1.88.1 (bru3p): Vierte Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 8. Dezember 1931

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Vierte Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 8. Dezember 1931

Die Einladung hatte der Gewerkschaftsvertreter Direktor Otte (Christliche Gewerkschaften), übernommen1 .

1

Vgl. hierzu das Rundschreiben Ottes vom 12.12.31, abgedruckt in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 388. Das vorliegende Dok. ist auzugsweise ebendort als Dok. Nr. 389 publiziert.

Als erster sprach Herr Leipart im Namen sämtlicher Gewerkschaftsvertreter. Er wiederholte mehrfach, daß der Zweck der von ihnen erbetenen Aussprache mit dem Herrn Reichskanzler und den Herren Reichsministern nicht darin bestehe, gegen die Notverordnung zu protestieren, vielmehr wollte man sich mit ihr grundsätzlich abzufinden versuchen2. Dagegen wünschten sie im Benehmen mit der Reichsregierung den Versuch zu machen, an Härten zu mildern, was im gegenwärtigen Stadium der Dinge noch möglich sei. Er führte sodann aus, daß die Notverordnung die Arbeitnehmer und Beamten vor allem deshalb so außerordentlich schwer belaste, weil die Preissenkung der Lohn- und Gehaltssenkung nicht vorangehe3. Er bat um Prüfung, ob die Herabsetzung der Löhne nicht um eine gewisse Zeit hinausgezögert werden könne, bis sich die Preissenkung stärker ausgewirkt habe. Ferner glaubte er Verwahrung gegen die dem Schlichter eingeräumten weitgehenden Rechte bei der Festsetzung der neuen Tarife einlegen zu müssen4. An der Lohnsenkung hätten sie insbesondere auszusetzen, daß der Lohn bei vielen Arbeitergruppen sogar unter den Stand vom 10. Januar 1927 heruntersinke5. Er vermißte in dem Programm der Reichsregierung durchgreifende Maßnahmen zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung und meinte, daß man nur auf diese Weise in weitesten Schichten der Bevölkerung den Glauben erwecken könne, daß es der Reichsregierung mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wirklich ernst sei6.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 601.

3

Siehe auch die vom RVM berichtete Äußerung des Gewerkschafters Graßmann in Dok. Nr. 591.

4

Vgl. den Sechsten Teil, Kapitel I, § 3 Abs. 2 und § 4 der Vierten NotVo. vom 8.12.31 (RGBl. I, S. 699 , hier S. 726).

5

In der NotVo. vom 8.12.31, Sechster Teil, Kapitel I, § 2 Abs. 2 waren die am 10.1.27 geltenden tariflich vereinbarten Lohn- und Gehaltssätze für verbindlich erklärt worden (RGBl. 1931 I, S. 699 , hier S. 726).

6

Die RReg. wollte dagegen durch die Kostensenkung den Wirtschaftsaufschwung herbeizwingen: Dok. Nr. 606, Nr. 1.

[2097] Kritik übte er sodann noch an der Ausnahmebehandlung der Bergarbeiter sowie der Gemeinde- und Staatsarbeiter7.

7

Die Tarife der Bergarbeiter, für die am 10.1.27 keine tarifrechtlichen Vereinbarungen bestanden, wurden um 15% gekürzt (Vierte NotVo. vom 8.12.31, Sechster Teil, Kapitel I, § 2 Abs. 2, RGBl. I, S. 699 , hier S. 726). Die Löhne der Arbeiter im öffentlichen Dienst waren um 10% gekürzt worden (4. NotVo. vom 8.12.31, Siebenter Teil, Kapitel VI, § 6 Abs. 1, RGBl. I, S. 699 , hier S. 740). Zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung s. die Ausführungen des RArbM in Dok. Nr. 574, P. 2. Die Aufhebung dieser Regelungen wurde vom DGB noch einmal in seiner Eingabe vom 21.12.31 an den RK gefordert (R 43 I /2376 , S. 81–99, hier S. 83–84).

Für die christlichen Gewerkschaften machte Herr Baltrusch nähere Ausführungen. Er stellte in den Vordergrund Betrachtungen darüber, daß die Reichsregierung nunmehr die Preissenkung auf der ganzen Linie schnell und durchgreifend in die Wege leiten müsse und daß alle Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden müßten.

Für den Deutschen Beamtenbund sprach Präsident Flügel.

