1.251.1 (bru2p): Fortsetzung der Aussprache über die Sanierungsmaßnahmen.

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Fortsetzung der Aussprache über die Sanierungsmaßnahmen.

Der Reichsarbeitsminister gab einen umfassenden Überblick über die Wirtschaftslage des deutschen Volkes. Er bezweifelte die volle Zuverlässigkeit der Indexzahlen, insbesondere, soweit es sich um die Landwirtschaft handele1. Im Gegensatz zur Industrie bedeute die Steigerung des Ertrages bei guten Ernten keinen wesentlich größeren Arbeitsaufwand als bei schlechten. Diese Tatsache komme nicht ausreichend zur Geltung. Die Landwirtschaft zahle 5–7% der gesamten öffentlichen Abgaben. Die Arbeiterschaft und die übrigen Berufsstände zahlten den Rest. Für die Landwirtschaft seien deswegen die Zinsen wichtiger als die öffentlichen Lasten.

1

Vgl. auch Dok. Nr. 502.

Bei Berücksichtigung dieser Tatsache würde der Agrarindex von den übrigen Indizes nicht wesentlich verschieden sein.

Die Währungseinheit sei für Deutschland in seiner Armut zu groß. Das richtige Verhältnis zum Gesamteinkommen herzustellen, sei schwierig. Dieses habe betragen

1929

77 Milliarden

1931

57 Milliarden

16,7 Millionen

Arbeiter hätten ein Einkommen

von 21

Milliarden

3,5 Millionen

Angestellte

von 5

Milliarden

2,5 Millionen

Beamte und Pensionäre

von 10

Milliarden jährlich

100–150 000

Mitglieder freier Berufe (Ärzte, Rechtsanwälte, Geistliche) hätten insgesamt ein Einkommen

von 2

Milliarden jährlich

Das jährliche Einkommen der Landwirtschaft

und des Gewerbes belaufe sich auf

17

Milliarden jährlich

[1787] Die öffentliche Hand habe jährlich zu zahlen

an Gehältern

8

Milliarden

an Pensionen

1,7

Milliarden

an Sozialversicherungslasten

4

Milliarden

an Erwerbslosenunterstützungen

3

Milliarden

an Kriegsbeschädigte

1,2

Milliarden

Die Personalausgaben der öffentlichen Verwaltungen

betrügen

18

Milliarden

für Schuldentilgung und Sachausgaben würden

5

Milliarden

ausgegeben.

Bei der Reichsbahn

2,3

Milliarden

Bei der Post

1

Milliarde

50–60% des Volkseinkommens würde durch die öffentliche Hand bewirtschaftet.

Die Löhne und Gehälter betrügen in der Privatwirtschaft 26 gegen 36 Milliarden im Jahre 1924.

Ein Hauptproblem sei demnach die Vereinfachung der öffentlichen Verwaltung. Sie könne erfolgen entweder durch das Parlament oder durch Volksentscheid oder auf Grund eines zu schaffenden Notstandsrechts des Staates. Dann bestehe aber die Gefahr der Diktatur. Er halte den Augenblick für gekommen, in dem die Regierung wählen müsse zwischen der Verfassung und zwischen Staat und Volk.

Indirekt könne die öffentliche Verwaltung vereinfacht werden, indem Länder und Gemeinden finanziell ausgehöhlt würden. Der Ertrag der Hauszinssteuer würde im nächsten Jahr wesentlich geringer sein als in diesem2. Die Einkommensteuer sei von 1,6 Milliarden im Jahre 1929 auf 700 Millionen, die Körperschaftsteuer von 600 Millionen auf 120 Millionen gesunken. Mit einer schweren Finanzkrise bei Ländern und Gemeinden sei im nächsten Jahr zu rechnen. Dann würde der Abbau der übersteigerten Verwaltung einfach sein. Die Gefahr einer Staatskrise dürfte aber nicht übersehen werden.

2

Vgl. Dok. Nr. 493.

Für die Wirtschaft sei die Zinsfrage von entscheidender Bedeutung. Durch obrigkeitliche Anordnungen könnten die Zinsen nicht reguliert werden. 90 Milliarden Kredite laufen in Deutschland. Davon seien 45 Milliarden kurzfristig, für die die Zinsregelung unmittelbare Wirkung habe.

Von 24 Milliarden Kreditoren befänden sich etwa 12 Milliarden bei den Sparkassen und 12 Milliarden bei den Banken. Bei den Aktiengesellschaften seien 24 Milliarden Kapital investiert, deren Wert aber jetzt etwa nur 10 Milliarden betragen würde. Auch daraus ergebe sich die große Bedeutung des Leihkapitals.

