2.22.1 (vpa1p): Vorbereitung der Lausanner Konferenz.

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Vorbereitung der Lausanner Konferenz2.

2

Zur vorangegangenen Beratung s. Dok. Nr. 4; 5, P. 1 und 3.

Vor Eintritt in die Tagesordnung teilte der Reichskanzler mit, daß während seiner Abwesenheit zur Lausanner Konferenz der Reichsminister des Innern, Freiherr von Gayl, die Geschäfte der Reichsregierung führen werde.

Der Reichsminister der Finanzen erstattete sodann einen zusammenfassenden Bericht über den gegenwärtigen Stand der Reparationsfrage und insbesondere über den Stand der Vorverhandlungen mit den Gläubigermächten3. Ferner erörterte er die theoretischen Möglichkeiten des Konferenzergebnisses, nämlich:

3

Die internationalen Konferenzvorbereitungen waren nach der fast gleichzeitig vollzogenen Neubildung der dt. und der frz. Reg. (3. 6.) intensiv fortgesetzt worden u. a. 1) durch Besprechungen zwischen dem brit. Außenminister Simon und RAM v. Neurath in London am 7. 6., wobei dieser ein umfangreiches Memorandum über den dt. Standpunkt in der Reparationsfrage übergeben hatte (Text: ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 110, Anlage; Documents on British Foreign Policy 1919–1939, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 124, Anlage); 2) durch Verhandlungen zwischen der neuen frz. Reg. einerseits sowie MacDonald und Simon andererseits am 11. und 12. 6. in Paris (Aufzeichnungen der brit. Delegation ebd. Dok. Nr. 134 und 135). Zum Ergebnis der frz.-brit. Verhandlungen vgl. auch den eingehenden Bericht v. Hoeschs vom 13. 6. (ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 134.). – Über die vielfältigen weiteren Sondierungen der dt. Auslandsmissionen (u. a. Rom, London, Paris, Brüssel) zahlreiche Telegrammberichte in R 43 I /338 , Bl. 41–65.

[70] 1. endgültige Streichung der Reparationen,

2. Streichung in Verbindung mit einer irgendwie gearteten Abschlußzahlung,

3. langfristiges Moratorium,

4. kurzfristiges Moratorium,

5. Vertagung der Reparationsfrage sine dië, wobei alle Beteiligten sich darüber einig sind, daß eine Wiederaufnahme der Zahlungen nicht erfolgen solle.

Der Reichskanzler fügte ergänzend hinzu, daß nach seiner Meinung die jetzige Reichsregierung die Reparationspolitik der vorangegangenen Regierung fortsetzen müsse, d. h. daß sie hinsichtlich der deutschen Reparationszahlungen die gleiche negative Haltung einnehme. Eine fest umgrenzte Instruktion werde man der Delegation wohl nicht erteilen können. Das Ziel müsse sein, auf dem Wege der endgültigen Lösung der Reparationen soweit zu kommen, wie dies nach Lage der politischen Verhältnisse in Lausanne möglich sei. Es müsse ferner erreicht werden, daß Deutschland, soweit irgend angängig, für die Zukunft gegen den Abzug von Geldern für Reparationszwecke sichergestellt werde.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte weiter, daß es auch nach seiner Meinung nicht möglich sei, die Delegation in Einzelheiten zu binden. Die Reichsregierung müsse sich aber schon jetzt darüber klar sein, daß es zur konsequenten Durchführung der negativen Reparationspolitik unerläßlich notwendig sei, die Finanz- und Wirtschaftspolitik des Reichs in einer Weise fortzuführen, daß das finanzielle Auskommen kassenmäßig mindestens bis zum März 1933 sichergestellt sei. Die in Vorbereitung befindliche neue Notverordnung4 sei ein erster Schritt zu diesem Ziel. Die Reichsregierung müsse entschlossen sein, diesen Weg konsequent weiterzugehen, wenn sich im Laufe der kommenden Monate herausstellen sollte, daß zum Ausgleich des finanziellen Gleichgewichts weitere Maßnahmen notwendig würden. Ferner müsse die Reichsregierung sich in großen Zügen darüber klar sein, mit welchem Programm sie auf die bevorstehende Weltwirtschaftskonferenz5 gehen wolle; und schließlich müsse die Reichsregierung sich darüber klar werden, wie sie nach einem etwaigen negativen Ausgang der Lausanner Konferenz mit dem Schuldentilgungsproblem gegenüber dem Ausland fertig werden wolle.

4

Vgl. Dok. Nr. 24, P. I, dort bes. Anm. 7.

5

Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 15.

Der Reichskanzler erklärte, daß die innerdeutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik absolut im Einklang stehen müsse mit der deutschen Reparationspolitik, gleichgültig wie die Lausanner Konferenz ausfallen werde.

