2.71 (sch1p): Nr. 65 Denkschrift des Reichsschatzministers zum Wirtschaftsprogramm des Reichswirtschaftsministeriums vom 7. Mai 1919 [undatiert]

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Nr. 65
Denkschrift des Reichsschatzministers zum Wirtschaftsprogramm des Reichswirtschaftsministeriums vom 7. Mai 1919 [undatiert]1

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Die Denkschrift Gotheins findet sich ohne Anschreiben und Datum als Reichsministerialsache in R 43 I /1146 , Bl. 37-49 unmittelbar im Anschluß an das dort befindliche Exemplar der Denkschrift des RWiMin. vom 7.5.1919 (s. Dok. Nr. 63 a; 63 b). Der Abdruck erscheint an dieser Stelle angebracht, da die Denkschrift Gotheins die liberale, marktwirtschaftlich orientierte wirtschaftspolitische Konzeption der demokratischen Kabinettsmitglieder verdeutlicht. Die zahlreichen grammatikalischen und syntaktischen Entgleisungen stehen im Original.

R 43 I /1146 , Bl. 37-49 Durchschrift

Die Räteorganisation ist solange zweckmäßig, als sie sich jeden inneren Eingriffes in die eigentlichen Geschäftsdispositionen der wirtschaftlichen Unternehmungen enthält, sich also auf die Grundzüge der Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter und auf die Vertretung der gemeinsamen und allgemeinen Interessen vom Handel, Industrie, Handwerk und Landwirtschaft beschränkt.

Eine zwangsweise fachliche Organisation dagegen hat schwerste Bedenken. Wo sich ein Bedürfnis für eine solche zur Wahrung besonderer Berufsinteressen herausstellte, haben sich die Unternehmer in freien fachlichen Vereinen, die Arbeiter in Gewerkschaften zusammengeschlossen. In diese durchaus gesunde und erfolgreiche historische Entwicklung mit der schematisierenden Hand des Gesetzgebers einzugreifen, ist nicht nur kein Bedürfnis, sondern sogar[298] eine erhebliche Gefahr. Damit wird der Zwang und die Bürokratie in eine freie Interessenvertretung getragen.

Eine gesetzliche, fachliche Organisation der Arbeiter bedeutet in Wirklichkeit das Ende der Gewerkschaften, die die segensreichste Entwicklung der Arbeiterbewegung ist.

Für das Unternehmertum bedeutet die fachliche Zwangsorganisation die Unterdrückung der Minderheiten und damit der aufsteigenden Elemente. Wohl werden sie in der „Wirtschaftlichen Selbstverwaltung“ nicht völlig mundtot gemacht werden, wohl aber zur einflußlosen Minderheit gestempelt. Das Syndikat ermöglichte, – da es nur auf Zeit geschlossen war – mit der Drohung des Austritts bei Ablauf der Zeitdauer, auf die es geschlossen war [sic!]. […] Bei der Zwangsorganisation dagegen kann die vergewaltigte Minderheit kaum hoffen, sich bei Neuwahlen durchzusetzen; die Mehrheit hat eben das Recht. Der wirtschaftliche Fortschritt wird stets nur von Einzelnen veranlaßt. Die Einführung der mechanischen Schuhfabrikation, der Flaschenglasblasemaschinen würde am Widerstand der Fachgenossen wie der Arbeiter gescheitert sein, wenn damals eine fachliche Zwangsorganisation bestanden hätte. Der technische - wirtschaftliche Fortschritt heißt Ausschaltung rückständiger Unternehmungen durch überlegenen Wettbewerb; heißt aber auch gleichzeitig Ersparnis an Arbeitskräften. Er findet daher stets bei den Fachgenossen des Unternehmers wie bei den Arbeitern heftigen Widerstand. Das gleiche gilt vom Handel, wo der, welcher neue, den bestehenden Wirtschaftsmethoden widersprechende Bahnen einschlug, stets den erbitterten Widerstand seiner Fachgenossen fand.

