1.37 (vpa2p): Nr. 166 Rede des Reichskanzlers auf der außerordentlichen Tagung des Bayerischen Industriellenverbandes in München am 12. Oktober 1932

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[754] Nr. 166
Rede des Reichskanzlers auf der außerordentlichen Tagung des Bayerischen Industriellenverbandes in München am 12. Oktober 19321

1

Ein diesbez. Einladungsschreiben des Bayer. Industriellenverbandes an den RK nicht bei den Akten der Rkei. Dort lediglich einige kurze Vorgänge zur programmlichen Gestaltung des Besuchs in München, u. a. zwei Berichte Lersners an den RK über Besprechungen mit bayer. Regierungsmitgliedern und sonstigen Persönlichkeiten (u. a. Kardinal Faulhaber) aus den ersten Oktobertagen 1932 (R 43 I /2331 , Bl. 57 und 79). – Nach WTB hatte der Bayer. Industriellenverband zu dieser Tagung, die durch „Fanfarenklänge“ eingeleitet worden sei, zahlreiche Ehrengäste (u. a. MinPräs. Held, bayer. Regierungsmitglieder, Militärs) sowie „alle sonstigen Wirtschaftstände“ eingeladen, und zwar: den Reichsverband der Dt. Industrie, die Vereinigung der dt. Arbeitgeberverbände, die Industrie- und Handelskammer München, die sächsischen und pfälzischen Industriellenverbände, die Organisationen des Groß- und Einzelhandels, den Hansabund, die Handwerks- und Gewerbeorganisationen, die Bankenvereinigung, den Bayer. Städtebund, den Hauptverband der Industrie Österreichs, die bayer. Arbeitgeberverbände und die Spitzenorganisationen der Landwirtschaft (WTB-Bericht Nr. 2170 vom 12.10.32 in R 43 I /1903 , Bl. 73).

R 43 I /1903 , Bl. 73–76 Druck2

2

WTB Nr. 2170 und 2171. – Auszüge der Rede in Schultheß 1932, S. 176 ff.; Horkenbach 1932, S. 342 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1896. – Tonaufzeichnung der Rede (39,40 Minuten): Dt. Rundfunkarchiv Frankfurt/M. C 856.

[Abrüstungsfrage; Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung; Außenhandelspolitik; Einfuhrkontingentierung; Sozialpolitik; Reichsreform; Verhältnis zur NS-Bewegung; konservative Staatsführung]

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident!

Meine sehr verehrten bayerischen Landsleute!

Ich danke Ihnen für Ihre Einladung, die mir die Gelegenheit gibt, dem deutschen Süden den Ausdruck meiner tiefen Verbundenheit darzubringen. Ich danke dem Herrn Vorsitzenden besonders für die warmen Worte der Begrüßung und Zustimmung, die er mir gewidmet hat3. Ich bin Ihrer Einladung umso lieber gefolgt, als mir daran lag, durch meinen, dem bayerischen Staate geltenden Besuch zu beweisen, wie fest ich durchdrungen bin von der Notwendigkeit der gleichen Mitwirkung aller deutschen Stämme an der Gestaltung des deutschen Gesamtgeschickes. Auch das Reichskabinett, das zu führen ich die Ehre habe, spiegelt nicht etwa einseitig den deutschen Norden wieder. Es besteht fast zur Hälfte aus Süddeutschen. Wir wissen, daß Deutschlands Reichtum in der Vielgestaltigkeit seiner Stämme und seiner Kultur liegt, man würde sich an Deutschland versündigen, wollte man es einseitig unter dem Gesichtswinkel eines Stammes oder einer Landschaft betrachten. Wir alle gehören untrennbar[755] zusammen. Gleiches Schicksal, gleiche Sorgen verbinden uns, und stärker noch als das Glück vergangener Jahre hat uns das Leid der letzten 20 Jahre geeint. Was auch gelegentlich an Meinungsverschiedenheiten zwischen den deutschen Ländern oder zwischen den Ländern und dem Reich ausgetragen werden mag, davon bin ich im tiefsten überzeugt, daß keiner unter uns ist, dem nicht die deutsche Einheit das höchste und heiligste Gut über allen Sonderinteressen wäre, und es würde nicht der Erinnerung an jene zwei Millionen deutscher Soldaten bedürfen, die für dieses Reich auf den Schlachtfeldern des Weltkrieges geblutet haben, um diese Einheit heilig und unantastbar für jeden Deutschen zu machen.

3

Der Vorsitzende des Bayer. Industriellenverbandes Böhringer hatte in seiner Begrüßungsansprache dem RK dafür gedankt, daß er „den Sorgen und Bedürfnissen des deutschen Südens“ so viel „warmes Veständnis“ entgegenbringe, jedoch auch einige Punkte (u. a. Einfuhrkontingentierung) hervorgehoben, in denen die bayer. Wirtschaft dem Programm der RReg. kritisch gegenüberstehe (Text der Ansprache: Sondernummer der Zeitschrift „Bayerische Industrie“, Okt. 1932, Aktenexemplar in R 43 I /1903 ,Bl. 78–83).

Die Hoheit des Reiches auch in seiner Weltgeltung wieder zum Ausdruck zu bringen, ist die vornehmste Aufgabe der Reichsregierung. Die Herstellung der vollen Souveränität, der Freiheit und Gleichberechtigung eines großen Kulturvolkes, und ich darf hinzufügen, eines Volkes, das vier Jahre gegen eine Welt von Feinden für diese Freiheit mit unerhörter Zähigkeit gekämpft hat, ist ein Postulat, das von keinem Staatsmann bestritten werden kann, dem die Heiligkeit der Grundrechte der Völker als das sicherste Unterpfand des Friedens gilt. Gerade weil wir den Frieden wollen, in dem allein wir wieder zu Wohlfahrt und Blüte gelangen können, fordern wir die Grundrechte der Freiheit und Gleichberechtigung, denn sie sind die elementare Voraussetzung für das Gedeihen auch der wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb Deutschlands und unter den Völkern.

