1.50.1 (bru2p): Agrarpolitik.

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Agrarpolitik.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab einen umfassenden Überblick über den Stand der agrarpolitischen Arbeiten. Die Getreidewirtschaft sei vom Einfluß des Auslandes abgelöst. Voriges Jahr wären 2 Millionen Futtergetreide mehr vorrätig gewesen als gegenwärtig.

Die Weizenvorräte würden auf 300 000 t bei der Landwirtschaft und 400 000 t beim Handel und Mühlen geschätzt. Bis 1. September würde es notwendig sein, 500 000–600 000 t aus dem Ausland einzuführen. Über weitergehende Einfuhrwünsche, insbesondere der Konsumvereine, würde mit den Mühlen verhandelt.

An Roggen seien in der ersten Hand 1,3 Millionen t vorrätig. 150 000 t beim Handel und den Mühlen und weitere 150 000 t bei der Getreide-Handelsgesellschaft. Bei einem Verbrauch von 20 kg für den Kopf der Bevölkerung bis zur neuen Ernte entfielen demnach 26 kg noch auf jeden Einwohner.

Eine Reserve an russischem Getreide lagere in Amsterdam.

Der Brotpreis sei in Berlin in Ordnung gebracht. Die Preise schwanken zwischen 39 und 52 Pfg. für das Kilo. Die Verbraucher zeigten vielfach für die Verbilligung nur unzulängliches Interesse.

[1095] Die 150 000 t Vorrat der Getreide-Handelsgesellschaft sollen benutzt werden, um einen Druck auf die Brotpreise auszuüben. Diese seien seit 1925 noch nie so niedrig gewesen wie jetzt1. Beabsichtigt sei der Einsatz dieser Mengen im Rheinland und Westfalen sowie in Mitteldeutschland und Hamburg. Süddeutschland sei mehr auf Weizen eingestellt.

1

1 kg Roggenbrot kostete 1925 in Berlin im Durchschnitt 0,38 RM (Stat. Jb. für das Dt. Reich 47 [1928], S. 341); der höchste Jahresdurchschnittspreis wurde 1928 mit 0,46 RM erreicht. Im Januar 1931 kostete 1 kg Brot in Berlin im Durchschnitt 0,36 RM, im April 0,37 RM, im Mai 0,39 RM (Stat. Jb. für das Dt. Reich 50 [1931], S. 259). Eine Aufstellung des REMin. vom 20.5.31 über die Entwicklung des Berliner Brotpreises in R 43 I /2547 , Bl. 311–313.

Hinsichtlich des Futtergetreides beständen keine Sorgen. Mit einer monatlichen Einfuhr von 70 000–80 000 t bis 1. September werde gerechnet2.

2

Vgl. Dok. Nr. 284, Anm. 12.

An Kartoffelflocken seien noch 69 000 t vorrätig. Der Preis soll für das Futtergetreide auf 167 Mark im Durchschnitt herabgedrückt werden.

Ein Bericht über das Maismonopol werde nach Pfingsten erstattet. Es habe bis zum 1. April 1931 12,38 Millionen [RM] Einnahmen gehabt. Davon seien für Kartoffelflocken 7,73 Millionen RM gezahlt worden, weitere 2 Millionen für denselben Zweck. Der Kassenbestand betrage etwa 5 Millionen RM. (Hierzu meldete der Reichsminister der Finanzen seinen Anspruch auf Zurückzahlung der 7,73 Millionen an, weil sie nicht gesetzmäßig ausgegeben worden seien).

Der Roggenanbau habe sich um 500 000–600 000 ha verringert. Der Weizenanbau habe um etwa 250 000 ha zugenommen. Im nächsten Erntejahre würde kein Überfluß an Roggen mehr vorhanden sein. Bei einer guten Ernte könne mit 6,8 Millionen [t] Ertrag gerechnet werden. Bei Weizen würde der Erntezuwachs etwa 500 000 t betragen, die Gesamtmenge also voraussichtlich 3,5 Millionen. Dann werde eine Einfuhr von nur 50 000–60 000 t notwendig sein. Für die Handelsbeziehungen mit Ungarn sei das schwierig, zumal der Weizen dort zum Teil schlechter sei als der deutsche.

