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Nr. 13
Kabinettsrat vom 20. August 1923, 19 Uhr
Anwesend: [Ebert]; Stresemann, Schmidt, Sollmann, Hilferding, von Raumer, Brauns, Radbruch, Geßler, Oeser, Luther, Fuchs; StS von Rheinbaben, von Maltzan, Fischer, Weismann, Teucke, Trendelenburg; MinDir. Meissner, Heilbron, Sitzler; GehR Ritter, von Stohrer, Kempner; Protokoll: RegR von Stockhausen1.
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Der Protokollführer notierte in seinem Tagebuch unter dem 22. [!] 8. für die Kabinettsberatung den folgenden Kommentar: „Kabinettsrat unter Vorsitz des Reichspräsidenten. – Zunächst schmetternde Fanfaren in der Presse (eine neue Erscheinung gegenüber dem Kabinett Cuno). – Heute abend 7 Uhr ist das gesamte Reichsministerium unter dem Vorsitz des Herrn Reichspräsidenten zu einer Sitzung zusammenberufen. Der Sitzung ist große Bedeutung beizumessen. Die Regierung wird ihr finanz- und wirtschaftspolitisches Programm aufstellen, durch dessen Durchführung der immer mehr drohende Wirtschaftsverfall verhindert werden soll. Man erwartet eine Reihe von Maßnahmen, die für das Gesamtleben des Volkes entscheidend sein werden. Im Vordergrund der Beratungen werden sowohl die Frage der Umgestaltung der Steuergesetzgebung als auch die währungstechnischen Fragen stehen. – So schallt es wieder aus dem Blätterwald. – Die Sitzung wird Punkt 7 Uhr abend durch den Herrn Reichspräsidenten eröffnet. Preisend mit viel schönen Reden werden die gegenwärtigen trostlosen wirtsch. Zustände von allen Seiten eingehend beleuchtet. – Mit Recht bemerkt Geheimrat Kempner: ‚Alles Diagnose, nichts von Therapie!‘ – Diese Erkenntnis geht auch dem Herrn Reichspräsidenten auf. Er bittet die Herren Minister dringend, sich nur auf die Frage der Devisenbeschaffung zur Besserung des gegenwärtigen Markkurses zu beschränken. – Vizekanzler Schmidt, jener Bobby Schmidt, den ich schon als Wirtschaftsminister im Kabinett Wirth erlebte, hält eine sehr lange, sehr treue und gut gemeinte Rede. – Herr v. Raumer, der Reichswirtschaftsminister, verspritzt viel Geist und darum scheint es ihm in der Hauptsache zu tun zu sein. – Endlich kommt der neue Reichsfinanzminister Herr Hilferding in stockender nicht sehr klarer Rede mit dem neuen Vorschlag einer Devisenzwangsanleihe zum Vorschein. Das große Straußenei ist gelegt und ehe es bebrütet wird, bittet der Reichskanzler die Herren, einen kleinen Imbiß zu sich zu nehmen. – Das war gut so, denn noch bis halb 1 Uhr nachts dehnt sich die Sitzung. Sie zeitigte jene Zwangsanleihe und hochgespannte Hoffnungen. Jedes neue Kabinett verfügt zu Beginn seiner Tätigkeit über den schönen Glauben, es allein sei von Energie triefend und in der Lage durch einschneidende Maßnahmen unsere unglückliche wirtschaftliche Lage zu meistern. – Lustig aber arbeitet die große Papierdruckmaschine unweit der Reichsbank weiter und ‚der Herr Finanz walleralla druckt Papier mit Glanz walleralla‘. – Eingeweihte schütteln bedenklich das Haupt“ (BA: NL von Stockhausen 5). Eine Parallelüberlieferung des P. 1 dieses Protokolls, die jedoch erst mit den Ausführungen des RM Schmidt beginnt, ist von RSparKom. Saemisch aufgezeichnet worden (BA: NL Saemisch 158, S. 34, 32, 30). Vgl. auch die Zusammenfassung in Vermächtnis I, S. 93 f.