1.117.2 (bru3p): 2. Lage der bäuerlichen Wirtschaft.

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2. Lage der bäuerlichen Wirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft legte die Notlage der bäuerlichen Wirtschaft im Sinne der Ausführungen seiner Kabinettsvorlage vom 5. Januar d. Js.19 dar und ging besonders auf die Entwicklung des Butterpreises ein20.

19

In seiner Vorlage hatte der REM auf den Preisverfall für Vieh und Vieherzeugnisse und andere spezifisch bäuerliche Produkte hingewiesen. Auch auf die „Sparkasse“ des Bauern, den Wald, könne wegen des Rückgangs der Holzpreise nicht zurückgegriffen werden. Vor allem sei SüdDtld. durch das frz. Holzeinfuhrverbot besonders hart betroffen. Zum Schutz der bäuerlichen Wirtschaft hatte der REM die Erhöhung des Butterzolls von 50 auf 110 RM gefordert (Vorlage mit Anlage „Kursentwicklung der dänischen Krone und Preisentwicklung für Butter“ mit Referentenvortrag Feßlers vom 7.1.32 in R 43 I /2427 , Bl. 139–152).

20

Eingaben wegen dem Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte, besonders für Butter, waren bei der Rkei im Dezember 1931 eingegangen: Schreiben des RLB vom 9.12.31 (R 43 I /2549 , Bl. 331), Schreiben des Präs. der Vereinigung der Dt. Bauernvereine Hermes vom 11.12.31 (a.a.O., Bl. 337–342), Schreiben des Landesvorsitzenden der Oldenburgischen Zentrumspartei Reincke vom 14.11.31 (a.a.O., Bl. 352–353), Schreiben des Geschäftsführers der Deutschen Bauernschaft Heinrich Lübke vom 22.12.31 mit einer statistischen Zusammenstellung „Agrarpolitik in Zahlen“ (a.a.O., Bl. 363–369) sowie ein Schreiben von Prof. Karl Brandt vom 21.12.31 mit einer Graphik „Die Bewegung der Agrarpreise seit 1929“ (a.a.O., Bl. 371–372). Abschriften von weiteren Eingaben hatte der REM mit Schreiben vom 9.1.32 überreicht (R 43 I /2427 , Bl. 156–163). Mit Schreiben vom 14.1.32 hatte der REM mitgeteilt, daß der Butterpreis in Berlin mit 97 RM gegenüber 131 RM im Durchschnitt des Jahres 1913 notiere, also nur noch 74% des Friedenspreises betrage, und weitere Abschriften landwirtschaftlicher Organisationen zum Butterpreis übersandt (R 43 I /2427 , Bl. 170–175).

[2177] Der Butterpreis sei in Deutschland durch eine Reihe von besonderen Umständen derart gesunken, daß er unverzüglich im Interesse der Landwirtschaft gestützt werden müsse. Die von ihm schon früher angestrebte Butterzollerhöhung21 sei jetzt unvermeidbar. Wenn diese Erhöhung auch nur um Tage hinausgeschoben werde, würde der deutschen Landwirtschaft ein unermeßlich weiterer Schaden erwachsen. Allein im Freihafen von Hamburg z. B. seien in den letzten Tagen verschiedene bedeutende Schiffsladungen aus Rußland und den Randstaaten eingetroffen, die einen weiteren Druck auf den Preis ausüben würden.

21

Vgl. Dok. Nr. 579 und Dok. Nr. 589.

Der Butterpreis sei in den nordischen Ländern, namentlich in Dänemark, über das Maß der dortigen Valutaentwicklung hinaus heruntergegangen22, infolge der Gegenmaßnahme anderer europäischer Länder, wie Frankreich, Belgien und der Schweiz gegen die fremde Einfuhr. Der Druck der Einfuhr laste infolgedessen vermehrt auf Deutschland. Seit dem Eingang der Kabinettsvorlage habe sich die Lage noch verschärft. Die letzte Butterpreisnotierung habe in Berlin künstlich festgehalten werden müssen, sonst wäre der Preis bereits auf 87 Pf. abgeglitten. Dieser Preis würde nur 87% des Friedenspreises bedeuten. Der Milchpreis habe vor dem Kriege 13 Pf. betragen und sei heute im Durchschnitt 8 Pf. Darin liege für die Landwirtschaft ein Verlust von 4 Millionen RM täglich, bei einem Bestand an Milchkühen von 10 Millionen und einem Ertrag von 8 Liter je Kuh täglich.

