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Nr. 36
Auswärtiges Amt an die Reichskanzlei. 4. April 1919
R 43 I/1863, S. 163 f.1
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Das Brieftelegramm des AA ging am 5.4.1919 in der Rkei ein und wurde am 7.4.1919 von Scheidemann abgezeichnet.
[Betrifft: Konferenz der süddeutschen Regierungsvertreter]
Im Anschluß an Schreiben 10093 vom 1. 4.2: Geschäftsträger Darmstadt3 telegrafiert unter dem 3. d. M.: Demokratischer Finanzminister Henrich besuchte Stuttgarter Konferenz4, die gegen Abänderungen Verfassungsentwurfs in unitarischem Sinne durch Verfassungsausschuß Stellung nahm5. Es soll betreffend[139] Eisenbahn kein Beschluß gefaßt worden sein, weil Bayern Widerstand gegen Übernahme im Gegensatz zu anderen Staaten aufrechterhalten6. Henrich hat Eindruck, daß von Frauendorfer diese Stellung wegen Wirkung auf Bevölkerung Bayerns eingenommen wird, wenn überstimmt wird, er sich jedoch damit abfindet. Lösung Ministerpräsident Ulrich7 sieht in Zugeständnis, Reichsbeamtenposten durch jeweilige Landesangehörige, insbesondere solche zu besetzen, die Verkehr mit Publikum dienen; auch müßte weiterhin Bahnlokalverkehr Staat belassen werden. Betreffs neuer Regelung Grenzen der Gliedstaaten soll Einstimmigkeit bestehen, daß dies der Zustimmung der beteiligten Bundesstaaten bedürfe8. Ferner wurde gegen zu weitgehende Befugnisse Reichs in Zoll- und Steuerfragen Stellung genommen9. Badischer Einspruch gegen Absicht, Besteuerung des Einkommens über hunderttausend Mark an Reich zu überlassen, soll noch nicht erledigt sein. Es heißt, daß betreffs Aufsicht Reichseinkommen-Ausführungs-Reichsgesetz in Gliedstaaten gegen Verschärfung derselben durch Verfassungsausschuß gestimmt worden ist10. Desgleichen gegen[140] durch Artikel 9 c erleichterte Abänderung Zuständigkeiten des Reichs11. Desgleichen gegen durch Verfassungsausschuß erhöhte Stimmenzahl Preußens im Reichsrat12. Den anderen Bundesstaaten solle baldigst Beschluß Konferenz zugestellt werden. Aufforderung war beabsichtigt, sich gemeinsamem Protest bei Reichsregierung anzuschließen. Die Stimmung der Konferenz, insbesondere Bayerns, richtet sich gegen Vorherrschaft Preußens, die mit derjenigen Reichs gewissermaßen identifiziert wird. Auch von Hoffmanns Vertreter wurde partikularistischer und antipreußischer Standpunkt vertreten; ob aus Überzeugung Henrich bezweifelt, glaubt vielmehr an innerpolitischen Beweggrund. Obwohl persönlich kein Gegner Vereinheitlichungsbestrebung ist, findet Ulrich in jetzigem Zeitpunkt Durchführung Einheitsprogramms durch Nationalversammlung bedenklich. Gegenüber Radikalen sei ohnehin schwache Stellungnahme bayerischer Regierung nur haltbar, wenn sie partikularistisch auftritt. Majorisierung durch Nationalversammlung reize zu schärferem Widerstand. Er (Ulrich) schließe sich deshalb Protest süddeutscher Staaten an, da er meint, daß weitergehende Vereinheitlichung späterer Zeit vorbehalten bleiben müsse13.
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Am 1.4.1919 übersandte das AA der Rkei ein Telegramm des pr. Geschäftsträgers in Stuttgart vom 31.3.1919, das lautete: „Konferenz der süddeutschen Regierungen fand hier gestern und vorgestern statt, worüber ich folgendes vertraulich erfahre:
Bayerns Ansicht betreffs Reichseisenbahn und Biersteuer drang nicht durch. Unitarische Tendenzen Weimars, besonders Verfassungsausschuß, durch welchen Bewegungsfreiheit der Gliedstaaten über Gebühr beeinträchtigt wird (z. B. § 9 c), fanden im übrigen übereinstimmende Ablehnung. Im einzelnen formulierte Beanstandungen sollen der RReg. vorgelegt werden. Auch Beteiligung norddeutscher Regierungen an gemeinsamer Aktion wird eventuell versucht werden, um die erhoffte Wirkung auf NatVers zu verstärken. An Konferenz nahmen außer sämtlichen Ministern Württembergs teil: von Bayern: Hoffmann, Neumaier, Frauendorfer; Hessen: Henrich; Baden: Geiß, Rückert.“ (R 43 I/1863, S. 157 f.). Zum erwähnten Art. 9 c s. Anm. 11.