Er führte aus, daß die Wirtschaftskrise nach den Erfahrungen früherer Depressionen erst dann zu Ende gehe, wenn die Preise unter die Löhne herabsinken. Bisher habe die Reichsregierung durch ihre Maßnahmen aber Löhne und Gehälter stärker gesenkt wie die Preise. Ferner würde es den Willen der Beamtenschaft, sich der Reichsregierung zur Verfügung zu stellen, günstiger beeinflußt haben, wenn die Reichsregierung den berufenen Beamtenvertretungen vor der Verabschiedung der sie betreffenden Maßnahmen Gelegenheit zur Anhörung gegeben hätte.

Herr Falkenberg sprach für den Allgemeinen Deutschen Beamtenbund. Er beklagte im einzelnen soziale Härten, die nach seiner Meinung mit der Besoldungskürzung verbunden sind. Zur wirksamen Unterstützung der Preissenkungsaktion regte er an, täglich in der Presse, und vor allen Dingen auch im Rundfunk, angeben zu lassen, welche Fortschritte bezüglich der Senkung der Preise für Gegenstände des täglichen Bedarfs erreicht seien. Schließlich wandte er sich auch gegen die zunehmende faschistische Durchsetzung der Behörden und verlangte, daß die Reichsregierung stärker gegen diese Bewegung einschreite8.

8

Vgl. hierzu Dok. Nr. 556.

Fräulein Müller machte zahlenmäßige Angaben über die Auswirkung der schematischen Senkung der Einkünfte der Angestellten. Ferner beklagte sie eine nach ihrer Meinung unnötige Schematisierung in der Beschränkung der Sozialversicherung9.

9

Fünfter Teil der Vierten NotVo. vom 8.12.31, RGBl. I, S. 699 , hier S. 718.

Der Reichskanzler erklärte zunächst, daß eine vorherige Besprechung des Inhalts der Notverordnung mit den Interessenvertretungen schon deshalb nicht möglich gewesen sei, weil über die beabsichtigte Zinssenkung, die ein wichtiger Teil des Gesamtprogramms sei, vorher nicht das geringste in die Öffentlichkeit habe dringen dürfen. Das Programm der Reichsregierung sei ein eigentliches Ganzes. Ohne Mitteilung über die Zinssenkung würde eine Mitteilung über Einzelheiten ein unrichtiges Bild ergeben haben.

Gegenüber den Darlegungen von Herrn Flügel über die Vergleiche mit Krisen früherer Jahre führte der Reichskanzler aus, daß die gegenwärtige Krise von denen früherer Jahre grundverschieden sei. Die jetzige Krise sei keine normale Krise, sondern[2098] eine strukturelle Krise. Infolgedessen sei es nicht so leicht möglich, die Preise unter die Löhne herabzubringen. Immerhin werde die Reichsregierung alles versuchen, um das gegenwärtige Realeinkommen aufrecht zu erhalten. Gegenüber der Kritik, daß das Programm der Reichsregierung zu wenig für die Arbeitsbeschaffung gebracht habe, wies der Reichskanzler darauf hin, daß die Reichsbahn in stärkstem Maße Aufträge vergeben habe und daß gerade dadurch eine Belebung der Wirtschaft auf breitester Basis ermöglicht worden sei.

Schließlich wies er auch auf die Diskontsenkung der Reichsbank und auf die Zinssenkung hin, die letzten Endes nur das Ziel verfolgten, die Wirtschaft aus dem Zustand der Verkrampfung zu lösen.

Ferner erwähnte der Reichskanzler in diesem Zusammenhang auch die besonders günstige Möglichkeit der Ablösung der Hauszinssteuer10 und die damit bezweckte Schaffung liquider Mittel. Er richtete einen dringenden Appell an alle Gewerkschaftsvertreter, sich in den Dienst der Preissenkung zu stellen, da die Gewerkschaften die berufensten Volksorganisationen seien und ein wirklicher Erfolg nur durch die verständnisvolle Mitarbeit der breitesten Schichten erhofft werden könne.

10

Zweiter Teil, Kapitel I, § 1 der Vierten NotVo. vom 8.12.31, RGBl. I, S. 699 , hier S. 706.

Dem Wunsche der Gewerkschaftsvertreter entsprechend erklärte er sich gern bereit, eine Aussprache mit dem Reichskommissar für die Preisüberwachung, Oberbürgermeister Goerdeler, herbeizuführen11.

11

MinR Vogels setzte später handschriftlich hinzu: „Die Besprechung hat inzwischen stattgefunden“ (R 43 I /2376 , S. 159).

Der Reichswirtschaftsminister übernahm es, zu einer derartigen Besprechung einzuladen.

Die Herren Reichsminister Dietrich, Stegerwald und Warmbold gingen auf besondere Fragen ihrer Ressorts ein.

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