1.9.2 (bru3p): 2. Wirtschaftsprogramm.

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2. Wirtschaftsprogramm.

Der Reichskanzler stellte das taktische Vorgehen zur Erörterung. Er glaubte, daß die Stillhalteverhandlungen4 im Wirtschaftsbeirat nur zu erwähnen seien, daß aber die Debatte darüber nicht vertieft werden solle. Im übrigen müsse die Notwendigkeit betont werden, die Mark stabil zu halten, die Produktionskosten zu verbilligen und Löhne und Gehälter entsprechend zu senken. Das Zinsproblem eigne sich nicht zu Besprechungen im großen Kreise. Gegebenenfalls werde darüber in einem engeren Gremium zu sprechen sein. Die Finanzreform dürfe in die Verhandlungen nicht hineingezogen werden. Sie würden sonst übermäßig ausgedehnt. Die Aussprache über die Gesamtlage werde in dem großen Kreise, die Stellungnahme zu konkreten Punkten in Unterausschüssen erfolgen müssen. Es sei daraufhin zu arbeiten, daß eine Stellungnahme des Wirtschaftsbeirats zustande kommt, die der Reichsregierung im Volk eine möglichst starke Basis gibt.

4

Vgl. Dok. Nr. 522.

Die Siedlungsfragen und die Osthilfe möchten ebenfalls aus der Debatte ausgeschlossen werden. Ebenso die Fragen der Devisenbewirtschaftung.

Von dem Ergebnis der Besprechungen über die Stillhaltung, die am 29. Oktober im kleinen Kreise stattfinden sollen5, werde die Lage der Banken abhängen. Ihre Lage würde sich verbessern, wenn es möglich wäre, ausländische Schulden an einer Stelle zusammenzufassen. An der Lösung der mit der Dresdner Bank und der Danatbank zusammenhängenden Fragen werde gearbeitet. Hinsichtlich der Sparkassen sehe er kein Mittel, die Abhebungen aufzuhalten. Die Oppositionspresse arbeite auf den Zusammenbruch hin und verbreite weitere Beunruhigung.

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Siehe Dok. Nr. 528.

Die Preisfrage hänge mit der Tatsache zusammen, daß es notwendig sei, mit einem geringeren Kreditvolumen die gleiche Gütermenge umzusetzen. Durch Lohnsenkung und Zerschlagung der Kartelle könne keine Besserung erreicht werden. Eingriffe müßten mit anderen Maßnahmen gleichzeitig verbunden sein. Die westliche Industrie habe sich von dieser Notwendigkeit überzeugt. Sie sei über ihre kurzfristige und langfristige Verschuldung nicht im klaren. Er werde sie veranlassen, selbst Erhebungen darüber anzustellen.

Die Auftragserteilung durch die Reichsbahn stehe noch aus. Sie sei im Rahmen der vorgeschlagenen Maßnahmen notwendig. Die Tarife für die Kohlenbeförderung müßten für einzelne Bezirke herabgesetzt werden. Wenn die Produktion weiter sänke, wäre keine Preisermäßigung möglich, weil die fixen Unkosten das einzelne Produkt in zunehmendem Maße belasten würden.

[1844] Wenn Löhne und Gehälter weiter sänken, würden die landwirtschaftlichen Produkte nicht mehr abzusetzen sein. Der Fleischkonsum gehe zurück. Damit seien auch die Grenzen der Unterstützung der Erzeugung durch die Zollpolitik gegeben.

Die Zinsfrage müsse ohne die Frage der Umschuldung der Landwirtschaft aufgegriffen werden. Der Osten sei nicht mehr allein überschuldet. Die Überschuldung pflanze sich auch auf die anderen Landesteile fort. Das Agrarkreditproblem sei entscheidend. Die Unkosten der Landwirtschaft müßten gesenkt werden. Ihr müsse möglich sein, zu rentablen Preisen ihre Ware abzusetzen.

