Text
[486] Nr. 114
Reichsminister Fuchs an Reichskanzler Stresemann, 5. Oktober 1923
[Betrifft: Rücktrittserklärung.]
Hochzuverehrender Herr Reichskanzler!
In den Morgenzeitungen lese ich, daß ich mein Amt als Minister für die besetzten Gebiete beibehalten solle. Ich weiß nicht, inwieweit diese Nachrichten in Ihren Absichten eine Grundlage haben. Um jedes Mißverständnis auszuschließen und Verzögerungen in der Kabinettsbildung zu verhindern, bitte ich geneigtest davon Kenntnis zu nehmen, daß ein Wiedereintritt in das neue Kabinett weder meiner Auffassung noch auch meinen Wünschen entspricht, wie ich dies auch bereits im Laufe des gestrigen Tages dem Vorsitzenden der Zentrumsfraktion, Herrn Senatspräsidenten Dr. Marx, mitgeteilt habe1.
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Einzelheiten über diese Unterredung wurden nicht ermittelt.
Die Bildung des Ministeriums für die besetzten Gebiete war eine Verlegenheitsgründung, vielleicht eine glückliche2. Bei der Aufgabe des passiven Widerstandes war eine starke Zusammenfassung der auseinanderstrebenden Kräfte erforderlich. Daß der Abbau des passiven Widerstandes ohne allzu große Weiterungen erfolgen konnte, ist außer Ihren unbestreitbaren Verdiensten vielleicht auch dem Umstande zu verdanken, daß an der Spitze des Rheinministeriums jemand stand, der das Vertrauen des besetzten Gebietes genoß. Bei der augenblicklichen Lage der Dinge und bei der mit ziemlicher Sicherheit zu erwartenden Entwickelung im besetzten Gebiet und außerhalb desselben ist meines Erachtens für ein Ministerium für die besetzten Gebiete kein Raum mehr. Das Ministerium ist damals nach außen hin in die Erscheinung getreten mit dem Ziele, dem Rheinlande zu zeigen, daß seine Belange in dem Kabinett eine besonders pflegliche Behandlung finden sollten. Die Durchführung eines derartigen Zieles wird von jetzt ab scheitern an Unmöglichkeiten, die ich hier nicht weiter zu erörtern brauche3. Mit scheint, daß die Finanzlage des Reichs[487] nicht gestatten wird, auch nur annähernd die berechtigten Wünsche der besetzten Gebiete zu erfüllen4. Ein Ministerium aber, dem die Sorge für einen bestimmten Landesteil anvertraut ist, kann unmöglich seine Tätigkeit mit Erfolg ausüben, wenn es lediglich als Puffer gelten muß zwischen der Auswirkung der Notlage des Reichs und den berechtigten Ansprüchen eines unglücklichen Landesteils. Das ganze Odium über unerfüllbare Forderungen, deren innere Berechtigung nicht weggeleugnet5 werden kann, würde sich in kürzester Zeit über dem Ministerium für die besetzten Gebiete zusammenziehen, was für das Ministerium und seinen Leiter einfach unerträglich wäre. Ich halte es deshalb für richtiger, wenn dieses Odium sich auf die ganzen Ministerien verteilt, die an der Bearbeitung der Angelegenheiten der besetzten Gebiete beteiligt sind.
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In einer autobiographischen Skizze schreibt Fuchs hierzu: „Im August 1923 wurde ich nach Berlin berufen, um dort den Posten des Reichsministers des Innern zu übernehmen. Als ich dort ankam erfuhr ich, daß man sich inzwischen anders entschlossen hatte und daß ich Reichsminister für die besetzten Gebiete werden, dabei aber meinen Posten als Oberpräsident der Rheinprovinz beibehalten sollte. Ich war zunächst mit dieser Wendung der Dinge nicht einverstanden. Meine Einwendungen wurden aber von dem damaligen Reichspräsidenten Ebert in liebenswürdiger Weise damit erledigt, daß er mir erklärte, er habe meine Ernennung zum Reichsminister für die besetzten Gebiete schon unterschrieben. So blieb ich in den beiden Kabinetten Stresemann Reichsminister“ (LHArch. Koblenz: NL Fuchs 208). In seinen Erinnerungen an das Jahr 1923 hat der spätere RK Marx festgehalten, Fuchs habe sich gesträubt, das Ministerium für die besetzten Gebiete zu übernehmen, aber diese Ernennung habe sich günstig ausgewirkt (H. Stehkämper, Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx I, S. 286, 301, 305).
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Möglicherweise spielt hier eine Rolle, daß Fuchs von den Franzosen als Verhandlungspartner abgelehnt wurde (s. Anm. 8 zu Dok. Nr. 83). Hierzu hat der oldenburg. RegPräs. von Birkenfeld Dörr dem DDP-Politiker Erkelenz am 9.10.23 geschrieben: „Ungeschickt war es, den Rhein-Minister Fuchs mit den zur Liquidierung des passiven Widerstandes unumgänglichen Verhandlungen zu betrauen. Die Rheinland-Kommission wird es als eine Provokation empfinden, wenn man ihr zumutet, mit einem Beamten zu verhandeln, den sie vor kurzem ausgewiesen hat. Für solche Dinge sind Persönlichkeiten nötig, die nicht vorbelastet sind“ (BA: NL Erkelenz 28).
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S. hierzu Dok. Nr. 107.
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Durchgestrichen: „recht“. Ein darübergeschriebenes Wort wurde nicht entziffert.
Für eine Abwickelung der Geschäfte käme meines Erachtens die Rhein-Ruhr-Zentrale6 in Betracht, für deren Leitung ich natürlich nicht in Frage kommen kann.
Wenn ich zum Schlusse mir noch eine persönliche Bemerkung gestatten darf, so bitte ich gütigst davon Kenntnis zu nehmen, daß mir die Tätigkeit als Minister gar nicht liegt und daß ich für eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Parlament wohl niemals das erforderliche Verständnis aufbringen werde. Gleichzeitig bitte ich, Ihnen, hochzuverehrender Herr Reichskanzler, sagen zu dürfen, daß ich mit Ihnen gern zusammen gearbeitet und daß ich für Ihre Person eine unbegrenzte Hochachtung habe7.
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Eine Reaktion des RK auf dieses Schreiben konnte nicht ermittelt werden, ebensowenig das Vorgehen, um die Bedenken und Einwendungen Fuchs’ zu überwinden, der sein Amt bis zur Demission des Kabinetts im November innehatte.
Mit dem Ausdruck besonderer Verehrung verbleibe ich, Herr Reichskanzler,
Ihr sehr ergebener
Fuchs