1.114 (ma32p): Nr. 356 Der Reichspräsident an den Reichskanzler. 29. November 1927

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Nr. 356
Der Reichspräsident an den Reichskanzler. 29. November 1927

R 43 I /2347 , Bl. 47–48

[Ausgaben der Gemeinden für sogenannte Luxusbauten.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Bei der durch den Bericht des Reparationsagenten1 eröffneten Erörterung über die öffentlichen Ausgaben in Reich, Ländern und Gemeinden nimmt die Frage der sogenannten Luxusbauten der Städte einen breiten Raum ein. In welchem Umfange die Städte Luxusbauten, die durch amerikanische Anleihen bezahlt werden, vorgenommen haben, entzieht sich meiner Kenntnis2; aber ich[1119] habe wiederholt die Wahrnehmung gemacht, daß die Städte für nicht dringende Aufgaben, z. B. Ausstellungshallen, Straßenerweiterungen, Sportplätze verhältnismäßig3 mehr Interesse und mehr Kosten aufwenden als für die Bauten zur Beseitigung der dringendsten Wohnungsnot. Bei den Fragen, die jetzt zur Beratung des Kabinetts stehen und u. a. die Finanzgebarung der Selbstverwaltungen betreffen, muß meines Erachtens auch dieser Punkt berührt werden. Ich halte eine Einwirkung auf die Gemeinden für erforderlich dahingehend, daß sie in erster Linie Wohnungen bauen und erst nach Behebung der Wohnungsnot die zwar wünschenswerten, aber weniger dringenden anderen Anlagen errichten. Die Beschaffung guter Wohnungen halte ich für das erste Erfordernis der Volksgesundung; Sportplätze, Ausstellungs- und Messebauten usw. müssen hinter dieser wichtigsten Forderung zurücktreten und auf bessere Zeiten verschoben werden.

1

Gemeint ist offenbar das Memorandum des Reparationsagenten (Gilbert) vom 20.10.27; siehe Dok. Nr. 324.

2

RbkPräs. Schacht hatte in seiner Bochumer Rede vom 18.11.27 u. a. ausgeführt: Von kommunalpolitischer Seite sei immer wieder betont worden, daß die Kommunen ihre Auslandsanleihen nur für wirklich notwendige wirtschaftliche Zwecke aufnähmen „und daß die als Luxus erscheinenden Ausgaben, unter denen immer die berühmten Stadien fungieren, nur einen verschwindenden Bruchteil der Gesamtausgaben ausmachen. Aber ich stelle hier fest, wenn die Städte jene Luxusausgaben beziehungsweise nicht dringlichen Ausgaben unterlassen hätten, wir wahrscheinlich nicht eine einzige kommunale Auslandsanleihe hätten aufzunehmen brauchen. Es steht der Reichsbank selbstverständlich nur ein unvollständiger Ausschnitt aus den kommunalen Finanzziffern zur Verfügung, aber dieser Ausschnitt ist ausreichend, um zu erweisen, daß die seitens der deutschen Kommunen verausgabten Summen für den Bau von Stadien, Schwimmbädern, Grünanlagen, Schmuckplätzen, für Gelände- und Güterkäufe, Messegebäude, Festhallen, Hotelbauten, Bürohäuser, Planetarien, Flugplätze, Theater- und Museumsbauten, für Kreditgewährung und Beteiligung in der Privatwirtschaft usw. einen Gesamtbetrag ergeben, der nicht weit hinter dem Gesamtbetrag der von den Städten aufgenommenen Auslandsanleihen zurückbleibt.“ Siehe: Schacht, Eigene oder geborgte Währung, Rede vom 18.11.27 in Bochum, S. 22 f. Vgl. dazu das Schreiben Stresemanns an OB Jarres vom 24.11.27, in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 263 f.