Durch den starken Leerlauf, die Unkosten für die Arbeitslosenunterstützung, würde der Staat zum größten Verteurer der Zwischenhandelsspanne. Die Hauszinssteuer müsse mit der Reparaturfrage in Verbindung gebracht werden. Die Tarife seien elastisch zu gestalten. Der Sturm auf Aufhebung der Tarifverträge flaue ab. In der Landwirtschaft ständen die Tarife nur auf dem Papier. Ähnlich sei es beim Handwerk, da 80% arbeitslos seien und auf Schwarzarbeit ausgingen. Bei der Verarbeitung und der Großindustrie müßten die großen Tarifgebiete zerschlagen werden, etwa unter Wiederherstellung des Zustandes von 1927. Wenn sich die allgemeine wirtschaftliche Lage bessern würde, dann werden auch die Arbeiter wieder in bessere Verdienstmöglichkeiten einrücken. Die Forderung der Christlichen Gewerkschaften nach kleineren Tarifbezirken sei allmählich durchgedrungen. Beim Mittelstand sei die Kreditversorgung das dringendste Problem. Es müsse am 28. in der Ministerbesprechung eingehend geklärt werden6. Richtlinien für die Beratungen im Wirtschaftsausschuß seien aufzustellen. Erwünscht sei eine Statistik über die Größenstufen der Kredite in den Großbanken. Diese gingen an die großen faulen Kunden nicht heran, weil sie wüßten, daß sie nichts von ihnen bekämen. So verengere sich das Kreditvolumen für die kleinen Betriebe, die dadurch zum Erliegen kämen. Es sei zu überlegen, ob nicht große Blocks der eingefrorenen Kredite aus den Banken herausgenommen werden sollten und nach einem Amortisationsplan zu tilgen wären. Auch darüber müsse am folgenden Tage konkret gesprochen werden. Die Ressorts sollten bis dahin konkrete Vorschläge machen. Für den Wirtschaftsbeirat müßten bestimmte Fragen formuliert werden.

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Vgl. Dok. Nr. 524, P. 1.

Der Reichsminister der Finanzen hielt die Frage nach der Regelung der Privatschulden nach dem Auslande für dringend. Wenn das internationale Kreditgebäude zusammenfiele, so sei es nötig, Waren im Tauschwege hereinzubringen. In dieser Weise könne Rußland agrarische Artikel liefern. Innerpolitisch sei es notwendig, das Preis-, Lohn- und Zinsniveau herabzudrücken und das Geld zu verbilligen. Der Mittelstand müsse entlastet werden. Die großen unorganischen Konzerne müßten verschwinden. Die Frage der Wirkung einer Senkung der Gestehungskosten auf die Etats sei bereits vorläufig geprüft worden.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es für notwendig, bei der Betrachtung der Lage die Veränderungen seit Juli d. Js. als entscheidend anzusehen. Der Export werde durch das Absinken der englischen und 25 anderer Währungen, teils bis zu 40%, beeinträchtigt. Gegenmaßnahmen seien notwendig, obwohl die Ausfuhr jetzt noch günstig sei, ebenso wie die Zahlungsbilanz. Die Wirkung der Verträge zeige sich im Außenhandel erst später.

[1845] Deutschland müsse am Goldstandard festhalten, gleichwohl aber die Ausfuhr auf der alten Höhe halten.

Die Kapitalabzüge verstärkten sich. Die Bewegung müsse eingeschränkt oder zum Stillstand gebracht werden.

Die deutschen Reserven seien erschöpft. An flüssigen Mitteln sei Mangel. Die Lage würde verschärft, wenn die Ernteerträge zurückgingen. Die Einsparung ausländischer Nahrungsmittel in Höhe von 2 Milliarden würde dann nicht mehr aufrecht erhalten werden können.