In der Landwirtschaft hat sich die Zwangswirtschaft als der ärgste Hemmschuh wirtschaftlicher Fortschritte erwiesen. Die alte Gemeinwirtschaft der Dorfgemeinde war allenfalls erträglich, solange die Dreifelderwirtschaft die allein brauchbare Wirtschaftsmethode war. Sie ermöglichte aber nur einer stets gleichbleibenden Menschenzahl die Nahrung. Auch in ihr ist der technische wie der wirtschaftliche Fortschritt das Werk des einzelnen Unternehmers gewesen, der die Forschungen der Wissenschaft in die Praxis umsetzte. […] Das freie Genossenschaftswesen dagegen hat sich in der Landwirtschaft glänzend bewährt; es zu fördern – aber jeden Zwang zu vermeiden, ist eine wichtige staatliche Aufgabe. Im Handwerk hat die freie Innung sich bewährt, nicht die Zwangsinnung. Diese hat sich nur da halten können, wo sie auf gemeinwirtschaftliche Aufgaben verzichtete. Die gemeinsame Beschaffung von Rohstoffen, Material, Werkzeugen, die gemeinsame Verwertung von Erzeugnissen war nur auf dem Wege freiwilligen Zusammenschlusses zu erreichen.

Unzweifelhaft war auf großen Gebieten des Wirtschaftslebens von einer freien Wirtschaft mit freiem Wettbewerb nicht mehr die Rede. Abgesehen von den Eisen- und Straßenbahnen, von der Versorgung mit Kanalisation, Wasser, Gas und Elektrizität, die gegebene Monopolbetriebe sind und daher öffentlich bewirtschaftet werden müssen, war auch auf dem Gebiete der mineralischen Brennstoffe, des Kalis, der Halbfabrikate des Eisens, des Branntweins, gewisser Erzeugnisse der Elektrotechnik wie der chemischen Industrie der freie Wettbewerb mehr oder minder ausgeschaltet; dazu traten mit mehr oder geringerer Dauer noch Kartelle und Syndikate auf dem Gebiet der Baumaterialien (Kalk,[299] Zement, Ziegelsteine), gewisser Textilwaren u[nd]a[nderes]m[ehr]; wo es sich dabei um stark zersplitterte Industrien handelte, beruhte deren Zusammenschluß fast stets auf Maßnahmen der Gesetzgebung; so bei der Branntweinerzeugung und dem Kalibergbau. Bei ersterer war es das steuerliche Interesse in idealer Konkurrenz mit dem Wunsch, den einflußreichen Kreisen der landwirtschaftlichen Brenner Zuwendungen auf Kosten des Reiches bzw. der Verbraucher zu machen. Schließlich hat man ein Monopol zustande gebracht, in dem landwirtschaftliche Brenner Spritfabriken und Händler auf Kosten der Verbraucher und damit indirekt auch auf Kosten der Reichsfinanzen befriedigt werden können. Das wesentliche des Monopols ist aber die Prämiierung der technischen Rückständigkeit. Künstlich werden die nicht leistungsfähigen Betriebe erhalten, der technische Fortschritt wird unter Steuerstrafe gestellt. Es ist ein Musterbeispiel der geregelten Planwirtschaft dafür, wie sich unter der „wirtschaftlichen Selbstverwaltung“ die Industrie gestaltet, wenn die Drohung der Auflösung des Kartells in Fortfall gekommen ist. Die Branntweinsteuergesetzgebung ist von dem Interessenten gemacht und mit Zustimmung der Destillateure, des Fachhandels und der Arbeiter. Die gesetzlich geregelte Planwirtschaft erstreckte sich auch auf den Kalibergbau. Die Mißwirtschaft des alten Kalikartells, des unter Mitwirkung verschiedener Bergfiski die Kalipreise auf ungesunder Höhe hielt, veranlaßte die Interessenten, als das Kalikartell zusammenbrach, zu dem Schrei nach gesetzlichen Kontingentierung und Festlegung der Preise. Das hat – da man die Inangriffnahme neuer Werke nicht unterband – zu einer ungeheuerlichen Überproduktion an Werken geführt. Die Produktionsfähigkeit jedes einzelnen kann nur in verschiedener völlig unrationellen Weise ausgenutzt werden. Man mußte notgedrungen die Inangriffnahme neuer Werke verbieten, auch wenn sich deren Produktionskosten niedriger als die alter Werke stellen; man muß die Stillegung vorhandener, die Konzentration des Betriebes auf weniger Werken fördern, weil man, nachdem das deutsche Kalimonopol verloren ist und der Auslandsabsatz unbedingt erhalten werden muß, die Produktionskosten herab[zu] setzen gezwungen ist.