Augenblicklich steht das Abrüstungsproblem im Mittelpunkt des Interesses. Was bedeutet es für die Wirtschaft? Wir fordern gleiches Recht und gleiche Sicherheit wie alle anderen Völker. Wie kann unser Handel mit dem Auslande gedeihen, wenn der deutsche Staat dort nicht das gleiche Ansehen genießt wie jeder andere? Wer wird Kapital anlegen in einem Lande, das dem Zugriff seiner Nachbarn schutzlos preisgegeben ist? Das ist keine theoretische Erwägung. Es ist uns allen noch in furchtbarer Erinnerung, wie vor noch nicht zehn Jahren der Einmarsch fremder Truppen in unser Gebiet die Reichsmark auf den billionsten Teil ihres jetzigen Wertes stürzen ließ!

Dies Beispiel genügt, um zu zeigen, daß wir in unserem Kampf um die Gleichberechtigung zugleich um die Grundbedingungen unseres wirtschaftlichen Daseins kämpfen. Es zeigt, wie unrecht jene haben, die uns vorwerfen, wir hätten durch unsere Forderung nach gleichem Recht und gleicher Sicherheit die Ruhe Europas gestört, und die jene elementare Forderung jedes Lebewesens bei uns unzeitgemäß und unklug fanden!

Nein, ohne die Erfüllung dieser Forderung wird die Mitte unseres Erdteils stets ein Herd der Unruhe bleiben, eine schwärende Wunde am Körper Europas. Was wir wollen, ist keine neue Unruhe, kein Wettrüsten, kein kriegerisches Abenteuer, unser Ziel ist ein neues, ein friedliches Europa, das geordnet ist nach den ewigen Gesetzen der Gerechtigkeit und Selbstbestimmung der Völker, auf die vertrauend wir 1918 die Waffen aus der Hand legten. Erst wenn die Völker unseres Kulturkreises in einem solchen Europa brüderlich nebeneinanderleben, dann werden die Grundlagen vorhanden sein für das wahre wirtschaftliche und politische Vertrauen, die Grundlagen eines neuen gemeinsamen[756] Aufbaues der Welt. Dann ist die Forderung erfüllt, welche die wirtschaftlichen Sachverständigen der Welt immer wieder den Politikern beschwörend vorgehalten haben. Wenn wir heute für unser gleiches Recht und unsere gleiche Sicherheit, für die wahre Abrüstung in der Welt kämpfen, dann haben wir dieses große Ziel eines einigen und brüderlichen Abendlandes vor Augen, in dem Deutschland den ihm gebührenden Platz neben, aber nicht unter den übrigen Völkern einnimmt.

Das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung hat, wie ich zu meiner Freude den Worten Ihres verehrten Herrn Vorsitzenden entnehme, auch hier in Bayern in seinem Grundgedanken, dem Appell an die Verantwortungsfreudigkeit der Unternehmerschaft, an die privatwirtschaftliche Initiative, vollen Anklang gefunden. Ich darf, ohne eine Übertreibung befürchten zu müssen, sagen, daß kaum eine Regierungsmaßnahme der Nachkriegszeit in ihrem grundsätzlichen Teil so starken und zustimmenden Widerhall in den Kreisen der Wirtschaft gefunden hat. Das schließt natürlich nicht aus, daß einzelne Teilgebiete dieses Programms kritisch beurteilt werden.

Der Leitsatz auch des Wirtschaftsprogramms ist, Vertrauen zu schaffen, eine Auflockerung des Mißtrauens und des jede Unternehmenslust tötenden Pessimismus zu erreichen, und ich glaube, daß der Anfangserfolg nicht ausgeblieben ist, ja sich bereits in einem Ausmaße eingestellt hat, der uns für die Zukunft hoffnungsvoll stimmen kann. Wie Ihnen bekannt ist, hat die Entwicklung des Arbeitsmarktes im vergangenen Monat mit einer Nettoabnahme der Arbeitslosenzahl um 123 000 Arbeitslose abgeschlossen. Im Gegensatz dazu brachte der Septembermonat des vorigen Jahres eine Zunahme der Arbeitslosigkeit um 140 000 Arbeitslose. Nun ist gewiß diese sehr erfreuliche Besserung des Arbeitsmarktes das Ergebnis verschiedener zusammenwirkender Faktoren, die sich in ihrer Einzelauswirkung nicht von einander trennen lassen. Aber wenn nicht nur neue Einstellungen von Arbeitslosen erfolgt sind, sondern vor allem auch, wie die Septemberstatistik des Arbeitsmarktes beweist, Entlassungen in großem Umfange vermieden werden konnten, die sonst um diese Jahreszeit üblicherweise eintreten, so darf man diesen Erfolg sicherlich in erster Linie auf das Konto der psychologischen Auswirkungen des Wirtschaftsprogramms verbuchen. Was immer man an diesem Programm im einzelnen auch kritisch auszusetzen haben mag, es hat jedenfalls der Wirtschaft bereits jetzt, in den ersten drei Wochen seiner Laufzeit, eine fühlbare psychologische und materielle Entspannung gebracht. Es hat die wirtschaftliche Risikofreudigkeit wieder belebt, es hat Arbeit und Brot geschaffen. Und wir stehen – das muß besonders betont werden – doch erst am Anfang der Möglichkeiten, die sich aus den Maßnahmen der Reichsregierung ergeben sollen.