70% der Kreditoren werde durch die öffentliche Hand bewirtschaftet, in Sparkassen und den subventionierten Großbanken.

Die Sollzinsen und die Spanne zwischen den Soll- und Habenzinsen sei zu hoch. Es müsse möglich sein, die Zinsen durch organisatorische Maßnahmen herabzudrücken. Die Bevölkerung müsse dahin gebracht werden, daß sie niedrigeren[1788] Zins und größere Sicherheit einer hohen Verzinsung bei geringer Sicherheit vorzöge.

Die Währungseinheit herabzusetzen, werde generell nicht möglich sein. Zu prüfen sei der Vorschlag, die halbe Mark in einen Silberling umzuwandeln und in 100 Pfennige zu teilen.

Die landwirtschaftliche Siedlung könnte vielleicht durch einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten in der Weise gefördert werden, daß Deutschland sich verpflichtet, 10 Jahre lang Weizen abzunehmen gegen die Hergabe eines Golddarlehens der Vereinigten Staaten, das es ermöglichen würde, die Siedlung in etwa 5–10 Jahren durchzuführen, für die andernfalls 30 Jahre nötig wären. Im übrigen sei es richtiger, die Handelspolitik nach Rußland zu orientieren, als nach dem Balkan, der sehr verarmt sei. Rußland könne etwa für eine Milliarde deutsche Waren kaufen, entweder gegen Kredit oder gegen Lieferung russischer Erzeugnisse (Holz, Benzin, Getreide).

Für die Osthilfe müßten neue Wege gesucht werden.

Der Streit in der Lohnpolitik sei nicht notwendig. Die Tarifverträge könnten nicht beseitigt werden. In England würden die Vereinbarungen zwar nicht durch Verbindlichkeitserklärung, sondern durch die öffentliche Meinung gestützt. In Italien setze der faschistische Bezirkssekretär die Löhne autoritativ fest. Abdingbarkeit eines Teiles des Lohnes würde größten Streit hervorrufen. Die volle Spanne würde stets in Anspruch genommen werden. Die Arbeiterschaft würde das Interesse am Staate verlieren.

Auch Mehreinstellung von Arbeitern gegen Lohnsenkung sei nicht angängig. Sie hätte Entlassungen in anderen Betrieben zur Folge. Auf die Dauer werde ein Zuwachs auf diese Weise nicht erzielt.

Es müsse ein Waffenstillstand zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angestrebt, von der Verbindlichkeitserklärung dürfe nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden. Die Tarifpolitik der Arbeitgeber sei nicht einheitlich. Ihre Syndici treten für möglichst umfassende Tarifverträge ein. Stärkere Gliederung und Differenzierung, insbesondere auch nach Stadt und Land sei notwendig. Ein tarifloser Zustand würde zu Unruhen führen, die Angestellten würden besonders schwer geschädigt. Aus diesem Grunde habe sich auch die Deutsche Volkspartei gegen Beseitigung der Verbindlichkeitserklärung ausgesprochen3. Die Arbeiterschaft würde ihre Qualitätsarbeiter aus den Werken herausziehen. Die übrige Belegschaft wäre gezwungen, zu feiern. Sie würde ausgesperrt und damit der Wohlfahrtsunterstützung teilhaftig. Die Bedürftigkeitsprüfung würde jetzt anders gehandhabt als in den Zeiten des Drei-Klassen-Wahlsystems.

3

Vgl. das Protokoll über die Fraktionssitzung der DVP vom 8.9.31, 11.00 Uhr, in R 45 II /67 , S. 335–336.

Die Lebensmittelpreise, Wohnungsmieten und Verkehrsmittel machten 70% der Ausgaben der breiten Masse aus. Das Roggenbrot müsse billig sein. Bei Weizen bestände dieses Interesse nicht. Er sei bereit, für die Brotfabriken das Nachtbackverbot aufzuheben, wenn die Brotverbilligung sichergestellt würde. Bis jetzt sei sie noch nicht gewährleistet. Die pommerschen landwirtschaftlichen[1789] Genossenschaften hätten sich bereit erklärt, den Preis um 15 Pfennig zu senken, wenn für neue Werke das Nachtbackverbot aufgehoben würde. Generell die Nachtarbeit bei den Bäckereien wieder einzuführen, lehne er ab, auch die Herstellung von Kleingebäck durch die Konsumvereine in Nachtarbeit. Das Bäckergewerbe würde dadurch schwer geschädigt.

