2.29.1 (wir1p): 1. [Außerhalb der Tagesordnung: Bericht Rathenaus über Besprechungen mit Loucheur in Wiesbaden.]

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1. [Außerhalb der Tagesordnung: Bericht Rathenaus über Besprechungen mit Loucheur in Wiesbaden.]

Vor Eintritt in die Tagesordnung berichtete Reichsminister Dr. Rathenau in großen Zügen über den Gang der Verhandlungen mit Loucheur in Wiesbaden1.

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Siehe dazu Tagebuchaufzeichnungen Rathenaus (Rathenau, Tagebuch, S. 243 ff.).

[65] <Die Besprechung hätte etwa 8 Stunden gedauert und fast nur unter vier Augen stattgefunden. Erst im letzten Augenblick wären Staatssekretär Bergmann und Kommerzienrat Guggenheimer zugezogen worden. Der Ton, in dem die Verhandlungen geführt wurden, wäre sehr gut gewesen. Die Franzosen schienen ernstlich bereit zu sein, mit uns zusammenzuarbeiten2 und hätten großes Vertrauen zu dem jetzigen Kabinett. Gegenstand der Besprechungen wären gewesen:

2

Bergmann spricht in seinen Memoiren von einer „Initiative von alliierter Seite“ (Bergmann, Reparation, S. 122).

1. Sachlieferungen. Frankreich wolle uns in erheblichem Maße zu Sachleistungen heranziehen, da es aber nur 52%, das sind zunächst 1,6 Milliarden jährlich, von der Entschädigungssumme beanspruchen könne, so hätte es Schwierigkeiten in der Bezahlung der Sachleistungen3.

3

In einer Besprechung zwischen Wolf (Klko) und Loucheur am 3.6.21 in Paris hatte Loucheur sich nach der Stellung Rathenaus erkundigt und erklärt, er habe die Rede Rathenaus mit großem Interesse gelesen. Anschließend nahm er zu den dt. Sachleistungen Stellung, an denen Frankreich deshalb nur ein geringes Interesse habe, weil dadurch die Zahlungen an Devisen verringert würden. Loucheur sei bemüht gewesen, Widerstände im Parlament und sonst interessierten Kreisen zu überwinden. „Eine Voraussetzung dafür sei, daß er den Nachweis erbringen könne, daß bestimmte, mit Deutschland vereinbarte Aufbaulieferungen und Aufbauarbeiten für die frz. Finanzen vorteilhaft seien; das sei nur möglich, wenn sie billiger seien, als wenn sie von Frankreich selbst geleistet würden. Noch wichtiger erscheine ihm die Vereinbarung einer Zahlungsart, die Frankreich die Annahme solcher Leistungen erleichtere, wie z. B. die Verteilung des jeweiligen Jahreswertes solcher frei vereinbarten Leistungen auf mehrere Jahre.“ (von Wolf gezeichnetes Protokoll dieser Besprechung in R 43 I /20 , Bl. 189-192).

2. Arbeitsleistungen. Diese würden nicht so umfangreich sein wie die Sachleistungen. Nach Angabe Loucheurs wäre 90% des Bodens bereits wieder bestellt. Hinderlich wäre einem großzügigen Wiederaufbau auch die französische Gesetzgebung, die bestimme, daß auf den alten Fundamenten wieder aufzubauen sei. Dadurch würde der Bau einer Typenstadt unmöglich gemacht. In der Hauptsache würde es sich nur um Arbeiten in den entlegenen Teilen des zerstörten Gebietes handeln; dazu müßten die Frage der Unterbringung der Arbeiter und ihrer Entlohnung sowie die sozialen Fragen geklärt werden4.

