2.110 (str1p): Nr. 110 Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 4. Oktober 1923

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 110
Der Reichsfinanzminister an den Reichskanzler. 4. Oktober 1923

R 43 I /39 , Bl. 370–372

[Betrifft: Nachprüfung der deutschen Leistungsfähigkeit aufgrund Art. 234 VV.]

Die Einstellung des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet macht eine schnelle Entscheidung der Reichsregierung über die künftige Behandlung der Reparationsleistungen, insbesondere der Sachlieferungen, notwendig. Die Sachlieferungen wiederaufzunehmen ist aus dem Grunde unmöglich, weil ihre Finanzierung ausgeschlossen ist. Die Bezahlung der Sachlieferungen in Papiermark würde in kürzester Frist zur völligen Repudiation der Papiermark führen. Ihre Bezahlung in Neumark hätte zur Voraussetzung, daß dem Reich genügend große Kredite in Neumark zur Verfügung stehen, was nicht der Fall ist. Unter diesen Umständen ist es unvermeidlich, mit einer offenen Erklärung über die Unmöglichkeit, bis auf weiteres Reparationsleistungen zu übernehmen, an die Reparationskommission heranzutreten und sie auf Grund des Art. 234 des Vertrages von Versailles1 um die Nachprüfung der deutschen Leistungsfähigkeit zu bitten. Auf diese Weise würde die notwendige schleunige Wiederaufnahme der Reparationsverhandlungen sich von selbst ergeben. Ich halte es für unvermeidlich, daß Deutschland in dieser Beziehung den ersten Schritt tut. Da es sich um die Reparationsfrage als solche handelt, so kommt nur eine Verhandlung mit der Reparationskommission als dem hierfür zuständigen Organ in Betracht. Es liegt zudem im deutschen Interesse, über diese Angelegenheit mit der Gesamtheit der Alliierten und nicht mit einer einzelnen alliierten Macht zu verhandeln. Den natürlichen Anknüpfungspunkt für diese Verhandlungen bildet die Note der Reichsregierung vom 14.11.1922, mit der die Reparationskommission um die Gewährung eines Moratoriums ersucht wurde2. Auf diese Note ist eine sachliche Entscheidung bisher nicht ergangen. Daher würde der Antrag auf Gewährung eines Moratoriums nunmehr zu erneuern und zu erweitern sein. Behandelt die Reparationskommission den Antrag abermals dilatorisch oder weicht sie einer klaren Entscheidung aus, so fällt das Odium für die daraus[473] sich ergebenden Folgen jedenfalls nicht auf die deutsche Regierung. Den Entwurf einer Note an die Reparationskommission füge ich in der Anlage bei.

1

Überprüfung der deutschen Hilfsmittel und Leistungsfähigkeit durch den Wiedergutmachungsausschuß, der dazu auch deutsche Vertreter anhören kann.

2

S. dazu Schultheß 1922, S. 497 f., Ursachen und Folgen IV, Dok. Nr. 989; in RT-Drucks. Nr. 6138 .

Ich halte eine schleunige Beschlußfassung des Reichskabinetts über die Angelegenheit für geboten3.

3

S. Dok. Nr. 136, P. 9.

gez. Hilferding.

Extras (Fußzeile):