Er sei bereit, an eine weitere Reform der Sozialversicherung heranzugehen. Es sei bereits viel in dieser Richtung geschehen. Von der Sozialversicherung seien seit 1924 14% der Leistungen abgebaut worden. Die Krankenversicherung habe 1929 2,2 Milliarden, 1930 nur 1,4–1,5 Milliarden ausgegeben. Die Bezüge der Kriegsbeschädigten seien um 250 Millionen gekürzt. Trotzdem sei im Etat der Soziallasten ein Defizit von ¾ Milliarden geblieben. Es läge daran, daß das Fürsorgeprinzip mit dem Versorgungsprinzip vermengt worden sei. Allein die Unterstützung älterer Frauen hätte einen Mehraufwand von 80 Millionen verursacht. Er trete für eine Änderung dieses Systems ein, wenn auch auf anderen Gebieten entsprechend vorgegangen würde.

Die Innenwirtschaft und insbesondere die Industrie könnte nur durch das Baugewerbe, nicht so sehr durch Ausfuhr belebt werden. Es bestehe noch ein starker Bedarf an Kleinwohnungen, während in den Großstädten große und mittlere Wohnungen freiständen. Die Randsiedlung begrüße er. Es müßten Mittel beschafft werden, um das Baugewerbe produktive Arbeiten, wie Talsperren, Straßen und ähnliches, ausführen zu lassen. Allein durch Randsiedlung könne es nicht belebt werden. Der größere Teil des Kleingewerbes hänge vom Baumarkt ab.

Wesentlich sei die politisch-psychologische Einstellung der Masse. Das Wahlrecht sei überschätzt worden, weil es den Massen vorenthalten worden sei. Die Arbeiter fühlten sich als die Leidtragenden der Entwicklung, während die Angestellten günstiger und die Beamten gesichert daständen. Bei dem Verwaltungsapparat und bei den Pensionen müsse auch aus diesen psychologischen Gründen etwas geschehen. Wenn der Opfergedanke nicht durchgebracht werden könnte, dann werde es nicht möglich sein, über diesen Winter hinwegzukommen.

Deutschland könne nicht jährlich zwei Milliarden für das Schulwesen ausgeben. Auch 800–900 Millionen für die Rechtspflege seien zuviel. Eine Endlösung allerdings sei allein für Deutschland nicht zu finden. Die deutsche Arbeit müsse mobilisiert werden, ohne daß an der Währung gerüttelt werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen ging im Rahmen der Wirtschaftsdebatte auf die Verhandlungen in Genf, die allgemeine Orientierung der Handelspolitik4 und die Auseinandersetzungen mit der Schweiz ein5. Auch[1790] er trat dafür ein, daß die Mark nicht preisgegeben würde, hielt es aber für nötig, die Deflationspolitik rechtzeitig zu beenden. Sie dürfe nicht um ihrer selbst betrieben werden. Herabsetzung der Selbstkosten mit Druck auf die Löhne und anderen Faktoren sei erforderlich. Die Zinsen dürften nicht zu früh verbilligt werden. Erst müsse das Ende der Deflation erreicht sein oder unmittelbar bevorstehen.

4

Vgl. zu den wirtschaftlichen Beratungen während der Septembertagung des VB die WTB-Berichte in R 43 I /496 , Bl. 41–47.

5

Die dt. Gesandtschaft in Bern hatte am 13.3.31 berichtet, daß die Schweiz wegen ihrer negativen Handelsbilanz gegenüber Dtld in Höhe von 700 Mio Franken eine Änderung ihrer Außenhandelspolitik beabsichtige (Durchschrift in R 43 I /1115 , Bl. 61–72). Während der VB-Tagung hatte der Dir. der Schweizerischen Handelsabteilung, Stucki, den MinDirr. Ritter und Posse mitgeteilt, die Schweiz werde den dt.-schweizerischen Handelsvertrag vom 14.7.26 (RGBl. II, S. 675 ) zum 1.1.32 kündigen, um in der Frage der Einfuhrverbote freie Hand zu bekommen (Abschrift eines Aktenvermerks des MinDir. Ritter vom 11.9.31, R 43 I /1115 , Bl. 75–79). Daraufhin hatte am 19.9.31 im Wirtschaftsausschuß der VB-Versammlung eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen Stucki und MinDir. Posse stattgefunden (Telegramm Ritters vom 19.9.31 und WTB Nr. 1969 vom gleichen Tage in R 43 I /1115 , Bl. 80–82). Zu den dt.-schweizerischen Handelsvertragsverhandlungen s. Dok. Nr. 523, P. 3.

