Text
[1432] Nr. 461
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über Mitteilungen des Reichskanzlers zur Frage des Verbots des Roten Frontkämpferbundes. 16. April 1928
Nachl. Pünder, Nr, 149, Bl. 35–38
Den Herrn Reichskanzler, der gestern gegen ½9 Uhr abends bekanntlich Berlin für etwa 5 Wochen verlassen hat1, habe ich auf die Bahn begleitet. Hierbei teilte er mir in der Angelegenheit der etwaigen Auflösung des Roten Frontkämpferbundes folgendes mit:
- 1
RK Marx war am 15. 4. zur Erholung in die Schweiz gefahren.
Herr Minister von Keudell habe ihn vorhin noch zu einer letzten Rücksprache in dieser Angelegenheit aufgesucht. Er – der Reichskanzler – hätte die Hoffnung gehabt, daß der Herr Minister angesichts der am Sonnabendabend in der Ministerbesprechung2 von allen Seiten geäußerten lebhaften Bedenken inzwischen gleichfalls zu der Überzeugung gekommen wäre, daß der gegenwärtige Augenblick für das geplante Vorgehen ungünstig sei. Zu seinem Bedauern habe er sich aber geirrt. Herr Minister von Keudell habe sich darauf bezogen, daß er am Vormittag Gelegenheit gehabt habe, die Angelegenheit auch mit Exzellenz Hergt nach dessen eben erfolgter Rückkehr durchzusprechen. Exzellenz Hergt habe sich in dieser Aussprache nun völlig seiner Auffassung angeschlossen. Das habe ihn in seinem Entschluß bestärkt, unbedingt an der sofortigen Ausführung seines Vorgehens festzuhalten. Er – der Reichskanzler – habe nochmals versucht, unter Wiederholung der bereits eingehend erörterten Bedenken, Herrn Minister von Keudell von seinem Vorhaben abzubringen. Er habe jedenfalls hervorgehoben, daß sowohl er wie auch die übrigen gehörten Kabinettsmitglieder völlig mit dem Herrn Minister von Keudell darin übereinstimmten, daß an sich ein energisches Vorgehen gegen den Roten Frontkämpferbund – und zwar nicht erst seit einer Woche – unbedingt geboten sei. Die Auffassungen gingen eben lediglich bezüglich des Zeitpunktes auseinander. Er halte nach wie vor den gegenwärtigen Zeitpunkt, der mitten in die Wahlpropaganda falle, für geradezu unglücklich, zumal mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, daß irgend ein praktischer Erfolg für die nächsten Wochen und Monate durch dieses überstürzte Vorgehen nicht eintreten werde. Er habe aber das Empfinden gehabt, daß Herr Minister von Keudell dem Vorbringen weiterer Gegengründe nicht mehr zugänglich gewesen sei, und er habe sich daher ernstlich die Frage vorlegen müssen, ob er als Reichskanzler und nach der Verfassung für die Richtlinien der Politik Verantwortliche den beabsichtigten Schritt ausdrücklich verbieten solle. Nach reiflicher Überlegung sei er schließlich zu der Auffassung gekommen, diesen äußersten Schritt nicht zu tun. Auf der einen Seite sei ein solcher Schritt eben doch durchaus ungebräuchlich und entbehre auch nicht einer gewissen unangenehmen persönlichen Note. Hinzu[1433] sei gekommen, daß Herr Minister von Keudell dauernd stark betont habe, daß er die Angelegenheit als eine Ressortangelegenheit betrachte und in keiner Weise eine Zustimmung des Reichskabinetts und des Reichskanzlers erbitte, und schließlich sei auch zu bedenken gewesen, daß die Folgen eines etwaigen ausdrücklichen Verbots des Reichskanzlers auch nach keiner Richtung hin zu übersehen gewesen seien.
