1.76.1 (lut2p): Sozial-, wirtschaftspolitische und finanzielle Fragen.

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 2.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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Sozial-, wirtschaftspolitische und finanzielle Fragen.

Staatssekretär Fischer berichtete zunächst über den Etat. Für das Jahr 1925 werde es gelingen, den Etat auszubalancieren bis auf einen Betrag von etwa 110 Millionen, der aus einer für Erwerbslosenfürsorge eingesetzten und nicht verbrauchten Summe von gleicher Höhe gedeckt werden müsse. Um zu einer vollständigen Balancierung zu gelangen, sei es nötig gewesen, die aus dem Jahre 1924 vorhandenen Überschüsse vollkommen einzusetzen mit Ausnahme von 60 Millionen, die zu besonderen Zwecken zurückgelegt seien (Einführung der vierteljährlichen Gehaltszahlung1 pp.).

1

S. das „Gesetz über die vierteljährliche Gehaltszahlung“ vom 25.3.25 (RGBl. I, S. 30 ). Vgl. auch Anm. 4 zu Dok. Nr. 28 und Dok. Nr. 155, P. 3.

Für das Jahr 1926 werde es ebenfalls gelingen, unter Heranziehung von 220 Millionen aus dem Jahre 1924 das Gleichgewicht herzustellen2.

2

Zur Bilanzierung der Haushalte 1925 und 1926 vgl. auch Anm. 2 zu Dok. Nr. 247.

Im Jahre 1927 würden 420 Millionen mehr zu decken sein. Wie das geschehen werde, könne heute noch nicht gesagt werden. Jedenfalls steht fest, daß an den Leistungen für Kriegsbeschädigte in den nächten vier bis fünf Jahren sich nichts ändern werde3. In Preußen werde es wohl nicht gelingen, in diesem Jahre das Gleichgewicht im Budget herzustellen.

3

Die Versorgung der Kriegsbeschädigten ist geregelt durch: 1) das Reichsversorgungsgesetz in der Neufassung vom 30.6.23 (RGBl. I, S. 523 ), 2) die VO über die Fürsorgepflicht vom 13.2.24 (RGBl. I, S. 100 ), 3) die VO betr. „Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge“ vom 4.12.24 (RGBl. I, S. 765 ), 4) den Erlaß des RFM vom 2.5.25 (RStBl., S. 96), der für Kriegsbeschädigte eine beträchtliche Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrages einführt.

Bei der Reichsbahn sei der Etat des Jahres 1926 sehr gespannt. Die wenigen Millionen, die man als Plus herauswirtschaften könne, müßten dazu beitragen, durch vermehrte Sachbestellungen die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Diese Sachbestellungen können sich allerdings nur in ganz geringem Rahmen halten und können an die Friedensbestellung nicht im entferntesten heranreichen. Diese Sachbestellungen müßten hauptsächlich schon aus dem Grunde vorgenommen werden, um die Lieferanten der Reichsbahn, auf die die Bahn für ihren Betrieb angewiesen sei, am Leben zu erhalten. Waggon- und Lokomotivfabriken könnte man nicht ohne weiteres der Schließung anheimfallen lassen. Schwer räche sich jetzt der Umstand, daß man in den Jahren der Inflation mit übermäßigen Bestellungen operiert habe, so daß jetzt der Maschinen- und Wagenbedarf[983] der Reichsbahn im großen und ganzen gedeckt sei. Bei der Etataufstellung der Reichsbahn müsse das Prinzip aufrechterhalten werden, daß an der Substanz der Bahn nicht gerüttelt werden dürfe. Es müßte also das Betriebsmaterial in jeder Beziehung auf dem jetzigen Stand erhalten werden.

Der Reichsarbeitsminister berichtete über die Lage in der Erwerbslosenfürsorge. Nachdem die Ressorts sich mit einer Erhöhung der Erwerbslosensätze im besten Falle um 13% einverstanden erklärt hatten4, wären im Reichstag bedeutend höhere Forderungen gestellt worden. Die Kommunisten hätten 100%, die Sozialdemokraten 50%, die Demokraten 33⅓%, Zentrum und Bayerische Volkspartei 30% Erhöhung gefordert. Der Antrag des Zentrums habe schließlich im sozialpolitischen Ausschuß Annahme gefunden mit der Maßgabe, daß eine Erhöhung der Unterstützungssätze für die Familienangehörigen nicht Platz greife5. Für Berlin bedeute das eine Erhöhung der Sätze für Unverheiratete von 1,35 M auf 1,75 M. Es sei aussichtslos, gegen diese Beschlüsse anzukämpfen; so schwer es auch sei, müsse die Regierung das kleinere Übel wählen und hier möglichst schnell handeln, da sonst die Gefahr bestünde, daß angesichts der steigenden Erwerbslosigkeit6 weitere Erhöhungen im Reichstage durchgesetzt würden.

4

In der Chefbesprechung am 30. 11. S. Anm. 15 zu Dok. Nr. 236.

5

Vgl. den Mündlichen Teilbericht des 9. Ausschusses (Soziale Angelegenheiten) vom 12. 12. (RT-Drucks. Nr. 1658, Bd. 405 ).

6

Vgl. Anm. 14 zu Dok. Nr. 236.

Der Reichskanzler erklärte angesichts der Tatsache, daß es in letzter Zeit sehr oft zu Demonstrationsumzügen gekommen sei und wohl noch kommen werde, es für wünschenswert, daß das Reichsministerium des Innern ein Verbot dieser Umzüge herbeiführe.

