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Nr. 411
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über den Empfang von Vertretern der Landwirtschaft beim Reichspräsidenten am 3. Februar 1928, 12 Uhr1
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Meissner übersandte die Aufzeichnung im Auftrag des RPräs. am 3.2.28 an StS Pünder (Begleitschreiben in R 43 I/2539, Bl. 94). Zuvor hatte Vizekanzler Hergt in Anwesenheit mehrerer Reichsminister am 1.2.28 Vertreter landwirtschaftlicher Organisationen aus Süddeutschland, aus Oldenburg, Schleswig-Holstein, dem Emsland und dem besetzten rhein. Gebiet zur Entgegennahme ihrer Beschwerden und Forderungen empfangen. In einem Vermerk MinR Feßlers über diesen Empfang heißt es: Nach den Angaben der Landwirtschaftsvertreter „ist die Stimmung der Landwirtschaft so bedenklich, daß die Gefahr von Unruhen besteht und daß die Führer weitere Verantwortung ablehnen, falls nicht über die von der Regierung bereits in Aussicht genommenen Maßnahmen hinaus weitere Hilfe umgehend geleistet wird. Die Erklärungen der Mitglieder der Reichsregierung ließen klar erkennen, daß alles geschehen soll, um der Landwirtschaft zu helfen. Die Bedeutung der in die Wege geleiteten Maßnahmen wurde wirksam hervorgehoben. Es wurde an das Verantwortungsgefühl der Führer appelliert, die auch weiter die Massen ruhig halten und an den Maßnahmen zur Linderung der Not mitarbeiten sollen.“ (R 43 I/2539, Bl. 72; im selben Aktenband mehrere Eingaben und Resolutionen landwirtschaftlicher Verbände).
R 43 I/2539, Bl. 95–96 Durchschrift
[Notlage der Landwirtschaft.]
Der Herr Reichspräsident empfing heute gemeinsam die Vertreter des Reichs-Landbundes (Graf Kalckreuth, Präsident des Reichs-Landbundes; Hepp,[1285] Präsident des Reichs-Landbundes und Mitglied des Reichstags; von Sybel, Direktor des Reichs-Landbundes; Behnke, Gutsbesitzer in Angermünde; Ohler, Landwirt in Marienau, Kreis Teltow, Mitglied des Reichstags; Broich, Landwirt in Trier) sowie der Deutschen Bauernvereine (Stamerjohann, Vizepräsident der Vereinigung der Deutschen Bauernvereine; Schulte-Eising, Vorsitzender der Emsländischen Bauernvereine, Aschendorf; Brendebach, Oldenburg).
Die Präsidenten des Reichs-Landbundes legten unter Übergabe einer Denkschrift2, auf deren Einzelheiten sie verwiesen, nachdrücklich den außerordentlichen Ernst der Lage dar. Die von der Reichsregierung und dem Reichstag vorgesehenen Maßnahmen3 seien zwar eine erfreuliche Hilfe für die Zukunft der Landwirtschaft, aber es müsse auch für die Gegenwart etwas Nachhaltiges geschehen; das sei schon notwendig aus psychologischen Gründen, weil die Stimmung der Landwirtschaft stark erregt sei und die Frühjahrsbestellung gefährde. Die Landwirtschaft, namentlich die Bauernschaft, habe ihre eigenen Lebensbedürfnisse sehr erheblich eingeschränkt; sie werde den Weg der Proletarisierung gehen, wenn nicht kräftige Hilfe kommt. Die finanziellen Mittel des Reichs und der Länder seien gewiß begrenzt, aber nachdem für soziale Fürsorge, für Gehaltsaufbesserungen usw. immer wieder Mittel verfügbar gemacht werden, muß es auch gelingen, für die Lebensnotwendigkeiten der Landwirtschaft Mittel freizumachen. Die Landwirtschaft verlange außerdem auf dem Gebiete der Zollpolitik besseren Zollschutz und Schutz vor fremder Einfuhr sowie Einwirkungen auf die Preisbildung zur Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft. – Die einzelnen Vertreter aus dem Lande wiesen auf die starke Unruhe hin, die überall herrsche. Die Unruhe sei allgemein, überall fänden Protestversammlungen und Demonstrationen statt; es sei schwer, die Bauernmassen zurückzuhalten. Das, was jetzt regierungsseitig zugesagt worden wäre, müsse rasch durchgeführt werden, damit es den Führern ermöglicht wird, die Massen wieder zur Ruhe zu bringen. Die Landwirte klagten allenthalben über zu hohe Steuerlasten sowie über zu hohe Soziallasten. Die Verschuldung sei überall im Zunehmen, Kredithilfe und Zinsverbilligung seien unerläßlich.