Die Ausgabe der Steuergutscheine verschafft der Wirtschaft, und zwar – wie ich nachdrücklich betonen möchte – nicht nur den Großbetrieben die zur Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit benötigten Geldmittel. Damit erst werden die im Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung liegenden, unleugbar großen Möglichkeiten ausgenutzt werden können.

Wenn Herr Hitler mit einer leichten Handbewegung erklärt hat, das wirtschaftliche Programm der Reichsregierung könne nach allen vorhandenen Anzeichen[757] bereits heute als erledigt gelten4, so sprechen die von mir wiedergegebenen Tatsachen über die Gestaltung des Arbeitsmarktes wohl ausreichend und deutlich überzeugend gegen diese Behauptung! Aber auch in einem anderen Punkte hat die wirtschaftliche Entwicklung der Reichsregierung recht gegeben. Die günstigere Beurteilung der weltwirtschaftlichen Entwicklungsaussichten hat angehalten. So haben sich vor allem die Rohstoffpreise nach den gegenüber einer übersteigerten Anfangsbewegung unvermeidlichen Rückschlägen weiter behauptet. Auch sonst dauert die erkennbare weltwirtschaftliche Besserung an.

4

Äußerung Hitlers auf der NS-Reichspropagandatagung am 6. 10. in München, worüber „VB“ in seiner Münchener Ausgabe vom 8. 10. berichtet hatte: „Der Führer legte im einzelnen dar, warum das Programm der Regierung von Papen zusammenbrechen müsse. Das wirtschaftliche Programm dieser Regierung könne nach allen vorhandenen Anzeichen bereits jetzt als erledigt gelten. Der innerpolitische Teil des Programms, der angeblich die Aufrichtung einer starken Autorität erstrebe, müsse an den geradezu lächerlichen Mitteln scheitern, mit denen man glaube, eine solche Autorität ohne die geringste Fundierung im Volke aufrichten zu können. […] Der Regierung von Papen fehle eben die Nation als Kraftquelle, und deshalb müsse auch – zum Schaden des Volkes – ihr außenpolitisches Programm scheitern.“

Zu den Teilgebieten des Wirtschaftsprogramms der Reichsregierung, die am heftigsten in der Öffentlichkeit wie in den Kreisen von Industrie und Handel kritisiert worden sind, gehört die Handelspolitik. In dieser Beziehung kann ich nur wiederholen, was ich bereits in Münster erklärt habe: Den Gedanken einer grundsätzlichen Autarkie lehnt die Reichsregierung ab. Deutschland kann nicht und will nicht auf seine weltwirtschaftlichen Beziehungen verzichten. Es muß jede Arbeitsgelegenheit ausnutzen, die ihm der Auslandsmarkt heute noch bietet5.

5

Zur Rede des RK in Münster (28. 8.) s. Anm 16 zu Dok. Nr. 117.

Aber diese Erkenntnis darf nicht hindern, Notstandsmaßnahmen zum Schutze unserer Landwirtschaft, zur Erhaltung ihrer Lebensfähigkeit zu treffen, wie wir sie im Reichskabinett für unvermeidlich erachtet haben. Jahrelang hat man eine Wirtschaftspolitik geführt, die die industrielle Erzeugung zum Schaden der agrarischen stark begünstigte. Die Preisschere war unerträglich geworden. Heute handelt es sich darum, der landwirtschaftlichen Erzeugung Lebensbedingungen zu verschaffen, die sie vor dem vollen Zusammenbruch bewahren, dem Zusammenbruch insbesondere der bäuerlichen Veredlungswirtschaft. Wir wollen keinen Wirtschaftskrieg. Aber ich muß die Erwartung aussprechen, daß man sich vor allem im Auslande der besonderen Notlage unserer landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht verschließt, zumal man doch in den betroffenen Ländern am besten verstehen wird, wie lebensnotwendig es für jeden Staat ist, seine Grundproduktion intakt zu halten. Es gibt ein Mittel für die an der Einfuhr nach Deutschland interessierten Staaten, die deutsche Kontingentierungspolitik überflüssig zu machen, nämlich für einen fühlbaren Abbau des industriellen Protektionismus in der Welt Sorge zu tragen. Wenn die Welt wieder bereit ist, in größerem Umfange deutsche Industrieerzeugnisse aufzunehmen, und auf diese Weise der Weltmarkt wenigstens einem Teil unserer Arbeitslosen wieder Arbeit gibt, dann wird auch die Kaufkraft unserer Arbeiterschaft wieder steigen und die Aufnahmefähigkeit Deutschlands für landwirtschaftliche Erzeugnisse wieder wachsen. So wird der Kurs der deutschen Handelspolitik ganz wesentlich[758] auch durch die Handelspolitik des Auslandes bestimmt. Wir können nur hoffen, daß die kommende Weltwirtschaftskonferenz die industriellen Zollmauern und die Währungsschwierigkeiten, denen eine so große Zahl von Ländern unterliegt, beseitigen wird, damit die einzelnen Wirtschaften nicht einer immer stärkeren Isolierung in die Arme getrieben werden.