Der Reichsbankpräsident führte aus, die Lage habe sich in letzter Zeit geändert6. Die Verteidigung der Währung sei bisher an die Wirtschaft angelehnt worden durch Diskonterhöhung und Restriktionen. Jetzt nähere sich die Entwicklung dem Zustande, in dem die Operationsfreiheit der Reichsbank nicht mehr ausreichend gesichert sei. Das Wechselmaterial genüge nicht, um durch eine Diskonterhöhung zu wirken. Der unbewegliche Teil des Wechselbestandes nehme in beunruhigendem Umfange zu. Langfristige Wechsel, insbesondere die Russenwechsel, gingen bald über die Grenze einer liberalen Notenbankpolitik hinaus.

6

Vgl. auch Luthers Tagebuchaufzeichnung vom 2.10.31 (Nachl. Luther Nr. 366, Bl. 135–137).

Die Banken machten ihre Geschäfte nicht mehr ohne Rückendeckung durch die Reichsbank. Durch die Schwierigkeiten bei den Sparkassen und Banken sei ein Übermaß an Wechseln entstanden. Bei den Sparkassen sei die Schwierigkeit groß, sie weiter liquide zu erhalten. Wenn die Entwicklung, wie bisher, weiterschreite, so würden Überlegungen dahin gehen, statt der Mark verzinsbare Papiere herauszugeben. Damit wäre die Gefahr der Inflation gegeben.

Die Herausgabe von Krediten müsse mehr und mehr beschränkt werden. Eine Auflockerung der Wirtschaft sei geboten.

Das Zinsproblem sei schwierig. Die Wirtschaft sei früher aufgebaut gewesen auf einem Durchschnittszins von 4–5%, der bei der Landwirtschaft niedriger und noch niedriger bei der Forstwirtschaft gelegen habe. Die hohen Zinsen wirken sich äußerst gefährlich aus, besonders bei der Landwirtschaft. Ehe sie nicht herabgesetzt wären, sei eine Ordnung der Lage nicht möglich. Sobald sich ein Eingriff mit Aussicht auf Erfolg ermöglichen lasse, müsse er geschehen. Jetzt aber sei die Lage ungünstig. In der Öffentlichkeit würde die Forderung nach Erhöhung des Diskontsatzes laut. Der Ernst der Lage werde in diesem Zusammenhange übertrieben. Der Wechselumlauf sei stark, Devisen seien abgezogen worden. Dieser Zusammenhang bestehe stets, wenn die Wirtschaft nicht im Besitze von Devisen sei. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes zeige der neue Ausweis der Reichsbank nur die übliche Anspannung am Ultimo des dritten Quartals7. Die Zinssätze seien auch in anderen Ländern erhöht worden. Die Stillhaltegläubiger drängten auf Heraufsetzung der mit[1791] ihnen vereinbarten Sätze. Die Reichsbank habe sich an die Notenbanken gewandt mit der Bitte, dieser Bewegung entgegenzuwirken.

7

Der Rbk-Ausweis vom 30.9.31 hatte gegenüber der Vorwoche einen Gold- und Devisenverlust von rd. 233 Mio RM ausgewiesen. Die Notendeckung hatte nur 31,2% gegenüber 40,1% in der Vorwoche betragen (DAZ Nr. 453–454 vom 3.10.31).

Auch in den Vereinigten Staaten würden die Zinssätze steigen, wenn Frankreich dort weiter Gold ansammle.

Das Ende der Zinsheraufsetzung sei nicht abzusehen. In Deutschland könne zur Zeit deswegen nicht an eine Diskontsenkung gedacht werden8. Eine Zinssenkung bei langfristigen Krediten würde ein Kündigungsverbot für sie nötig machen, sonst würde aus ihnen in kurzfristigen Anlagen übergegangen.

8

Der Diskontsatz betrug am 2.10.31 8%.

Kündigungsbeschränkungen aber würden die Wirtschaft stillegen. Pfandbriefe kämen nicht mehr zum Verkauf. Nur wenn es möglich wäre, den Diskont zu senken, dann könnten auch die Zinsen für langfristige Kredite herabgesetzt werden.

In dem Stillhalteabkommen9 fände sich die Vorschrift, daß jeder, der Kredite zurückzahlen könne, hierzu ermächtigt werde, unter Aufrechterhaltung der Kreditlinie, das heißt, unter der Voraussetzung, daß er denselben Kredit wieder in Anspruch nehmen kann. Seien die Zinssätze im Auslande höher als im Inlande, dann würde der ausländische Kredit voraussichtlich nicht in Anspruch genommen werden. Dann würde sich der Abzug von Devisen erhöhen.

9

Vgl. Dok. Nr. 454, P. 4.

