2.90.3 (wir1p): 3. Verbreiterung der Regierungsbasis.

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3. Verbreiterung der Regierungsbasis.

Exzellenz Spahn regte an, die Frage der Verbreiterung der Regierung im Reiche zu erörtern8. Der Versuch der Verbreiterung in Preußen sei nicht gelungen, der durch den Präsidenten des Landtages angeregt sei. Beim Zentrum sei die Stimmung so, daß Neigung bestände, die Volkspartei in die Koalition einzubeziehen, zusammen mit dem Eintritt der Sozialdemokraten in Preußen. Er nehme allerdings nicht an, daß es bei den Parteien Schwierigkeiten geben würde, wenn die Einbeziehung unterbliebe. Es wäre aber doch von Wert, die Stellung der MSPD kennenzulernen.

8

Siehe dazu Protokoll einer Vorbesprechung vom 28.9.21 (Dok. Nr. 102).

Der Abgeordnete Müller führte aus, daß die Frage der Koalitionsbildung den Parteitag beschäftigen werde9. Aus den verschiedensten Bezirken seien Anträge gekommen, die dann geschäftsüblich durch einen von der Parteileitung zu stellenden Antrag erledigt werden würden. Alles hänge von dem Programm für den Winter ab. Was die Stellung zur USPD anlangt, so habe er die Wandlung dieser Partei begrüßt. Er hoffe, daß sie zur Vernunft komme und daß sie alles im Interesse der Regierung durchführen würde. Ob sie wieder davon abgehen und in die Opposition gehen würde, stehe noch nicht fest. Hauptbestandteil des ganzen Programms sei das Steuerprogramm. In der Partei bestehe die starke Neigung, keine indirekten Steuern zu bewilligen, ehe nicht eine starke Besitzsteuer festgestellt sei. Er glaube aber, daß man bezüglich der indirekten Steuern über die Situation hinwegkommen könne, nur bei der Zuckersteuer würde es größte Schwierigkeiten geben. Vorausgesetzt sei natürlich, daß eine starke Besitzerfassung stattfinde.

9

Siehe Anm. 6.

Die Stellung zur Volkspartei sei der kitzlichste Punkt. Bisher sei es vermieden worden, die Deutsche Volkspartei in einem Beschluß direkt zu nennen. Die Formulierungen seien allerdings bisher so gefaßt worden, daß sie nicht einbezogen werden konnte. Er fürchte schwere Angriffe, weil in Mecklenburg die Sozialdemokraten mit der Volkspartei zusammenarbeiten. Die Frage sei nur dann zu lösen, wenn die Garantie gegeben sei, daß mit der Deutschen Volkspartei über den Winter hinaus eine gemeinsame Politik zu machen sei. Theoretisch sei dies denkbar, zumal gewisse Spaltungstendenzen sich auswirken würden. Ein starker Teil der Volkspartei werde auch wohl bez[ü]gl[ich] der Erfassung der Sachwerte Entgegenkommen zeigen. Psychologisch sei es für sie unangenehm, daß Stinnes auf dem linken Flügel der DVP stehen solle. Die Erregung[257] in der Arbeiterschaft sei außerordentlich groß und ebenso groß die Befürchtung, daß es so ausgehen werde wie nach dem Kapp-Putsch. Es sei also die Frage, bis zu welchem Grade die Deutsche Volkspartei auf eine gemeinsame Plattform zu bringen sei. Als ein konkretes Beispiel möchte er hier die Verordnung über das Verbot des Uniformtragens anführen10, die legalisiert werden müsse. Es frage sich, ob die Deutsche Volkspartei da mitmachen würde. Im Moment scheine ihm eine Lösung nur dann möglich, wenn in weitgehenderem Maße als bisher die Deutsche Volkspartei sich auf die von Stresemann und Kahl getanen Äußerungen festlege. In Bezug auf die Erfüllung des Versailler Vertrages würde die deutsche Volkspartei wohl mitmachen. Ob durch den Eintritt der Deutschen Volkspartei eine starke außenpolitische Belastung eintreten würde, sei fraglich. In französischen imperialistischen Kreisen würde sie wohl unangenehm empfunden werden. Soweit England in Frage käme, das ja immer eine praktische Politik treibe, würde das nicht der Fall sein. Besonders entscheidend würde die innerpolitische Frage sein und ob die Deutsche Volkspartei da eine Regelung der Sprache finden würde. Es wäre sehr erwünscht, eine breitere Basis zu bekommen, damit man nur mit der Opposition der DNVP zu rechnen brauche.

10

Siehe RGBl. 1921 II, S. 1251 .

Über die Justizreform und Demokratisierung der Verwaltung müsse man sich wohl noch klar werden. Es sei unbedingt nötig, daß in Preußen ein stärkerer Einfluß auf die Justizverhältnisse geübt werde. Jedenfalls würde von ihnen alles versucht werden, um zu vermeiden, daß in Görlitz ein Beschluß gefaßt würde, der uns für unsere Politik hinderlich sein würde11. Am Samstag würden Vorbesprechungen mit den Gauvorsitzenden stattfinden, und entscheidend würde dafür die Frage betreffend Bayern und die Ermordung Erzbergers sein.