4

Am 30.6.1921 teilte der RArbM der Rkei mit, er wünsche bei einer Beteiligung Deutschlands am Wiederaufbau Frankreichs enge dauernde Fühlungnahme der zuständigen Ressorts mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden. Da eine große Zahl der in einem solchen Falle auftauchenden Fragen zur Zuständigkeit des RArbMin. gehöre, lege er großen Wert darauf, schon bei Beginn der Verhandlungen beteiligt zu werden und die Federführung seines Ministeriums gewahrt zu sehen (R 43 I /343 , Bl. 74 f.). – In einem Antwortschreiben vom 14.7.21 versichert der RMWiederaufbau, „daß nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen die Frage noch völlig ungeklärt ist, ob und in welchem Umfange Deutschland sich am Wiederaufbau der zerstörten Gebiete beteiligen wird. Sollten die Verhandlungen ein greifbares Ergebnis zeitigen, so werde ich nicht verfehlen, das Reichsarbeitsministerium an allen Arbeiterfragen, Fragen des Arbeitsmarktes, der Erwerbslosenfürsorge, der sozialen Versicherung und Fürsorge betreffenden Beratungen und Entschließungen rechtzeitig zu beteiligen.“ In den mit dem Wiederaufbau zusammenhängenden Fragen müsse allerdings im Interesse der Einheitlichkeit die Federführung beim RMinWiederaufbau bleiben (R 43 I /343 , Bl. 77).

3. Finanzierung. Ein großes Finanzsystem wäre nötig, doch wäre noch nicht näher darüber gesprochen worden. Bei der Bedeutung über das Finanzsystem müßte auch die 26%ige Abgabe vom Wert der Ausfuhr zur Diskussion kommen, deren Mangel auch von Loucheur anerkannt worden sei. Schwierigkeiten[66] bereite auch die Frage der Berechnung des Wertes unserer Sachleistungen, da Vergleichsmomente fehlten. Die deutschen Offerten würden regelmäßig von den französischen Unternehmern unterboten. Es handle sich also auch darum, ein Preisfestsetzungssystem zu finden. Was die Modalität unserer Zahlung in Dollars anginge, so wäre Loucheur mit ihm darin einer Meinung, daß sie unzweckmäßig wäre, weil der Dollarwert künstlich in die Höhe getrieben würde.

Das unmittelbare Ergebnis der Verhandlungen wäre, daß die Franzosen inoffiziell Unterhändler nach Berlin senden wollten5. Sie legten aus innerpolitischen Gründen Wert darauf, daß die Entsendung dieser Vertreter nicht in der Öffentlichkeit bekannt werde. Loucheur glaubte, die Verhandlungen ließen sich in einigen Wochen erledigen, während er der Ansicht wäre, es bedürfe dazu mehrerer Monate>6 .

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Dazu in R 43 I nichts ermittelt; Rathenau vermerkt in seinem Tagebuch: „Montag vormittag, 11.30 h: Das Programm der Besprechung war ursprünglich: Einzelfragen unter Zuziehung der Sachverständigen. Da es aber nötig schien, den Kreis der allgemeinen Fragen noch weiter zu behandeln, und beiderseits die Absicht bestand, nicht durch irgendwelche Differenzen in Details den Gang der generellen Verhandlungen zu trüben, so wurde von Einzelberatungen abgesehen und das Hauptprogramm noch einmal wie folgt zusammengefaßt: Die Verhandlungen sollen in Berlin geführt werden von Prangey und Léfebvre. Da es aber nicht bekannt werden soll, daß die Herren sich zu diesem Zwecke, wie vermutet wird, wochenlang in Berlin aufhalten, so wird die offizielle Verhandlungsadresse bei Herrn Bergmann in Paris liegen. Für die Verhandlungen selbst nimmt Loucheur drei Wochen in Aussicht. Ich bezeichnete dieses Limit als weitaus zu kurz. In der Absicht der Beschleunigung herrschte Übereinstimmung.“ (Rathenau, Tagebuch, S. 254).

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Der <> gekennzeichnete Text ist mit Bleistift durchgestrichen und trägt am Rand den Bleistiftvermerk: „Die mit Blei durchgestrichene Stelle gilt nur ‚nachrichtlich‘ für unsere Akten.“

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