2.50 (str1p): Nr. 50 Der Reichsverkehrsminister an den Reichsminister für die besetzten Gebiete. 9. September 1923

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Nr. 50
Der Reichsverkehrsminister an den Reichsminister für die besetzten Gebiete. 9. September 1923

R 43 I /215 , Bl. 16

[Betrifft: Beratung der Abwehrausschüsse über die Frage der Fortführung des passiven Widerstandes.]

Das Reichsverkehrsministerium erfährt aus ganz zuverlässiger Quelle folgendes:

Am Mittwoch, den 12. September1 werden die paritätischen Abwehrausschüsse[221] des besetzten Gebietes2 sich mit der Frage der Fortführung oder Einstellung des passiven Widerstandes beschäftigen. Es ist zu erwarten, daß hierbei Beschlüsse gefaßt werden, die produktive Arbeit dann wieder aufzunehmen, wenn Frankreich die Erhaltung der Sozialrechte und die Amnestierung der Verhafteten und Ausgewiesenen zusichert. Der Grundgedanke hierbei sei, der Regierung die Möglichkeit zu Verhandlungen zu schaffen.

1

Am Rande hs.: „Dienstag, 11/9 n.“

2

Für die Sitzung am Dienstag waren die Abwehrausschüsse aus Köln, Dortmund und Mannheim nach Unna eingeladen worden (R 43 I /215 , Bl. 167).

Um nicht die deutsche Regierung in eine unmögliche Zwangslage zu bringen, ist es m. E. notwendig, daß der Herr Minister für die besetzten Gebiete die Abwehrausschüsse veranlaßt, ihre Bereitwilligkeit zum Abbau des Widerstandes unter den vorgenannten Bedingungen lediglich der deutschen Regierung gegenüber auszusprechen und ausschließlich dieser die Verhandlungen mit Frankreich usw. zu überlassen und nur aus ihrer Hand ein Verhandlungsergebnis entgegenzunehmen, bis zum Eintreffen eines Verhandlungsergebnisses aber nichts in die Öffentlichkeit bringen zu lassen und mit Weisungen an die Arbeiterschaft zurückzuhalten3.

3

Der RPräs. ließ zu diesem Schreiben mitteilen, daß er die Auffassung StS Stielers vollkommen teile. Er „empfehle eine Einwirkung auf die Abwehrausschüsse, daß eine eventuell beabsichtigte Arbeitsaufnahme der Reichsregierung und nicht etwa den Franz. Kmdo. Behörden zuerst mitgeteilt werde“ (R 43 I /215 , Bl. 169).

Für die Eisenbahner bleiben die Erlasse des Reichsverkehrsministers in Kraft, die jegliche Dienstleistung für den Feindbund oder seine Beauftragten untersagen. Solange das Kabinett dem Reichsverkehrsminister keine Ermächtigung erteilt, diese Erlasse aufzuheben und die Wiederaufnahme der Arbeit anzuordnen, werden, wie ich glaube bestimmt behaupten zu dürfen, die Eisenbahner-Organisationen den Widerstand fortführen ohne Rücksicht darauf, was durch die Privatarbeiterschaft veranlaßt wird4.

4

StS Stieler wiederholte diese Auffassung in einem Schreiben an den RK vom 11.9.23, fügte dann aber hinzu, daß es ihm fraglich erscheine, ob die Eisenbahner ihren Widerstand nur kurze Zeit aufrecht erhalten könnten, wenn im übrigen der passive Widerstand abgebrochen werde und nur für sie die Bestimmungen über das Verbot der Zusammenarbeit mit der Besatzung aufrecht erhalten werde. „Schließlich würde auch beim Weiterverharren der Eisenbahnerschaft im passiven Widerstand eines der Hauptziele seiner Preisgabe, nämlich das Wiederingangbringen des Wirtschaftslebens unmöglich sein, da ohne das deutsche Personal ein den Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechender Verkehr unter keinen Umständen wieder aufgenommen werden kann.“ Es sei daher unbedingt alsbald Klarheit über das Verhältnis von RB-Verwaltung und -Personal zur Eisenbahnregie möglichst noch vor der Entscheidung über die Aufgabe des passiven Widerstandes zu schaffen. Verhandlungen über die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs seien allein vom RVMin. im Zusammenhang mit der Gesamtpolitik zu führen (R 43 I /215 , Bl. 40–41).

Abschrift habe ich dem Herrn Reichspräsidenten, dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Reichsminister des Innern übersandt.

In Vertretung.

[…]

Stieler

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