1.101.2 (mu22p): 2. Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen.

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2. Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen.

Der Reichskanzler stellte zunächst die grundsätzlichen Fragen der Zollnovelle zur Verhandlung1.

1

Die Zolltarifnovelle vom 17.8.25 trat am 31.12.29 außer Kraft. Der RFM hatte sich für eine Verlängerung ausgesprochen, wobei auf landwirtschaftlichem und industriellem Gebiet Abänderungen vorgenommen werden sollten. „Im Hinblick auf die für den Monat Februar 1930 in Aussicht genommene Völkerbundskonferenz über die Einführung eines Zollfriedens dürfte es nicht angängig sein, etwa vor dem 1.1.30 lediglich die Zolltarifnovelle unverändert zu verlängern und die Entschließung über die künftige deutsche Zollpolitik zu vertagen. Denn es würde dadurch die Stellung der deutschen Vertreter auf der Konferenz wesentlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht“ (Kabinettsvorlage vom 6.11.29; R 43 I /2420 , Bl. 209-213, hier: Bl. 209-213). In einer Chefbesprechung am 14. 11. hatte der RWiM die Anhebung einzelner industrieller Zölle, besonders für Textilien, gefordert. In Übereinstimmung mit dem REM hatte der RFM „darauf hingewiesen, daß das vom RWiMin. beabsichtigte Vorgehen eine Beunruhigung der Handelspolitik bringen und die Beteiligung Deutschlands am Zollwaffenstillstand ernstlich gefährdet würden“ (Vorlage des RFM vom 15. 11.; R 43 I /2420 , Bl. 225-230, hier: Bl. 225-230). Als die wesentlichen Fragen dieser Auseinandersetzung hatte MinR Feßler präzisiert: „Sollen Zölle, die durch Handelsverträge gebunden oder herabgesetzt sind, erhöht werden oder soll ein Obertarif für landwirtschaftliche und industrielle Zollpositionen geschaffen werden, der gegenüber Ländern in Kraft tritt, die mit Deutschland nicht in handelsvertraglichen Beziehungen stehen und deutsche Waren schlechter behandeln als Waren aus einem dritten Lande?“ Feßler war der Ansicht gewesen, auf der Zollfriedenskonferenz werde kein grundsätzliches Bedenken gegen die Erhöhung landwirtschaftlicher Zölle bestehen. Erhöhe hingegen Deutschland die industriellen Zölle über das Notwendigste hinaus, werde „die Weltstimmung für Außenhandelserschwerungen“ gestärkt (Referentenvotum vom 18. 11.; R 43 I /2420 , Bl. 232-237, hier: Bl. 232-237).

[1165] Der Reichsminister der Finanzen sprach sich dagegen aus, daß autonome Zölle erhöht würden, die in Handelsverträgen gebunden oder herabgesetzt seien. Die Ablehnung der auf Zollerhöhung dieser Art gerichteten Vorschläge sei notwendig, da andernfalls die bevorstehenden internationalen Zoll-Friedensverhandlungen ungünstig beeinflußt würden und die Gefahr von Berufungen zahlreicher nicht berücksichtigter Industrien bestehe. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sei mit diesem Standpunkt einverstanden.

Die Schaffung eines Obertarifes für landwirtschaftliche und industrielle Zollpositionen würde eine Änderung der Zollpolitik bedeuten, die im gegenwärtigen Augenblick gefährlich sei. Sie könne als Aufrüstung kurz vor den bevorstehenden internationalen Verhandlungen gedeutet werden und diese erschweren. Die handelspolitische Bewegungsfreiheit würde behindert werden. Jetzt bereits sei es möglich, bei Zollkämpfen, mit einzelnen Ländern Tariferhöhungen in Kraft zu setzen2.