Das Ergebnis der Aussprache sei also das gewesen, daß er als Reichskanzler dem Herrn Reichsinnenminister sein beabsichtigtes Vorgehen allerdings nicht ausdrücklich verboten habe. Es würde aber völlig irrig sein, und er – der Reichskanzler – lege deshalb auf eine dokumentarische Festlegung dieses Punktes größten Wert, aus dem Unterlassen dieses Verbotes einen Schluß auf irgend eine Art von Zustimmung zu ziehen. Ebenso stehe völlig fest, daß die Ministerkollegen, die gerade in Berlin anwesend gewesen wären und sich zu der Angelegenheit geäußert hätten, die Bedenken des Reichskanzlers in vollem Umfange geteilt hätten. Da diese gegenteilige Auffassung der nächstbeteiligten Stellen also völlig einwandfrei klar gewesen sei, habe er – der Reichskanzler – um so mehr geglaubt, diese Auffassung nicht noch weiter durch ein ausdrückliches Verbot seinerseits zu bekräftigen.
Da der Herr Reichskanzler vor seiner Abfahrt keine Gelegenheit mehr hatte, mit anderen Mitgliedern des Kabinetts und namentlich mit seinem Herrn Stellvertreter3 in der Angelegenheit zu sprechen, hat er mich zur aktenkundigen Niederlegung vorstehender Mitteilungen beauftragt sowie auch damit, die in Berlin anwesenden Kabinettsmitglieder, soweit möglich und soweit sie mit der Sache befaßt gewesen seien, von der veränderten Sachlage in Kenntnis zu setzen. Er, der Reichskanzler, hielt es nämlich durchaus für möglich, daß die übrigen Reichsminister am Sonnabendabend unter dem starken Eindruck gestanden hätten, daß Herr Minister von Keudell sich wohl noch ihrer Auffassung anschließen werde. Wenn sie jetzt sähen, daß diese ihre Annahme irrig gewesen wäre, könne er sich denken, daß der eine oder der andere Ressortminister seine eigenen Ressortinteressen durch das geplante Vorgehen des Reichsinnenministers entscheidend tangiert betrachte und nunmehr seinerseits auch auf einer Kabinettsentscheidung beharre. Diese Orientierung der in Betracht kommenden Reichsminister werde ich selbstverständlich in vorsichtigster und vertraulichster Form heute Vormittag vornehmen4.
- 3
Hergt.
- 4
Eine Abschrift dieses Vermerks übersandte Pünder mit Begleitschreiben vom 16. 4. an Vizekanzler Hergt; im Begleitschreiben teilte Pünder mit, daß er Hergt zu einem ergänzenden mündlichen Vortrag „auftragsgemäß jederzeit zur Verfügung“ stehe (Nachl. Pünder, Nr. 149, Bl. 34). Abschriften seines Vermerkes übermittelte Pünder am 16. 4. auch an RIM v. Keudell, RAM Stresemann und RWeM Groener (ebd., Bl. 33).
Danach vermerkte Pünder am 16. 4., daß Groener ihn aufgesucht und zugleich im Namen Stresemanns gebeten habe, folgendes an Hergt zu übermitteln: „Beide Minister [Groener und Stresemann] seien mit Herrn Minister von Keudell und dem Herrn Reichskanzler völlig einig in der Beurteilung und Verurteilung des Roten Frontkämpferbundes. Sie seien aber beide der Auffassung, daß der von Herrn Minister von Keudell in Aussicht genommene jetzige Zeitpunkt zu einem Vorgehen aus außen- und innenpolitischen Gründen der denkbar ungünstigste sei. Sie legten Wert darauf, dem Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers von dieser ihrer Auffassung Kennntnis zu geben. Darüber hinaus wollten sie aber einen offiziellen Antrag auf Entscheidung durch das Kabinett nicht stellen, zumal Herr Minister von Keudell seinerseits eine solche Kabinettsentscheidung nicht erbeten und einen etwaigen Beschluß am Sonnabendabend sogar abgelehnt habe.“ (Nachl. Pünder, Nr. 149, Bl. 32). – Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 462.
Pünder 16. IV.