1.118.3 (mu22p): Fortsetzung 4 Uhr nachmittags.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Fortsetzung 4 Uhr nachmittags.

Der Reichsverkehrsminister trat für die Einrichtung einer Reichsaufsicht über die Selbstverwaltungskörper im Zusammenhang mit der Finanzreform ein. Eine Erhöhung der Biersteuer hielt er für unverzichtbar und meinte, daß man auch einer größeren Erhöhung als der Reichsminister der Finanzen sie vorgeschlagen habe, zustimmen könne. Als beweglichen Faktor gab er der Bürgersteuer den Vorzug vor den übrigen Vorschlägen. Er regte aber eine gestaffelte Form für diese Steuer an.

Der Reichsminister der Justiz erklärte, daß das wesentlichste Ziel der Finanzreform der Ausgleich des Etats und die Sanierung der Kassenlage sei. Die Bürgersteuer erklärte er für unerläßlich notwendig, schon allein wegen ihrer pädagogischen Wirkung auf die für die Ausgabenbewilligung in Frage kommenden Instanzen.

Der Reichsarbeitsminister befaßte sich in erster Linie mit dem Problem der Sanierung der Arbeitslosenversicherung. Er wies nachdrücklich darauf hin, daß die Beitragserhöhung um ½% zur Sanierung der Reichsanstalt nicht ausreiche, und daß eine Beitragserhöhung von ¾% unbedingt notwendig sei5.

5

Einen GesEntw. auf befristete Erhöhung der ALV um ¾% hatte der RArbM am 26. 11. eingebracht (R 43 I /2037 , Bl. 30-32, hier: Bl. 30-32).

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte dann eingehend die Kassenlage, indem er folgendes vortrug:

Der Kassenbedarf beziffere sich zum Jahresschluß auf 1700 Mio RM. Diese Summe setze sich aus folgenden Einzelposten zusammen:

Ungedecktes Extraordinarium

800

Millionen RM

Ultimobedarf einschließlich Darlehen und Vorschüsse

450

Millionen RM

Fehlbetrag 1928

150

Millionen RM

Fehlbetrag 1929

300

Millionen RM

Summe

1700

Millionen RM.

[1243] Hierzu träten im nächsten Vierteljahr Kredite an die Arbeitslosenversicherung in der voraussichtlichen Höhe von 150 Mio RM, so daß der Kassenbedarf am Ende des Rechnungsjahres 1850 Mio RM betragen werde.

Ultimo Dezember stünden dem Bedarf von 1700 Millionen Deckungsmittel im Betrage von 1370 Millionen RM gegenüber, so daß die Flüssigmachung weiterer Kredite in Höhe von 330 Millionen RM erforderlich sei. Die Summe von 1370 Mio RM setze sich aus folgenden Einzelposten zusammen:

1.

Reichsschatzwechsel

400,0 Millionen RM

2.

Betriebskredit (Reichsbank)

100,0 Millionen RM

3.

Reste

100,0 Millionen RM

4.

Auslandskredit

210,0 Millionen RM

5.

Reichsbahn

180,0 Millionen RM

6.

Post

45,0 Millionen RM

7.

Schatzanweisungen bei Banken

200,0 Millionen RM

8.

Schatzanweisungen bei Generalagent

134,0 Millionen RM

Wegen der Flüssigmachung des Kredites von 330 Millionen RM bestünden die dem Reichskabinett bekannten Meinungsverschiedenheiten mit dem Reichsbankpräsidenten6.

6

Zur Auseinandersetzung mit Schacht siehe Dok. Nr. 367 und 369. – Zur Deckung des Kassenbedarfs wurde in einem undatierten Vermerk von MinR Vogels bemerkt, daß von den 330 Mio RM, die erforderlich seien, der Auslandskredit von 75 Mio Dollars etwa 310 Mio RM bringen werde. „Dieser Posten [330 Mio RM] muß sich bis Ende des Rechnungsjahres auf die volle Höhe der Young-Entlastung von 465 Mio steigern. Diese Steigerung deckt den Kredit an die ALV von 150 Mio und sogar ein etwaiges weiteres Steigern des Fehlbetrags 1929 um 100 Mio vollständig und wird sogar gestatten, einen Teil der Ultimo Dezember benötigten Kredite erforderlichenfalls zurückzuzahlen, zumal da im Februar auch noch die 100 bis 150 Mio Industrieobligationen eine Erleichterung der Kassenlage bringen. Der Ultimo Dezember bringt also in diesem Rechnungsjahr die Höchstanspannung der Kasse“ (R 43 I /880 , Bl. 219 f., hier: Bl. 219 f.).

Auf die Frage des Reichswirtschaftsministers, was geschehen solle, wenn der Versuch, den Betrag kurzfristig aufzubringen, scheitere, erwiderte der Reichsminister der Finanzen daß Aussicht bestehe, die Anleihe ohne Mitwirkung des Reichsbankpräsidenten zu bekommen.

Der Reichskanzler stellte die Frage, ob nicht von seiten des Reparationsagenten Schwierigkeiten befürchtet würden.

Der Reichsfinanzminister verneinte dies.

Der Reichskanzler erklärte weiter, daß er es für unbedingt erforderlich halte, dem Reichstage vorzuschlagen, eine der neuen Steuern, und zwar die Tabaksteuer, mit sofortiger Wirkung in Kraft zu setzen, weil dies zur Stärkung des Reichskredits und als psychologische Voraussetzung für die Erlangung der Reichsanleihe unbedingt notwendig sei.

Diesen Ausführungen traten der Reichswirtschaftsminister und der Reichsverkehrsminister ausdrücklich bei.

Auch der Reichsaußenminister erklärte, daß es mit Rücksicht auf die bevorstehenden Haager Verhandlungen sehr gut wirken werde, wenn die Reichsregierung[1244] dort darauf hinweisen könne, daß sie schon zu neuen Steuern habe Zuflucht nehmen müssen.

Der Reichskanzler erklärte zusammenfassend, daß das Reichskabinett noch heute zu einem zielklaren Finanzprogramm kommen müsse und daß die Reichsregierung alsdann mit diesem Programm an die Fraktionsführer herantreten müsse. Sein Vorschlag, die Verhandlungen abzubrechen, um eine kurze Zeit zur Durchdenkung des Verhandlungsergebnisses zu haben, und die Verhandlungen dann in einer Abendsitzung fortzusetzen, fand allgemeine Billigung.

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