2

Die Planung für die Weltzollfriedenskonferenz war während der 10. Völkerbundsversammlung aufgenommen worden (Runderlaß des AA vom 18.10.29; R 43 I /495 , Bl. 7-21, hier: Bl. 7-21. Begründung des internationalen Handelsabkommens […] vom 24.3.30 in der Kabinettsvorlage des AA und des RWiM vom 7.5.30; R 43 I /2428 , Bl. 130-162, hier: Bl. 130-162). Zur Vorbereitung der Zollfriedenskonferenz war vorgesehen worden: „Zunächst soll etwa im Februar 1930 eine diplomatische Vorkonferenz mit folgenden Aufgaben tagen: a) Abschluß eines Zollfriedens auf 2–3 Jahre, b) Festsetzung eines Programms zwecks Verhandlungen über Abschluß von Kollektivverträgen zur Minderung der Handelshemmnisse (einschließlich Zollabbau). – Daran anschließend Verhandlungen zwischen den Staaten, die den Zollfrieden abgeschlossen haben. – Endlich diplomatische Schlußkonferenz, zu der alle Staaten eingeladen werden, mit der Aufgabe, die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Zollfriedensstaaten zu prüfen und sie nötigenfalls entsprechend den Bedürfnissen der hinzutretenden Staaten zu ergänzen. – Das Aktionsprogramm stellt ein Kompromiß dar. Nicht nur europäische, sondern auch außereuropäische Staaten können sich beteiligen, was dem Universalismus des Völkerbundes entspricht. Vorbehalte für industriell noch unterentwickelte und landwirtschaftliche Staaten sind insbesondere auf Betreiben außereuropäischer Delegierter in das Programm aufgenommen“ (Runderlaß des AA vom 18.10.29; R 43 I /495 , Bl. 7-21, hier: Bl. 7-21). Auch das RWiMin. neigte der Zollfriedenskonferenz zu, wie ein Gespräch der StS Pünder und Trendelenburg ergab. Trendelenburg war der Ansicht, daß das Zollniveau beibehalten werden solle; Ausnahmen hiervon müßten ebenso wie die Ein- und Ausfuhrverbote angemeldet werden. Da sich der deutsche Außenhandel günstig entwickelt habe, sei es ein Gewinn für Deutschland, „wenn es einige Jahre auf der bisherigen internationalen Zollbasis Handel treiben“ könne. Die Interessenten in Deutschland wünschten allerdings einen stärkeren Zollschutz. „Es wird aber notwendig sein, sie an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie auf diese Möglichkeit verzichten möchten, um über die Interessen der eigenen Gruppe hinaus, die deutsche Gesamtausfuhr vor weiteren internationalen Hemmungen zu bewahren. – Denn das müßte der Sinn des Vertragsschlusses sein. Er müßte insbesondere auch den administrativen Protektionismus unterbinden, der durch Zollschikanen, Willkür und Absicht der Einfuhr deutscher Waren in fremde Länder häufig mehr Abbruch tut als offene Zollheraufsetzung“ (Aufzeichnung der Rkei vom 4.12.29; R 43 I /2428 , Bl. 6-9, hier: Bl. 6-9).

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, die Industrie fordere mit starkem Nachdruck die Heraufsetzung autonomer Zölle, auch soweit vertraglich Vereinbarungen über ihre Höhe vorlägen. Sie habe ihre Wünsche auf das äußerste Maß beschränkt, sie beträfen nur Industrien, die tatsächlich in schwerer Notlage wären.

[1166] Für diese wäre es eine Beruhigung und ein Zeichen des guten Willens der Regierung, ihnen zu helfen, wenn den Anträgen stattgegeben würde. Praktische Wirkung würde daraus allerdings nicht erwachsen. Es sei zu befürchten, daß im Reichstage weitgehende Anträge in dieser Richtung gestellt werden würden, insbesondere, wenn die Reichsregierung nicht selbst bereits der Notlage dieser Industrien in beschränktem Maße Rechnung trüge. Demnach müsse er seinen Antrag aufrechterhalten3. Würde er abgelehnt, so bitte er um den Obertarif. Es solle kein genereller Doppeltarif geschaffen werden. Der Obertarif solle nur für Zollkriege und Diskriminierung gelten. Auch er wäre nur eine Geste zur Beruhigung der in Frage kommenden Erwerbszweige.

3

Der RWiM hatte bereits am 7. 11. Zollveränderungen vorgeschlagen für Kunstseide, Kammgarn, Baumwolle, Tüll, Leinengarn, Seilerwaren, Schuhe, Furniere, Möbel und Möbelteile, Tischlerarbeiten, Schraubstöcke, Verbrennungs- und Explosionsmotore für Kraftfahrzeuge und -räder (R 43 I /2420 , Bl. 214-216, hier: Bl. 214-216). In einer weiteren Vorlage war vom RWiM gefordert worden, einen Obertarif zur Beruhigung der landwirtschaftlichen und industriellen Gruppen einzuführen, wenn Handelsverträge wegen Zollerhöhungen gekündigt würden (16. 11.; R 43 I /2420 , Bl. 231, hier: Bl. 231).

Nach eingehender Aussprache faßte das Kabinett folgende Entschließungen:

1.

Die autonomen Zollsätze von Positionen des Zolltarifs, die durch Handelsverträge gebunden oder herabgesetzt sind, sollen nicht erhöht werden4.

2.

Von der Schaffung eines Obertarifs landwirtschaftlicher und industrieller Zollpositionen wird abgesehen.

4

Der RR wich von dem Grundsatz „keine Erhöhung autonomer Zölle zu beschließen, solange vertragliche Bindungen vorliegen“ trotz Gegenvorstellungen der RReg. in seiner Plenarsitzung am 12. 12. ab. „Die Zölle für Kammgarn, Baumwollgarn, Kaliko, gewisse Holzwaren und ihre Teile sollen erhöht werden“ (Vermerk Feßlers vom 14.12.29; R 43 I /2420 , Bl. 296, hier: Bl. 296).

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