Der Reichswehrminister meinte, daß man die Abhängigkeit der innerdeutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik von der Reparationspolitik nicht übertreiben dürfe. Daß die Reichsregierung unter allen Umständen dafür sorgen müsse, finanz- und kassenmäßig bis zur Endlösung der Reparation durchzukommen, sei selbstverständlich. Nicht für notwendig halte er es aber, die innerdeutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik ganz auf die Reparationspolitik abzustellen. Für die[71] innerdeutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik müßte in erster Linie die Rücksicht auf die innerdeutschen Verhältnisse entscheidend bleiben.

Der Reichsminister der Justiz regte an, während der Konferenz an der Frage nicht vorbeizugehen, in welchem Maße Deutschland bisher Reparationsleistungen geleistet habe und in welcher Höhe Ansprüche der Gläubigermächte gegen Deutschland bestünden.

Der Reichsminister des Innern stellte die Frage, ob die Delegation es für zweckmäßig halte, daß ihr feste Richtlinien an die Hand gegeben würden. Wenn sie glaube, daß derartige Bindungen ihr die Verhandlungen in Lausanne erleichtern könnten, so werde das Reichskabinett zweifellos bereit sein, die Vollmacht der Delegation so zu begrenzen, wie sie es für wünschenswert halte.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte darauf, daß eine feste Begrenzung des Auftrages der Delegation so überaus schwierig sei, daß er es für richtiger halte, davon Abstand zu nehmen. Das Verhalten der Delegation müsse vom Verlauf der Konferenz, der einstweilen nicht übersehen werden könne, abhängig gemacht werden.

Zusammenfassend stellte der Reichskanzler fest, daß das von der Delegation anzustrebende Ziel die Erreichung einer Endlösung in der Reparationsfrage bleiben müsse, daß aber spezielle Bindungen für die Mittel und Wege zur Erreichung dieses Zieles nicht gegeben werden können. Selbstverständlich sei es, daß die innerdeutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik in Ordnung gehalten werde bis zur Erreichung des reparationspolitischen Endzieles.

Der Reichskanzler schnitt sodann weiter die Frage an, ob es möglich sein werde, durch eine Initiative oder tätige Mithilfe der Reichsregierung das Problem der Regelung der privaten Auslandsverschuldung zu fördern. Er neige sehr dazu, daß die Reichsregierung sich aktiv um das Verhältnis der Schuldner zu den Auslandsgläubigern kümmere, da ja mit größter Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, daß in absehbarer Zeit ein geordneter Zinsen- und Amortisationsdienst nicht mehr gewährleistet sei.

Der Reichsbankvizepräsident Dreyse bat, von irgendwelchen Maßnahmen auf diesem Gebiet vor dem 15. Juni6 abzusehen, worauf der Reichskanzler erklärte, daß die Inangriffnahme des Problems vom Verlauf der Lausanner Konferenz abhängig gemacht werden solle.

6

Muß wohl heißen: 15. Juli. Vgl. die Aktennotiz des RK über seine Besprechung mit Luther am 14. 6., in der die Frage eines zum 15.7.32 deutscherseits anzuordnenden Transfer-Moratoriums für Auslandsschulden nochmals erörtert wurde (Dok. Nr. 25).

Zum Schluß bat der Reichsverkehrsminister noch annehmen zu dürfen, daß für den Fall einer Verlängerung des Hoover-Feierjahres darauf Rücksicht genommen werde, daß die Reichsbahn nicht erneut mit Verpflichtungen belastet werde, wie dies im ersten Hoover-Jahr geschehen sei7.

7

In einer Ausarbeitung der RB-Gesellschaft vom 10.6.32 („Die Lage der Deutschen Reichsbahngesellschaft“) hieß es hierzu u. a.: „Weder der Young-Plan noch das Hoover-Jahr [1.7.31 – 30.6.32] haben die Wirtschaftsrechnung der Deutschen Reichsbahngesellschaft entlastet. Nach der Regelung des Londoner Protokolls [Abschlußprotokoll der Londoner Sachverständigenkonferenz über die Durchführung des Hooverplans vom 11.8.31, vgl. Schultheß 1931, S. 506 ff.], die im wesentlichen nur eine kassenmäßige Erleichterung brachte, erhält die Deutsche Reichsbahngesellschaft monatlich 45 Mio RM als Darlehn von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich aus der vom Reich an diese gezahlten ungeschützten Annuität [660 Mio RM jährlich] und führt diesen Betrag ohne Gegenleistung an das Reich ab. Die Deutsche Reichsbahngesellschaft wird also mit weiteren Schulden (540 Mio RM während des Hoover-Jahres) belastet, ohne daß Gegenwerte geschaffen werden, durch die die zukünftige Verzinsung und Tilgung der Schuldbeträge herausgewirtschaftet werden kann.“ (R 5 /2065 , Bl. 242–256). Vgl. hierzu auch Ruser, Die Reichsbahn als Reparationsobjekt, S. 320 ff.

[72] Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß die Deutsche Delegation der Verlängerung des Hoover-Jahres nur in der Form eines Vollmoratoriums, d. h. ohne Weiterbelastung der Reichsbahn zustimmen werde8.

8

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 31, P. 1.

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