Eine weitere starke Kritik hat der sozialpolitische Teil des Regierungsprogramms erfahren. Man ist sogar so weit gegangen, daraus auf eine besondere Arbeiterfeindlichkeit der Reichsregierung zu schließen. Ich glaube, daß zum mindesten die Arbeiter, die nach dem von mir erwähnten Ergebnis des Arbeitsmarktberichtes vom September in Arbeit und Brot gehalten worden sind, diesen Vorwurf nicht erheben können. Wir verteilen keine „Milliardengeschenke an die Unternehmer“, sondern wir haben nur das eine Ziel: möglichst viel Millionen von Arbeitslosen wieder Arbeitsmöglichkeiten und ausreichende Existenzmöglichkeiten zu verschaffen. Ich denke, daß der bisherige Erfolg des Wirtschaftsprogramms uns darin recht gegeben hat. Alles, was den Unternehmungsgeist im Lande stärkt, zur Geschäftsbelebung und zur Erhöhung des wirtschaftlichen Umsatzes führt, ist Sozialpolitik im besten und fruchtbarsten Sinne des Wortes. Von „Systemen“ kann niemand satt werden. Von wirtschaftlichen Planungsideen, die irgendwann in ferner Zukunft sich verwirklichen lassen mögen, wird kein Arbeitsloser von der Straße geschafft. Die so stark kritisierte Ermächtigungsverordnung der Reichsregierung6 soll die sozialen Einrichtungen leistungsfähig erhalten und ihre Verwaltung zum Nutzen der Versicherten vereinfachen. Aus der stabilen und allmählich wachsenden Beschäftigungsziffer erwarten die Versicherungsträger zunächst bleibende und dann steigende Beitragseinnahmen. Daraus wird die Reichsregierung – vielleicht schon binnen kurzem – die erforderlichen Folgerungen zu Gunsten der Leistungempfänger ziehen können. Für den Winter hoffen wir, in der Arbeitslosenhilfe die Unterstützungssätze erhöhen zu können. Über das hier mögliche Ausmaß wird zur Zeit beraten7.

6

VO des RPräs. „über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden“ vom 14.6.32 (RGBl. I, S. 273 ).

7

Hierzu vgl. Dok. Nr. 163, P. 7 und Dok. Nr. 168, P. 6.

In der Krankenversicherung sollen Bindungen, welche die frühere Reichsregierung den Versicherungsträgern bei den freiwilligen Mehrleistungen auferlegt hat, gelockert werden. Es ist auch in Aussicht genommen, in der Rentenversicherung anstelle eines Teiles der früher abgebauten Leistungen zunächst in beschränktem Umfange freiwillige Mehrleistungen zuzulassen, soweit das mit den Mitteln und Kräften der Versicherungsträger vereinbar ist. Die Reichsregierung prüft ferner, ob für die Kriegsbeschädigten und für die Hinterbliebenen von Kriegsbeschädigten die Gewährung von freiwilligen Mehrleistungen erleichtert werden kann. Solche und ähnliche Erwägungen sind es, die bei Anwendung der Ermächtigungsverordnung zur Zeit im Vordergrunde stehen. Wo die wirtschaftliche und soziale Entwicklung so rasch wechselt, kann die Sozialpolitik nicht für sich allein eine einsame Insel bilden. Ihre Aufgabe ist es, dort, wo die sozialen Bedürfnisse es verlangen, die Härten auszugleichen, die eine freie[759] Wirtschaft mit sich bringt. Die Formen und Grenzen aber der Sozialpolitik unterliegen nicht unveränderlichen Gesetzen.

In ihrer ersten Erklärung hat die Reichsregierung den Satz geprägt, daß der Wohlfahrtsstaat oder – wie ich unmißverständlicher sagen möchte – der Versorgungsstaat, so wie er in den letzten Jahren geworden ist, die moralischen Kräfte der Nation zu schwächen drohe8. Die heftige Kritik, die dieser Satz gefunden hat, geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Wir sind der Ansicht, daß die Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts in einem viel zu hohem Maße den Arbeitgeber aller Grade von der sittlichen Pflicht entlastet hat, zu allererst, und sei es auch unter großen persönlichen Opfern, für den Arbeitnehmer zu sorgen. Gerade indem der Marxismus die Wirtschaft planmäßig durch untragbare Lasten zerrüttet hat, ist er der Hauptschuldige an dem Zusammenbruch der sozialen Einrichtungen geworden. Der Sinn der sozialen Gesetzgebung muß sein, diejenigen Stellen, denen die Sorge für den wirtschaftlich Schwachen obliegt, zunächst instand zu setzen, für ihn zu sorgen. An die Stelle des marxistischen Begriffs der staatlich reglementierten Fürsorge für jeden Bürger setzen wir den einer wahren christlichen Volksgemeinschaft.

8

Regierungserklärung vom 4.6.32 (Dok. Nr. 7).

Das schwere Werk, die deutsche Wirtschaft wieder zu neuem Aufstieg zu führen, kann nicht ohne das Vertrauen des Volkes gelingen. Alle großen Leistungen der Geschichte mußten zu ihrem Gelingen vom Vertrauen auf die Zukunft und auf die eigene Kraft getragen sein. Die sicherste Grundlage für das Vertrauen ist aber das Bewußtsein der eigenen Leistungsfähigkeit. Unsere schnellebige Zeit vergißt zu leicht, welche ungeheuren Leistungen der einzelne und das Volk noch in der letzten Zeit vollbracht haben. Die deutsche Wirtschaft, ausgeblutet durch die Reparationszahlungen, hat doch noch den plötzlichen katastrophalen Abzug von fünf und mehr Milliarden Reichsmark aus ausländischem Leihkapital überstanden. Sie hat die Banken- und Kreditkrise des vergangenen Jahres, wenn auch unter unvermeidlichen schweren Erschütterungen, überwunden. Das alles berechtigt zu Vertrauen. Vor allem aber kann sich dieses Vertrauen auf die uralte Erfahrung gründen, daß die reichen Kräfte des deutschen Volkes, namentlich seine unermüdliche Arbeitsamkeit, Deutschland immer wieder, auch nach schwerster Krisenzeit, zu neuer Blüte geführt haben. Diese unvergänglichen Kräfte wieder zu beleben und ihnen neue Aufgaben zu weisen, das ist das Ziel der Politik der Reichsregierung.

