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Haftstättenverzeichnis

Haftanstalten und Straflager der Justiz (Deutsches Reich)

Zwischen 1933 und 1945 waren mehrere Millionen Menschen in Vollzugsanstalten der Justiz, Gefängnissen, Untersuchungsgefängnissen, Zuchthäusern, Gerichtsgefängnissen und Strafgefangenenlagern im Deutschen Reich inhaftiert. Es existierten auf dem Reichsgebiet 167 größere Anstalten mit einer Kapazität von durchschnittlich 450 Gefangenen sowie zahlreiche kleinere Gefängnisse, Zuchthäuser und Gerichtsgefängnisse.

Ein entscheidender Unterschied zwischen Polizeihäftlingen und Häftlingen der Justiz bestand darin, dass bei den Gefangenen der Justiz in der Regel eine gerichtliche Verurteilung vorausgegangen war oder diese – im Falle der Untersuchungshäftlinge – noch ausstand. Während die Gestapogefängnisse und die Konzentrationslager von den Nationalsozialisten errichtet wurden und von Anfang an ausschließlich den weltanschaulichen Aufgaben, etwa des politischen Terrors oder der Vernichtung dienten, war dies bei den Justizhaftstätten – sieht man einmal von den Emslandlagern ab – nicht von Anfang an und nicht ausnahmslos der Fall. Doch auch die Justizanstalten als Teil des bürgerlichen „Normenstaates“ wurden nach 1933 ein fester Bestandteil des nationalsozialistischen Terrorapparates.

Ab 1933 kam es zu einer Radikalisierung der Strafpolitik. Diese war zum einen durch eine strengere Urteilspraxis sowie durch neue Gesetze wie z.B. das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrechen und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ (sog. Gewohnheitsverbrechergesetz) vom 24. November 1933 bestimmt. Zum anderen zeichnete sie sich durch eine Verschlechterung der Haft- und Lebensbedingungen aus. So waren die Haftanstalten und Straflager durch die massive Verfolgungspolitik und zahlreiche Inhaftierungen und Verurteilungen in zunehmendem Maße überfüllt. Ebenso erhöhte sich die Zahl der Todesurteile durch die Justiz. Schon ab Mai 1933 waren die Justizanstalten dazu angehalten, Entlassungen an die Polizei zu melden. Letztere entschied dann über die „Schutz- oder Vorbeugehaft“, was meist mit einer Einweisung in die Konzentrationslager verbunden war. Seit 1934 hatte das Reichsjustizministerium die Aufsicht über den Strafvollzug und setzte bis April 1935 eine einheitliche Regelung für alle Länder durch. Anfängliche Vorbehalte in Teilen des deutschen Justizapparates gegenüber den Nationalsozialisten schwanden bald nach 1933. Die meisten Beamten und Angestellten begrüßten die Verschärfung des Strafvollzugs. Im Rahmen des Vierjahrsplans, der einer forcierten Erweiterung der Rüstungswirtschaft und der Etablierung weitgehender Autarkie zum Zwecke der Kriegsvorbereitung diente, sollten auch die Justizhaftstätten einen wirtschaftlichen Beitrag leisten. Das Reichsjustizministerium weitete ab 1938 die Arbeitsverpflichtung der Inhaftierten der Gefängnisse und Zuchthäuser aus. Arbeit in den Gefängnissen und Zuchthäusern war zwar schon während der Weimarer Republik Bestandteil des Strafvollzugs gewesen, doch veränderte sie sich mit diesem Eingriff. Unter anderem nahm die Zahl der Arbeitskommandos außerhalb der Strafanstalten zu. Die später während des Zweiten Weltkrieges eingeführte Arbeit in Bombenräumkommandos gehörte dabei zu den gefährlichsten Arbeiten, die Justizhäftlinge verrichten mussten. Am 28. Oktober 1939 ordnete das Reichsjustizministerium elf- bis zwölfstündige Arbeitszeiten für Häftlinge in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Straflagern an. Dabei wurde eine strenge Bestrafung bei „schlechter Leistung“ und Arbeitsverweigerung angedroht und angewendet. Strafen waren u.a. Essensentzug, Arrest sowie Prügel.