22

Vgl. Dok. Nr. 579, Anm. 1. In seiner Anlage zur Kabinettsvorlage vom 5.1.32 hatte der REM nachgewiesen, daß durch die Entwertung der dänischen Krone seit dem 20.9.31 bei gleichbleibender Notierung des Butterpreises in Kopenhagen die dänische Butter von 118,70 RM auf 87,50 RM am 31.12.31 gefallen war (R 43 I /2427 , Bl. 148–150).

In der Fleischwirtschaft seien die Verhältnisse ähnlich schlecht, wodurch die Lage der Landwirtschaft umso unhaltbarer werde. Der derzeitige Fleischpreis von 68 Pf. sei um 40% schlechter als der Friedenspreis. Die Statistik des Instituts für Konjunkturforschung errechne daraus einen weiteren Verlust für die Landwirtschaft von 1½ Milliarden RM im Jahre. Den Gesamtverlust der Landwirtschaft berechne das Institut im letzten Jahr aus der Entwicklung der Preise auf 3,2 Milliarden RM.

Der Minister ging sodann auf die Einwendungen ein, die gegen seine Butterpreispolitik erhoben würden.

Auf den Getreidepreis sei der Butterpreis ohne Einfluß, weil ein Getreideverbrauch für die Butterproduktion nicht in Frage komme.

[2178] Auswirkungen auf den Margarineabsatz seien bei einer Erhöhung des Butterzolles unvermeidbar. Damit müsse man sich abfinden. Der Margarinepreis sei schon jetzt bis auf 35 Pf. für das Pfund heruntergegangen. Es werde aber zur Zeit noch ¼ der in Deutschland verbrauchten Buttermenge aus dem Auslande eingeführt. Daraus ergebe sich immerhin noch ein Spielraum für die Zollmaßnahmen.

Auch die Auswirkungen auf die Siedlungsverhältnisse seien bei der jetzigen Lage auf die Dauer nicht tragbar. Der Reichsarbeitsminister habe bereits sehr ungünstige Erfahrungen gemacht, in welchem Umfange die Siedler infolge der Preisrückgänge ihren Zahlungen nicht nachkommen könnten.

Das ganze Problem sei, ob man die Wirtschaft nach innen oder nach außen einstellen wolle.

Mit Rücksicht darauf, daß am nächsten Dienstag eine neue Butterpreisnotierung erfolgen müsse, bäte er dringend, spätestens am kommenden Montag eine abschließende Regelung zu treffen.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß in diesem Zusammenhang auch die Lage auf anderen Wirtschaftsgebieten eingehend besprochen werden müsse, vor allem die unerträgliche Einfuhr in der Zellstoff- und Papierwirtschaft, die gleichfalls eine Folge des Währungsverfalls in den Exportländern sei23.

23

Vgl. auch Dok. Nr. 634.

Ministerialdirektor Dr. Posse nahm auf Wunsch des Reichskanzlers vom allgemein wirtschaftlichen und namentlich handelspolitischen Gesichtspunkt aus Stellung zu dem Vorschlag des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft auf Einschränkung der ausländischen Buttereinfuhr24.

24

Vor einer Butterzollerhöhung hatte der RdI in einem Telegramm vom 14.1.32 wegen des drohenden handelspolitischen Konflikts mit den Niederlanden gewarnt (R 43 I /2427 , Bl. 176–177). Der DIHT forderte in seinem Schreiben vom 18.1.31 vor einer Butterzollerhöhung eine Verständigung mit den betreffenden Ländern, weil andernfalls die dt. Ausfuhr in Höhe von fast 2 Mrd. RM gefährdet sei (R 43 I /2427 , Bl. 200–205). Ebenso protestierte die IHK Berlin gegen die Zollmaßnahmen (Schreiben vom 19.1.32, R 43 I /2427 , Bl. 214–215).