Es ist klar, daß jede Besserung nur etappenweise erreicht werden kann. Jahre angestrengter Arbeit und größter Sparsamkeit liegen vor uns. Die Stunde, da der Aufstieg aus der Tiefe des Tales beginnen soll, ruft alle Energien des Landes auf.

Ist es da nicht ein Verbrechen, wenn aus wahltaktischen, aus armseligen Parteirücksichten versucht wird, dieses Aufbauprogramm geistig oder materiell zu sabotieren? Wollen wir uns durch Wahlrücksichten Ruhe, Ordnung und Vertrauen in den Aufstieg der Nation rauben lassen? Ich bin der Ansicht, daß wir die Meinung des um Arbeit und Brot ringenden Volkes treffen, wenn wir dagegen mit drakonischer Schärfe einschreiten werden.

[760] Mit Recht hat der Herr Vorsitzende noch auf eine Vorbedingung für eine dauernde Gesundung der Wirtschaft hingewiesen, auf den Umbau der Verfassung des Deutschen Reiches. Ohne stetige politische Verhältnisse kann Handel und Wandel des Volkes nicht gedeihen. Die Weimarer Verfassung hat in einer Periode von 13 Jahren gezeigt, daß sie solche Verhältnisse nicht schaffen konnte. Überall ist die Erkenntnis verbreitet, daß die Zeit zu dieser Reform gekommen ist. Gerade von München her sind dankenswerte Anregungen gegeben worden. Alle unsere großen Parteien sind sich in der Erkenntnis der Reformbedürftigkeit der Verfassung einig. Der Führer des Zentrums hat bekanntgegeben, daß er demnächst ein Verfassungsprogramm verkündigen werde, und es sollte mich freuen, wenn er aus den Erkenntnissen, die er schon vor 4 Jahren über die Notwendigkeit einer stabilen Regierung ausgesprochen hat, jetzt dieselbe Folgerung zieht wie ich. Ich stimme auch dem Herrn Staatsrat Schäffer zu, daß die Periode der Gesetzgebung durch den Artikel 48 einmal abgeschlossen werden muß. Das kann aber nur durch ein neues Verfassungswerk geschehen, welches das Verhältnis zwischen Staat und Volk und zwischen Reichsgewalt und Ländern in klarer Erkenntnis der Notwendigkeiten der Zukunft und in Würdigung der historischen Staatspersönlichkeiten neu bestimmt.

Wir wollen eine machtvolle und überparteiliche Staatsgewalt schaffen, die nicht als Spielball von den politischen und gesellschaftlichen Kräften hin und her getrieben wird, sondern über ihnen unerschütterlich steht. Die Reform der Verfassung muß dafür sorgen, daß eine solche machtvolle und autoritäre Regierung in die richtige Verbindung mit dem Volke gebracht wird. An den großen Grundgesetzen, die der Teil II der Weimarer Verfassung enthält, soll man nicht rütteln, aber die Formen des politischen Lebens gilt es zu erneuern und den Bedürfnissen des Volkes anzupassen. Die Reichsregierung muß unabhängiger von den Parteien gestellt werden, ihr Bestand darf nicht Zufallsmehrheiten ausgeliefert sein. Das Verhältnis zwischen Regierung und Volksvertretung muß so geregelt werden, daß die Regierung und nicht das Parlament die Staatsgewalt handhabt. Als Gegengewicht gegen einseitige, von Parteiinteressen herbeigeführte Beschlüsse des Reichstags bedarf Deutschland einer besonderen Ersten Kammer mit fest abgegrenzten Rechten und starker Beteiligung an der Gesetzgebung. Heute ist das einzige Korrektiv gegen das überspitzte parlamentarische System und gegen das Versagen des Reichstages die Verordnungsgewalt des Reichspräsidenten auf Grund des Artikel 48 der Reichsverfassung. Sobald aber wieder stetige und normale Verhältnisse herrschen, wird auch kein Anlaß mehr sein, den Artikel 48 in der bisherigen Weise anzuwenden9.

9

Gegen diesen Teil der Rede v. Papens wandte sich am 16. 10. der RT-Abg. Löbe in einem „Offenen Brief an Hindenburg“, indem er unter Hinweis auf das Bekenntnis Hindenburgs zur bestehenden Verfassung anläßlich seiner Vereidigung im Jahre 1925 u. a. ausführte: „Herr von Papen verkündet jetzt eine Entrechtung des Reichstages. Daß die Regierung vom Willen der Volksvertretung abhängig sei, ist ein Grundsatz der Verfassung von Weimar, wie es ein Grundsatz aller demokratischen Staaten ist. Der Reichskanzler aber will die Regierung ‚autoritär‘, das heißt von der Volksvertretung unabhängig machen. Also gerade das Gegenteil dessen tun, was Sie als tiefen Sinn der Verfassung selbst anerkannt haben. Ist dieser Auftrag wirklich von Ihnen erteilt?“ Und weiter: „Der Weg, den der Herr Reichskanzler ohne und gegen das Volk zu beschreiten beabsichtigt, muß zu unabsehbaren Katastrophen führen. Wird die deutsche Verfassung von den Regierenden oben nicht geachtet, dann sind die Staatsbürger unten zu ihrer Einhaltung nicht mehr verpflichtet. Dann stürzt mit dem Grundgesetz des Staates die staatliche Ordnung überhaupt.“ („Vorwärts“ vom 16. 10., Ausschnitt in R 43 I /1883 , Bl. 93).