Im übrigen sei die Umstellung in der Landwirtschaft noch nicht völlig zu übersehen. Anscheinend sei der Haferanbau zurückgegangen und der Gersteanbau erweitert worden. Voraussichtlich würden 800 000 t Gerste importiert werden müssen. Das Verfahren, das bisher wegen der Weizeneinfuhr angewandt worden sei, habe sich bewährt. Die Entscheidung müsse monatlich getroffen werden. Der Überfluß draußen sei außerordentlich groß, allein in den Vereinigten Staaten 3 Millionen t. Mit höheren Weizenpreisen bei steigender Einfuhr sei also nicht zu rechnen.

Im Hackfruchtbau sei der Überfluß der großen Kartoffelernte von 47 Millionen t im wesentlichen durch die Schweine aufgenommen worden. Ihre Zahl habe sich so gesteigert, daß der Preis auf 35 RM pro Zentner Lebendgewicht gesunken sei. Beim Steigen der Futtermittelpreise würden jetzt nichtausgemästete Schweine an den Markt gebracht. Die Kartoffelfrage sei bereinigt. Für die Kartoffeln würden 2–3 Mark für den Zentner gezahlt, für den Roggen 10 RM. Bei den billigen Schweinepreisen könne der Landwirt also weder Roggen noch Kartoffeln verfüttern. Im November werden die Schweinepreise voraussichtlich[1096] wieder normal sein. Inzwischen solle in mäßigem Umfange mit Futtergetreide geholfen werden.

Im Zuckerrübenbau sei der Zusammenschluß und die Kontingentierung durchgeführt3. Der Anbau sei eingeschränkt worden. Mit einer Steigerung der Rübenpreise von 1 RM auf 1,60 RM werde gerechnet. Die Ausfuhrverluste, die auf 100 Millionen geschätzt werden, würden in Zukunft wegfallen. Der Vorrat betrage noch 300 000 t. Der Hackfruchtbau und das Brühschnitzelverfahren würden propagiert.

3

Ein Schreiben des REM an die Wirtschaftliche Vereinigung der Dt. Zuckerindustrie vom 2.5.31 über die Festsetzung der Grundkontingentsliste befindet sich in R 43 I /2547 , Bl. 189–200.

Die Viehwirtschaft möchte durch Ausfuhr von Schweinen erleichtert werden. Dazu fehlten aber die Einfuhrscheinmittel. Die Rinderausfuhr würde aus Mitteln des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Auch bei den Schafen sei eine Stützungsausfuhr nötig. Die Wollpreise seien unrentabel. Die Grünlandwirtschaft würde erweitert. Die Milchwirtschaft intensiviert. Der Butterpreis sei auf den Stand von 1910 gefallen4. Die Forstwirtschaft leide unter starker Zunahme der Einfuhr im Jahre 1931. Die Verhandlungen mit Schweden seien gescheitert5. Einfuhrscheine seien erforderlich, und zwar bei einem Werte von 85 Pfg. für den dz im Gesamtwerte von 1,7 Millionen.

4

Vergleichszahlen für den Butterpreis von 1910 konnten nicht ermittelt werden. 1913/14 kostete 1 kg Butter in Berlin 2,70 RM, im Mai 1931 3,09 RM (Stat. Jb. für das Dt. Reich 50 [1931], S. 261).

5

S. Dok. Nr. 286, Anm. 5.

Wegen der Hopfenzölle seien Verhandlungen mit Belgien erforderlich. Große Hopfenvorräte seien noch unverkauft, die zu 30–40 RM angeboten würden.

Auf dem Weltmarkt koste der Roggen 80–90 Mark. Er sei bereit, weitere Roggenvorräte zu kaufen und schlage eine Menge von 100 000 t vor.

Er bitte um Aufhebung des Brotgesetzes6 und des Nachtbackverbotes7. Die Konsumvereine hätten dieserhalb keine Bedenken. Die Brotfabriken wollten dann den Preis um 8–10% senken. Die Brotherstellung bei den Konsumvereinen sei verlustreich. Die Brotfabriken hätten ebenfalls Schwierigkeiten. Die Bäcker wendeten sich gegen die Aufhebung des Nachtbackverbotes8, weil sie dadurch im Konkurrenzkampf mit den Großerzeugern Vorteile hätten. Die Brotfabriken könnten das Kleingebäck nicht in der Weise vertreiben wie die Bäcker. Es bringe diesen den Hauptnutzen. In Berlin sei die Brotherstellung im Großbetriebe vorherrschend, im übrigen Deutschland aber nicht.

6

Neue Fassung des Brotgesetzes vom 10.12.30 (RGBl. I, S. 625 ).