Der Präs. des Dt. Städtetages, Mulert, beschwerte sich daraufhin in einer Eingabe an den RK vom 21.11.27, daß RbkPräs. Schacht, „dessen grundsätzlich antikommunale Einstellung seit langem bekannt ist“, in seiner Bochumer Rede „Behauptungen über die Finanzgebarung der deutschen Städte ausgesprochen [hat], die deren Kreditfähigkeit schwer beeinträchtigen können“. Mulert bat den RK, „seitens der Reichsregierung diejenigen Maßnahmen in Aussicht zu nehmen, die geeignet sind, auch den Herrn Reichsbankpräsidenten zu veranlassen, die deutschen Städte […] nicht in der bisher von ihm beliebten Weise zum Gegenstand unsachlicher und unbegründeter Angriffe zu machen“. Dieser Eingabe fügte Mulert ein ausführliches Schreiben an den RFM bei, in dem die Finanz- und Anleihepolitik, die Bau- und Wirtschaftspolitik der Gemeinden gegen den Vorwurf der „Luxusausgabenwirtschaft“ verteidigt wurde; StS Pünder erhielt einen Artikel Mulerts „Der deutsche Reichsbankpräsident gegen die deutschen Städte“ (R 43 I /2437 , Bl. 62–85). Am 28.11.27 schrieb Pünder an Mulert u. a., er habe den dringenden Wunsch, daß die Angelegenheit „baldigst zu einem Ende geführt werden möchte, das den berechtigten wirtschaftlichen Bedürfnissen der Städte entspricht und aber auch die Billigung des Herrn Reichsbankpräsidenten findet“. Wie ihm – Pünder – vertraulich mitgeteilt worden sei, beabsichtige der Städtetag, die Einigungsverhandlungen mit dem RbkPräs. jetzt von sich aus in die Hand zu nehmen. Ein solcher Plan würde die „volle Zustimmung“ der RReg. und insbesondere auch des RWiM und des RFM finden (R 43 I /2437 , Bl. 86).

3

„verhältnismäßig“ von Hindenburg eigenhändig eingefügt.

Ich darf Ihre persönliche Aufmerksamkeit, Herr Reichskanzler, auf diese Angelegenheit hinlenken und Sie bitten, die Anregung in der Ihnen geeignet erscheinenden Weise bei den Beratungen zu verwerten4.

4

Das Antwortschreiben des RK vom 24.12.27 an den RPräs. lautete: „Mit ganz besonderem Interesse habe ich von den Ausführungen Ihres Schreibens vom 29. November d. J. über die Notwendigkeit der Einschränkung städtischer Luxusbauten und der bevorzugten Förderung des städtischen Wohnungsbaus Kennnis genommen und begrüße die von Ihnen ausgesprochenen Anregungen. In der Kritik der öffentlichen Ausgabenwirtschaft der Selbstverwaltung bin ich mit Ihnen, hochgeehrter Herr Reichspräsident, vollkommen einer Meinung. Desgleichen bin ich mit Ihnen einig in der Erkenntnis von der staatspolitischen Bedeutung der Behebung der allgemeinen Wohnungsnot und weiß mich in dieser Hinsicht auch der Übereinstimmung mit der gesamten Reichsregierung sicher. Die Reichsregierung hat sich die Förderung des Wohnungsbaus in den vergangenen Jahren mit besonderem Nachdruck angelegen sein lassen und wendet dieser Aufgabe auch für die Zukunft ihr unvermindertes Interesse zu. – Den schädlichen Auswüchsen in der Ausgabenwirtschaft einzelner Gemeindeverwaltungen, wie sie sich verschiedentlich gezeigt haben, wird mit Entschiedenheit entgegengetreten. Ich halte die Tatsache, daß sich die mangelnde Sparsamkeit bei öffentlichen Bauten, Ausstellungen usw. mancher Gemeinden der breiten Öffentlichkeit augenscheinlich offenbart, für noch weit verhängnisvoller als die übermäßig hohen Aufwendungen im Einzelfalle selbst. Das ungünstige Beispiel öffentlicher Stellen erzieht das Volk nicht zu dem Geiste der Sparsamkeit, der unserem Volke in seiner gegenwärtigen Lage so unbedingt not tut. Es täuscht im Gegenteil den fehlenden Wohlstand vor und verschleiert den Blick für die richtige Erkenntnis unserer Verhältnisse. – Ich habe Ihr Schreiben den Herren Reichsministern zur Kenntnis gebracht und darf der zuversichtlichen Erwartung Ausdruck verleihen, daß die von Ihnen ausgehenden Anregungen und Mahnungen die gebührende Beachtung finden werden.“ (R 43 I /2347 , Bl. 51). Das Schreiben des RPräs. und die Antwort des RK übersandte StS Pünder im Auftrag des RK am 24.12.27 abschriftl. an die Reichsminister „mit der Bitte um Kenntnisnahme“ (R 43 I /2347 , Bl. 52).

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Wertschätzung und mit freundlichen Grüßen bin ich

Ihr stets ergebener

von Hindenburg

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