1.97 (vpa2p): Nr. 226 Adolf Hitler an Staatssekretär Meissner. 23. November 1932

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Text

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Nr. 226
Adolf Hitler an Staatssekretär Meissner. 23. November 19321

1

Abgedr. u. a. auch in: Horkenbach 1932, S. 389 ff.; Schultheß 1932, S. 210 ff.; Huber, Dokumente, Bd. 3, Dok. Nr. 489; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 98.

R 43 I /1309 , S. 507–521 Abschrift2

2

Das diesbez. Begleitschreiben Meissners nicht bei den Akten der Rkei. Eine Abschrift übersandte Meissner am 23. 11. „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ auch an den RWeM (NL Schleicher  31, Bl. 46–54).

[Sinn und Wesen des Präsidialkabinetts; Hitler gibt Auftrag zur Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung zurück, will aber Führung eines Präsidialkabinetts übernehmen]

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

Die Antwort auf Ihr gestriges Schreiben3 darf ich mir erlauben, in drei Punkten zusammenzufassen:

3

Dok. Nr. 225.

A. Ihrer Definition des Sinnes und Wesens eines Präsidialkabinetts habe ich folgendes entgegenzuhalten:

Die Behauptung, daß das Präsidialkabinett überparteilicher sein könnte als ein parlamentarisches, widerlegt sich erstens aus der Art des Werdens eines solchen Kabinetts und zweitens aus der Begrenzung seiner Arbeitsfähigkeit sowohl, als auch aus der dabei angewandten Methode. Wenn ein Präsidialkabinett mit dem Artikel 48 zu regieren gezwungen ist, dann benötigt es – wie Sie selbst zugeben – wenn auch nicht die vorherige Zustimmung, dann aber um so mehr die nachträgliche Billigung einer parlamentarischen Mehrheit. Diese parlamentarische Mehrheit wird sich bei der Art unseres ganzen Verfassungslebens immer in Parteien ausdrücken. Damit ist es genau so abhängig von einer Parteienmehrheit wie auch das parlamentarische Kabinett. Damit muß der ein solches Kabinett führende Staatsmann genau so das Vertrauen der Mehrheit des Reichstags entweder besitzen oder erobern, als er selbstverständlich das Vertrauen des Reichspräsidenten benötigt. Im übrigen ist neuerdings durch ein Urteil des Staatsgerichtshofs die Anwendung des Artikels 48 auf ganz bestimmte[995] Fälle und begrenzte Zeiten beschränkt worden4, so daß eine allgemeine Erfüllung der Regierungspflichten auf diesen Artikel allein nicht mehr gestützt werden kann. Es ist daher in der Zukunft die Aufgabe eines Kanzlers, der – unter dem Druck der Not und der ihrethalben zu treffenden Entschlüsse – die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Vorgehens als gefährliche Hemmung ansieht, sich eine Mehrheit für ein aufgabenmäßig begrenztes und zeitlich fixiertes Ermächtigungsgesetz zu sichern. Die Aussicht auf den Erfolg eines solchen Versuchs wird um so größer sein, je autoritärer auf der einen Seite die Position dieses Mannes ist und je schwerer auf der anderen die an sich schon in seinen Händen befindliche parlamentarische Macht in die Waage fällt.

4

Gemeint ist offenbar das Urteil des Staatsgerichtshofs in der Streitsache Preußen gegen das Reich vom 25 10. 32. Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 177; Dok. Nr. 192, dort auch Anm 4.

Ob ein Regierungsprogramm parteilich oder überparteilich erscheint, spielt keine Rolle. Wesentlich hingegen ist, daß es richtig ist, und daß es zum Erfolge führt. Ich protestiere dagegen, daß ein an sich richtiges Programm etwa deshalb nicht durchgeführt werden könnte, weil es Eigentum und Gedankengut einer Partei ist und mithin von einer Präsidialregierung, die überparteilichen Charakter besitzen müsse, abzulehnen sei. Da im allgemeinen Programme immer Menschen anziehen werden, die dann zusammengefaßt zwangsläufig als Parteien in Erscheinung treten, könnten also in Zukunft nur solche Programme Verwendung finden, die hinter sich, um den überparteilichen Charakter zu wahren, auch keine Anhänger haben. Wie man dafür aber eine parlamentarische Mehrheit zur Tolerierung erreichen will, ist mir ein Rätsel, an dessen Lösung auch Herr von Papen scheiterte.

Ich habe demgegenüber erklärt, daß ich eine solche Art von Führung ablehne, weil sie zwangsläufig im Nichts endet und höchstens als letzten Schutz die Bajonette besitzt. Ich habe weiter die Überzeugung vertreten, daß es mir unter der Voraussetzung des Vertrauens des Herrn Reichspräsidenten am ehesten gelingen wird, eine solche Katastrophe zu vermeiden, weil sich immerhin zwei Drittel der zur Tolerierung nötigen Zahl von Abgeordneten schon in meiner Partei allein befinden. Der Schritt von 200 Abgeordneten zu 300 wird leichter sein, als der von 50 oder 60 zu 200.