[761] Die Reichsregierung beabsichtigt, die Verfassungsreform in engem Einvernehmen mit den Ländern durchzuführen. Die geschichtlich gewordenen deutschen Staatsgebilde sollen nicht vergewaltigt werden. Die Reichsregierung lehnt jede Maßnahme ab, die unmittelbar oder mittelbar eine Zerschlagung Preußens bedeutet. Eine Auflösung des preußischen Staatsgefüges, eine Auflockerung der in langer Geschichte gewordenen Einheit, eine Aufgabe der Ost-Westklammer können nicht die Grundlage einer Reichsreform bilden, wie sie der Reichsregierung vorschwebt. Die Erhaltung Preußens in seinem Bestande als staatsrechtliche Einheit wird nicht nur von Preußen als eine selbstverständliche Forderung angesehen. Sie dürfte auch von den anderen Ländern als Sicherung gegen eine Mediatisierung der außerpreußischen Länder betrachtet werden.

Das Schwergewicht der Reform muß in der Beseitigung des allgemein, auch von bayerischer Seite, beklagten Dualismus zwischen Reich und Preußen liegen. Dieses Ziel wird durch die Zusammenfügung der wichtigsten Organe des Reichs und Preußens erreicht werden. Im Zusammenhang mit der Herstellung einer organischen Verbindung zwischen dem Reich und Preußen wird es durchaus möglich sein, den übrigen Ländern die gerade von bayerischer Seite erstrebte Verfassungsautonomie zu gewähren. Auch die durch Artikel 18 der Weimarer Verfassung beseitigte Gebietsautonomie für die lebensfähigen und lebenswilligen Länder kann wiederhergestellt werden.

Auch eine Reihe weiterer Wünsche, die im Interesse der Stärkung der Stellung der Länder erhoben werden, ist erwägenswert. Vor allem wäre es denkbar, den Ländern freie Hand in der Gestaltung des Gemeindewahlrechts zu geben und für den Ausbau des Landeswahlrechts Wünschen der Länder Rechnung zu tragen.

Ich habe Ihnen in diesen kurzen Worten durchaus kein erschöpfendes Bild von der Reichsreform geben können. Ich habe nur Grundlinien umrissen, nach denen dieses Gebäude aufgeführt werden soll, das dem deutschen Volke hoffentlich auf lange Zeit eine feste Wohnung bieten wird. Die Reichsregierung wird den Verfassungsentwurf so fertigstellen, daß der neue Reichstag ihn bei seinem Zusammentritt vorfindet. Möge er beweisen, daß er dieser großen Aufgabe gewachsen ist. Lebensfähig sind nur diejenigen Einrichtungen, welche aufbauende Arbeit schaffen können und wollen. Die Väter der Weimarer Verfassung haben selbst die Erkenntnis besessen, daß sie das Schicksal des deutschen Volkes nicht allein in die Hände des Reichstags legen konnten. Sie haben in der Institution des Reichspräsidenten eine zugleich demokratische und autoritäre Gewalt geschaffen, die einzige, die sich heute auf eine Mehrheit des Volkes stützen kann. In den Händen des Reichspräsidenten liegt heute ihr Werk. Mit dem Eid, den er geschworen hat, ruht die Verfassung als Schicksal des Volkes in seiner Hand. Heute hat das deutsche Volk das Glück, einen Reichspräsidenten zu besitzen, in dessen ehrwürdiger Gestalt sich die tragenden Kräfte unserer Vergangenheit mit wahrer zukunftsvoller Führerschaft verbinden.[762] Er ist heute der Hort allen Vertrauens im deutschen Volke. Er wird sorgen, daß Bismarcks Vermächtnis, daß die Idee des „sacrum imperium“ wieder die Hoffnung der kommenden Geschlechter werde.

Der führende Staatsmann hat die Verpflichtung, über den Tagesstreit hinweg nach den Gründen der Hindernisse zu forschen, die sich dem Ziele der Nation entgegentürmen, die den Weg blockieren, die die Sehnsucht wieder einmal zu trüben versuchen. Der führende Staatsmann hat auch, ohne in den Tagesstreit hinabzusteigen, die Verpflichtung, das festzustellen, was die Nation zu ihrer Urteilbildung wissen muß.