Die Privatwirtschaft dränge auf Zurückzahlung, die ausländischen Schuldner nähmen das Geld gern. Der Pfundkurs gebe neuen Anreiz zur Schuldentilgung.

Durch die neue Devisenverordnung10 soll dieser Bewegung entgegengewirkt werden. Aber volle Abdichtung des Systems sei nicht möglich.

10

6. DurchführungsVO zur DevisenbewirtschaftungsNotVO vom 2.10.31 (RGBl. I, S. 533 ).

Die interne Devisenregelung soll nach den Wünschen, insbesondere auch der Landwirtschaft, dazu benutzt werden, handelspolitische Ziele zu erreichen. Dies sei nur auf Grund eines Kabinettsbeschlusses möglich, denn die Praxis der Reichsbank würde sofort bekannt werden. Es würde sich dann um Absperrungen ausländischer Einfuhr handeln, die im Innern eine Zinssenkung theoretisch möglich machen würden. Praktisch müßte die innere Geldpolitik umgelegt werden. Eine Planwirtschaft würde entstehen, die auf die Dauer wohl kaum zu halten wäre.

Notwendig sei eine Auflockerung der Wirtschaft unter den Löhnen, Gehältern, den Bindungen auf der Arbeitgeberseite, der Sozialversicherung, den Tarifrechten. Schließlich bedürfte es einer Reichs- und Verwaltungsreform. Ihr würde das Volk zustimmen. Die Währungsfreiheit wäre dann gesichert. Es sei unmöglich, von der Mark abzugehen. Deutschland sei überaus inflationsempfindlich. Andererseits bestände die Gefahr, daß der Währungsschutz die Wirtschaft zerschlägt, wenn nicht andere Wege zu ihrer Rettung gefunden werden. Damit wären auch praktisch Gefahren verbunden.

Gegenüber Einwendungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, der auf die niedrigeren Diskontsätze im Auslande hinwies, und eine Herabsetzung des Reichsbankdiskontsatzes für möglich und nötig erklärte,[1792] führte der Reichsbankpräsident weiter aus: die Rembourskredite seien weitgehend Akzeptkredite Englands. Deutschland müsse höhere Zinsen ins Ausland zahlen als der Diskontsatz dort betrage. Bei einer Senkung des Diskonts in Deutschland würde die Gefahr bestehen, daß Devisen in Höhe von etwa 3 Milliarden abgezogen würden. Er bat, auf die Zeitungen dahin einzuwirken, daß sie nicht eine Erhöhung des Diskontsatzes von der Reichsbank fordern. Eine Senkung soll ins Auge gefaßt werden, sobald es möglich sei.

Ausschluß des Kündigungsrechts bei langfristigen Krediten zur Zinssenkung würde das gesamte angelegte Kapital immobilisieren. Nur ein herabgesetzter Rentenanspruch würde bleiben. Vielleicht könnte sich darauf ein neues Wirtschaftsleben entwickeln. Die kurzfristige Verschuldung müßte weitergehen. Für Landwirtschaft und Hausbesitz könnten Erleichterungen geschaffen werden, die Sparer aber würden leiden. Käme es zu einem Tauschverkehr zwischen den Ländern, dann könnte im Inland eine autonome Zinspolitik betrieben werden.

Dr. TrendelenburgTrendelenburg schätzte den Gesamtbetrag der laufenden Schulden auf etwa 17 Milliarden. 1% Reichsbankdiskont mache also 170 Millionen aus. Das sei kein übermäßig hoher Betrag.

Es sei notwendig, durch scharfe Handhabung der Devisenverordnung die Mark unabhängig zu machen. Auf Vorschriften dieser Art ließe sich aber auf die Dauer kein System aufbauen. Es würde immer Löcher enthalten. Das russische Beispiel könne nicht auf das deutsche Einfuhrgeschäft angewendet werden. Der Gegenwert der Ausfuhr müsse auf dem inneren Markte in Erscheinung treten. Deutschland sei ein Warenhaus, Rußland ein Spezialgeschäft.

Es werde nicht möglich sein, die deutsche Ausfuhr von einer Stelle aus zu leiten. Mitarbeit der Sachverständigen in Handel und Gewerbe könne nicht entbehrt werden. Dadurch werde der Erfolg eines Zusammenschlusses immer herabgesetzt. Die Erfahrungen der Inflationszeit hätten das deutlich gelehrt.

Sobald sich die Fortführung der Privatwirtschaft nicht mehr möglich erweise, müsse ein System erfunden werden, um Deutschland vom Auslande abzuschließen.

