden müssen.

Insgesamt ergibt sich also auf der Ausgabenseite eine Verschlechterung gegenüber dem Stande vom 31. März 1929 in Höhe von 520 Millionen.

[603] 3) Kreditveränderungen.

Das Reichsbankmünzguthaben von 22 Millionen, das Seehandlungsdarlehen von 40 Millionen, der über Ultimo März gegebene Kredit von 150 Millionen, der Kredit der Rentenbankkreditanstalt von 20 Millionen fallen fort, so daß sich auf der Kreditdeckungsseite gegenüber dem Stande vom 31. März 1929 eine Verschlechterung von 232 Millionen ergibt.

4) Kassenbedarf.

Insgesamt würde also der Kassenmehrbedarf gegenüber dem Stande vom 31. März 1929 etwa 850–875 Millionen betragen.

Der Kassenbedarf Ende März 1930 würde also etwa wie folgt aussehen:

a)

Defizit des Extraordinariums (einschl. Kursstützung)

675 Mill.

b)

Darlehen an die Arbeitslosenversicherung (ungedeckt)

410 Mill.

c)

Darlehen an die Preußenkasse

100 Mill.

d)

Sonstige Darlehen und Vorschüsse

200 Mill.

e)

Defizit des Ordinariums 1928

100 Mill.

f)

Defizit des Ordinariums 1929 (ohne Arbeitslosenversicherung)

150 Mill.

g)

Ultimobedarf

300 Mill.

insgesamt

1 935 Mill.

Demgegenüber stehen zur Verfügung:

a)

Bestand an Reichsschatzwechseln

400 Mill.

b)

Postdarlehen

100 Mill.

c)

Reichsbahndarlehen

100 Mill.

d)

Preußenkassendarlehen

100 Mill.

e)

Bau- und Bodenbank

10 Mill.

f)

Reichsbank, Betriebskredit

100 Mill.

g)

Ausgabereste

50 Mill.

h)

Unverzinsliche Schatzanweisungen

200 Mill.

insgesamt

1 060 Mill.

Es bleibt ein zu deckender Spitzenbedarf von

875 Mill.

Hierbei ist davon ausgegangen, daß

a)

Post, Bahn- und Preußenkasse ihre Darlehen in unveränderter Höhe belassen,

b)

der Bestand an Reichschatzwechseln ständig 400 Mill. beträgt,

c)

die im Herbst und Winter fällig werdenden 200 Mill. unverzinslichen Schatzanweisungen prolongiert werden.

Da nicht mit allen diesen Voraussetzungen gerechnet werden kann, wird man einen Gesamtkassenbedarf von rd. 1 Milliarde als gegeben ansehen müssen.

[604] 5) Lage im I. Vierteljahr 1929.

Die Lage gestaltet sich gegenüber dem Ultimo März wie folgt:

a)

Auf der Kreditseite fallen fort

der Bankenkredit in Höhe von

150 Mill.

der Kredit der Rentenbankkreditanstalt von

20 Mill.

das Münzguthaben von

22 Mill.

insgesamt

192 Mill.

b)

An Darlehen an die Arbeitslosenversicherung werden 110 Mill. gegeben, während nur 3/12 von 150 Mill. = 37,5 Mill. als Einnahme zu rechnen sind, so daß tatsächlich 73,5 ungedeckt gegeben werden müssen.

c)

Die Bestände für Restausgaben vermindern sich um 70 Millionen RM.

d)

Die Einnahmen bleiben hinter den Ausgaben, abgesehen von den Darlehen an die Arbeitslosenversicherung und den Restausgaben, um rund 110 Mill. zurück. Das ist völlig normal. Denn nach der Einnahmeschätzung betragen die Steuereinnahmen im I. Vierteljahr nur rd. 1 343 Mill., bleiben also um rd. 130 Mill. hinter einem Viertel des Gesamtschätzungsbetrages zurück.

Daraus ergibt sich für das I. Vierteljahr der bekannte Kassenbedarf von rd. 450 Mill., von dem jetzt 180 Mill. durch die drei Monats-Schatzanweisungen der Banken gedeckt sind, 250 Mill. durch die Vorzugsaktien-Transaktion beschafft werden sollen.

6) Lage im II. Vierteljahr.

Im Monat Juli werden die 180 Mill. Dreimonatsschatzanweisungen fällig. Sie werden aus dem im Monat Juli zu erwartenden Einnahmeüberschuß gedeckt werden können. Dagegen werden August und vor allem September bereits wieder einen ungedeckten Spitzenbedarf aufweisen. Dieser Bedarf wird in seiner Höhe erst beziffert werden können, wenn die zur Zeit in Arbeit befindliche Übersicht über die Verteilung der Ausgaben auf das Rechnungsjahr 1929 vorliegt. Schätzungsweise dürfte er etwa 200 Mill. betragen. Einen Teil der Summe wird man vielleicht durch Lombardierung der 165 Mill. Schatzanweisungen an die Versicherungsanstalten, soweit sie noch nicht begeben sind, beschaffen können.

