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Nr. 252
Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien am 20. Juni 1927, 10.30 Uhr im Reichstagsgebäude1
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Der Vermerk ist vom 21. 6. datiert.
Anwesend: von der DNVP: Oberfohren (Vorsitz), Schmidt-Stettin, Quaatz, Harmony; vom Zentrum: v. Guérard, Allekotte; von der DVP: Scholz, Morath, Dauch; von der BVP: Leicht; von der RReg.: RFM Köhler, MinDir. Lothholz, MinDir. v. Hagenow.
Beamtenbesoldungsreform.
Gegenüber der – namentlich von der Deutschnationalen Partei und der Deutschen Volkspartei – anfänglich bekundeten Neigung, die bevorstehende Beamtenbesoldungsreform vor den 1. Oktober vorzudatieren, führte Reichsminister Dr. Köhler aus, daß das Reichskabinett sich bereits auf den 1. Oktober 1927 festgelegt habe2 und daß es aus zwingenden finanziellen Gründen für das Reich unmöglich sei, einen günstigeren Termin ins Auge zu fassen. Darüber hinaus müsse das Reich – was ja auch wohl der Auffassung des Reichstags entspräche – auf die Finanzlage der Länder und Gemeinden Rücksicht[802] nehmen. Diesen müsse, ebenso wie den finanziell selbständigen Betriebsverwaltungen des Reichs, die Möglichkeit gelassen werden, sich der Reichsbesoldungsreform anzuschließen. Irgendwelche Reichszuschüsse an die Länder und Gemeinden kämen nicht in Frage, und aus eigener Kraft sei es wohl keinem Lande möglich, schon vor dem 1. Oktober eine Besoldungserhöhung eintreten zu lassen.
Nach kurzer Aussprache wurden die Regierungsparteien darüber einig, daß sie unbedingt geschlossen hinter die Regierung treten müßten, und daß es keiner Regierungspartei gestattet werden könne, aus parteitaktischen Gründen nach außen hin mehr oder weniger größeres Entgegenkommen für die Wünsche der Beamtenschaft durchblicken zu lassen.
Eine solche Haltung erschien den Regierungsparteien jedoch nur dann praktisch durchführbar, wenn auch die Länderregierungen sich der Haltung der Reichsregierung anpaßten und entgegen bisheriger – teilweise abweichender – Praxis darauf verzichteten, vor der Öffentlichkeit die Verantwortung für die Hinausschiebung der Reform auf den 1. Oktober Reichsregierung und Reichstag zuzuschieben.
Der Reichsminister der Finanzen soll daher die Finanzminister der Länder unverzüglich zu einer Sitzung einladen, um sie zu einem offenen Eingeständnis der Tatsache zu veranlassen, daß sie den Beamten zum mindesten nicht weiter wie das Reich entgegenkommen könnten.
In der anschließend an die Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses stattfindenden Sitzung des Haushaltsausschusses sollen die Regierungsparteien die Absetzung des Beratungsgegenstandes von der Tagesordnung durchsetzen und Weiterberatung für das Ende der Woche vorschlagen3, in der Annahme, daß bis dahin die Stellungnahme der Länderregierungen vorliegt und dem Haushaltsausschuß mitgeteilt werden kann4.
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In der anschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses des RT brachten DDP, KPD und SPD Anträge zur Beamtenbesoldung ein. Im Antrag der DDP wurde die RReg. ersucht, eine Vorlage zur Erhöhung der Beamtengehälter mit Wirkung vom 1.4.27 einzubringen. Der Antrag der KPD sah die Zahlung von gestaffelten Zuschlägen für die Besoldungsgruppen I bis VII ab 1.5.27 bis zum Inkrafttreten der neuen Besoldungsordnung vor. Nach dem Antrag der SPD sollten den Beamten der Besoldungsgruppen I bis VII mit Wirkung vom 1.5.27 monatliche Vorauszahlungen auf die neue Besoldungsordnung in Höhe von 20 RM gezahlt werden. Die Beratung dieser Oppositionsanträge wurde auf Antrag des Abg. v. Guérard vertagt (Verhandlungen des Haushaltsausschusses, Sitzung vom 20.6.27).
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Nach einem Vermerk v. Hagenows legte RFM Köhler das Ergebnis der Besprechung mit den Finanzministern der Länder in einer Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses am 23.6.27 dar: „Die Mehrzahl der Länder, darunter Preußen und Bayern, habe sich gegen eine Besoldungserhöhung vor dem 1. Oktober 1927 ausgesprochen, weil zur Deckung der Mehrausgaben keine Mittel zur Verfügung stünden. Gegen die Erhöhung vom 1. Oktober 1927 ab seien ebenfalls lebhafte Bedenken im Hinblick auf die Finanzlage der Länder erhoben worden, obwohl allgemein die Notlage der Beamten anerkannt worden sei. Die Forderung einzelner Länder, zur Bestreitung der sich aus der Besoldungsreform ergebenden Mehrausgaben Reichszuschüsse zu gewähren, habe er [der RFM] mit Entschiedenheit abgelehnt. Der Herr Reichsminister der Finanzen führte weiterhin aus, daß auf Grund der Erklärung der Länder eine Besoldungsreform vor dem 1. Oktober nicht in Betracht komme, mit Bestimmtheit aber eine vom 1. Oktober 1927 ab, obgleich auch die Länder hiergegen Einwendungen gehabt hätten. Die Haltung des Reichsministers der Finanzen wurde von den anwesenden Vertretern der Regierungsparteien gebilligt.“ (Vermerk Hagenows vom 23. 6., R 43 I/2568, Bl. 226–227; vgl. auch die Niederschrift der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 24. 6.).