Text
Nr. 57
Der Bayerische Ministerpräsident an den Reichskanzler. München, 9. Juli 1926
[Zeugenvernehmungen durch den Feme-Untersuchungsausschuß in München.]
Hochverehrter Herr Reichskanzler!
Am 5. lfd. Mts. hat der sogen. Femeuntersuchungsausschuß des Reichstags1 mit 9 gegen 8 Stimmen beschlossen, Ende September oder Anfang Oktober nach München zu übersiedeln, um hier etwa 40–50 Zeugen über die sogenannten[127] Einwohnerwehr-Fälle zu vernehmen2. Maßgebend für diesen Beschluß soll die Rücksicht auf die wünschenswerte Verringerung der Zeugenkosten gewesen sein.
Über den Femeuntersuchungsausschuß als solchen und den Nutzen seiner Tätigkeit – namentlich auch im Hinblick auf das Ansehen des Reichstags und des Parlamentarismus überhaupt – kann man gewiß geteilter Meinung sein. Er besteht nun aber einmal, und die Bayer. Staatsregierung ist weit davon entfernt, seine Tätigkeit, soweit sie sich auf Bayern erstreckt, irgendwie behindern zu wollen. Sie hat im Gegenteil das größte Interesse daran, dem Untersuchungsausschuß, so viel an ihr liegt, eine möglichst objektive Feststellung der Tatsachen zu ermöglichen, da sie Femeorganisationen und Fememorde natürlich ebenso verurteilt wie die Väter des Femeuntersuchungsausschusses.
Gleichwohl erfüllt mich die Verlegung der Tätigkeit des Ausschusses nach München mit den lebhaftesten Besorgnissen, die ich mich verpflichtet fühle, Euer Hochwohlgeboren gegenüber zum Ausdruck zu bringen.
Die öffentliche Meinung in Bayern wurde von vornherein stark gegen den Untersuchungsausschuß eingenommen, weil er sich von Anfang an auf die Fälle politischer Morde in Bayern geworfen hat, obwohl aus der ihm gestellten Aufgabe ein Anlaß dafür nicht bestanden hat. Dazu kommt das starke Vorwiegen rein parteipolitischer Einflüsse und Absichten, von denen sich der Untersuchungsausschuß oder zum mindesten einzelne Mitglieder desselben bisher beherrscht gezeigt haben. Diese parteipolitische Einstellung weist ihrer Natur nach gleichzeitig eine bayernfeindliche Tendenz auf. Die Tatsache, daß sich der Untersuchungsausschuß sofort auf die bayerischen Fälle geworfen hat und daß er nunmehr seine Übersiedelung nach München beschlossen hat, wird als Beweis und als ein Ausfluß dieser bayernfeindlichen Tendenz aufgefaßt. Die finanzielle Rücksicht, mit der die Übersiedelung begründet wurde, wird nur als ein Vorwand angesehen.
Dadurch ist bereits eine starke Beunruhigung in Bayern entstanden, und es ist ganz unvermeidbar, daß sich daraus Weiterungen ergeben werden, die sich heute noch nicht absehen lassen3.
Der unvermeidbare, politische Nachteil des von dem Untersuchungsausschuß beschlossenen Schrittes steht zweifellos in keinem Verhältnis zu den finanziellen Ersparnissen, die mit ihm etwa verbunden sind. Sie müßten für den Untersuchungsausschuß Anlaß sein, seinen Beschluß noch einmal zu überprüfen, und[128] zwar umso mehr, als durch ihn der Zweck des Ausschusses zweifellos nicht gefördert wird.
Aber auch die Reichsregierung kann an den politischen Auswirkungen des von dem Untersuchungsausschuß gefaßten Beschlusses meines Erachtens nicht achtlos vorübergehen. Daher glaube ich das Augenmerk Euer Hochwohlgeboren schon jetzt auf diese Angelegenheit lenken und Euer Hochwohlgeboren gleichzeitig bitten zu dürfen, Euer Hochwohlgeboren möchten Ihren Einfluß dahin geltend machen, daß die geplante Übersiedelung nach München unterbleibt4.
Ich benütze auch diesen Anlaß zur Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung, mit der ich verbleibe
Euer Hochwohlgeboren ergebenster
Dr. Held
Fußnoten
- 1
Der RT-Ausschuß zur Untersuchung der Feme-Organisationen und Feme-Morde (27. Ausschuß) war Ende Januar 1926 auf Antrag der SPD-Fraktion gebildet worden (RT-Bd. 405, Drucks. Nr. 1625; RT-Bd. 388, S. 5117 ff., 5237).
- 2
Es handelt sich um politische Mordfälle in den Jahren 1920 und 1921, in die Angehörige der bayer. Einwohnerwehr verwickelt waren. Durch die Zeugenvernehmungen sollte vor allem das Verhalten der bayer. Justiz und Polizei bei der Verfolgung jener Fälle geklärt werden. Vgl. Gumbel, Verräter verfallen der Feme, S. 96 ff.; Hoegner, Der politische Radikalismus in Deutschland 1919–1933, S. 25 ff.