Wo die geregelte Planwirtschaft durchgeführt wird, ist die Beschränkung der Zahl der Betriebe die unumgängliche Folge. Denn da die Rohstoffmenge ebenso wie der Absatz kontingentiert wird, geht der Kampf um die Quote los. Die war beim Kartell oder Syndikat das Mittel, um beim Ablauf des Vertrages durch die Drohung anderenfalls das Syndikat zu sprengen, sich durchzusetzen. In der Zwangsorganisation muß dieses Mittel versagen. Die Organisation bestimmt die Zahl ihrer Betriebe, ebenso wie deren Größe; sie bestimmt auch, ob ein Betrieb erweitert werden darf, denn gibt man ihm die Erlaubnis hierzu, so zieht er auf Kosten des anderen von der Rohstoffdecke mehr an sich; diese werden dem natürlich nicht zustimmen. Die Folge ist, daß der alte Zopfgeist mit seiner Rückständigkeit lebendig wird, daß anstelle fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung völlige Verknöcherung, wirtschaftliche Arteriosklerose eintreten muß.

Jedes Syndikat oder Kartell war während der Dauer seines Bestehens ein Schutz für die Schwachen, die technisch und wirtschaftlich Rückständigen; es hatte den Nachteil einer unproduktiven Verwendung von Kapital zu an sich nicht[300] notwendigen Erweiterungsanlagen, und es hemmte die zweckmäßige Verteilung der Produktion.

Weit überlegen ist ihm der Trust: die Zusammenfassung der Betriebe zu einem einzigen wirtschaftlichen Unternehmen. Er schaltet diejenigen Betriebsstätten aus, die technisch und wirtschaftlich rückständig sind oder wegen ungünstiger Frachtlage oder aus anderen Gründen nicht rentabel arbeiten. Er konzentriert die Produktion gewisser Artikel an bestimmte Betriebsstätten, entlastet diese, damit von der Erzeugung der für sie weniger günstig zu produzierenden Waren; er steigert die technische Leistungsfähigkeit und verbilligt die Produktionskosten durch einheitliche Massenfabrikation. Auch unter dem Syndikatsystem konnten sich durch private Abmachungen Konzerne bilden, die unter sich die Herstellung gewisser Fabrikate auf einzelne Werke verteilte. So verständigten sich z. B. mehrere Röhrenschweißwerke dahin, das jedes von ihnen nur bestimmte Nummern walzte oder zog, die das andere nicht herstellen durfte. Ebenso war es bei Blechen etc.

Diesen Weg weiter zu beschreiten ist, nachdem Deutschland so kapitalarm geworden, eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Aber man darf sich keinen Illusionen darüber hingeben, daß es nur bei wenigen Industriezweigen gangbar ist, in denen die Betriebskonzentration weit fortgeschritten ist.

Hier wird man im steuerlichen Interesse unter Umständen sogar zu einem Zwangstrust schreiten müssen, wobei das Reich durch Gratisaktien am Erträgnis beteiligt werden kann. Der Trust in Aktienform hat das Interesse an der höchsten technischen und wirtschaftlichen Entfaltung, an der größten Rentabilität.

Wenn sich in den dafür geeigneten Wirtschaftszweigen die Trustform durch freiwilligen Zusammenschluß der Beteiligten erreichen läßt, so ist das dem staatlichen Zwang entschieden vorzuziehen. Das Reich müßte viel zu viel Rücksichten sentimentaler Art nehmen, die das Unternehmen von vornherein zu schwer belasten würden.

Auch bei der geregelten Planwirtschaft würde, wie beim Kalisyndikat, eine Übertragung der Beteiligungsziffer kleinerer unrentabler Betriebe an größerer rentabler stattfinden; aber das – so unumgänglich notwendig es wäre – würde eine unnötige Belastung der lebensfähigen Werke darstellen, die wir bei der ungemein erschwerten Wettbewerbsmöglichkeit auf den Auslandsmärkten nicht ertragen könnten. Die Inhaber der stillgelegten Betriebe würden ein reines Rentnerdasein führen; an anderen Betrieben könnten sie sich weder mit Kapital noch mit ihrer Arbeitskraft beteiligen, da dem in der geregelten Planwirtschaft überall der numerus clausus gegenüberstehen würde.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß in jeder wirtschaftlichen Zwangsorganisation Arbeitnehmer und Unternehmer sich über die Ausbeutung der letzten Verbraucher verständigen. Das war bei den verschiedenen Akten der Kaligesetzgebung, das war beim Branntwein-Monopol der Fall. Letzten Endes sind aber, wenn jede Ge- und Verbrauchsware künstlich versteuert wird, die breiten Massen der Verbraucher in erster Linie, also die Arbeiter, die Geschädigten.