Zum Ausgleich der Rückschläge des Weltmarktes könne Deutschland nur seine Selbstkosten senken. Die Zinsenfrage dürfe nicht überschätzt werden. Zwischen Eigen- und Fremdkapital sei zu unterscheiden. Für den Hausbesitz sei die Höhe des Diskontsatzes ohne entscheidenden Einfluß. Auch in der Landwirtschaft werde die Zinshöhe in ihrer Bedeutung überschätzt. 1% Ermäßigung seien 75 Millionen RM im Jahre. Preiserhöhungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse wirken viel stärker als Zinssenkungen. Im Verhältnis zum Gesamtwert der Erzeugung seien 3–4% kein entscheidender Faktor.

Von den Maßnahmen, die getroffen werden sollten, sei keine entscheidende Belebung der Wirtschaft zu erwarten. Aber Deutschland könne sich gegenüber der veränderten Lage auf dem Weltmarkte behaupten. Eine Besserung sei grundlegend erst zu erwarten, wenn in der Welt wieder die Unternehmer sich betätigen würden. In Deutschland müsse der Staat Kredit schaffen. Was bei aufsteigender Konjunktur falsch sei, das sei am Tiefpunkt richtig. Dieser Tiefpunkt sei aber noch nicht erreicht. Erst wenn sich die Welt allgemein beruhige, könne[1793] sich die Wirtschaft wieder beleben. Zur Zeit zerreibe sich der Kapitalismus mit verhältnismäßig kleinen Summen der Reparations- und Kriegsschulden.

Deutschland könne sich nicht von der Weltwirtschaft isolieren. Es müsse sich für die internationale Auseinandersetzung so stark wie möglich machen. Deswegen müßten die Selbstkosten gesenkt werden.

Der Reichskanzler führte folgendes aus:

Die Vereinigten Staaten arbeiten mit eigenem Kapital, es sei im Verhältnis zum Umsatz groß. Dort gingen die Wirtschaftsschwierigkeiten zu eigenen Lasten.

Bei kleinem Eigenkapital sei die Lage völlig anders. Würde in Deutschland der Diskont weiter heraufgesetzt, statt für längere Zeit ermäßigt zu werden, so würde sich die Wirtschaft totlaufen. Notwendig sei eine Herabsetzung der Löhne und Mehrarbeit. Würden im Bergbau beispielsweise nur die Löhne um 40% herabgesenkt, um mit England zu konkurrieren, dann könnten die Bergarbeiter keine Miete mehr zahlen, auch keine sozialen Beiträge. Sie wären lediglich gegen den Hunger geschützt.

Ohne Zinssenkung könne die Kaufkraft der Landwirtschaft nicht ausreichend gesteigert werden. Die deutsche Ausfuhr werde in den nächsten zwei Monaten stark zurückgehen wegen der Entwertung des englischen Pfundes. Italien habe seine Zölle um 15% erhöht11. Überall herrsche die Angst vor Devisenverlusten. Alle Länder würden nur das Nötigste kaufen. Ohne internationale Vereinbarungen könnten die Weltschwierigkeiten nicht behoben werden. Dann wäre auch eine Zinspolitik ohne Wirkung.

11

S. Dok. Nr. 502, Anm. 7.

Die Hereinnahme des Weizens aus Amerika auf Kredit möchte Schule machen. Baumwolle müßte ebenso hereingenommen werden, auch Kupfer. Die Tendenz, die Tauschgeschäfte zu steigern, würde allmählich die Kreditwirtschaft der Welt auflösen.

Vorläufig sei keine Möglichkeit zu schnellem Handeln. Notwendig sei aber strengste Devisenverwaltung und rücksichtslose Bestrafung der Vorversorgung mit Devisen. Dann wäre es möglich, das Zinsniveau im Innern zu ermäßigen, zumal wenn sich die internationale Lage ändern würde. Das Wettrennen mit den steigenden Defiziten in den öffentlichen Kassen sei auf die Dauer nicht auszuhalten.

Er sei kein Freund der Planwirtschaft. Sie werde aber öffentlich befürwortet. Die Welt gehe in dieser Richtung weiter.

Bei dieser Sachlage könnten keine weittragenden Maßnahmen getroffen werden. Internationale Anleihen seien nicht zu erwarten.

Würden die Löhne gesenkt. so könnten die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht aufrechterhalten werden. Der Butterverbrauch gehe schon zurück. Ebenso der Verbrauch von Brot und Fleisch. Dann werde es möglich sein, daß die Landwirtschaft den Inlandsbedarf deckt.