Man hat gesagt, daß, im Zusammenhang der Nachkriegsentwicklung gesehen, der 13. August dieses Jahres ein Schicksaltag gewesen sei. Jener Tag sollte der Synthese aller wahrhaft nationalen Kräfte dienen, welche die Reichsregierung seit Beginn ihrer Tätigkeit proklamiert, gefördert, erhofft hat. Es galt, die große und verdienstvolle Bewegung des Nationalsozialismus in die verantwortungsvolle Mitarbeit im Reiche einzugliedern. Aber unser Ruf hat keinen Widerhall gefunden. Es ist eine historische Fälschung, wenn heute behauptet wird, ich, der Kanzler, habe den Nationalsozialismus von der Ergreifung der Verantwortung ferngehalten. Das Angebot des 13. August10 gab der nationalsozialistischen Bewegung einen Anteil an der Macht im Reiche und Preußen, der ihr entscheidenden Einfluß gesichert hätte. Herr Hitler hat dieses Angebot nicht angenommen, weil er glaubte, als Führer einer Bewegung, die sich auf 230 parlamentarische Mandate stützt, den Kanzlerposten beanspruchen zu müssen. Er hat diesen Anspruch erhoben aus dem Prinzip der „Totalität“, der „Ausschließlichkeit“ heraus, dem seine Partei huldigt. Es ist deshalb eine ebenso falsche Darstellung des Tatbestandes, die richtigzustellen ich die Pflicht habe, wenn die NSDAP heute behauptet, sie habe gar nicht alle Macht gefordert, sondern sei bereit gewesen, auch noch andere, nicht der Bewegung angehörige Männer an der Regierung zu beteiligen. Hätte ein solches Zugeständnis denn an ihrem Anspruch auf die ausschließliche Führung irgendetwas geändert? Es ist bekannt, daß der Herr Reichspräsident, dem allein die Berufung des Kanzlers zusteht, diesen Anspruch der Totalität abgelehnt hat. Warum er ihn abgelehnt hat, kann nicht zweifelhaft sein. Eine persönliche Abneigung etwa gegenüber dem Führer der Bewegung kann gar nicht in Frage kommen – denn der Herr Reichspräsident steht turmhoch über solchen Erwägungen –, es sind ausschließlich prinzipielle Beweggründe gewesen, die das Urteil des Staatsoberhauptes geformt haben.

10

Vgl. Dok. Nr. 101.

Als diese Reichsregierung vom Herrn Reichspräsidenten berufen wurde, habe ich das Prinzip einer grundsätzlich neuen Staatsführung verkündet11. Wir waren uns bewußt, daß das Reich und die Länder nur wieder gesunden werden, wenn es gelänge, dem politischen Willen des Volkes eine neue und bessere Ausdrucksform zu geben, als es das Werk von Weimar vermocht hätte. Ich sagte damals, daß konservative Staatspolitik eine Politik aus dem Glauben sei. Das Wesenhafte jeder konservativen Weltanschauung ist ihre Verankerung in[763] der göttlichen Ordnung der Dinge. Das aber ist auch ihr grundsätzlicher Unterschied gegenüber der Doktrin, welcher die NSDAP huldigt. Ihr Grundsatz der „Ausschließlichkeit“ des politischen „Alles oder nichts“, ihr mystischer Messiasglaube an den wortgewaltigen Führer als den einzigen zur Leitung der Geschicke Berufenen gibt ihr den Charakter einer politischen Konfession. Und eben darin sehe ich den unüberbrückbaren Unterschied zwischen einer konservativen Politik aus dem Glauben und einem nationalsozialistischen Glauben aus Politik12.

11

Dok. Nr. 7.

12

Diese Ausführungen veranlaßten Hitler zu einer umfangreichen „Antwort an Reichskanzler von Papen“, die am 21. 10. in der Münchener Ausgabe des „VB“ veröffentlicht wurde. Darin erklärte er – nach scharfen polemischen Angriffen gegen die Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik der RReg. – hierzu u. a.: „Zum einen sagen Sie, daß die ‚neue‘, ‚machtvolle‘, ‚autoritäre‘ Reichsregierung über Parteieinflüssen stehen soll. Zum anderen sagen Sie, daß die nationalsozialistische Partei einen maßgebenden Einfluß bekommen sollte. Und zum dritten sagen Sie in derselben Rede, daß zwischen der ‚konservativen Politik aus dem Glauben‘ dieses Kabinetts und dem ‚nationalsozialistischen Glauben aus der Politik‘ meiner Partei ein ‚unüberbrückbarer Unterschied‘ zu sehen ist. Das ist doch wohl eine Logik, die mit der göttlichen Ordnung wirklich nichts mehr zu tun hat. […] Weil aber nun unsere Auffassungen, wie Sie selbst zugeben, nicht gleich sein können, wie konnten Sie mir, Herr von Papen, dann einen ‚entscheidenden Einfluß‘ in Ihrem Kabinett einräumen? Denn das heißt doch nichts anderes, als daß bei auftretenden Meinungsdifferenzen am Ende Ihre ‚konservative Politik aus dem Glauben‘ zugunsten meines ‚Glaubens aus der Politik‘ hätte ins Hintertreffen geraten können. Danken Sie Gott dem Herrn, Herr von Papen, daß mein Nein Sie damals von dieser bösen Verirrung noch gerettet hat. Sollten Sie aber am Ende sogar innerlich bereit gewesen sein, den Einfluß meiner Partei und meiner Person wirklich anzunehmen und ihm nachzugeben – eine andere Möglichkeit bestand ja bei den Gegensätzen unserer Auffassungen nicht, besonders nachdem ich selbst niemals nachgegeben hätte –, so verstehe ich wirklich nicht Ihr Sträuben gegen die auch nach außen sichtbare Übernahme der Führung durch mich und die Bewegung. Oder glaubten Sie wirklich, daß wir am Ende etwa schweigend Torheiten anderer mitgemacht hätten oder unser Wissen hergeliehen haben würden, damit Dritte es vertun? Herr von Papen! das kann ich Ihnen sehr deutlich sagen: Entweder wir sollen in die Regierung, dann fordern wir die Führung, oder wir erhalten die Führung nicht, dann muß man auch in einer Regierung auf uns verzichten.“ Eine grobe Unwahrheit sei die Behauptung, daß „die Partei oder ich die gesamte Macht gefordert hätten […]. Weder von mir noch von irgend jemand anderem ist eine solche Forderung erhoben worden. Aber gerade weil der verhandelnde Minister mir erklärte, daß eine Reihe der wichtigsten Ministerien zumindest im Augenblick vom Reichspräsidenten uns verweigert werden würden [vgl. Dok. Nr. 104, P. 1], mußte ich um so mehr die Forderung stellen, daß dann aber die Stelle des Reichskanzlers der Bewegung zufalle. Denn wie können Sie, Herr Reichskanzler, von einer Forderung der gesamten Macht reden, während Sie doch genau wissen, daß von vornherein das Reichswehrministerium, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsfinanzministerium, das Reichsjustizministerium, das Reichspostministerium, das Reichsernährungsministerium von unserer Bewegung nicht besetzt werden sollten. Im übrigen hat die nationalsozialistische Bewegung und habe ich nur eine Forderung aufgestellt, für die wir das tatsächliche und moralische Recht auf unserer Seite hatten.“