Für den Inlandsabsatz läßt sich die gebundene Planwirtschaft zur Not durchführen, wenn man den ausländischen Wettbewerb durch Einfuhrverbote[301] oder hohe Zölle ausschließt. Wir brauchen aber den Auslandsmarkt für die unerläßliche Einfuhr von Nahrungs- und Genußmitteln, von Rohstoffen und Halbfabrikaten, für den Absatz unserer Arbeits-Erzeugnisse und für Bezahlung der gewaltigen Entschädigung, die uns im Friedensvertrag auferlegt wird.

Die autarkische Wirtschaft ist für jedes einigermaßen kulturelle Volk die Utopie, am meisten für das deutsche. Wir haben das allergrößte Interesse, unsere frühere Stellung im Außenhandel wieder zu beginnen. Der Weg dazu wird aber durch die geregelte Planwirtschaft versperrt. Schon der Einkauf der Rohstoffe und Halbfabrikate durch bürokratische Zwangsorganisationen – und das sind die Wirtschaftsbünde und Wirtschaftsverbände; auch wenn sie als Selbstverwaltungskörper aufgezogen werden, – erweist sich als untunlich. In großen Selbstverwaltungskörpern – man sehe Provinzialverwaltungen oder die Stadtgemeinde Berlin an – kann die Verwaltung nur bürokratisch sein. Ganz folgerichtig ist sie dann auch in der Denkschrift des Reichswirtschaftsministers als eine solche gedacht. Unternehmer und Arbeiter treten nur einmal im Jahre, und zwar nur als Wähler, in Funktion. Daß die Wahlen gerade auf die wirtschaftlich Tüchtigsten fallen, ist schwer anzunehmen; jedenfalls fehlt die Gewähr dafür. […] Gerade im Import von Rohstoffen ist die Einzelpersönlichkeit das Gegebene; nicht einmal die Form der Aktiengesellschaft hat sich dafür bewährt. Kaum eine befaßt sich damit. Und da glaubt man, daß die geregelte Planwirtschaft auf diesem Gebiet sich mit Erfolg betätigen könnte.

Wenn die ganze Weltwirtschaft planmäßig geregelt wäre, so könnte der Rohstoffbezug allenfalls von Organisation zu Organisation erfolgen. Der Versuch, mit der Ukrainerepublik von organisationswegen den Warenaustausch zu regeln, ist kläglich gescheitert, selbst als dort die Macht völlig in unseren Händen lag. Und da im übrigen die Welt – mit Ausnahme vielleicht von Rußland und Ungarn, die sich damit selbst vom Weltverkehr ausschalten würden – privatwirtschaftlich organisiert ist, muß der Versuch Deutschlands, allein die Gemeinwirtschaft einzuführen, mit Naturnotwendigkeit scheitern.

Von dem billigen Bezug ihrer Rohstoffe und Halbfabrikate ist die deutsche Industrie zum guten Teil in ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf ausländischen Absatzmärkten abhängig. Produkte, deren Preisgestaltung von der Witterung – Ausfall der Ernte, der Schur, der Futterernte – abhängig ist, unterliegen den größten Konjunkturschwankungen. Hat die deutsche Textilindustrie Baumwolle oder Wolle zu einer Zeit eingekauft, wo der Preis ungewöhnlich hoch stand, so vermag sie mit ihrer Fertigware nicht zu konkurrieren, wenn der Preis auf die Hälfte fällt. Ähnlich liegt es mit Gummi, aber auch mit Kupfer und anderen Erzeugnissen. Soll nun ein Gremium von Nichtsachverständigen, – denn die Arbeitervertreter, aber auch die meisten kleineren Weiterverarbeiter sind in diesen Dingen nicht sachverständig – darüber entscheiden, wann, wieviel und zu welchen Preisen eingekauft werden soll? […]

Es ist meist weit leichter zu produzieren, als eine Ware abzusetzen. In der Zeit einer Hochkonjunktur, wo dem Produzenten die Ware aus der Hand gerissen wird, kann freilich auch der Dümmste ein Geschäft machen. Aber auf aufsteigende folgen erfahrungsgemäß stets absteigende Konjunkturen, und meist dauern sie länger als erstere. Nach der erstmaligen Deckung des durch den[302] Krieg unerfüllt gebliebenen Bedarfes wird eine lange Periode geschäftlichen Darniederliegens folgen. Schon jetzt befinden wir uns in einer sinkenden Preisbewegung, die im Interesse einer Hebung des Verbrauchs zwar erwünscht ist, aber den Absatz im Auslande wesentlich erschweren muß.