Ministerialdirektor Brecht wies darauf hin, daß ein generelles Verbot nur auf Artikel 48 der Reichsverfassung gestützt werden könne, was eine Verordnung des Herrn Reichspräsidenten bedinge. In den einzelnen Ländern könne durch Polizeimaßnahmen in den einzelnen Fällen eingegriffen werden.

Der Reichskanzler hält den letzteren Weg für richtig und bittet das Reichsministerium des Innern, in diesem Sinne auf die Länder einzuwirken.

Der Reichsverkehrsminister erklärte, daß nach seiner Ansicht etwas für die Erwerbslosenfürsorge geschehen müsse. Was die Reichsbahn in dieser Beziehung tun könne, beabsichtige sie durch Auftragserteilungen zu tun. Er möchte aber nicht verfehlen darauf hinzuweisen, daß ihm eine Kontrolle des Reichs über die Notstandsarbeiten in irgendeiner Form erforderlich erscheine, um zu verhüten, daß ganz unproduktive Arbeiten in Angriff genommen würden.

Der Reichskanzler hielt es für erforderlich, daß, wenn man tatsächlich an eine Erhöhung der Erwerbslosensätze herantrete, man diese Erhöhung davon abhängig machen müsse, daß zwischen den einzelnen Gegenden und Ländern ein Ausgleich der Beiträge bis zur Höhe von 3%7 stattfinde, um zu verhüten,[984] daß das Reich schon dann eingreifen müsse, wenn an irgendeiner Stelle durch besondere Notlage die 3% erreicht seien. Ferner müsse unbedingt eine Kurzarbeiterunterstützung abgelehnt werden.

7

Gemäß VO über die Erwerbslosenfürsorge in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.2.24 (RGBl. I, S. 127 ) dürfen die Beiträge zur Erwerbslosenfürsorge, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je zur Hälfte zu tragen sind, 3% des Grundlohnes nicht übersteigen. Die Beitragshöhe wird vom Verwaltungsausschuß des öffentlichen Arbeitsnachweises für seinen Bezirk in Bruchteilen des Grundlohnes festgesetzt. Sie kann also bei günstiger Arbeitsmarktlage in einzelnen Bezirken weit unter dem vorgeschriebenen Höchstsatz liegen.

Staatssekretär Fischer erklärte sich hiermit einverstanden.

Das Reichsfinanzministerium beabsichtige, dem Haushaltsausschuß eine Denkschrift vorzulegen, die noch in Arbeit sei. Darin würden auch Vergleiche gezogen zwischen den Löhnen und den Bezügen der Beamten8.

8

Hierbei handelt es sich anscheinend um die Materialzusammenstellung des RFMin., deren Inhalt von StS Fischer in der Kabinettssitzung am 8. 12. vorgetragen wird (s. Dok. Nr. 247, P. 1; s. dort auch Anm. 2 und 4).

Der Reichsarbeitsminister bat, ihn vor Herausgabe der Denkschrift zu beteiligen.

Der Reichskanzler unterstützte diesen Antrag des Reichsarbeitsministers.

Staatssekretär Fischer sagte entsprechende Verhandlungen mit dem Reichsarbeitsministerium zu.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die allgemeine Meinung dahin gehe, daß die Erhöhung der Erwerbslosensätze von folgenden drei Voraussetzungen abhängig gemacht werden müsse:

1.

es findet ein Ausgleich zwischen den einzelnen Bezirken in der Frage der Beitragspflicht statt9,

2.

die Erwerbslosensätze müßten in irgendeiner Form den Löhnen angepaßt werden, um eine Überschneidung zu verhindern,

3.

es darf keine Kurzarbeiterunterstützung gezahlt werden10.

9

Zur Durchführung dieses Beschlusses erläßt der RArbM am 18.1.26 mit Zustimmung des RR (vgl. Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1925, § 41) die „Sechste Ausführungsverordnung zur Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge“ (RGBl. I, S. 92 ).

10

Unterstützungsmaßnahmen für Kurzarbeiter wurden gefordert in Anträgen der KPD vom 9. und der SPD vom 20. 11. (RT-Drucks. Nr. 1482 und 1507, Bd. 405 ). Die Anträge werden bei den Beratungen des Sozialausschusses am 3. und 9. 12. abgelehnt. Vgl. den Mündlichen Teilbericht des 9. Ausschusses vom 12. 12., RT-Drucks. Nr. 1658, Bd. 405 . Zur weiteren Behandlung vgl. Dok. Nr. 287, P. 2.

Schließlich hielt es der Reichskanzler für angezeigt, mit den Parteiführern die ganze Materie zu besprechen, was allgemeine Billigung fand. Vorher soll noch in derselben Angelegenheit eine Kabinettssitzung abgehalten werden. Die Kabinettssitzung soll am Dienstag, dem 8. Dezember, um 12 Uhr mittags stattfinden11, die Besprechung mit den Führern der Parteien am Dienstag, dem 8. Dezember 1925, um 4 Uhr 30 nachmittags in der Reichskanzlei12. An der Parteiführerbesprechung sollen sich das Reichsarbeitsministerium und das Reichswirtschaftsministerium beteiligen.

11

S. Dok. Nr. 247.

12

S. Anm. 6 zu Dok. Nr. 247.

Der Reichskanzler ersuchte dann noch das Reichswirtschaftsministerium, die Frage der Vermehrung des Exporthandels beschleunigt im Einvernehmen mit Reichsarbeitsministerium und Reichsfinanzministerium zu prüfen.

Staatssekretär Trendelenburg sagte dies zu13.

13

Vgl. dazu Dok. Nr. 257, P. 5.

[…]

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