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Gemeint ist wohl das „Sofort-Programm des Reichs-Landbundes“. Es war Gegenstand einer Besprechung in der Rkei am 8.2.28 zwischen Vertretern des Reichs-Landbundes (Hepp, Kalckreuth, Sybel, Kriegsheim) und Vertretern der zuständigen Reichsressorts unter dem Vorsitz von Vizekanzler Hergt (Sofortprogramm und Besprechungsniederschrift: R 43 I/2539, Bl. 105–114).
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Im Anschluß hieran empfing der Herr Reichspräsident auch die Vertreter des Reichsverbandes der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe (Deutsche Bauernschaft). (Lübke, Geschäftsführer der Deutschen Bauernschaft, Berlin; Lübke, Landwirt, 2. Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Bauernvereins, Augard, Schleswig-Holstein; Scholz, Vertreter des Schlesischen Bauernbundes, Breslau). Dieselben legten insbesondere die Notlage der Kleinbauern und der Pächter[1286] dar. Die Steuern seien an sich erträglich, schlimmer seien die Pachtzinsen; hier würden Staat und öffentliche Hand ein schlechtes Beispiel geben. Pachtsätze von 80 bis 100 M pro Morgen, die hier gefordert werden, sind zu hoch. Die Kleinbauernschaft brauche keine neuen Kredite, aber Hilfe für die Umwandlung der drückenden Wechselschulden in mäßig verzinsliche Schuldverschreibungen. Der Hauptgrund der mißlichen Lage der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe seien die zu niedrigen Viehpreise; dadurch fehlte es der Bauernschaft an Bargeldeinnahme. In unserer Handelspolitik müsse die Reichsregierung auf besseren Schutz gegenüber der Vieheinfuhr hinwirken; es fehlt beim Vieh an einem Minimalzollsatz. Erwünscht sei ferner eine bessere Unterstützung der Ansiedlung mit Krediten; zahlreiche brach liegende Arbeitskräfte vom Lande könnten durch Ansiedlungen zweckdienliche Verwendung finden.
Der Herr Reichspräsident dankte den einzelnen Rednern für die ihm gegebenen Informationen und versicherte, daß er die Frage der Besserung der Verhältnisse der Landwirtschaft, insbesondere die Wiederherstellung der Rentabilität der deutschen Landwirtschaft mit dem größten Interesse begleite und nach Maßgabe der ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte auch zu fördern bestrebt sei. Die einzelnen hier angeschnittenen Fragen würden bei den noch im Gange befindlichen Beratungen über die zu treffenden Maßnahmen verwertet werden. Der Herr Reichspräsident gab abschließend der Hoffnung Ausdruck, daß es den gemeinsamen Beratungen der Reichsregierung, der Länderregierungen und des Reichstags gelingen werde, der Landwirtschaft eine nachhaltige Hilfe zu bringen. Gleichzeitig richte er aber an alle Führer in den landwirtschaftlichen Verbänden die dringende Bitte, alles zu tun, um die landwirtschaftliche Bevölkerung in Ruhe zu halten und von Unbesonnenheiten abzubringen. Bauernrevolten und dergleichen in unserer gegenwärtigen Notlage wären ein Verrat am Vaterlande.
Berlin, den 3. Februar 1928
[Paraphe Meissners]