Gegen die Butterzollerhöhung wandte sich auch der Vors. der SPD-RT-Fraktion Breitscheid in einem Schreiben an den RK vom 18.1.32 wegen der negativen Folgen für den dt. Export. Den gesunkenen Butterpreis führte Breitscheid auf die geringe Kaufkraft der dt. Arbeitnehmer zurück (R 43 I /2427 , Bl. 217). In seiner Antwort vom 20.1.32 wies der RK darauf hin, daß im Interesse der Erhaltung der dt. Milchwirtschaft und ihrer Arbeitsplätze die Butterzollerhöhung notwendig sei, auch wenn sie im Gegensatz zur allgemeinen Preissenkungstendenz stehe. Das Schreiben wurde erst abgesandt, nachdem der REM seine Zustimmung gegeben hatte (Entw. in R 43 I /2427 , Bl. 218). Vgl. auch den Artikel „Zollrüstung“ im Vorwärts Nr. 31 vom 20.1.32 in R 43 I /2447 , Bl. 244.

Zu diesem Ziele kämen dreierlei Maßnahmen in Frage.

Erstens könne eine Erhöhung der autonomen Zollsätze vorgenommen werden. Eine solche werde vom Ausland nicht freundlich aufgenommen werden; mit gewissen Auswirkungen und Gegenmaßnahmen sei zu rechnen.

Die beiden anderen Maßnahmen würden einen Verstoß gegen bestehende Verträge bedeuten. Das sei ernstlich nicht zu bestreiten.

Zweitens nämlich könne man gegenüber den bisherigen vertraglichen Bindungen veränderte Verhältnisse geltend machen, eine Art clausula rebus sic stantibus, und daraus herleiten, daß ein Einhalten der bisherigen Verpflichtungen von der Gegenseite nicht verlangt werden dürfe. Das würde vielleicht zu einem Schiedsverfahren führen; damit würde praktisch für längere Dauer Zeit gewonnen, innerhalb[2179] deren Deutschland seinen Standpunkt zunächst durchhalten könne. Die umstrittenen Zollbeträge würden zunächst etwa in einer neutralen Kasse zu hinterlegen sein.

Die dritte mögliche Abwehrmaßnahme sei ein Geldentwertungszuschlag zu den Zollsätzen, der in erster Linie gegen Dänemark und gegenüber den Nordstaaten anzuwenden sei.

Ob die zweite und dritte Maßnahme reparationspolitisch vor der Lausanner Konferenz möglich sei, sei eine weitere Frage. Jedenfalls werde Deutschland schließlich aber nichts anderes übrigbleiben als sich gegen die vermehrte Einfuhr zu wehren.

Ministerialdirektor Ernst (Reichsfinanzministerium) erklärte, das Reichsfinanzministerium sehe den besten Weg zur Abwehr in den alten Bahnen der bisherigen Zollpolitik unter Beachtung der Kontingente. Das Ausland werde dafür am ehesten Verständnis haben. Holland z. B. müsse es vorziehen, einen Teil seiner Ausfuhr zu ermäßigtem Zollsatz und nur einen Teil zu erhöhtem Satz abzusetzen, statt das ganze Kontingent zu erhöhtem Satze.

Wenn die zu ergreifenden Maßnahmen sich namentlich gegenüber Polen stark auswirken würden, wäre das im Hinblick auf das Verhalten Polens uns gegenüber besonders zu begrüßen25. Ein Währungszuschlag würde, namentlich von England, wie eine Kriegsmaßnahme betrachtet werden.

25

Polen hatte zum 1.1.32 Einfuhrbeschränkungen und Zollerhöhungen eingeführt (Telegramm Nr. 108 v. Moltkes vom 29.12.31, R 43 I /126 , Bl. 5).