Mit Beginn des Krieges erhöhte sich die Anzahl der ausländischen Häftlinge in den Justizhaftanstalten. Dabei bildeten die polnischen Strafgefangenen zeitweilig die größte Gruppe unter den nichtdeutschen Häftlingen. Bereits ab 1940 wurden polnische Strafgefangene nach Deutschland deportiert und in den Gefängnissen zu Schwerstarbeit eingesetzt. Ab 1942 war die Justiz verstärkt am Terror gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten europäischen Ländern beteiligt. Neben zahlreichen „Nacht- und Nebelhäftlingen“, die zur Einschüchterung der Bevölkerung in besetzten Gebieten wie Frankreich und den Niederlanden in Haftanstalten und KZ auf dem Reichsgebiet verschleppt worden waren, befanden sich unter anderem auch tschechische Widerstandskämpfer in den Gefängnissen. Die ausländischen Strafgefangenen sollten dabei streng von den deutschen Gefangenen getrennt werden. Ab September 1944 waren fast neunzig Prozent der Justizhäftlinge, darunter 73.000 Ausländer, im Arbeitseinsatz für die Rüstungsindustrie. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei fand im Herbst 1942 mit der „generellen Abgabe“ der so genannten „Sicherheitsverwahrten“ und Häftlingsgruppen wie Juden, Sinti und Roma sowie Menschen aus der Sowjetunion an die Konzentrationslager zur „Vernichtung durch Arbeit“ statt. Eine besondere Funktion übernahmen die Strafgefangenenlager der Justiz. Schon vor dem Krieg richtete die Justiz eine Reihe dieser Lager ein. Die ersten von ihnen entstanden im Frühjahr 1934 mit der Einrichtung des Gefangenenlagerkomplexes im Emsland, den sogenannten Emslandlagern. Die Strafgefangenen dort wurden vor allem zur Kultivierung des Moores eingesetzt. Die Lebensbedingungen der dort Inhaftierten unterschieden sich kaum von denen der KZ-Häftlinge. Schwerstarbeit, willkürliche Gewalt und Folter waren hier alltäglich.

Die Besonderheit der Emslandlager war vor allem die enge Verknüpfung zwischen Reichsjustizministerium und nationalsozialistischen Terrororganen. Diese Lager bildeten eine Verknüpfung zwischen Strafvollzug und Konzentrationslagern und dienten zugleich der Kompetenzerweiterung der Justizbehörden im Bereich der „weltanschaulichen Neuordnung“. Die Bewachung des Strafgefangenlagers oblag der SA, während die Verwaltung durch die Justizbehörden erfolgte. Weitere Strafgefangenenlager entstanden Ende der 1930er-Jahre. Die Gefangenen mussten im Wasser-, Straßen- und Brückenbau arbeiten, bei der Urbarmachung von Ödland oder Flussbegradigungen. In der Regel waren die Lebensbedingungen für die Gefangenen schlechter als in den regulären Haftstätten.

Literaturauswahl:

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Langhoff, Wolfgang. Die Moorsoldaten. Zürich 1936 (später u. a. Stuttgart 1978).

Lüerßen, Dirk. Wir sind die Moorsoldaten. Die Insassen der frühen Konzentrationslager im Emsland 1933 bis 1936 – Biographische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen kategorialer Zuordnung der Verhafteten, deren jeweiligen Verhaltensformen im Lager und den Auswirkungen der Haft auf die weitere Lebensgeschichte. Dissertation, Universität Osnabrück 2001 (Volltext als PDF, 2,79 MB).

Pantcheff, T. X. H.. Der Henker des Emslandes. Willi Herold, 19 Jahre alt. Ein deutsches Lehrstück. Bund-Verlag, Köln 1987, (2. Auflage als: Der Henker von Emsland. Dokumentation einer Barbarei am Ende des Krieges 1995. Schuster, Leer 1995.

Perk, Willy. Hölle im Moor. Zur Geschichte der Emslandlager 1933–1945. 2. Auflage. Röderberg, Frankfurt am Main 1979.

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Wachsmann, Nikolaus. Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. München 2006.