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LegR Dr. Rieth.
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Die Konferenz fand am 29.3.1919 im FMin. in Stuttgart statt; ein 28 Seiten umfassendes Wortprotokoll in: GehStA München, MA 103 245.
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Die Abänderungen des RegEntw. der RV nach der ersten Lesung im Verfassungsausschuß in: R 43 I/1863, S. 433-457.
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Zur Haltung der süddt. Staaten, insbesondere Bayerns, in der Frage der Übertragung der Eisenbahnen auf das Reich s. Dok. Nr. 17, Anm. 4.
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Der Anwesenheitsliste des Protokolls der Stuttgarter Konferenz (s. Anm. 3) zufolge war der hess. MinPräs. Ulrich an der Konferenz nicht beteiligt.
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Den Beschlüssen des Verfassungsausschusses nach der ersten Lesung des Verfassungsentw. zufolge sollte Art. 15 Abs. 1 lauten: „Die Neubildung von Ländern oder Änderung ihres Gebiets durch Vereinigung oder Abtrennung von Gebieten kann durch Reichsgesetz erfolgen, wenn sie durch den Willen der Bevölkerung gefordert wird oder ein überwiegendes Allgemeininteresse sie erheischt.“ (R 43 I/1863, S. 433-457, hier: S. 437). Die Zustimmung der Bundesstaaten war in dieser Fassung nicht vorgesehen; im endgültigen Verfassungsentw. des Verfassungsausschusses, der der NatVers am 18.6.1919 zugeleitet wurde, heißt es demgegenüber in Art. 18 Abs. 2: „Die Neubildung von Ländern oder die Änderung ihres Gebiets durch Vereinigung oder Abtrennung von Gebieten setzt die Zustimmung der daran unmittelbar beteiligten Länder voraus und bedarf der Bestätigung durch Reichsgesetz. Stimmen die beteiligten Länder nicht zu, so kann eine solche Neubildung oder Gebietsänderung nur durch ein verfassungsänderndes Reichsgesetz erfolgen, wenn sie durch den Willen der Bevölkerung gefordert wird oder ein überwiegendes Allgemeininteresse sie erheischt.“ (NatVers-Drucks. Bd. 336, Nr. 391, S. 3). Dem entspricht im wesentlichen Art. 18 WRV.
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Art. 7 des Verfassungsentw. nach den Beschlüssen des Verfassungsausschusses nach der 1. Lesung lautete: „Die Gesetzgebung über das Zollwesen sowie über alle Angelegenheiten, die die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die Freizügigkeit des Warenverkehrs berühren, ist ausschließlich Sache des Reichs.
Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden, sowie über die Aufstellung von Grundsätzen für die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben. Die Zölle und Verbrauchssteuern werden durch Reichsbehörden erhoben und verwaltet, die übrigen Reichsabgaben durch die Länder. Durch die Reichsgesetzgebung kann die Erhebung und Verwaltung von Reichsabgaben Reichsbehörden übertragen werden.
Die Erhebung und Verwaltung von Reichsabgaben sowie von Landesabgaben kann auf Antrag eines Landes Reichsbehörden übertragen werden.“ (R 43 I/1863, S. 433-457, hier: S. 434 f.). Die endgültige Regelung s. Art. 6 Abs. 6, Art. 8. WRV.
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Laut Badische Landeszeitung, Nr. 162 vom 6.4.1919 erklärten die Teilnehmer der Stuttgarter Konferenz u. a.: „Die Verfügung über eigene Einnahmequellen bildet die Voraussetzung für das wirtschaftliche und kulturelle Fortbestehen der Einzelstaaten. Die Einkommenssteuer muß daher den Einzelstaaten verbleiben, wobei jedoch das Recht des Reichs, Zuschläge bei den Einkommen über 100 000 Mark zu erheben, vorbehalten wird. Ferner muß an allen übrigen Reichssteuern den Einzelstaaten ein angemessener Anteil gesichert werden. Die unterzeichneten Regierungen halten die unverzügliche Aufstellung eines Gesamtprogramms über die Möglichkeit der Deckung des künftigen Bedarfs der öffentlichen Verbände – des Reichs, der Einzelstaaten und der Kommunalverbände –, die Einleitung von Verhandlungen hierüber und die Abstandnahme des Reichs von weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem Gebiet der direkten Steuern bis zum Abschluß dieser Verhandlungen für geboten.“ (Abschrift in R 43 I/1863, S. 165-167b). Die Frage der Abgrenzung der Steuerzuständigkeiten zwischen Reich und Ländern wurde im Verfassungsausschuß während dessen 13. Sitzung am 24.3.1919 debattiert; dabei vertrat der Vertreter des RFMin., Geheimrat Dr. Carl, die Auffassung, das RFMin. sei gegenwärtig nicht in der Lage, einen Gesamtplan für die Aufteilung der Steuern zwischen den öffentlichen Verbänden aufzustellen; das Reich wolle zwar die höheren Einkommen besteuern, aber nur dergestalt, daß Zuschüsse zu den Einkommenssteuern der Einzelstaaten auf höhere Einkommen erhoben werden sollten. Aus finanziellen wie aus politischen Gründen müsse sich das Reich jedoch das Recht vorbehalten, grundsätzlich jeden Weg der Einnahmeerschließung beschreiten zu können (NatVers-Drucks. Bd. 336, Nr. 391, S. 128).