7) Deckungsmaßnahmen.

Von dem auf mindestens 875 Mill. errechneten Kassenmehrbedarf sollen 250 Mill. durch die Vorzugsaktientransaktion gedeckt werden. Es bleiben noch 625 Mill. zu decken. Zur Deckung werden folgende Maßnahmen in Erwägung zu ziehen sein:

a)

Änderung des Gesetzes über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen. Auf die anliegende Aufzeichnung wird Bezug genommen. Am zweckmäßigsten dürfte die in der Anlage unter III vorgeschlagene Streckung der Tilgungsfrist auf 20 Jahre sein, die eine Senkung der Rentenbankzinsen [605] der Landwirtschaft auf ein Drittel und die völlige Entlastung des Reichs bedeuten würde2. Träte die Änderung am 1. Juli in Kraft, würde der Etat um rd. 50 Mill. entlastet werden.

b)

Die Ermächtigung für den Reichsminister der Finanzen, die 40 Mill. an die Invalidenversicherung aus den Zolleinnahmen nur dann auszuzahlen, wenn der Haushalt 1929 ohne Defizit abschließt, sonst die Zahlung auf 1935 zu verschieben (eventuell Schatzanweisungen).

c)

Die Ermächtigung für den Reichsminister der Finanzen, erforderlichenfalls die Beamtengehälter nur zu zwei Drittel am 1., zu ein Drittel am 15. zu zahlen und im gleichen Verhältnis der Länderüberweisungen zu verschieben. Der Entwurf für eine entsprechende gesetzliche Bestimmung ist beigefügt. Der Ultimobedarf würde sich hierdurch um etwa 120 Mill. ermäßigen.

d)

Kürzung der Länderüberweisungen um weitere 40 Mill. Bei Inkrafttretung dieser Bestimmung am 1. Juli 1929 würde das für das Reich ein Mehr von 30 Mill. ergeben.

e)

An steuerlichen Maßnahmen: Erhöhung des Vermögenssteuerzuschlages auf 20% und Durchführung der Biersteuererhöhung. Gelänge beides mit Wirkung vom 7. Juli 1929 ab, würde sich eine Mehreinnahme ergeben in Höhe von etwa 180 Mill.

2

Die Anlagen werden nicht abgedruckt.

Selbst bei Durchführung aller dieser Maßnahmen bliebe immer noch ein ungedeckter Kassenbedarf von fast 200 Mill., der aber dann voraussichtlich erst im IV. Vierteljahr auftreten würde und sich durch einen neuen Schatzanweisungskredit decken ließe.

Die Durchführung dieser Maßnahmen bedeutet selbstverständlich eine Gefährdung des Kompromisses und für alle Parteien eine starke Belastung. Auf der anderen Seite ist es für die Regierung nicht zu verantworten, ohne Gegenmaßnahmen die Kassenlage sich weiter verschlechtern zu lassen bis zu einem Punkte, an dem zwangsläufig Zahlungseinstellungen eintreten müssen mit allen hieraus sich ergebenden Konsequenzen.

8) Vorschau auf das Jahr 1930.

Das Jahr 1930 verschlechtert sich gegenüber 1929 (in der gegenwärtig beschlossenen Form des Etats) um folgende Posten:

a)

Einstellung des Defizits von 1928

100 Mill.

b)

Glattstellung des verschleierten Defizits von 1929

150 Mill.

c)

Wiedereinstellung des Zuschusses an den Tilgungsfonds

50 Mill.

d)

Einlösung der 1930 fällig werdenden zweijährigen Schatzanweisungen

23 Mill.

e)

Einstellung von Ausgaben, die von 1929 auf 1930 verschoben sind

100 Mill.

insgesamt

423 Mill.

[606] Auf der Ausgabenseite steht nur die etwaige Entlastung des Reichs durch die Aufhebung des Rentenbankscheingesetzes in Höhe von etwa 70 Mill. als Deckungsbetrag zur Verfügung.

Auf der Einnahmeseite würden, wenn man die erhöhte Kürzung der Länderüberweisungen und den erhöhten Zuschlag zur Vermögensteuer wiederholte, bei Durchführung der Biersteuererhöhung etwa 325 Mill. zur Verfügung stehen. Für die allmähliche Abdeckung des ungedeckten Extraordinariums wäre hierbei noch nicht einmal etwas geschehen.

Schon dieser Ausblick zeigt, daß eine Balancierung des Haushalts 1930 ohne „neue Steuern“ nicht möglich ist.

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