7

Vgl. Dok. Nr. 167, Anm. 11. Der REM hatte am 18.5.31 in einer Besprechung mit MinDir. v. Hagenow die Aufhebung des Nachtbackverbots vorgeschlagen (Vermerk Hagenows vom 19.5.31, R 43 I /2547 , Bl. 315).

8

Vgl. Dok. Nr. 284, Anm. 25. MdR Feuerbaum (DVP) hatte mit Schreiben vom 5.5.31 dem RK eine Eingabe des Bäcker-Innungsverbandes Westfalen vom 1.5.31 überreicht, in der die Aufhebung des Nachtbackverbots abgelehnt worden war, weil dadurch eine Brotpreissenkung nicht herbeigeführt werde und die Aufhebung überdies ein sozialer und kultureller Rückschritt sei (R 43 I /2547 , Bl. 210–211). Dagegen hatte MdR Keinath (DVP) in einem Schreiben vom 6.5.31 darauf hingewiesen, daß württembergische Bäckermeister dringend gebeten hätten, das Nachtbackverbot aufzuheben (R 43 I /2547 , Bl. 214–215).

[1097] Der Reichskanzler dankte für die Ausführungen. Er wies darauf hin, daß die Zuverlässigkeit der Vorratsschätzungen bezweifelt würde. Die Konsumvereine wünschten die Aufhebung der Bestimmung über das Brotgewicht.

150 000 t Roggen genügten zur Deckung des Bedarfs eines halben Monats.

Eine Kontrolle der Bäcker wegen des Nachtbackverbotes sei nicht möglich. Im Westen würden die Brötchen bereits vor 7 Uhr heimlich ausgetragen. Die Wagen der Brotfabriken dürften erst nach 7 Uhr anfahren. Zuwiderhandlungen würden angezeigt.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, die Pläne der neuen Notverordnung seien unmöglich, wenn nicht der alte Brotpreis hergestellt werde. Mit der Aufhebung des Nachtbackverbotes in den Brotfabriken könne er einverstanden sein, nicht dagegen in den Bäckereien. Dort würden diese Maßnahmen die Produktion verteuern durch höhere Löhne, Beleuchtung und andere Ausgaben. Deutschland würde unter den Kulturstaaten ziemlich allein diesen Rückschritt in sozialpolitischer Hinsicht tun. Die Zahl der Bäcker sei 60 000. Eine generelle Aufhebung des Nachtbackverbotes lehne er ab. Die Wirtschaftspartei und der Mittelstand seien dagegen. Eine Kontrolle sei unmöglich.

Der Reichsminister der Finanzen und Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg hielten die Differenzierung bei Aufhebung des Nachtbackverbotes für unmöglich. Sie würde das Bäckergewerbe im Konkurrenzkampf gegen die Großhersteller des Brotes bevorzugen. Zu erwägen sei, ob das Verbot für eine bestimmte Frist aufgehoben werden könne.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, praktisch habe das Brotgesetz keine Bedeutung erlangt bis auf die Vorschrift über das Gewicht. Würde sie aufgehoben, so würde die Täuschung der Käufer wieder möglich gemacht. Er würde die Aufhebung dieser Bestimmung bedauern, wolle ihr aber nicht widersprechen.

Bei der Brotpreisbildung seien die Arbeitskosten überhöht. Die Aufhebung des Nachtbackverbotes in den Fabriken würde deren Übermacht über die Bäcker weiter wesentlich stärken. In Berlin bestehe bereits diese Gefahr. Es würde auch in den kleineren Städten akut werden. Im Interesse des Mittelstandes sei das zu vermeiden. Die Aufhebung des Nachtbackverbotes bis Frühjahr 1932 könne damit begründet werden, daß jetzt eine Erleichterung geschaffen werden müsse. Auf die Dauer dürfe sie nicht aufrechterhalten werden. Auf die Bäcker würde dadurch auch ein Druck ausgeübt werden, die Brotherstellung wieder zu verbessern.

Die Senkung des Brotgetreidepreises dürfe nicht von der Seite des Weizens betrachtet werden. Herabsetzung des Weizenzolles würde dem Landwirt nichts nutzen. Der Roggenpreis müßte niedrig gehalten werden. Die Schätzung der Roggenvorräte halte er für Vermutung. Der Landwirt habe kein Interesse mehr daran, Roggen auf den Markt zu bringen. Ob der Roggen der Getreide-Handelsgesellschaft zu 18 oder 20 Mark verkauft würde, sei unwesentlich. Die Differenz könne aus dem Maismonopol gedeckt werden.