Die Exportfähigkeit könne nur aufrecht erhalten werden, wenn das Preisniveau der neuen Lage angepaßt würde. Es dürfe nicht nur generell nach unten gelegt werden, sondern das ungünstige Verhältnis der Preise zueinander sei zu beseitigen. Die freien Waren seien im Preise stärker gesunken als die gebundenen. Erstere um 40% oder mehr. Listenpreise würden unterschritten. Bei den gebundenen sei die Absenkung nach den Listenpreisen etwa 15%. Tatsächlich würde sie etwas größer sein.

Bei den freien Preisen sei eine weitere Senkung nicht mehr möglich, wohl aber bei den gebundenen. Letztere hätten auch unter sich einen ungleichen Stand. Die Hemmungen, die sich daraus ergeben, müßten beseitigt werden. Die Preise seien durch die Gestehungskosten, wie Löhne, Tarife, Gebühren, Zinsen, Mieten bedingt. Sie müßten gleichzeitig gesenkt werden, nach den Bedürfnissen und nach der Streuung der Indizes. Schnelles Handeln sei notwendig. Der Warenankauf stocke, solange Preissenkungen in Aussicht ständen. Die Schrumpfung der Wirtschaft im Innern müsse angegriffen werden.

Der Reichsarbeitsminister sah bei der Senkung der Löhne und Gehälter, die nur in Verbindung mit den anderen geplanten Maßnahmen möglich sei, zwei Schwierigkeiten. Die Preise der Lebensmittel seien nicht einheitlich. Fleisch, Milch und Butter seien nicht überhöht. Dagegen lägen die Körnerfrüchte weit über Weltmarktpreis. Fielen die Löhne, dann müßte auch der Roggenpreis ermäßigt werden. Der Zuckerpreis läge dreimal so hoch wie auf dem Weltmarkt. Würde er angegriffen, so würde es sich wegen der Zuckersteuer für die Reichskasse ungünstig auswirken.

Die Vormachtstellung der europäischen Staaten sei durch den Aufschwung der anderen Erdteile wohl für immer verloren. Der Zug nach der Großstadt müsse in Deutschland durch den Zug aufs Land abgelöst werden.

Die Veredelungswirtschaft könne hierzu weniger beitragen als der Körnerbau.

Auf die Handelsspanne müsse eingewirkt werden. Sie hänge aber von den hohen öffentlichen Abgaben ab, da die Landwirtschaft nur 5–7% dieser Abgaben entrichtet.

Ohne Ermäßigung der Hauszinssteuer werde eine Mietsenkung wohl nicht möglich sein. 10% der Mietsenkung betrage 50% der Hauszinssteuer. Die Spanne zwischen den Mieten in den alten und den neuen Wohnungen würde sich vergrößern. Staatssekretär a. D. Popitz habe kürzlich vor der Beseitigung der Hauszinssteuer und Erhöhung der Umsatzsteuer entschieden gewarnt. Die Gebühren der öffentlichen Werke müßten herabgesetzt werden. Statt dessen werde vom Rheinland und Westfalen verlangt, daß sie wegen ihrer Verschuldung erhöht würden. Die Löhne seien durch die Kurzarbeit stark ermäßigt. Die Lebenshaltungskosten hätten[1846] bisher in England, Skandinavien, Holland und Schweiz höher gelegen als in Deutschland. Nach der neuesten Entwicklung würde dies nur noch bei der Schweiz und Holland der Fall sein. Die deutschen Lebenshaltungskosten müßten auch deswegen gesenkt werden.

Für den Brotpreis sei das Nachtbackverbot nicht allein entscheidend. Eine Ermäßigung hätten für den Fall der Aufhebung dieses Verbotes nur zwei Fabriken fest in Aussicht gestellt.