Würden bei der Landwirtschaft die sozialen Beiträge beseitigt, so könnte sie mehr Arbeitskräfte einstellen. Diese Entlastung wirke stärker als die von den Steuern. Auch mehr Hausangestellte würden dann wieder Dienst finden.[1794] Bei stabiler Mark würde schließlich die Wirtschaft festsitzen, wenn nicht in dieser Richtung vorgegangen würde. Die Deflation würde theoretisch in Inflation umschlagen.

Die Industrie darf nicht zusammenbrechen. Arbeitsbeschaffung würde Aufträge künstlich vorwegnehmen, wie seit 1927 die Bauaufträge vorweggenommen worden seien. Eine Gesamtlösung der Schwierigkeiten werde notwendig sein. Sie könne aber nicht erzwungen werden. Das Verständnis müsse allmählich wachsen und ermöglichen, im richtigen Moment die Entscheidung zu treffen.

Die Welt gehe zurück zu den primitiven Methoden des Mittelalters. Die Kriegsverluste hätten die Welt arm gemacht. Nach Ausbalancierung der Goldvorräte werde noch immer ein starker Druck auf die Lebenshaltung bestehen bleiben. Es frage sich, wie die Wirtschaft über die nächsten Monate hinweg zu bringen sei, bis eine internationale Lösung möglich wäre. Nur sie könne umfassend helfen.

Von der Zinsseite her werde die Hilfe gegenüber dem Gesamtproblem verhältnismäßig klein sein. Die Krise werde in spätere Jahre hineingeschleppt.

Es frage sich, ob es möglich sein werde, etwa 10 Millionen auswandern zu lassen. Wenn die Vereinigten Staaten die Einwanderung freigeben, dann wären die Schwierigkeiten weitgehend zu lösen. Die Löhne würden dort so billig werden, daß auf Traktoren verzichtet werden könnte. Die kleinsten Güter würden wieder ausgenutzt. Insgesamt würden aber nur etwa 300 000 Menschen in dieser Weise untergebracht werden können. Der Botschafter der Vereinigten Staaten habe für dieses Problem Verständnis gezeigt. Nach seiner Auffassung komme für Amerika keine Zollerhöhung mehr in Frage, höchstens eine Herabsetzung.

Der Produktionsapparat der Welt sei eine Generation vorausgeeilt.

Lohn- und Gehaltsherabsetzung, auch eine vielleicht riskante Zinspolitik müßten durchgeführt werden, bis eine Weltregelung der Fragen möglich sei.

Die Steigerung der ländlichen Erzeugung in Deutschland sei eine Kapitalfrage. Mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern müßte über Elastizität der Tarifverträge und Preise, über Arbeitsbeschaffung und Währungs- und Kapitalfragen verhandelt werden. Die Verhandlungen müßten sofort nach Erlaß der Notverordnung beginnen, und praktisch rasch zu Ende geführt werden. Die Beteiligten müßten die Verantwortung mittragen. Die Entscheidung würde aber von der Regierung getroffen.

Wegen der Stillhalteabkommen und der Verzinsung der Schulden müßten gleichzeitig Vereinbarungen getroffen werden. Sie müßten bis Weihnachten vorliegen.

Die Vereinigten Staaten würden sich voraussichtlich nicht in diese Frage einmischen. Es handele sich insgesamt um etwa 2 000 Gläubiger kurzfristiger Kredite. Spätestens bis Ende Februar müßten die Vereinbarungen mit diesen fertig sein. Sie hätten wenig Illusionen, und ihre Hoffnungen würden sich bis dahin noch verringern. Voraussichtlich würden sie sich dann wohl bereit erklären, so weit möglich, Teile der Schulden, die insgesamt 26 Milliarden betragen, von denen 8 kurzfristig seien, zurückzunehmen.

[1795] Das sei die Vorstufe für die Lösung der Reparationsfrage. Dann müßten diese Verhandlungen in vollem Umfange aufgenommen werden, aber nur wegen des geschützten Teiles. Deutschland könne durchhalten, wenn alle Teile zu Opfern herangezogen würden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte zur Zinsfrage folgendes aus:

Insgesamt hätte die Landwirtschaft 1,3 Milliarden Zinsen zu zahlen. Die Zinshöhe sei bis zu 20% gestiegen. Die Gesamtschulden seien größer als eine Jahreserzeugung (etwa 13 Milliarden). Es sei notwendig, sich von bestimmten agrarischen Erzeugnissen des Auslandes abzusperren, weil anderenfalls Devisen im Übermaße abgezogen würden. Der Brotpreis sei durch Aufhebung des Nachtbackverbotes zu senken.