Es werde notwendig sein, Roggen im Ausland zu kaufen und den Roggenpreis auf 18 RM bis zur nächsten Ernte zu stabilisieren. Dann könne der Preis[1098] nach der nächsten Ernte im Inland etwas höher gehen. Der Brotpreis habe dann seine feste Basis.

Er sei bereit, die Futtermittelzölle aufzuheben, unbekümmert um die Wirkung auf die Finanzen. Auch das Maismonopol könne aufgehoben und der freie Handel mit Futtermitteln wieder hergestellt werden. Wenn der Weizenzoll auf 20 RM gehalten werde, würde der Roggenpreis ebenfalls gehalten werden können. Dann könnten die Futtermittel billiger werden. Die Angriffe gegen ihn als den Gegner einer Verbilligung der Futtermittel seien unberechtigt.

Der Roggenpreis solle auf 18 RM stabilisiert, der Einkauf von einigen 100 000 t im Auslande getätigt werden.

Bei Überspitzung der Agrarpolitik bestehe die Gefahr, daß die überwiegende öffentliche Meinung in Kampfstellung gebracht und die Landwirtschaft in ihrer Existenz gefährdet werde.

Das Reichsfinanzministerium müsse über die Einfuhr von Roggen auf dem laufenden gehalten werden. Das Flockengeschäft sei nicht zu übersehen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wandte sich entschieden gegen den Vorschlag der Stabilisierung des Roggenpreises auf 18 RM und der Aufhebung der Futtermittelzölle und des Maismonopols. Die ganze Ostpolitik würde damit erledigt. Er erbitte den Gegenbeweis, daß seine Schätzungen der Vorräte unrichtig seien. Die Agrarpolitik könne nicht dauernd wechseln. Die Hereinlassung billiger Futtermittel würde die Preise für Roggen und Weizen werfen. Grundsätzlich sei er mit dem Reichsminister der Finanzen einverstanden, nur wegen der Methode sei er anderer Ansicht.

Würde der gesamte Roggenvorrat der Getreide-Handelsgesellschaft eingesetzt, so würde ihn die Spekulation aufnehmen und für sich verwenden.

Das Flockengeschäft habe er allein zu verantworten. Wenn der russische Roggen zu 190 M im Westen verkauft werde, so wäre das ein Vorteil von 20 M für die t, da der Roggen um 7–10% besser sei als der deutsche.

Der Reichsarbeitsminister schloß sich den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen an. Der Roggenpreis werde nicht auf die Dauer in Höhe von 200 RM aufrechterhalten werden können. Die Futtermittelpreise müßten fallen. Der Verdienst der arbeitenden Schichten sei im letzten Jahre um 7,5 Milliarden verringert. Die Unterstützungen sollten um ½ Milliarde gesenkt werden. Die Zahlung von 58 RM monatlich sei das äußerste Existenzminimum. Bei dieser Sachlage könnte der Butterzoll auf keinen Fall erhöht werden. Die Agrarpolitik nehme auf die Lage nicht ausreichend Rücksicht.

Der Reichskanzler wies auf die Notwendigkeit hin, die agrarische Bedarfsdeckung für handelspolitische Vorteile auszuwerten. Wenn der Brotpreis nicht auf den alten Stand zurückgebracht werden könne, sei es unmöglich, die bisherige Agrarpolitik aufrechtzuerhalten. Der Reichstag würde zusammentreten und mit großer Mehrheit die Aufhebung der Zölle fordern9. Er bat, bis zum 27. in[1099] Verhandlungen zwischen dem Reichsfinanzministerium und dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft seine Einigung über die Einfuhr von Roggen herbeizuführen. Wäre dies nicht rechtzeitig möglich, so würde er das Kabinett zusammenrufen zur Beratung über die allgemeine Herabsetzung der Agrarzölle10.

9

Namens der SPD-Fraktion forderte MdR Breitscheid in einem Schreiben vom 22.5.31 energische Maßnahmen der RReg. zur Brotpreissenkung (R 43 I /2547 , Bl. 323–324). Eine Aufhebung des in § 13 des Brotgesetzes vorgeschriebenen Gewichtszwangs lehnte die SPD-Fraktion allerdings ab (Schreiben des MdR Hertz vom 23.5.31, R 43 I /2547 , Bl. 329).

10

Zum Fortgang der Beratungen s. Dok. Nr. 309.

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