B. Sie teilten mir, Herr Staatssekretär, mit, daß der Herr Reichspräsident nunmehr eine hundertprozentig parlamentarische Lösung wünsche. Das heißt, ich solle erst mit den Parteien ein Programm vereinbaren, dafür eine Mehrheit suchen und dann die Regierungsbildung rein parlamentarisch auf Grund dieser Mehrheit in die Wege leiten. Zunächst muß ich hier schon bemerken, daß man mir diese Aufgabe vor dem 12. September 1932 hätte stellen sollen. Sie wäre damals wirklich leichter zu lösen gewesen5!

5

Leichter deshalb, weil die NSDAP in dem am 12. 9. aufgelösten VI. RT (vgl. Dok. Nr. 134, P. 1) über 230, jetzt aber – d. h. nach der Wahl zum VII. RT (6. 11.) – nur noch über 196 Mandate verfügte.

Sie kann aber überhaupt nicht gelöst werden, wenn die Stellung dieses Auftrags mit Bedingungen verbunden ist, die die Lösung an sich verhindern. Denn wenn schon der nur parlamentarische Weg beschritten werden soll, dann können dafür aber auch keine anderen Voraussetzungen zur Auflage gemacht werden, als die in der Weimarer Verfassung selbst gegebenen.

[996] Danach ist in erster Linie die parlamentarische Mehrheit maßgebend (Artikel 54) sowohl für die Beauftragung mit der Regierungsbildung, als auch für die Zusammensetzung des Kabinetts und für das Regierungsprogramm. Voraussetzungen von anderer Seite können nur insoweit aufgestellt werden, als sie der Verfassung entsprechen.

Da der Reichspräsident den Reichskanzler und die Reichsminister ernennt, hat er selbstverständlich die letzte Entscheidung über die Ministerliste. Aber nicht zu vereinbaren mit dem Artikel 53 der Verfassung wäre dann die Voraussetzung, daß die Besetzung des Auswärtigen Amts und des Reichswehrministeriums Sache der persönlichen Entscheidung des Reichspräsidenten sei. Auch der Reichsaußen- und der Reichswehrminister können nur auf Vorschlag des Reichskanzlers ernannt werden6. Denn nur so ist es dann diesem überhaupt möglich, die Richtlinien der inneren und äußeren Politik zu bestimmen, für die er doch gemäß dem Artikel 56 dem Reichstag gegenüber die Verantwortung zu tragen hat. Daran würde auch die Tatsache nichts ändern, daß der Reichspräsident das Reich völkerrechtlich vertritt, im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten schließt, die Gesandten beglaubigt und empfängt (Artikel 45), und daß er den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reiches ausübt (Artikel 47). Denn alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch auf dem Gebiet der Wehrmacht, bedürfen nach der Verfassung für ihre Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister (Artikel 50).

6

Art. 53 RV: „Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.“

Festlegung des Wirtschaftsprogramms, keine Wiederkehr des Dualismus zwischen Reich und Preußen, keine Einschränkung des Artikel 48, das sind alles Voraussetzungen, die bei einem parlamentarischen Mehrheitskabinett dem Reichspräsidenten nur nach Maßgabe der Artikel 68 ff. über die Reichsgesetzgebung zustehen.

Wenn Sie nun, sehr verehrter Herr Staatssekretär, erklären, nach der bisher von dem Herrn Reichspräsidenten und seinem Amtsvorgänger geübten Staatspraxis seien jedem Kabinett grundsätzliche Forderungen auferlegt worden, so darf ich Ihnen darauf Folgendes erwidern:

1. Noch nie in diesem Sinn und in diesem Umfang;

2. noch nie war die katastrophale Lage Deutschlands innen-, außenpolitisch und insbesondere wirtschaftlich so wie heute, und daher noch nie die volle Autorität eines Reichskanzlers nötiger als jetzt, und

3. darf ich doch auch darauf hinweisen, daß noch zu keiner Zeit so schwere Eingriffe in das parlamentarische Regierungssystem vorgenommen wurden wie unter dem Präsidialkabinett des Herrn von Papen, die ich nun nachträglich den Parteien zur parlamentarischen Behandlung, und zwar zur Tolerierung und Billigung vorlegen soll. Parteien, die diese Maßnahmen aus Selbsterhaltungstrieb einst aufs schärftste bekämpft haben! Und das alles in einem Zeitpunkt, in dem man die Position dieser Parteien noch dadurch stärkt, daß man erstens erklärt, ich besäße das besondere Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten nicht und sei[997] zweitens deshalb befohlen, den reinen parlamentarischen Koalitionsweg zu gehen!