Ministerialdirektor Posse meinte, England würde solche Maßnahmen schließlich hinnehmen26. Polen gegenüber wären ausgesprochene Prohibitiv-Maßnahmen vertretbar, weil Polen selbst Prohibitiv-Maßnahmen Deutschland gegenüber ergriffen habe. Die Kontingente effektiv werden zu lassen, würde eine Gefahr besonders Holland gegenüber bedeuten. Unsere Handelsbilanz mit Holland sei für 1930 mit 650 Millionen aktiv. Dieser Vorteil Deutschlands würde gefährdet, weil Holland gegebenenfalls uns gegenüber feindlich eingestellt würde und zu planmäßiger Einschränkung der deutschen Einfuhr übergehen werde. Eine gewisse stille Einschränkung der deutschen Einfuhr erfolge dort bereits jetzt.

26

Wohl wegen der von der Brit. Reg. erlassenen Handelsrestriktionen: vgl. Dok. Nr. 579, Anm. 5.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft stellte fest, daß mit Finnland eine Sondervereinbarung geschlossen werden könne, wenn die autonomen Zölle geändert würden.

Ministerialdirektor Ritter erklärte sich vom Standpunkt des Auswärtigen Amts gegen einen Bruch von Verträgen, die von Deutschland freiwillig geschlossen worden seien. Das Schlagwort des Auslandes vom „Fetzen Papier“27 zwinge zu stärksten Bedenken. Man würde allen Ländern geradezu einen Freibrief gegenüber Deutschland geben.

27

Anspielung auf das Wort des RK v. Bethmann-Hollweg über den Wert der belgischen Neutralität, die durch den Einmarsch dt. Truppen am 3.8.14 verletzt worden war, gegenüber dem brit. Botschafter Goschen in der Unterredung am 4.8.14.

Auch gegen einen Valutazollzuschlag beständen erhebliche Bedenken. Deutschland habe gegen solche Maßnahmen von seiten Frankreichs angekämpft;[2180] zudem könnten die deutschen Maßnahmen umgangen werden, weil der Ursprung der Einfuhr nicht zuverlässig nachgeprüft werden könne. Die Länder mit gesunkener Währung würden über dritte Länder ohne weiteres einführen können.

Der dritte Weg scheine ihm der einzig mögliche. Er scheine relativ am wirksamsten und am wenigsten bedenklich.

Der Reichskommissar für Preisüberwachung teilte mit, daß eine Beschleunigung der vorgesehenen Maßnahmen aus anderen Umständen erwünscht wäre. Es schwebten nämlich Verhandlungen mit den Ländern wegen Delegierung seiner Befugnisse auf die Länder, um die vollständig unhaltbaren Verhältnisse auf dem Milchmarkt in Ordnung zu bringen. Die Verhältnisse verlangten dringend eine Regelung. Es wäre aber natürlich nicht angängig, jetzt Preissenkungen vorzunehmen und gleich darauf als Folge von neuen Zollmaßnahmen die Preise wieder zu erhöhen.

Der Reichskanzler dankte für die Mitteilungen und erklärte eine Beschleunigung der Einfuhrmaßnahmen für notwendig.

Staatssekretär Dr. Meissner teilte mit, daß der Reichspräsident einer baldigen Hilfe für die Milchwirtschaft besonderes Interesse entgegenbringe, ebenso wie auch Maßnahmen gegen das derzeitige Dumping des Auslandes in der Vieh- und Holzwirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft stellte fest, daß Maßnahmen auf diesen beiden Gebieten gleichfalls erwogen werden müßten, vor allem werde eine Kontingentierung der Holzeinfuhr nicht weiter zu vermeiden sein.

Der Reichskanzler vertagte die weitere Beratung der Angelegenheit wegen Verhinderung des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers auf die nächste Woche.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bat, die weitere Besprechung möglichst bald anzusetzen, weil am Dienstag eine neue Preisnotierung für Butter stattfinden müsse und der Butterpreis künstlich nur schwer weiter gehalten werden könne28.

28

Zur Fortsetzung der Beratungen siehe Dok. Nr. 634.

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