Text
[173] Nr. 71
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über die Haltung der DDP-Fraktion zur Frage der Koalitionserweiterung. 25. August 1926
Herrn Reichskanzler gehorsamst.
Bezüglich der politischen Haltung der Demokratischen Partei habe ich vertraulich folgendes feststellen können:
Die Demokratische Fraktion hat vor wenigen Tagen unter dem Vorsitz des Herrn Abgeordneten Koch (vor dessen Abreise nach Amerika) eine inoffizielle und vertrauliche Fraktionssitzung abgehalten. Nach langer Aussprache hat man sich dahin geeinigt, daß für die kommende parlamentarische Session an dem gegenwärtigen Bürgerlichen Minderheitskabinett des Reichskanzlers Marx unter allen Umständen festzuhalten sei. Die Aussichten für eine Erweiterung der gegenwärtigen Koalition nach Links wurden einmütig gleich Null angesehen. Eine Erweiterung nach Rechts wurde abgelehnt. Die Demokratische Fraktion wird daher von sich aus irgendwelche offiziellen Vorstöße in Richtung auf eine Koalitionserweiterung nicht unternehmen. Umgekehrt wird sie vielmehr in vertraulichen Aussprachen mit den anderen Koalitionsparteien zu erreichen suchen, daß, falls diese dahingehende Wünsche haben sollten, diese Vorstöße der anderen Fraktionen in der vorsichtigsten und unauffälligsten Form unternommen werden möchten; denn die Demokratische Fraktion sieht das Scheitern solcher Versuche anderer Fraktionen klar voraus und möchte durch dieses Scheitern den ruhigen Fortbestand der gegenwärtigen Koalition nicht gefährdet sehen.
Zu der Person des Herrn Reichskanzlers hat die Demokratische Fraktion vollstes Vertrauen1. Herr Minister Külz hat sein innenpolitisches Programm[174] für die kommenden parlamentarischen Beratungen entwickeln müssen, hierzu aber noch keineswegs in allen Punkten die Zustimmung seiner Parteifreunde gefunden.
Pünder
Fußnoten
- 1
In der Tagebucheintragung des Vors. der DDP, Koch-Weser, vom 19.8.26 heißt es u. a.: „Gestern, Mittwoch [18. 8.] vormittag, besuchte mich der Reichskanzler Marx. […] Über die politische Lage dieses Winters äußerte er sich mehr auf meine Veranlassung und erklärte, daß er an der Politik der Mitte solange als möglich festhalten werde. Wenn man ihn zu Fall bringe, so werde er das nicht bedauern, da er sich viel wohler als Zentrumsführer fühle, wie denn auch das Zentrum gar keinen anderen Führer finde, da Guérard wohl sehr tatkräftig, aber doch innerlich nicht hinreichend gefestigt sei. Es war natürlich beinahe vergeblich, ihm beizubringen, daß er sich nicht dem Fatum überlassen dürfe, wegen irgendeiner von ihm als recht erkannten Handlung oder Forderung gestürzt zu werden, sondern daß er es uns schuldig sei, solche Konflikte zu vermeiden, die die Mitte sprengten, und unter Umständen mit Entschlossenheit einen Konflikt herbeizuführen, der die Mitte zusammenhalte und zu einem Wahlsieg führen könne.“ (Nachl. Koch-Weser, Nr. 34, S. 331–335).