In Deutschland herrsche Menschenüberfluß. Die Bevölkerung sei nicht mehr ausgeglichen. 50 Millionen könnten ausreichendes Einkommen finden. 20 Millionen auf dem Lande, 30 Millionen in der Stadt12. Bei Absperrung der Einfuhr von Nahrungsmitteln könnten weiter etwa 500 000 Menschen auf dem Lande beschäftigt werden.

12

StS Schäffer zeichnete Schieles Gedankengang in seinem Tagebucheintrag vom 2.10.31 folgendermaßen auf: „Es liegt vieles daran, daß wir zu viele Menschen in Deutschland haben. Vor hundert Jahren ging es der Landwirtschaft gut. Da wohnte die Bevölkerung ausgeglichen. Jeder Bauer hatte einen Stadtmenschen mitzuernähren. Dann zogen die Menschen in die Stadt. Auf jeden Bauern fielen zunächst 1½ und dann mehrere Stadtmenschen. Dann begann das Elend der Landwirtschaft. Nach 70 Jahren blühte sie wiederum auf. (Trendelenburg und ich konstatieren den Blödsinn der Schieleschen Auffassung. Aber es lohnt sich nicht, zu widersprechen)“ (IfZ ED 93, Bd. 14, Bl. 881–894, hier Bl. 893).

Der Reichsminister der Finanzen hielt es für geboten, dem Auslande gegenüber konkurrenzfähig zu bleiben. Die unproduktiven Teile der Wirtschaft müßten verkleinert, die öffentlichen Verwaltungs- und Soziallasten verringert werden. Die Preissenkung könne auf dem inneren Markte keine Belebung bringen, im Außenhandel dagegen Steigerung der Einfuhr ermöglichen. Es sei aber fraglich, ob dadurch die innere Wirtschaft belebt werden könne. Alle Länder suchten sich gegeneinander industriell abzusperren. Die Bewegung werde wachsen, je mehr Deutschland die anderen Länder unterbiete. Die Industrieländer sperrten sich gegen die Rohstoffländer ab.

Der Kapitalmangel, insbesondere der Landwirtschaft, der Schwerindustrie und anderer Wirtschaftszweige werde zur Zeit nicht durch Kapitalbildung gehoben. Das Kapital, auch die Sparguthaben würden zurückgehalten. Es müsse ein Weg gefunden werden, Kapital zu beschaffen, mit dem die innere Wirtschaft betrieben werden könne. Die Reichsbahn müsse Aufträge erteilen, auch die Straßenbahn, Siedlungen, Fernverkehr, Export müßten finanziert werden. Wenn dadurch keine Belebung eintrete, so sei die Senkung der Selbstkosten ohne Nutzen. Inflation müsse vermieden werden. Es sei aber notwendig, den Zinssatz herabzudrücken.

Die Erzeugung reiche nicht aus, den Verbrauch zu decken, weil 5 Millionen aus dem Produktionsprozeß ausgeschaltet seien. Es müsse möglich werden, sie wieder zu beschäftigen durch Ansetzen der Arbeitskraft an geeigneten Stellen.[1796] Lohnkürzungen seien möglich, wenn der Rückhalt eigener agrarischer Erzeugung gegeben sei. Vom Diskontsatz hänge das ganze Zinsgebaren ab.

Osthilfe.

Reichsminister TreviranusTreviranus führte aus, es sei nicht möglich gewesen, für die Osthilfe die gewünschten Darlehen zu erhalten. Der Reichsfinanzminister müsse die Bürgschaft für Umschuldungen von 100 Millionen auf 200 Millionen erhöhen. 1932 könne der Umschuldungsbedarf nur 25% in bar, der Rest müsse durch Buchforderungen an die Industriebank gedeckt werden. Sonst wäre das Umschuldungsverfahren unmöglich. Preußen lehnt eine Erweiterung der Bürgschaft ab. Er bat um die Ermächtigung für die Reichsregierung, die Vorschriften abzuändern und zu ergänzen, Reichsverordnungen und Verwaltungsanordnungen zu erlassen sowie die Bürgschaften zu erhöhen. Bei Übernahme der Bürgschaften solle von der Mitverpflichtung der Länder Abstand genommen werden. Vorher werde aber die beteiligte Landesregierung zu hören sein. Diese Vorschläge seien mit Preußen durchgesprochen13.

13

Vgl. zu diesen Vorschlägen auch Dok. Nr. 458.

Der Reichsminister der Finanzen lehnte die Zustimmung zu den Plänen ab, bevor er nicht wisse, mit welchen Zielen und mit welcher Begrenzung sie durchgeführt werden sollten.

Die Verhandlungen wurden auf den 3. Oktober nachmittags vertagt14.

14

S. Dok. Nr. 505, P. 2.

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