Die Ausfuhr soll von den Wirtschaftsbünden und Fachverbänden geregelt, d. h. nach Menge und Preis festgestellt und auf die einzelnen Betriebe verteilt werden. Das sind unlösliche Aufgaben, denn die Ausfuhr muß sich dem Auslandsbedarf anpassen, muß Neues hervorrufen und sich nach den Preisen der Konkurrenz richten. Das läßt sich nicht vom Verbandstisch dekretieren. […]

Es ist der große Irrtum vieler Industrieller, den kaufmännischen Ausfuhrhandelsvermittler entbehren, ihn ausschalten, die Ausfuhr selbst in die Hand nehmen zu können. Die meisten, die das versucht haben – und natürlich können es nur die größten, haben dabei üble Erfahrungen machen müssen. Einmal kennen sie die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Kundschaft nicht, sodann nicht ihre Kreditwürdigkeit. Und über die letztere ist im Ausland noch viel schwerer zuverlässige Nachricht zu erlangen als im Inland. Sodann aber kann man sich mit der Ausfuhr nicht zweckmäßig auf ein Land beschränken, sondern muß eine ganze Anzahl derselben bearbeiten. Eine einzige Zollmaßnahme kann die Ausfuhr eines Artikels nach einem Land völlig unterbinden, nicht minder der plötzliche Wechsel der Mode; was aber in dem einen Land nicht mehr modern ist, ist es noch in einem anderen. All dem kann die vielseitige Organisation des großen Importhauses Rechnung tragen, meist aber nicht die einseitige auch des großen Fabrikanten. Völlig unfähig dafür erweist sich aber die schematisch bürokratische Praxis der Fachverbände, Wirtschaftsverbände oder der von ihnen abhängigen Außenhandelsstellen. Ein Blick in deren umfangreiche Verkaufsbedingungen genügt, um sich von der Unmöglichkeit zu überzeugen, auf diese Weise dem deutschen Wirtschaftsleben die Ausfuhrmöglichkeit wieder zu gewinnen, die es braucht, um seinen Bedarf an Lebens- und Futtermitteln, an Rohstoffen und Halbfabrikaten für seine Industrie zu begleichen und den im Friedensvertrag übernommenen Verpflichtungen nachzukommen.

Der gewaltige wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands, sein ständig wachsender Außenhandel vor dem Kriege beruhte nicht minder auf der hervorragenden Tüchtigkeit seines Exporthandels, wie auf der hohen technisch-wissenschaftlichen Durchdringung seiner Industrie und auf den Leistungen seiner Arbeiterschaft.

Fünf Jahre war der Exporthandel ausgeschaltet, teils durch den Krieg, teils durch die keineswegs immer glückliche Tätigkeit der Zwangswirtschaft!

Wenn in der bald 5-jährigen Kriegswirtschaft das deutsche Wirtschaftsleben zusammengebrochen ist, so ist damit noch nicht die Notwendigkeit gegeben, den Außenhandel, die freie wirtschaftliche Betätigung, die uns auf eine so hohe Stufe gebracht und damit auch die soziale Hebung der Arbeiterklasse ermöglicht hatte, endgültig zu beseitigen und die Bahn des gefährlichen Experiments einer Zwangswirtschaft zu betreten. Man kann an den Segen einer solchen glauben. „Der Glaube ist gewisse Zuversicht des, was man hofft, und nicht zweifelt an dem, was man nicht sieht.“ Aber alle Erfahrung, alle nüchterne Betrachtung spricht gegen den Erfolg eines solchen Experimentes. […]

[303] Die naturnotwendige Ergänzung jeder Zwangswirtschaft ist der Schleichhandel. Er ist der Ruin aller kaufmännischen und aller sonstigen Moral. Der Schieber, der mit einem weiten Gewissen begabt ist, macht das Geschäft, der anständige Kaufmann, der einen Ruf zu wahren hat, wird ausgeschaltet. Das Schiebertum arbeitet mit Bestechung, degradiert das Beamtentum. Auch letzteres hat durch die Zwangswirtschaft des Krieges moralisch schwer gelitten. Der freie Wettbewerb raubt dem Schiebertum den Nährboden, läßt keinen Anlaß mehr zur Bestechung.

Im Interesse der Wiedergewinnung der Sittlichkeit ist daher der möglichst rasche Abbau der Zwangswirtschaft geboten. Die geregelte Planwirtschaft heißt aber deren Verewigung nur in kapitalistisch-zünftleristischer Form.

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