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Der vom Verfassungsausschuß nach 1. Lesung in den Verfassungsentw. eingefügte Art. 9 c bezog sich auf die in den Art. 9, 9 a und 9 b festgelegten Gesetzgebungskompetenzen des Reichs und erklärte, diese Vorschriften könnten „abgeändert werden, ohne daß es dazu der Beobachtung der sonst für Änderungen der Verfassung geltenden Vorschriften bedarf.
Solange und insoweit das Reich von dem ihm nach Art. 9 bis 9 b zustehenden Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung auf diesen Gebieten […]“ (In: R 43 I/1863, S. 433-457, hier: S. 436). Ein entsprechender Art. war im ursprünglichen RegEntw. nicht vorgesehen; in Art. 12 WRV war Abs. 1 des oben zitierten Art. 9 c nicht mehr enthalten.
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In Art. 19 Abs. 1 des Verfassungsentw. der RReg. vom 21.2.1919 hatte es geheißen: „[…] Kein Gliedstaat darf mehr als ein Drittel aller Stimmen führen. Sofern jedoch hierdurch die Stimmenzahl Preußens unter 18 sinkt, ist das Stimmenverhältnis im RR im Wege der Verfassungsänderung neu zu regeln […]“ (Nat-Vers-Drucks. Bd. 335/I, Nr. 59, S. 5). Nach den Beschlüssen des Verfassungsausschusses nach der 1. Lesung des Verfassungsentw. sollte der entsprechende Passus lauten: „[…] Kein Land darf mehr als zwei Fünftel aller Stimmen führen. Sofern jedoch hierdurch die Stimmenzahl Preußens unter 24 sinkt, ist das Stimmenverhältnis im RR im Wege der Verfassungsänderung neu zu regeln. […]“ (R 43 I/1863, S. 433-457, hier: S. 438 f.). In Art. 61 WRV ist keine feste Zahl der pr. Mitglieder des RR genannt; Abs. 1 Satz 4 schränkte die Stimmenzahl Preußens indirekt auf 22 ein.
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In einer Resolution der auf der Stuttgarter Konferenz vertretenen Länderregierungen (s. Anm. 10) hieß es: „Die am 29. März in Stuttgart versammelten Vertreter der Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen haben sich mit den Beschlüssen der verfassungsgebenden dt. NatVers über das Verhältnis des Reichs zu den Gliedstaaten befaßt. Sie sehen in diesen Beschlüssen, soweit sie von der Regierungsvorlage abweichen, eine Übertreibung des Einheitsgedankens und eine ernste Gefahr für die Erhaltung des eigenen Lebens der Gliedstaaten. Die Beschlüsse sind in der Notwendigkeit, eine starke Reichsgewalt zu schaffen, in keiner Weise begründet, sie sind vielmehr geeignet, dieselbe zu untergraben, da sie die Kraft der Gliedstaaten, aus denen das Reich besteht, schwächen und ihre freudige Mitarbeit am Wiederaufbau des Reiches lähmen.“ Abgelehnt wurden insbesondere: 1. Die Erweiterung der Zuständigkeiten des Reichs durch einfaches Reichsgesetz; 2. die übermäßige Ausdehnung der Reichsaufsicht; 3. der vorgesehene Modus in der Stellenbesetzung der unmittelbaren Reichsverwaltung, der die Interessen der Länderbeamten nicht berücksichtige; 4. die Verstärkung des pr. Übergewichts im RR; 5. die vorgesehene Verteilung des Steueraufkommens; 6. die Erhebung der Zölle und Verbrauchssteuern durch das Reich; 7. die Reichsaufsicht über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landes- und Kommunalsteuern; 8. das Recht des Reichs, Gebietsänderungen durch einfaches Reichsgesetz zu beschließen. (R 43 I/1863, S. 421-425). Am 2.4.1919 telegrafierte der pr. Geschäftsträger in Dresden an das AA: „[…] Die Sächsische Regierung ist der Meinung, daß der in Weimar vertretene Unitarismus nicht überspannt werden darf und billigt insofern die in Stuttgart hervorgehobenen Beanstandungen. Im übrigen hält die Sächsische Regierung nach wie vor an ihrer Reichsfreundlichkeit fest.“ (R 43 I/1863, S. 161).
Stempel: Auswärtiges Amt