11

Siehe Anm. 6.

Exzellenz Spahn bemerkte, daß in der Zeit, in der die Deutsche Volkspartei mit in der Koalition gewesen sei, untereinander nie Schwierigkeiten bestanden hätten12. Die Beteiligung an der Koalition habe aber auf die Partei selbst einen besonders günstigen Einfluß gehabt.

12

Die DVP hatte im Kabinett Fehrenbach das RSchMin., RWiMin. und das RJMin. inne und den Vizekanzler gestellt.

Herr Abg. Petersen glaubt die Stellung seiner Partei so ähnlich wie Herr Müller-Franken formulieren zu können. Subjektiv sei die Neigung, mit der Deutschen Volkspartei zusammenzugehen, sehr gering, andererseits bestehe objektiv die Erkenntnis, ja, es würde für notwendig gehalten, daß sie im Interesse der Erhaltung der Republik mit in die Koalition eintreten müsse. Er sei der Auffassung, daß jetzt der historische Moment gegeben sei, die Radikalen von Rechts und Links zu isolieren und die Regierung auf eine breite Basis zu stellen und dahin zu wirken, daß auch in den Ländern und Gemeinden dies eintrete, damit wir zu einer ruhigen und stetigen Politik kommen könnten. Es sei kaum möglich, eine parlamentarische Regierung aufrecht zu erhalten mit Zuständen, wie sie sich in Bayern entwickelten. Wenn Bayern jetzt mit seiner Auffassung durchdringe, so würden andere Länder dasselbe versuchen, und statt[258] Ruhe würden wir neue Erschütterungen bekommen. Der Vorstand der demokratischen Partei habe sich daher auf den Boden gestellt, daß zum Zusammenarbeiten in der Koalition, die keine Gesinnungs-, sondern eine Arbeitsgemeinschaft sei, eine Koalitionszusammenarbeit nur möglich sei, wenn die Deutsche Volkspartei

a)

anerkenne, die Verfassung als den Rechtsboden zu betrachten,

b)

erkläre, daß sie die Machtmittel der Reichsregierung gegenüber jeder gewaltsamen Änderung der Verfassung einzusetzen bereit sei.

Ebenso beurteile er das Verhältnis zu den Unabhängigen, die bisher programmatisch noch das Rätesystem verteidigten; auch da sei seine Partei zu einer Zusammenarbeit bereit, wenn sie sich auf den demokratischen Boden stellte. Es würde wünschenswert sein, wenn man sich bald über ein Programm einigen könnte. Er bedauerte, daß die Steuerpolitik auch in Deutschland eine Schlagwortpolitik geworden sei. Er bäte zu erwägen, ob denn wirklich die Industrie soviel Devisen zur Verfügung hätte. Handel und Industrie seien viel zu vorsichtig, um sich große Devisenbestände hinzulegen. Im Interesse der gemeinschaftlichen Idee bäte er also die Sozialdemokratie, sich nicht auf dem Parteitag allzu festzulegen. Er sei der Auffassung, daß das Steuerprogramm nicht zu politischen Schwierigkeiten führen würde. Auch die Deutsche Volkspartei wolle sich nicht der Steuerpflicht entziehen. Er würde es also begrüßen und für objektiv notwendig halten, daß im Reich und in Preußen sich eine Mehrheit fände, die so groß sei, daß sie zu einer gefestigten Regierung führe.

Exzellenz Spahn erwiderte, daß, soweit die Unabhängigen in Betracht kämen, ein Beschluß des Zentrums noch nicht gefaßt sei. Er habe bisher geglaubt, daß die Unabhängigen in einzelnen Fällen mit der MSPD zusammenstimmen würden.

Der Reichskanzler erklärte, er betrachte die Erweiterung der Regierungsbasis nicht von der politischen, sondern von der steuerlichen Seite. Er glaube, daß der Flügel der Deutschen Volkspartei, der sich aufrichtig auf den Boden eines gewissen Opfers seitens des Besitzes stelle, in kurzer Zeit auf einem guten Wege sein würde. Würden wir eine Mehrheit für die Steuergesetze und für das Mehr, was aus dem Besitz herauszuholen sei, bekommen, so könnten wir eine Regierung aufbauen, die auch über gewisse politische Schwierigkeiten hinwegkommen würde. Abschließend könne heute noch nicht geurteilt werden; wir müßten erst sehen, wieweit wir mit der Industrie usw. zu Rande kämen. Jedenfalls bäte er, auf dem Parteitag zurückhaltend zu sein. Sobald er sehe, daß die Besitzerfassung marschiere, würde die Frage der Verbreiterung der Regierungsbasis mit den Koalitionsparteien erörtert werden.

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