Der Reichsbankpräsident wies darauf hin, daß die Währung ohne wirtschaftlich schädliche Eingriffe nicht ausreichend gestützt werden könne. Die Bewegung bei den Sparkassen könne nicht im gleichen Maße weiter gehen wie bisher. Die Reichsbank habe bereits 1 Milliarde zur Verfügung gestellt, in den Sparkassen lägen noch 10½ Milliarden. Es sei nicht möglich, das Kapital rückwärts in Geld zu verwandeln. Es sei aber ein ungeheuerlicher Entschluß, den Geldbedarf der öffentlichen Sparkassen zu verweigern. Bei örtlichen privaten Sparkassen werde nicht geholfen werden können. Würden die Sparkassen Pfandbriefe herausgeben, so wäre das in kleinen Beträgen Geldschöpfung. Große Stücke würden bald in Ware umgewandelt werden mit dem riesigen Disagio. Neue Sparbeträge würden nicht mehr hereinkommen. Die Länder würden die Beträge, die nötig seien, durch Steuern aufbringen können. Andererseits werde es nicht möglich sein, sehr viel weiter zu gehen, als es bereits geschehen sei. Damit trete das Problem in die politische Sphäre. Es handele sich nicht so sehr um Notabhebungen, mit denen die Verwaltungen fertig werden könnten, als um Angstmaßnahmen. Es müßten in der inneren Wirtschaft Vorkehrungen getroffen werden, um in die Wirtschaft wieder Vertrauen hineinzubringen.

Die notenbankpolitischen Mittel zur Regulierung des Geldmarktes begännen zu versagen. Das gelte für Diskont und Restriktionen. Sie könnten nur wirken, wenn der Wirtschaftskörper elastisch sei. Er muß den Einwirkungen von der Zins- und Kreditseite nachgeben können. Diese Elastizität besitze er nicht mehr. Die Kräfte seien gebunden. Es sei notwendig, sie wieder elastischer zu gestalten. Die Erwerbslosigkeit werde wachsen, Exportsteigerung sei nötig. Die Reichsbank habe eine Denkschrift über die Danatbank und die Dresdner Bank überreicht7. Auch hier müßten Entscheidungen getroffen werden. Die Sparkassenfrage würde dadurch erleichtert. Der jetzige Zustand sei nicht zu halten. Die Reichsbank habe davon abgesehen, konkrete Vorschläge zu machen, stellte aber zur Erwägung, ob die erheblichen Gewinne, die der Reichsbank zuflössen, statt zur Tilgung des Umlaufs der Rentenmarkscheine, 1–2 Jahre für die neuen Bankkräfte verwendet werden sollten, um ein Kapital zu schaffen. Internationale Bedenken beständen nicht.

7

Eine Abschrift dieses Berichts der Rbk vom 24.10.31 befindet sich im Nachl. Luther  Nr. 337. Die Rbk hatte in ihrem Bericht die geringen Devisenbestände und den schlechten allgemeinen Kreditzustand der deutschen Wirtschaft erörtert. Ohne baldige Herstellung der Rentabilität sei an eine Besserung der Kreditwürdigkeit dt. Firmen nicht zu denken. Außerdem hatte die Rbk u. a. auf den unfertigen und unsicheren Zustand der Danatbank und der Dresdner Bank hingewiesen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte sich mit den Ausführungen des Reichswirtschaftsministers einverstanden. Er wies auf die Drosselung der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse hin, die von 10 Millionen t im Jahre 1927 auf 4,4 Millionen im Jahre 1930 gesunken sei. 1931 betrage der Wert der[1847] Einfuhr nur noch 1 Milliarde gegen 4 im Jahre 1927. Die Zollschutzpolitik allein könne aber nicht helfen. Es komme auf die Konsumkraft der Massen an. Die Arbeitslosigkeit wirke sich aus. Ein Ausgleich müsse geschaffen werden. Er sei bereit, auf diesem Boden Vorschläge auszuarbeiten. An der Herabsetzung des Brotpreises werde gearbeitet. Die Übererzeugung an Zucker drücke noch auf den Markt. Sie werde erst im nächsten Jahre beseitigt werden können. Der Konsum sei wesentlich zurückgegangen.

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