- 3
Am 6.7.26 hatte der Bayer. MinPräs. in einer Unterredung mit dem Vertreter der RReg. in München, Haniel, erklärt, daß er die „Verlegung der Tätigkeit des Ausschusses nach Bayern aus innerpolitischen Gründen nicht dulden werde. Sicherlich seien in der Vergangenheit Dinge vorgekommen, die auch er beklage und verurteile. Diese aber durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse in die Öffentlichkeit zu zerren, könne nur dazu dienen, das Land parteipolitisch zu verhetzen. Er selbst habe einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß vorgesessen, würde aber eine solche Tätigkeit niemals wieder übernehmen, da eine unparteiische Beurteilung durch einen derartigen Untersuchungsausschuß seiner Auffassung nach ausgeschlossen sei.“ (Bericht Haniels an die Rkei vom 6. 7., R 43 I/2242, Bl. 62).
- 4
Nachdem sich das Kabinett in der Ministerbesprechung vom 19.7.26 (Dok. Nr. 63, P. 4) mit der Angelegenheit befaßt hatte, richtete der RK am 20. 7. ein Schreiben an den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, den Zentrumsabg. Schetter. Darin machte der RK Mitteilung von dem Brief des Bayer. MinPräs. und fragte an, ob der Beschluß, die Untersuchungen nach München zu verlegen, nicht rückgängig gemacht werden könne. Das Kabinett sei mit dem RK der Meinung, „daß es politisch überaus unerwünscht sein würde, wenn anläßlich dieses Falles erneute Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Reich und Bayern entstehen würden. Auch für den Fall, daß es bei dem Beschluß des Femeuntersuchungsausschusses bleiben sollte und die Verhandlungen demnächst in München beginnen sollten, darf ich namens der Reichsregierung die dringende Bitte an den Femeuntersuchungsausschuß richten, alles zu vermeiden, was geeignet ist, Bayern und die Bayerische Regierung ohne Grund in Erregung zu versetzen. Zu diesem Zwecke erscheint es der Reichsregierung unabweisbare Voraussetzung eines reibungslosen Arbeitens des Untersuchungsausschusses in München, daß alle Maßnahmen, betreffend Zeugenvernehmungen und sonstige Untersuchungen, nur im engsten Benehmen mit der Bayerischen Staatsregierung durchgeführt werden.“ (R 43 I/2732, Bl. 155–156).
Im Antwortschreiben des Ausschußvorsitzenden Schetter an den RK vom 28. 7. heißt es: Der Beschluß des Ausschusses „beruht auf rein sachlichen Erwägungen, geht von den Mitgliedern der Parteien aus, die jede agitatorische Ausnutzung der Untersuchungsergebnisse ablehnen, und hat nur den Widerspruch der sozialdemokratischen Ausschußmitglieder gefunden. […] Die Sozialdemokraten haben ihren Widerspruch damit begründet, daß sie die Besorgnis hätten, die Verhandlungen möchten durch das Auftreten einzelner Zeugen aus dem völkischen Lager zur Lächerlichkeit oder zu einer ‚fröhlichen Hatz‘ werden, und die persönliche Sicherheit der Ausschußmitglieder sei nicht ausreichend verbürgt. Demgegenüber haben die übrigen Ausschußmitglieder ausdrücklich betont, daß sie den größten Wert darauf legten, die Autorität des Ausschusses für eine streng sachliche Behandlung unter scharfer Zurückweisung aller Störungsversuche einzusetzen. Dieser Standpunkt fand insbesondere die Billigung der Vertreter der Rechten und der bayer. Volkspartei und war auch stets der meinige. […] Es ist nun auffallend, daß man sich in Bayern über einen Beschluß aufregt, der gegen eine Partei gefaßt worden ist, die als Ankläger der bayerischen Justiz auftritt, und die Parteien desavouieren will, die ein Interesse haben, jede Justiz, sei sie nun bayerische oder preußische, zu rechtfertigen und in Schutz zu nehmen. […] Der Ausschuß hat nicht die geringste Veranlassung, den bayerischen Behörden irgendwie zu nahe zu treten, kann aber nicht davon absehen, im Rahmen der ihm übertragenen Aufgabe auch das von den bayerischen Behörden geübte Verfahren einer Kritik zu unterziehen. Der Ihrerseits gemachte Vorschlag, alle Untersuchungsmaßnahmen im engsten Einvernehmen mit der bayerischen Staatsregierung vorzunehmen, findet daher meine grundsätzliche Billigung, ohne daß damit gesagt sein sollte, daß der Ausschuß nicht auch einmal auf dem Zeugnis einer Person besteht, deren Vernehmung der bayerischen Regierung unerwünscht erscheinen könnte.“ (R 43 I/2732, Bl. 173–174).
Die Verhandlungen und Zeugenvernehmungen des Feme-Untersuchungsausschusses in München fanden zwischen dem 5. und 13.10.26 statt. Berichte des Reichsvertreters in München und sonstige Materialien hierzu in R 43 I/2732.