2.12 (sch1p): Nr. 10 b Erklärung des Reichsaußenministers vor dem Reichskabinett über seine Verhandlungen mit der USPD. 12. März 1919

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Nr. 10 b
Erklärung des Reichsaußenministers vor dem Reichskabinett über seine Verhandlungen mit der USPD. 12. März 1919

PA, Nachlaß Brockdorff-Rantzau, Az. 11 „P“ Durchschrift

Positiv habe ich folgende Erklärung abzugeben:

Die Herren sind nicht von mir zu einer Besprechung aufgefordert, vielmehr war mir von einer den Unabhängigen nahestehenden Persönlichkeit durch Vermittlung eines langjährigen Beamten des Auswärtigen Amtes nahegelegt worden, Herren der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zur Besprechung[41] außenpolitischer Fragen zu empfangen1. Mit Rücksicht auf die zu jener Zeit gespannte innerpolitische Lage habe ich, ehe ich die Antwort erteilte, den Herrn Ministerpräsidenten nach Weimar telefonisch von der Anregung Kenntnis gegeben und seine Zustimmung zu einem Empfang erhalten.

1

Der ehemalige Gesandte in Polen, Harry Graf Kessler, fungierte als Verbindungsmann zwischen dem RAM und der USPD. Seiner Tagebuchaufzeichnung vom 4.3.1919 zufolge hatte Graf Kessler an diesem Tag Graf Brockdorff-Rantzau aufgesucht, um ihn für einen Posten in einem Kabinett Haase zu gewinnen. Der RAM sei grundsätzlich mit dem Regierungswechsel einverstanden gewesen, da er einen Linksrutsch in der dt. innenpolitischen Entwicklung für unvermeidlich gehalten habe, doch habe er sich nicht entscheiden können (Kessler, Harry Graf: Tagebücher 1918–1937, Frankfurt 1961, S. 143 ff. ). Dem widerspricht eine Aufzeichnung des Grafen Brockdorff-Rantzau anläßlich eines späteren Gesprächs mit Graf Kessler am 7.3.1919. Danach hatte Kessler ihm berichtet, in der USPD-Fraktion in der NatVers habe es einen Zusammenstoß zwischen Haase, der die Verständigung mit der MSPD suchte, und dem radikaleren Däumig gegeben. „Ich erwiderte dem Grafen, ich hoffe und erwarte, daß er den Herren der unabhängigen Partei in keiner Richtung einen Zweifel darüber gelassen habe, daß ich weder eine Vermittlung suche noch mich überhaupt in den Streit einzumischen beabsichtige. Graf Kessler entgegnete wörtlich, er habe von vornherein erklärt und auch heute wieder betont, daß er von mir keinerlei Auftrag habe, daß er mir aber Mitteilungen von seinen Unterlagen gemacht habe. Der Graf hat hinzugefügt, ich wünschte nur über den Gang der Ereignisse bezüglich der inneren Lage informiert zu sein, weil ich ohne Klarheit über die innere Lage auswärtige Politik zu machen nicht imstande sei. Am Schluß unserer Unterhaltung habe ich etwa wörtlich wiederholt: ‚Um zu resümieren: Bitte, setzen Sie die Beziehungen fort und orientieren Sie mich über das Ergebnis; ich erwarte, wie wir von vornherein vereinbart haben, daß die Herren der unabhängigen Partei sich aber darüber im Klaren sind, daß ich eine aktive Rolle in der inneren Frage nicht zu spielen beabsichtige, geschweige denn daran denke, einen Wechsel im Kabinett herbeizuführen.‘ Graf Kessler erklärte, er sei vollkommen über meinen Standpunkt im Bilde.“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 11 „P“).

Ich habe 2 Herren empfangen, am 2. März Dr. Breitscheid und am 4. März Herrn Haase. Die Unterhaltungen mit beiden Herren beschränkten sich, was die innere Lage betrifft, darauf, daß ich sie ihre Auffassung entwickeln ließ. Die Mitteilungen waren, was insbesondere die Stellung des Kabinetts betrifft, und eine evtl. Rekonstruktion so wenig positiv, daß ich mir über den Inhalt keine Aufzeichnungen gemacht, sondern den Geheimrat Nadolny beauftragt habe, dem Ministerpräsidenten zu melden, ein positives Ergebnis sei nicht erzielt. Wenn ich nicht irre, war es Dr. Breitscheid, der mir sagte, er glaube, das Kabinett sei in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht zu halten, seine Partei hoffe aber, mich retten zu können. Ich erinnere mich wörtlich erwidert zu haben: „Sie wissen ja gar nicht, ob ich mich unter diesen Umständen überhaupt retten lassen will.“

Wenn, wie ich jetzt höre, behauptet wird, ich hätte mich bereit erklärt, ein neues Kabinett zu bilden, so ist diese Behauptung vollkommen aus der Luft gegriffen. Ich habe vielmehr wiederholt betont, daß ich mich ausschließlich über die innere Lage informieren müsse, um ihre Entwicklung beurteilen zu können, soweit sie für die auswärtige Politik in Frage komme.

Bezüglich der auswärtigen Politik habe ich wiederholt betont, daß, wenn nicht endlich der innere Hader aufhöre, wir weder Frieden noch Brot bekommen würden, und daß der Anschluß Deutsch-Österreichs an das Reich in Frage gestellt werde.

[42] Ich nehme für mich, wie ich bei Übernahme des Amtes verlangt habe, das Recht in Anspruch, mich über die innere Lage durch Fühlungnahme mit allen Parteien zu unterrichten. Dieses Recht ist mir ausdrücklich zugebilligt worden, und nachdem ich den Herrn Ministerpräsidenten informiert hatte, konnte ich nicht anders vorgehen, wie ich es getan habe, zumal ich in der ganz kritischen Zeit in Berlin der einzige anwesende Reichsminister war2.

2

Die taktische Absicht, die möglicherweise hinter den Kontaktgesprächen Brockdorff-Rantzaus mit Vertretern der USPD gestanden hat, erhellt sich aus einer Aufzeichnung des RAM vom 9.1.1919, in der er den voraussichtlichen Verlauf eines Gesprächs mit einem USPD-Vertreter durchkalkulierte und schloß: „[…] Heute bereits erweitert sich der Anhang der Spartakisten in die Gewerkschaften hinein, weil die Unabhängigen-Agitation gegen die Scheidemänner Resonanz findet. Es wäre von größter Bedeutung, wenn das Blutvergießen erst dann stattfindet, wenn die Unabhängigen auf Seiten der Reg. stehen, oder aber, wenn es vor den Massen ganz deutlich wird, daß die Parole der Unabhängigen ‚Wir sind gegen die Personen der Mehrheitssozialisten‘ unaufrichtig ist und sie im In-und Auslande als Bolschewisten entlarvt werden. Nach einer solchen Entlarvung kann die jetzige Reg. losschlagen. Eher glaube ich nicht.“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 11 „P“).

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