C. Sie schreiben, sehr verehrter Herr Staatssekretär, daß bei den Vorbesprechungen mit den anderen Parteiführern7 bereits deren Bereitwilligkeit geklärt worden sei, auf diese Vorbehalte einzugehen. Diese Erklärungen, Herr Staatssekretär, liegen jedenfalls nicht schriftlich vor. Aus der Besprechung, die der Reichstagspräsident Göring (vor der Erteilung des Auftrags des Herrn Reichspräsidenten an mich) mit anderen Parteien hatte, geht das Gegenteil hervor8. Die Auslassung einer für eine Koalitionsmehrheit nötigen Partei (Bayerische Volkspartei) in ihrer offiziellen Parteikorrespondenz besagt das Gleiche9. Die Zusicherung nun, daß ich im Falle des Scheiterns meiner Verhandlungen dem Herrn Reichspräsidenten ja die Gründe mitteilen könnte, ändert gar nichts an der Tatsache, daß man einfach mit Recht feststellen würde, die Erfüllung eines übernommenen Auftrags sei mir nicht gelungen.

7

Vorbesprechungen des RPräs. am 18. und 19. 11., vgl. Dok. Nr. 217; 218; 219; 223.

8

Hierzu vgl. die Ausführungen Görings vor Pressevertretern am 24.11.32 (Dok. Nr. 228).

9

Nach Horkenbach (S. 386) hatte die „Korrespondenz der Bayerischen Volkspartei“ am 22. 11. betont: Die BVP „könne keinen Finger für eine Regierung rühren, die sich nicht einwandfrei verpflichte, die Rechte der Länder zu achten und eine Reichsreform zu betreiben, die den Ländern das zurückgebe, was sie zur Aufrechterhaltung eines bundesstaatlichen Lebens brauchten. Unmöglich könne die BVP zustimmen, daß nicht nur die Führung der Reichsgeschäfte, sondern auch der preußischen Geschäfte in die Hand der NSDAP gelegt werde. Sollte Hitler den Kanzlerposten übernehmen wollen, so wäre auch die Kenntnis des übrigen Arbeitsprogramms nötig, ehe man die Frage einer möglichen Unterstützung oder Duldung einer Regierung Hitlers beantworten könnte.“

Die Folgerungen, die sich daraus für die nationalsozialistische Bewegung und damit auch für das ganze deutsche Volk ergeben würden, liegen auf der Hand. Ich habe in redlichstem Bemühen Auftrag und Bedingungen immer miteinander verglichen, bin aber genau so, wie meine sämtlichen Mitarbeiter, zu der Überzeugung gekommen, daß dieser Auftrag infolge seines inneren Widerspruchs in sich undurchführbar ist. Ich habe daher davon abgesehen, in diesen Tagen mit einer Partei Fühlung zu nehmen und bitte Sie deshalb, Herr Staatssekretär, seiner Exzellenz, dem hochverehrten Herrn Reichspräsidenten, folgende ehrerbietigste Meldung übermitteln zu wollen:

Den mir am Montag, dem 21. ds. Mts., vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag kann ich infolge seiner inneren Undurchführbarkeit nicht entgegennehmen und lege ihn daher in die Hand des Herrn Reichspräsidenten zurück.

Angesichts der trostlosen Lage unseres Vaterlandes, der immer steigenden Not und der Verpflichtung für jeden einzelnen Deutschen, sein Letztes zu tun, damit Volk und Reich nicht im Chaos versinken, möchte ich nach wie vor dem ehrwürdigen Herrn Reichspräsidenten und Feldmarschall des Weltkriegs die nationalsozialistische Bewegung mit dem Glauben, der Kraft und der Hoffnung der deutschen Jugend zur Verfügung stellen. Ich schlage daher unter vollständiger Umgehung aller immer nur verwirrenden Begriffe folgenden positiven Weg vor:

1. Der Herr Reichspräsident fordert mich auf, vom Tage der Auftragserteilung an binnen 48 Stunden ein kurzes Programm über die beabsichtigten innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen vorzulegen.

[998] 2. Ich werde nach Billigung dieses Programms binnen 24 Stunden dem Herrn Reichspräsidenten eine Ministerliste vorlegen.

3. Ich werde neben anderen aus der derzeitigen Regierung zu übernehmenden Ministern dem Herrn Reichspräsidenten selbst für das Reichswehrministerium als seinen mir bekannten persönlichen Vertrauensmann General von Schleicher, für das Reichsaußenministerium Freiherrn von Neurath vorschlagen.

4. Der Herr Reichspräsident ernennt mich darauf zum Reichskanzler und bestätigt die von mir vorgeschlagenen und von ihm anerkannten Minister.

5. Der Herr Reichspräsident erteilt mir den Auftrag, für dieses Kabinett die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zur Arbeit zu schaffen und gibt mir zu dem Zweck jene Vollmachten, die in so kritischen und schweren Zeiten auch parlamentarischen Reichskanzlern nie versagt worden sind.

6. Ich verspreche, daß ich unter vollem Einsatz meiner Person und meiner Bewegung mich aufopfern will für die Rettung unseres Vaterlandes.

Indem ich Ihnen, sehr verehrter Herr Staatssekretär, für diese Übermittlung danke, verbleibe ich

in vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

gez. Adolf Hitler

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