Mir scheint, daß Namen und Personen heute, wo es um Deutschlands endgültiges Schicksal geht, völlig gleichgültig sind. Was die Nation fordert, ist dieses: von einer Bewegung, die die nationale innere und äußere Freiheit auf ihre Fahne geschrieben hat, verlangt sie, daß sie in jedem Augenblick und in jeder Lage so handelt, als ob sie das geistige, soziale und politische Gewissen der Nation wäre. Handelt sie nicht so – handelt sie nach taktischen Gesichtspunkten – nach Gesichtspunkten der parlamentarischen Demokratie, der Massenwerbung mit demagogischer Verhetzung, mit den Mitteln des proletarischen Klassenkampfes –, dann ist sie keine Bewegung mehr, dann ist sie politische Partei geworden.

Und an Parteien ist das Reich doch wahrlich fast zu Grunde gegangen. Man kann eben nicht auf der einen Seite Massen und Majoritäten mitleidslos[764] verachten, wie es Herr Hitler tut, und auf der anderen Seite sich der Parlamentsdemokratie unterwerfen, so unterwerfen, daß man mit dem Bolschewismus Resolutionen gegen eine nationale Regierung beschließt. Das Schauspiel der Reichstagssitzung vom 12. September ist der beste Beweis für den falschen Weg, auf den eine große nationale Bewegung sich begeben hat. An der Wiedererweckung des nationalen Gedankens haben doch auch andere gearbeitet. Man führt uns die Toten an, die für die nationalsozialistische Bewegung gefallen sind. Ich verkleinere ihren Opfermut und ihren Idealismus nicht – aber was besagen diese Opfer, die im inneren Kampfe gefallen sind, gegenüber den zwei Millionen des Weltkrieges, auf deren Gedächtnis allein erst eine wahrhafte Volksgemeinschaft ohne Parteihintergründe aufgebaut werden kann?

Im Interesse des Volksganzen lehnen wir den Machtanspruch von Parteien ab, die ihre Anhänger sich mit Leib und Seele verschreiben wollen, und die sich als Partei oder Bewegung an die Stelle der deutschen Nation setzen wollen. Alle diese Schranken der Parteien und Klassen müssen fallen, allen diesen starren Organisationen, die den lebendigen Körper des Volkes durchschneiden, muß wieder zum Bewußtsein kommen, daß sie Diener des Volkes und nicht seine Herren sein sollen. Deshalb sage ich: Wenn jemals eine nationale Bewegung eine nationale Pflicht gehabt hat, dann ist es die, dem Reich bei seinem Kampfe um die Herstellung der Souveränität und um die Ehre der Nation nicht in den Rücken zu fallen. Wer sich in diesem Kampfe nicht eindeutig und geschlossen hinter die Regierung stellt, ist ein Feind des deutschen Volkes. Das deutsche Volk weiß besser darüber zu urteilen, was die Ehre und Würde der deutschen Nation verlangt als ein Teil seiner Abgeordneten. Es wird, dessen bin ich sicher, die leeren Deklamationen einiger Abgeordneter einer – ich will sie nicht näher bezeichnen – Parteibürokratie mit der Verachtung behandeln, die ihnen zukommt. Die Reichsregierung hat bei ihrem Antritt als oberstes Ziel ihrer Innenpolitik die Vereinigung aller wahrhaft nationalen Kräfte proklamiert. Das Ziel bleibt unverrückt bestehen, ich verkünde es laut und offen an dieser Stelle – muß bestehen bleiben – um Deutschlands Willen – auch wenn die Wege heute auseinanderführen. Nichts kann das Vertrauen in den Aufstieg der Nation mehr hindern als die Unstabilität der politischen Verhältnisse, als Regierungen, die nur Treibholz sind auf den Wellen der Parteien und abhängig von jeder Strömung. Diese Art der Staatsführung durch Parteiarithmetik ist im Urteil des Volkes erledigt. Die Reichsregierung ist entschlossen, den ihr vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag der Neuordnung unseres Staats- und Wirtschaftslebens bis zum Erfolge durchzuführen. Sie hat dazu den Willen und die Macht, und ich zweifle nicht, daß der Erfolg ihr das heute schon fühlbare Vertrauen der breiten Massen des Volkes vollends gewinnen wird.

Das Volk – Reich und Länder – sie müssen das neue Deutschland bauen. So möge von den Alpen bis zur Memel der unsichtbare Kraftstrom des sacrum imperium, der unzerstörbaren Idee des heiligen Deutschen Reiches durch die Länder eilen!

Mit Hindenburg für ein neues besseres Deutschland!

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